Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 I 290



93 I 290

36. Urteil vom 7. Juli 1967 i.S. Fiore gegen Schweiz. Bundesbahnen.
Regeste

    Haftpflicht der SBB gegenüber einem beim Eisenbahnbau verunfallten
Arbeiter einer privaten Unternehmung.

    1.  Die Klage der Hinterbliebenen des Verunfallten ist nicht nach
dem Verantwortlichkeitsgesetz, sondern nach dem Zivilrecht (EHG oder OR)
zu beurteilen (Erw. 2).

    2.  Das Bundesgericht ist unter keinem Titel als einzige Instanz
zuständig (Erw. 3, 4).

Sachverhalt

    A.- Die SBB hatten ihren Stellwerkmonteur Georg Schmid beauftragt,
mit Hilfe des von einer privaten Unternehmung angestellten Arbeiters Luigi
Fiore im Bözbergtunnel zwei Weichen instandzustellen. Am 2. Juni 1966
vormittags marschierten die beiden Männer im Tunnel zwischen den Geleisen
2 und 3. Sie hörten hinter sich von der Station Schinznach-Dorf her einen
Zug nahen, der normalerweise auf dem Geleise 2 hätte fahren sollen, und
wichen daher auf das Geleise 3 aus. Als Schmid einen Blick rückwärts warf,
gewahrte er indessen, dass der Zug auf dem Geleise 3 heranfuhr. Er konnte
sich im letzten Augenblick retten. Fiore dagegen, der nicht zurückgeschaut
hatte, wurde von der Lokomotive erfasst und getötet.

    B.- Das Eidg. Justiz-und Polizeidepartement erteilte die Ermächtigung
zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen Schmid, dem es vorwarf,
nicht genügend für die Sicherheit des Hilfsarbeiters Fiore gesorgt zu
haben. Am 24. Februar 1967 verurteilte das Bezirksgericht Brugg Schmid
wegen fahrlässiger Tötung zu einer Busse von Fr. 60.-.

    C.- Am 14. Dezember 1966 meldeten Michele Fiore, der Vater, sowie
die Mutter, die vier Geschwister und die Braut des Verunfallten bei
den SBB Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung an, die sie auf das
Bundesgesetz vom 28. März 1905 betreffend die Haftpflicht der Eisenbahn-
und Dampfschiffahrtsunternehmungen und der Post (EHG) stützten.

    Nachdem das Begehren abgelehnt worden war, unterbreiteten sie es mit
Schreiben vom 25. Januar 1967 dem Eidg. Finanz- und Zolldepartement,
diesmal unter Berufung auf Art. 3 ff. des Bundesgesetzes vom 14. März
1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes, seiner Behördemitglieder
und Beamten (VG). Die SBB, an welche die Eingabe weitergeleitet wurde,
hielten mit Bescheid vom 3. Februar 1967 an ihrem ablehnenden Standpunkte
fest, wobei sie den Hinterbliebenen mitteilten, dass eine Klage beim
Bundesgericht innert einer Verwirkungsfrist von sechs Monaten einzureichen
wäre (Art. 20 Abs. 3 VG).

    D.- Binnen dieser Frist haben Michele Fiore und Mitbeteiligte beim
Bundesgericht gestützt auf Art. 3 ff. VG die vorliegende Klage gegen die
SBB eingereicht. Sie beantragen, die Gegenpartei sei zu verurteilen,
ihnen Fr. 63 300.-- nebst Zins zu bezahlen, nach folgender Berechnung:

    "Todesfallkosten", soweit nicht von der       Fr.  1 860.--

    SUVA gedeckt

    Verlust des Versorgers der Braut      Fr. 52 541.10

    Genugtuung    Fr. 30 000.--
          Fr. 84 401.10

    abzüglich 25% wegen Mitverschuldens

    des Verunfallten      Fr. 21 101.10
          Fr. 63 300.--

    E.- Die SBB stellen den Antrag, auf die Klage nicht einzutreten,
eventuell sie ganz oder teilweise abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Passivlegitimation der SBB; BGE 91 I 228).

Erwägung 2

    2.- Die SBB haften nach Art. 3 Abs. 1 VG für den Schaden, den ihre
Beamten in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich
zufügen, und zwar ohne Rücksicht auf das Verschulden der Beamten. Indessen
sind sie im vorliegenden Falle von dieser Haftung aus zwei Gründen
ausgenommen.

    a) Einerseits ist Art. 3 Abs. 2 VG zu beachten, wonach die Haftung des
Bundes bei Tatbeständen, welche unter die Haftpflichtbestimmungen anderer
Erlasse fallen, sich nach diesen besonderen Bestimmungen richtet. Aus
dem Wortlaut dieser Vorschrift und den Beratungen im Parlament ergibt
sich, dass solche Tatbestände ausschliesslich nach den Bestimmungen der
Sondergesetze zu beurteilen sind (Sten. Bull. StR 1956 S. 325, NR 1957
S. 817).

