Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 III 39



95 III 39

8. Entscheid vom 26. September 1969 i.S. Schällibaum. Regeste

    Lohnabtretung. Festsetzung des nicht abtretbaren Lohnbetrags.

    1.  Der in Art. 226 e Abs. 1 OR für den Geltungsbereich
der Art. 226 a ff. OR ausgesprochene Grundsatz, dass künftige
Lohnforderungen nur abgetreten werden können, soweit sie pfändbar sind,
gilt allgemein. Art. 226 e Abs. 2 OR, wonach das Betreibungsamt auf
Ansuchen der Beteiligten den nach Art. 93 SchKG dem Käufer zu belassenden
Kompetenzbetrag festsetzt, ist auf Abtretungen künftiger Lohnforderungen,
die nicht mit einem von den Vorschriften über den Abzahlungsvertrag
erfassten Geschäft zusammenhängen, entsprechend anzuwenden. (Erw. 2).

    2.  Der Notbedarf ist bei der Abtretung künftiger Lohnforderungen
nach den gleichen Grundsätzen zu berechnen wie bei der
Lohnpfändung. Steuerschulden fallen ausser Betracht. (Erw. 3).

    3.  Die Betreibungsbehörden haben bei der Anwendung von Art. 226
e Abs. 2 die Gültigkeit der erfolgten Lohnabtretungen nicht zu
prüfen. Vorgehen, wenn streitig ist, wem die den Notbedarf übersteigenden
Lohnbeträge zustehen. (Erw. 4).

Sachverhalt

    Schällibaum, der im Zusammenhang mit Darlehensverträgen Lohnabtretungen
vorgenommen hat, ersuchte das Betreibugsamt Rheineck am 14. Juli
1969 gestützt auf Art. 226 e Abs. 2 OR um Festsetzung des ihm nach
Art. 93 SchKG zu belassenden Lohnbetrags (Kompetenzbetrags). Das
Betreibungsamt berechnete den Notbedarf des Gesuchstellers und seiner
Familie am 17. Juli 1969 auf Fr. 1767.50 und bezeichnete unter
Zugrundelegung eines monatlichen Einkommens von Fr. 2025.-- einen
Lohnbetrag von Fr. 257.50 pro Monat als zedierbar. Die Beschwerde des
Gesuchstellers gegen diese Verfügung wurde von der untern und von der obern
kantonalen Aufsichtsbehörde abgewiesen. Im Entscheid der obern kantonalen
Aufsichtsbehörde vom 5. September 1969 wird u.a. ausgeführt, die fälligen
Steuern des Gesuchstellers seien bei der Festsetzung des Notbedarfs
im Sinne des Art. 93 SchKG, auf den Art. 226 e Abs. 2 OR verweise,
nicht mitzuberücksichtigen; die vom Gesuchsteller aufgeworfene Frage der
Gültigkeit seiner Lohnabtretungen sei nicht von den Betreibungsbehörden,
sondern allenfalls vom ordentlichen Richter zu beurteilen.

    Den Entscheid der obern kantonalen Aufsichtsbehörde hat der
Gesuchsteller an das Bundesgericht weitergezogen. Er verlangt die
Berücksichtigung seiner Steuerschulden pro 1969 und ersucht um Prüfung
der Rechtsgültigkeit seiner Lohnabtretungen.

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Art. 226 e OR gehört zu den Bestimmungen über den Abzahlungsvertrag
(Art. 226 a - m OR) und behandelt die Abtretung von Ansprüchen
(insbesondere künftiger Lohnforderungen) des Käufers (Art. 226 e
Abs. 1 OR). Er gilt nach Art. 226 m Abs. 1 OR für alle Rechtsgeschäfte
und Verbindungen von solchen, soweit die Parteien damit die gleichen
wirtschaftlichen Zwecke wie bei einem Kauf auf Abzahlung verfolgen (und
ist nach Art. 228 OR auch auf den Vorauszahlungsvertrag im Sinne von
Art. 227 a OR anwendbar). Nach Art. 226 m Abs. 2 OR sind die Art. 226
a - 1 (unter Vorbehalt der in Art. 226 m Abs. 3 und 4 vorgesehenen
Ausnahmen) namentlich sinngemäss anzuwenden "für die Gewährung von
Darlehen zum Erwerb beweglicher Sachen, wenn der Verkäufer dem Darleiher
die Kaufpreisforderung ... abtritt oder wenn Verkäufer und Darleiher
in anderer Weise zusammenwirken, um dem Käufer die Kaufsache gegen eine
nachträgliche Leistung des Entgeltes in Teilzahlungen zu verschaffen".

