Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 I 36



92 I 36

8. Urteil vom 26. Januar 1966 i.S. Stala Immobilien AG gegen Hüsser und
Präsident des Bezirksgerichts Bremgarten. Regeste

    Art. 59 BV. Die Klage, mit welcher der Inhaber eines vorgemerkten
Kaufsrechts in Ausübung dieses Rechts den Grundeigentümer auf richterliche
Zusprechung des Eigentums belangt, ist keine "persönliche Ansprache". Der
Grundeigentümer kann sich daher der Einlassung vor dem Richter am Ort
der gelegenen Sache nicht unter Berufung auf Art. 59 BV widersetzen.

Sachverhalt

    A.- Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 8. August 1959 räumte die
Rewu-Handels-AG als Eigentümerin des Grundstücks I.R. (Interims-Register)
Nr. 942 in Berikon (Kt. Aargau) dem Beschwerdegegner Kaspar Hüsser ein
Kaufsrecht ein an einem "Teilgrundstück im Halt von höchstens 3000 m2 aus
der südöstlichen Ecke entlang der Strasse Widen/Bahnhof Berikon" zum Preis
von Fr. 20.- pro m2. Der Vertrag bestimmte, dass das Kaufsrecht im Rahmen
seiner zeitlichen Begrenzung zu Lasten sämtlicher späteren Eigentümer des
Grundstücks wirke und gemäss Art. 959 ZGB im Grundbuch vorzumerken sei,
was am 11. August 1959 geschah.

    Das Grundstück I.R. Nr. 942 wurde noch im Jahre 1959 von der
Rewu-Handels-AG an die Bauland-AG und von dieser an die Stala Immobilien
AG in Zürich verkauft.

    Als Hüsser im Herbst 1964 sein Kaufsrecht ausüben wollte, bestritt
die Stala Immobilien AG dessen Gültigkeit wegen ungenügender Umschreibung
des Kaufsgegenstands im Kaufrechtsvertrag.

    Am 25. August 1965 reichte Hüsser beim Bezirksgericht Bremgarten
als dem am Ort der gelegenen Sache zuständigen Gericht Klage gegen die
Stala Immobilien AG ein mit dem Begehren, diese sei zu verurteilen,
die im Kaufrechtsvertrag vom 8. August 1959 und in Verträgen vom 16. und
18. April 1959 mit Situationsplan umschriebenen und ausgemarkten Abschnitte
von 13,23 und 13,95 a vom Grundstück I.R. Berikon Nr. 942 abzutrennen und
dem Kläger gegen Bezahlung von Fr. 20.- pro m2 zu Eigentum zu übertragen.

    Der Gerichtspräsident von Bremgarten verfügte am 26. Oktober 1965,
die Streitsache sei appellabel, stellte die Klageschrift der Beklagten
zu und setzte ihr eine Frist von 20 Tagen zur "Erstattung der fristlichen
oder einlässlichen Verteidigung (Antwort)".

    B.- Gegen diese Zustellungsverfügung hat die Stala Immobilien AG am
17. November 1965 staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, die
Verfügung wegen Verletzung des Art. 59 BV aufzuheben. Sie macht geltend,
dass das Kaufsrecht ein obligatorischer Anspruch und damit eine persönliche
Ansprache im Sinne des Art. 59 BV sei, weshalb die Beschwerdeführerin
an ihrem Sitze in Zürich belangt werden müsse. In BGE 44 I 47 Erw. 2 sei
die Klage auf Erfüllung eines gemäss Art. 959 ZGB vorgemerkten Kaufrechts
freilich dem Richter des Ortes zugewiesen worden, wo das Kaufsgrundstück
liege. Hieran könne jedoch nicht mehr festgehalten werden, da die diesem
Urteil zugrunde liegende Auffassung, dass das persönliche Kaufsrecht durch
die Vormerkung verdinglicht werde, im Widerspruch stehe zur heutigen
Rechtslehre sowie zur neuern Rechtsprechung des Bundesgerichts; auch
könnten die in jenem Urteil weiter angestellten Zweckmässigkeitserwägungen
nicht massgeblich sein. Die örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts
Bremgarten werde ferner auch deshalb bestritten, weil durch den Vertrag
vom 8. August 1959 überhaupt kein Kaufsrecht habe begründet werden können
und daher die Vormerkung im Grundbuch zu Unrecht erfolgt und nichtig
sei. Die nähere Begründung der Beschwerde ist, soweit wesentlich, aus
den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.

    C.- Der Beschwerdegegner Kaspar Hüsser beantragt, auf die Beschwerde
sei nicht einzutreten, da die angefochtene Verfügung kein Entscheid
und jedenfalls kein letztinstanzlicher Entscheid über die örtliche
Zuständigkeit sei; eventuell sei die Beschwerde abzuweisen. Der
Bezirksgerichtspräsident von Bremgarten stellt keinen Antrag, schliesst
aber dem Sinne nach ebenfalls auf Nichteintreten, eventuell Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach feststehender Rechtsprechung kann die staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung des Art. 59 BV gegen jede Amtshandlung
erhoben werden, mit welcher der Richter richterliche Tätigkeit ausübt
(BGE 68 I 150/1 mit Verweisungen, 87 I 129), also schon gegen die blosse
Ladung zum Sühneversuch (nicht veröffentlichtes Urteil vom 22. Dezember
1953 i.S. Reinhard, Erw. 1; BGE 91 I 13) oder die Zustellung der Klage
zur Beantwortung (BGE 87 I 55). Da auch der kantonale Instanzenzug nicht
erschöpft zu werden braucht (Art. 86 Abs. 2 OG), ist entgegen der in den
Beschwerdeantworten vertretenen Auffassung einzutreten auf die vorliegende
Beschwerde, die gegen die Fristansetzung zur Klagebeantwortung erhoben
wird, welcher übrigens, wie der Gerichtspräsident selber in seiner Antwort
ausführt, "stillschweigend" die Bejahung der örtlichen Zuständigkeit des
Gerichts zugrundeliegt.

