Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 I 350



93 I 350

44. Urteil vom 4. Oktober 1967 i.S. S. gegen Evangelisch-reformierte
Kirche Basel-Stadt und Obergericht des Kantons Basel-Landschaft. Regeste

    Staatsrechtliche Beschwerde; Kultussteuer.

    1.  Da Art. 49 Abs. 6 BV kein unverzichtbares Recht gewährleistet, ist
seine Verletzung im Anschluss an den Entscheid über die Kultussteuerpflicht
zu rügen; die staatsrechtliche Beschwerde kann nicht erst gegen den
Rechtsöffnungsentscheid geführt werden.

    2.  Kriterien für die Zugehörigkeit zu einer Religionsgenossenschaft.
Formerfordernisse für den Austritt aus derselben.

Sachverhalt

    Die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons Basel-Stadt
veranlagte S., der seit Mitte 1959 in Basel wohnte, für die Jahre 1960
bis 1965 zur Kirchensteuer. Diese Veranlagungen erwuchsen mangels
Anfechtung in Rechtskraft. In der Folge leitete die Verwaltung der
evangelisch-reformierten Kirche gegen S., der inzwischen in Reinach
Wohnsitz genommen hatte, wegen der verfallenen Kirchensteuern der Jahre
1960 bis 1965 im Gesamtbetrag von Fr. 186.-- Betreibung ein. S. schlug
Recht vor. Das Bezirksgerichtspräsidium Arlesheim erteilte der Gläubigerin
die definitive Rechtsöffnung. Eine Beschwerde, die S. dagegen erhob,
hat das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft abgewiesen. S. ficht
diesen Entscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 49 Abs. 6 BV an.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer hat gegen die Veranlagung zur Kirchensteuer
keine Rechtsmittel ergriffen. Er hat sich erst im Rechtsöffnungsverfahren
gegen die Pflicht zur Zahlung der Kirchensteuer zur Wehr gesetzt. Die
vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Abweisung einer Beschwerde
gegen die Erteilung der Rechtsöffnung; sie hat somit einen Vollzugsakt
zum Gegenstand. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts kann
ein Akt, der eine unangefochten gebliebene Verfügung ohne neue materielle
Entscheidung vollzieht oder bestätigt, in der Regel nicht mehr wegen
Verfassungswidrigkeit dieser Verfügung angefochten werden. Eine Ausnahme
macht die Rechtsprechung (abgesehen von den besonderen Verhältnissen der
Beschwerden wegen Verletzung der Art. 46 Abs. 2 und Art. 59 BV) lediglich
dann, wenn der Beschwerdeführer eine Missachtung unverzichtbarer und
unverjährbarer verfassungsmässiger Rechte rügt. Dazu gehören alle die
Rechte, welche die Verfassung ebenso sehr um der öffentlichen Ordnung
willen als zum Schutze des Einzelnen gewährleistet: Es handelt sich
um die dem Einzelnen zustehenden fundamentalen Rechte der persönlichen
Freiheit, der Ehefreiheit, des Verbotes des Schuldverhaftes, des Verbots
der körperlichen Strafen, der Niederlassungsfreiheit und vornehmlich
auch der Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit (BGE 88 I 265 ff.,
insbesondere S. 267).

    Die Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit hat allerdings nicht in
allen ihren in Art. 49 und 50 BV erfassten Ausstrahlungen gleichermassen
als unverzichtbares und unverjährbares Recht zu gelten. Während die
Zugehörigkeit zu einer Religionsgenossenschaft, die Teilnahme am religiösen
Unterricht, die Verfügung über die religiöse Erziehung der weniger als
sechzehn Jahre alten Kinder, die Vornahme religiöser und namentlich
gottesdienstlicher Handlungen sowie die Äusserung von Glaubensansichten,
um nur die wichtigsten Auswirkungen zu nennen, höchstpersönliche Rechte
betreffen, auf die der Einzelne in keiner Weise verzichten kann, ist das
bezüglich der Kultussteuern, von denen Art. 49 Abs. 6 BV handelt, nicht
in gleicher Weise der Fall. Wohl kommt in der Zahlung der Kultussteuern
die Zugehörigkeit zu einer Religionsgenossenschaft zum Ausdruck, doch
tritt dieser Gesichtspunkt bei der Zahlung der einzelnen verfallenen
Steuerbetreffnisse hinter dem vermögensrechtlichen Aspekt zurück.
Der Bürger kann sich deshalb zwar nicht in allgemeiner Weise des Rechtes,
die Verpflichtung zur Zahlung von Kultussteuern anzufechten, begeben;
er kann indessen auf die Geltendmachung dieses Rechts mit Bezug auf
einzelne verfallene Steuerbetreffnisse verzichten. Im Hinblick auf
diese Rechtslage hat der Bundesgesetzgeber in Art. 154 Abs. 1 OG für
Beschwerden wegen Verletzung des Art. 49 BV nur dann von der Erhebung
von Kosten (und entsprechend auch eines Vorschusses) abgesehen, wenn der
Beschwerdeführer sich auf die Absätze 1 bis 5, nicht aber auf den Absatz
6 dieser Bestimmung beruft.