    Hier können die Kläger sich jedenfalls insoweit, als sie eine
Entschädigung für "Todesfallkosten" und Genugtuungssummen beanspruchen,
auf das Eisenbahnhaftpflichtgesetz stützen, welches als Sondergesetz die
Anwendung des Verantwortlichkeitsgesetzes ausschliesst. Daran ändert es
nichts, dass Art. 128 Ziff. 3 des Bundesgesetzes über die Kranken- und
Unfallversicherung (KUVG) die Bestimmungen des Eisenbahnhaftpflichtgesetzes
aufhebt, soweit sie die Haftpflicht der Eisenbahnunternehmungen für Unfälle
im Dienst gegenüber (ihren eigenen obligatorisch versicherten Angestellten
und Arbeitern und) den beim Eisenbahnbau beschäftigten obligatorisch
versicherten Angestellten und Arbeitern anderer Unternehmungen
betreffen. Unter den Begriff des Eisenbahnbaus im Sinne dieser Bestimmung
fallen auch die Unterhaltsarbeiten, die hier vom Bahnbeamten Schmid und dem
von einer privaten Unternehmung angestellten Verunfallten auszuführen waren
(Art. 13 Ziff. 1 Verordnung I über die Unfallversicherung). Aber Art. 128
Ziff. 3 KUVG erfasst nur solche Forderungen, für welche die obligatorische
Versicherung Deckung bietet (OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht,
2. Aufl., Bd. I S. 384; SAXER, Der Regress nach Art. 100 KUVG gegenüber
der Eisenbahnunternehmung, S. 44). Diese Voraussetzung ist hinsichtlich
der Ansprüche der Kläger auf Entschädigung für den von der SUVA nicht
ersetzten Teil der "Todesfallkosten" und auf Genugtuung nicht erfüllt.

    Dagegen ist zweifelhaft, wie es sich in dieser Beziehung mit dem
Anspruch der Braut des Verunfallten auf Ersatz des Versorgerschadens
verhalte; ist doch die SUVA u.a. zur Zahlung von Renten an einen
bestimmten Kreis von Hinterbliebenen des Verunfallten verpflichtet,
zu denen allerdings der Verlobte nicht gehört (Art. 84 ff. KUVG). Wenn
sich jener Anspruch der Braut nicht auf das Eisenbahnhaftpflichtgesetz
gründen lässt, kann er indessen auf das Obligationenrecht gestützt werden,
welches nach Art. 129 Abs. 1 KUVG die in Art. 128 aufgehobenen Bestimmungen
ersetzt. Ist aber das Obligationenrecht auf Grund der Sondervorschrift des
Art. 129 Abs. 1 KUVG anwendbar, so ist es seinerseits als Sonderordnung
im Verhältnis zum Verantwortlichkeitsgesetz zu betrachten und schliesst
daher die Anwendung dieses Gesetzes ebenfalls aus.

    b) Anderseits bestimmt Art. 11 Abs. 1 VG, dass der Bund, soweit
er als Subjekt des Zivilrechts auftritt, nach dessen Vorschriften
haftet. Im vorliegenden Falle können die Ansprüche der Kläger einzig
auf das Zivilrecht (EHG oder OR) gestützt werden, so dass die SBB
als Subjekt des Zivilrechts zu behandeln sind und daher nicht der im
Verantwortlichkeitsgesetz vorgesehenen Haftung unterliegen.

Erwägung 3

    3.- Da die Klagebegehren sich nicht auf das Verantwortlichkeitsgesetz
stützen lassen, fällt die Zuständigkeit des Bundesgerichts als einziger
Instanz gemäss Art. 10 VG/Art. 110 OG ausser Betracht.

    Die Kläger können sich auch nicht auf Art. 112 OG berufen, wonach das
Bundesgericht als einzige Instanz die Beurteilung anderer als der in den
vorhergehenden Artikeln genannten Streitigkeiten verwaltungsrechtlicher
Natur zu übernehmen hat, wenn es von beiden Parteien angerufen wird und
der Streitwert wenigstens 20 000 Franken beträgt. Weder ist die vorliegende
Streitigkeit verwaltungsrechtlicher Natur, noch haben die SBB ausdrücklich
oder stillschweigend einer Prorogation im Sinne des Art. 112 OG zugestimmt.
Eine solche Zustimmung kann insbesondere nicht daraus abgeleitet werden,
dass die SBB den Klägern eine Frist von sechs Monaten zur Einreichung
einer Klage beim Bundesgericht gesetzt haben. Damit haben sie die
Zulässigkeit der vorliegenden Klage nicht anerkannt, sondern lediglich
Art. 3 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung zum Verantwortlichkeitsgesetz
befolgt, wonach mit der Stellungnahme der Verwaltung zu einem auf dieses
Gesetz gestützten Anspruch ein Hinweis auf die in Art. 20 Abs. 3 desselben
Gesetzes vorgesehene Klagefrist zu verbinden ist.

Erwägung 4

    4.- Das Bundesgericht ist auch nicht unter einem anderen Titel als
einzige Instanz zuständig. Insbesondere kann die Klage nicht als direkte
Zivilklage entgegengenommen und beurteilt werden. Art. 41 lit. b OG nimmt
von der dort vorgesehenen Zuständigkeit des Bundesgerichts ausdrücklich
sämtliche Klagen gegen die SBB aus, und auch eine Prorogation im Sinne
der lit. c ebenda liegt nach dem in Erw. 3 Ausgeführten nicht vor.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Klage wird nicht eingetreten.