Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 III 21



95 III 21

5. Entscheid vom 27. März 1969 i.S. Helfenstein. Regeste

    Verwertung eines Grundstücks im Konkurs. Aufhebung des Zuschlags im
Beschwerdeverfahren (Art. 136 bis, 259 SchKG) wegen Irrtums über eine
notwendige Grundlage des Steigerungskaufs (Überbaubarkeit des Grundstücks;
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR) sowie wegen Verfahrensfehlern (Aufnahme einer
Zusicherung in die Steigerungsbedingungen; Nichtanordnung einer neuen
Schätzung vor der Versteigerung entsprechend Art. 140 Abs. 3 SchKG und
Art. 44 VZG).

Sachverhalt

    Im Konkurs über Franz Moser in Zürich beauftragte das Konkursamt
Fluntern-Zürich das Betreibungsamt Eschenz mit der Schätzung und später
mit der Verwertung der dem Gemeinschuldner gehörenden Rheinuferparzelle
Kat. Nr. 1763 in Wagenhausen. Das Betreibungsamt schätzte das Grundstück
am 15. Oktober 1965 unter Annahme eines Quadratmeterpreises von
Fr. 15.- auf Fr. 74 000.--. Dazu bemerkte es im Schätzungsprotokoll: "Die
Grundstückfläche entfällt je zur Hälfte in ebenes Gelände und bewaldete
Rheinhalde. Nur ca. die Hälfte der Fläche ist zur Überbauung frei". Diese
Bemerkung wurde samt der Schätzung in das den Steigerungsbedingungen
beigelegte Lastenverzeichnis übernommen. Bei der Steigerung vom 28. August
1967 bot Paul Helfenstein Fr. 71 000.-- und erhielt zu diesem Preise
den Zuschlag.

    Am 6. September 1967 führte Helfenstein gegen das Betreibungsamt
Eschenz Beschwerde mit dem Begehren, der Zuschlag sei wegen
Grundlagenirrtums aufzuheben. Er machte geltend, er habe sich bei
seinem Angebot auf die wiedergegebene Bemerkung über die Möglichkeit der
Überbauung eines Teils des Grundstücks verlassen; nachträglich habe er
erfahren, dass aus forstrechtlichen Gründen nicht nur die bewaldete Halde,
sondern auch das ebene Gelände nicht überbaubar sei.

    Die untere und die obere kantonale Aufsichtsbehörde wiesen die
Beschwerde ab, die obere mit Entscheid vom 4. November 1968.

    Diesen Entscheid hat Helfenstein an das Bundesgericht weitergezogen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Rekurrent hat den Zuschlag richtigerweise auf dem Wege der
Beschwerde und des Rekurses nach Art. 17 ff. SchKG angefochten (Art. 136
bis SchKG). Er konnte dabei auch zivilrechtliche Gründe geltend machen
(BGE 79 III 116).

Erwägung 2

    2.- Bei der Zwangsversteigerung findet nach Art. 234 Abs. 1 OR,
"abgesehen von besonderen Zusicherungen oder von absichtlicher Täuschung
der Bietenden, eine Gewährleistung nicht statt". Nach Art. 45 Abs. 1 lit. g
VZG müssen die Steigerungsbedingungen eine Bestimmung über die Wegbedingung
der Gewährspflicht enthalten. Die vom Betreibungsamt Eschenz im Auftrag des
Konkursamtes Fluntern-Zürich aufgestellten Steigerungsbedingungen sehen
demgemäss in Ziff. 14 des vorgedruckten Textes vor, eine Gewährleistung
finde nicht statt.

    Der Rekurrent beruft sich denn auch nicht auf eine Gewährspflicht. Er
macht nicht geltend, es sei ihm eine besondere Zusicherung gemacht oder
er sei absichtlich getäuscht worden, sondern er ficht den Zuschlag nur
wegen Grundlagenirrtums an.

Erwägung 3

    3.- Die Bemerkung über die Möglichkeit einer Überbauung, deren Inhalt
der Rekurrent als notwendige Grundlage des Vertrags betrachtet haben
will, steht auf Seite 2 des Lastenverzeichnisses im Abschnitt über die
"Beschreibung der Grundstücke...". Sie folgt auf die Angabe der Schätzung,
deren Begründung sie bildet. Der Zusammenhang mit der Schätzung ändert
indessen nichts daran, dass die Bemerkung die klare Aussage enthält, das
Grundstück sei ungefähr zur Hälfte überbaubar. Diese Angabe war nach der
Lebenserfahrung geeignet, die Steigerung zu beeinflussen, insbesondere
die Höhe der Angebote. Sie war falsch.