    Da Art. 49 Abs. 6 BV kein unverzichtbares Recht gewährleistet,
muss die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung dieses
Verfassungssatzes nach dem Gesagten an die materielle Entscheidung über
die Kirchensteuerpflicht angeknüpft werden; es geht nicht an, damit bis
zum Erlass des Rechtsöffnungsentscheides zuzuwarten. Auf die vorliegende
Beschwerde ist darum nicht einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Bei materieller Prüfung erwiese sich die Beschwerde übrigens als
unbegründet. Die Verwaltung der evangelischreformierten Kirche des Kantons
Basel-Stadt erachtet den Beschwerdeführer als kirchensteuerpflichtig, weil
er durch die Taufe seiner beiden Kinder zum Ausdruck gebracht habe, dass
er dieser Kirche angehöre, und weil er nie ausdrücklich seinen Austritt
erklärt habe. Diese Betrachtungsweise hält vor der Verfassung stand.

    Wie die andern evangelisch-reformierten Kirchen der Schweiz,
vollzieht diejenige des Kantons Basel-Stadt die Taufe an ihren Gliedern
"als Zeichen und Unterpfand der Zugehörigkeit zu ihr" (Kirchenordnung der
evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Basel-Stadt vom 6. November
1957, § 1 Ziff. 2). Indem die Eltern ihr Kind zur Taufe bringen,
bekunden sie damit, dass sie selber dieser Religionsgenossenschaft
angehören, es sei denn, sie liessen erkennen, dass das nicht zutreffe
(so zum Beispiel, wenn ein Elternteil sich damit einverstanden erklärt,
dass das Kind die Taufe in der Kirche empfängt, dem der andere Elternteil
angehört). Nach den Akten sind die Kinder des Beschwerdeführers in der
evangelisch-reformierten Kirche getauft worden. Der Beschwerdeführer
behauptet nicht, dass er dabei zu verstehen gegeben habe, dass er sich
selber nicht zu dieser Kirche rechne. Da die evangelisch-reformierten
Kirchen der Schweiz zwar nicht in der Organisation, aber im Glauben
eine Einheit bilden (vgl. Verfassung des Schweizerischen Evangelischen
Kirchenbundes vom 12. Juni 1950, I. Abschnitt, Allgemeine Bestimmungen;
Verfassung der evangelischreformierten Kirche des Kantons Basel-Stadt vom
21. November 1910, § 1), ist es ohne Belang, ob die Kinder ihre Taufe im
Kanton Basel-Stadt oder anderwärts empfingen und ob der Beschwerdeführer
damals in Basel wohnhaft war. Damit, dass er seine Kinder ohne Vorbehalte
in der evangelisch-reformierten Kirche zur Taufe brachte, gab er seiner
Zugehörigkeit zu dieser Religionsgenossenschaft Ausdruck. Wohl steht ihm
das Recht zu, jederzeit aus dieser Gemeinschaft auszutreten. Mehr als
eine entsprechende Erklärung darf dabei von ihm nicht verlangt werden.
Art. 49 BV überlässt es jedoch den einzelnen Religionsgenossenschaften,
die Form der Austrittserklärung festzulegen (BURCKHARDT, Komm. 3. Aufl., S.
453/54). Die Kirchenordnung der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons
Basel-Stadt sieht in § 8 Ziff. 1 vor, dass der Kirchenverwaltung "eine
schriftliche Austrittserklärung einzureichen" ist. Der Beschwerdeführer
behauptet, er habe die Steuerveranlagung für 1960/61 mit dem Vermerk
"nicht Mitglied" an den Absender zurückgesandt und anfänglich auch den
"Kirchenboten" mit dem Vermerk "an den Absender" zurückgehen lassen. Es
ist zweifelhaft, ob solche Vermerke den Anforderungen genügen, die § 8
Ziff. 1 der Kirchenordnung an die Austrittserklärung stellt. Die Frage
kann jedoch offen bleiben, da die Kirchenverwaltung nie eine derartige
Rücksendung empfangen haben will und der Beschwerdeführer nicht beweisen
kann, dass die Behörde die behaupteten Zuschriften erhalten hat.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.