    Der Rekurrent hat seine Lohnabtretungen nach seiner eigenen Darstellung
im Zusammenhang mit Darlehensgeschäften vorgenommen. Die Vorinstanz hat
nicht geprüft, und aus den Akten ist nicht ersichtlich, ob es sich dabei um
Darlehen im Sinne von Art. 226 m Abs. 2 OR handelte und ob allenfalls Art.
226 m Abs. 3 oder 4 OR eingreife. Diese Fragen können indes offen bleiben.
Der in Art. 226 e Abs. 1 OR für den Geltungsbereich der Art. 226 a ff. OR
ausgesprochene Grundsatz, dass künftige Lohnforderungen nur abgetreten
werden können, soweit sie pfändbar sind, gilt nämlich allgemein, da
er sich schon aus Art. 27 ZGB und Art. 20 OR ergibt (BGE 85 I 31 lit.h
mit Hinweisen; JEANPRETRE, La cession de salaire, SJZ 1967 S. 17 ff.,
insbesondere 20/21, mit weitern Hinweisen auf das Schrifttum und die
kantonale Rechtsprechung). Es rechtfertigt sich daher, den Art. 226 e
Abs. 2 OR, wonach das Betreibungsamt auf Ansuchen der Beteiligten den
nach Art. 93 SchKG dem Käufer zu belassenden Kompetenzbetrag festsetzt,
auf Abtretungen künftiger Lohnforderungen, die nicht mit einem von den
Vorschriften über den Abzahlungsvertrag erfassten Geschäft zusammenhängen,
entsprechend anzuwenden. Anders lässt sich der allgemeine Grundsatz,
dass künftige Lohnforderungen nicht abtretbar sind, soweit sie für den
Unterhalt des Schuldners und seiner Familie unumgänglich notwendig sind,
praktisch nicht durchführen. Auf dieser Überlegung beruht Art. 325 Abs. 3
OR in der Fassung des bundesrätlichen Entwurfs vom 25. August 1967 für
ein Bundesgesetz über die Revision des Zehnten Titels und des Zehnten
Titels bis des OR (AS 1967 II S. 428 ff.), wo im Zusammenhang mit dem
in Abs. 1 ausgesprochenen Grundsatze, dass künftige Lohnforderungen
vom Arbeitnehmer nur soweit gültig abgetreten oder verpfändet werden
können, als sie pfändbar sind, allgemein bestimmt wird, auf Ersuchen
eines Beteiligten setze das Betreibungsamt am Wohnort des Arbeitnehmers
den unpfändbaren Betrag fest (vgl. AS 1967 II S. 337). Solange nicht
feststeht, welcher Betrag pfändbar und daher abtretbar ist, weiss der
Arbeitgeber nicht, welchen Teil des Lohns er dem Arbeitnehmer auszuzahlen
und welchen Teil er dem Zessionar oder Pfandgläubiger zur Verfügung zu
stellen hat. Diese Unsicherheit ist für alle Beteiligten untragbar und
muss bis zum Inkrafttreten der neuen Bestimmungen über den Arbeitsvertrag
in Fällen, für die Art. 226 e Abs. 2 OR nicht unmittelbar gilt, durch
entsprechende Anwendung dieser Bestimmung beseitigt werden.

Erwägung 3

    3.- Da Art. 226 e Abs. 2 OR ausdrücklich auf Art. 93 SchKG verweist,
ist der dem Lohnempfänger zu belassende Kompetenzbetrag bei der Abtretung
künftiger Lohnforderungen nach den gleichen Grundsätzen zu bemessen wie
bei der Lohnpfändung. Nach diesen Grundsätzen fallen Steuerschulden bei
der Berechnung des Notbedarfs nicht in Betracht (BGE 69 III 41). Das
Gemeinwesen geniesst für seine Steuerforderungen kein Vorrecht gegenüber
andern Gläubigern.

Erwägung 4

    4.- Der Vorinstanz ist auch darin beizustimmen, dass es nicht Sache
des Betreibungsamtes und der Aufsichtsbehörden sein kann, bei Anwendung
von Art. 226 e Abs. 2 OR die Gültigkeit der erfolgten Lohnabtretungen
zu prüfen. Es handelt sich dabei um materiellrechtliche Fragen, die
gegebenenfalls der ordentliche Richter zu entscheiden hat. Der Arbeitgeber,
dem die Lohnabtretungen angezeigt wurden, hat die Möglichkeit, die den
Kompetenzbetrag übersteigenden Lohnbeträge im Falle des Streits darüber,
wem sie zustehen, nach Art. 168 Abs. 1 OR gerichtlich zu hinterlegen
(vgl. BGE 95 III 12), worauf die Empfänger von Lohnabtretungen unter
sich und mit dem Abtretenden darüber prozessieren können, wer auf diese
Beträge Anspruch hat.