    Die Vorinstanz hat freilich nicht ausdrücklich festgestellt, die
Überbaubarkeit des Grundstücks habe für den Rekurrenten eine unerlässliche
Voraussetzung des Steigerungskaufes bedeutet. Sie erklärt im Gegenteil, es
könne nicht ohne weiteres gesagt werden, "dass sowohl das Betreibungsamt
wie der Ersteigerer nur die Möglichkeit einer Überbauung als notwendige
Vertragsgrundlage vorausgesetzt hätten" (was wohl heissen soll, es
stehe nicht von vornherein fest, dass der Steigerungskauf nur deshalb
zustandekam, weil die Beteiligten die Überbauung des Grundstücks für
möglich hielten); für Parzellen wie die streitige könne "ein Preis von
Fr. 14.50/m2 als Liebhaberwert sogar ohne Überbaubarkeit in Frage kommen";
dem Erwerber bleibe die Möglichkeit, das Land als Badeplatz oder für das
Aufstellen von Campingwagen zu verwenden (eventuell zu vermieten). Damit
hat jedoch die Vorinstanz keine tatsächlichen Feststellungen getroffen,
die für das Bundesgericht verbindlich wären, sondern nur Mutmassungen
darüber angestellt, welche Beweggründe der Rekurrent für sein Angebot haben
konnte. Angesichts des Schätzungspreises von Fr. 15.- pro Quadratmeter, den
der Zuschlagspreis nahezu erreichte, muss mangels konkreter Anhaltspunkte
für das Gegenteil nach der Lebenserfahrung angenommen werden, dass der
Rekurrent die Überbaubarkeit eines Teils des Grundstücks als notwendige
Grundlage des Steigerungskaufs betrachtet hat, und ist ihm zuzubilligen,
dass er sie nach Treu und Glauben als solche betrachten durfte. Es kann
ihm, wie auch für das Betreibungsamt erkennbar war, nicht gleichgültig
gewesen sein, ob das Grundstück überbaut werden könne. Sein Angebot
von Fr. 71 000.-- lässt sich vernünftigerweise nur mit der Annahme
erklären, diese Möglichkeit bestehe. Die von der Vorinstanz zum Vergleich
herangezogenen anderen Parzellen konnten, soweit für sie ähnliche Preise
bezahlt wurden, tatsächlich überbaut werden.

    Die Wegbedingung der Gewährpflicht steht freilich unter Umständen nicht
bloss der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen, sondern auch der
Annahme eines Grundlagenirrtums mit Bezug auf Eigenschaften der Kaufsache
im Wege (vgl. BGE 91 II 279 f.). Im vorliegenden Falle steht jedoch nicht
fest, dass die Wegbedingung der Gewährspflicht sich nicht bloss auf die
eigentlichen Sach- und Rechtsmängel, sondern auch auf bestimmte andere
Eigenschaften der Kaufsache wie z.B. die Überbaubarkeit bezog. Auf jeden
Fall wurde in den Steigerungsbedingungen nicht ausdrücklich erklärt,
für die in der Beschreibung der Liegenschaft erwähnte Möglichkeit der
Überbauung werde keine Gewähr übernommen. Dem Rekurrenten kann daher
nicht entgegengehalten werden, er habe die Gefahr in Kauf genommen,
dass die Liegenschaft sich entgegen der Liegenschaftsbeschreibung als
unüberbaubar erweisen könnte. Vielmehr liess es der Steigerungsleiter
in diesem Punkte an der nach den Umständen gebotenen Aufklärung des
Gantpublikums fehlen (vgl. zu dieser Aufklärungspflicht BGE 79 III
118). Bei einer Steigerung müssen klare, saubere Verhältnisse vorliegen
und ist jede Möglichkeit der Irreführung der Steigerungsteilnehmer zu
vermeiden. Im vorliegenden Falle war dem Steigerungsleiter zuzumuten, über
die Frage derÜberbaubarkeit, die für den Entschluss zum Kauf offensichtlich
wesentlich sein konnte, genauen Aufschluss zu geben, wenn er verhüten
wollte, dass die Steigerungsteilnehmer sich auf die betreffende Angabe in
der Liegenschaftsbeschreibung verliessen. Eine solche Aufklärung ist nicht
erfolgt. Unter diesen Umständen durfte der Rekurrent die Überbaubarkeit
trotz der Wegbedingung der Gewährspflicht als notwendige Grundlage des
Steigerungskaufs betrachten (vgl. BGE 91 II 280 Erw. 2 a.E.).

Erwägung 4

    4.- Der Zuschlag ist im übrigen auch aus rein vollstreckungsrechtlichen
Gründen aufzuheben.

    a) Irgendwelche Zusagen dürfen bei der Zwangsversteigerung überhaupt
nicht in die Steigerungsbedingungen aufgenommen werden. Die Aufnahme
solcher Zusagen ist ein Verfahrensfehler, der zur Aufhebung des Zuschlags
im Beschwerdeverfahren führen kann (v. TUHR, Streifzüge im rev. OR,
SJZ 1921/22 S. 384; vgl. auch OSER/SCHÖNENBERGER N. 4 zu Art 234 OR).

    b) Ein weiterer Verfahrensfehler besteht darin, dass die Schätzung,
die am 15. Oktober 1965 erfolgt war und somit fast zwei Jahre zurücklag,
vor der Versteigerung nicht wiederholt oder doch überprüft wurde. Dass
nach der Lastenbereinigung eine neue Schätzung angeordnet werden muss,
ist zwar nur für die Betreibung auf Pfändung ausdrücklich vorgeschrieben
(Art. 140 Abs. 3 SchKG, Art. 44 VZG). Im Konkurs und bei der Betreibung
auf Pfandverwertung gilt dieser Grundsatz aber entsprechend (BGE 51 III
8, 52 III 157), bei der Betreibung auf Pfandverwertung nach dem zuletzt
genannten Entscheide wenigstens dann, wenn die Versteigerung wegen eines
Lastenbereinigungsstreits gemäss Art. 41 und 102 VZG verschoben werden
musste.

Entscheid:

        Demnach erkennt die Schuldbetr. u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid sowie
der dem Rekurrenten bei der Versteigerung des Grundstücks Kat. Nr. 1763
in Wagenhausen durch das Betreibungsamt Eschenz erteilte Zuschlag werden
aufgehoben.