    Nicht einzutreten ist lediglich auf die Rüge, dass durch den Vertrag
vom 8. August 1959 überhaupt kein Kaufsrecht habe begründet werden können
und die Vormerkung eines solchen im Grundbuch zu Unrecht erfolgt und
nichtig sei. Für die Natur des Anspruchs, nach der sich der Gerichtsstand
bestimmt, ist grundsätzlich der Inhalt der Klage massgebend, die Begehren,
die gestellt, und die Gründe, die dafür vorgebracht werden. Darauf, ob
der Anspruch begründet sei, kommt nichts an; hierüber muss eben gerade im
Prozess geurteilt werden. Nicht entscheidend für die Zuständigkeit wäre
die Darstellung des Anspruchs in der Klage nur dann, wenn der Kläger in
der Absicht, den ordentlichen Gerichtsstand des Beklagten zu umgehen,
dem Anspruch eine Form gegeben hätte, die sich mit seiner wahren Natur
nicht vertrüge (BGE 66 II 183/4 mit Verweisungen, 91 I 122). Davon kann
hier jedoch offensichtlich nicht die Rede sein.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin ist eine aufrecht stehende
Aktiengesellschaft mit Sitz in Zürich. Sie braucht sich daher auf
die beim Bezirksgericht Bremgarten gegen sie eingeleitete Klage des
Beschwerdegegners nicht einzulassen, wenn die Klage eine persönliche
Ansprache im Sinne des Art. 59 BV zum Gegenstand hat.

    In BGE 35 I 73 führte das Bundesgericht zur Abgrenzung der
persönlichen von den dinglichen Klagen aus, unter persönlichen Klagen seien
"Forderungsklagen, welche auf einer Obligation beruhen" zu verstehen,
unter dinglichen Klagen solche, die "aus Rechtsverhältnissen entspringen,
deren rechtlicher Inhalt sich nicht in den Leistungen eines bestimmten
Verpflichteten erschöpft und welche daher nicht mit dieser Leistung
untergehen, sondern auch nachher weiter andauern". Mit der vorliegenden
Klage verlangt der Beschwerdegegner von der Beschwerdeführerin die
Erfüllung eines Kaufrechtsvertrages. Damit erhebt er einen obligatorischen
Anspruch auf Übertragung eines dinglichen Rechts, nämlich des Eigentums
an einem Teil ihres Grundstücks. Derartige Ansprüche sind nach jenem
Entscheid und nach BGE 69 I 7 Erw. 3 (vgl. auch BGE 84 II 192 Erw. 2)
grundsätzlich persönliche Ansprachen im Sinne des Art. 59 BV. Nun
hat das Bundesgericht aber schon in BGE 44 I 47 Erw. 2 entschieden,
dass Art. 59 BV dem Gerichtsstand der gelegenen Sache dann nicht
entgegenstehe, wenn das Kaufsrecht gemäss Art. 959 ZGB im Grundbuch
vorgemerkt sei. Ferner hat es unter Hinweis auf BGE 44 I 47 Erw. 2 im
Urteil vom 27. September 1924 i.S. Prébandier & Cie (abgedruckt in
ZBGR 11 S. 67) entschieden, das gleiche gelte für die auf Erfüllung
eines Grundstückkaufs gerichtete Klage des Käufers, wenn dieser gegen
den Veräusserer eine Verfügungsbeschränkung gemäss Art. 960 Ziff. 1 ZGB
erwirkt habe. Zur Begründung führte das Bundesgericht u.a. aus, dass der
Anspruch des Käufers zufolge dieser Vormerkung "dinglichen Charakter" habe
(BGE 44 I 47) bzw. "verdinglicht" worden sei (Urteil i.S. Prébandier). Die
Beschwerdeführerin ist der Auffassung, an diesen Urteilen könne nicht
mehr festgehalten werden angesichts der "grundsätzlichen Wandlung",
welche seither in der Rechtslehre in bezug auf das Wesen und die Wirkung
der Vormerkung eingetreten sei.

    Nach Art. 959 Abs. 2 ZGB erhalten persönliche Rechte durch die
Vormerkung "Wirkung gegenüber jedem später erworbenen Rechte". Im Hinblick
auf diese Wirkung wurde in der ersten Zeit nach Erlass des ZGB gelegentlich
gesagt, das persönliche Rechte erhalte "dingliche Wirksamkeit" (WIELAND,
Vorb. 1 vor Art. 959/61 ZGB und Bem. 1 zu Art. 959 ZGB), und in diesem
Sinne ist offensichtlich auch der Ausdruck "dinglicher Charakter" in
BGE 44 I 47 Erw. 2 und "Verdinglichung" im Urteil i.S. Prébandier zu
verstehen. Dass das Kaufs-, Vorkaufs- und Rückkaufsrecht ein persönliches
Recht bleibe und durch die Vormerkung nicht zum dinglichen werde,
sondern lediglich einen verstärkten Schutz erhalte, ist schon in BGE 44
II 366 hervorgehoben, dann von GUHL in der 1924 in der Festgabe für das
Bundesgericht erschienenen Abhandlung "Persönliche Rechte mit verstärkter
Wirkung" (S. 93 ff., insb. S. 159 ff.) klargestellt und seither nicht mehr
bezweifelt worden (vgl. BGE 75 I 188, 82 II 582 Erw. 1, 90 II 141). Von
einer seit jenen beiden Urteilen eingetretenen "grundsätzlichen Wandlung"
der Rechtslehre kann daher nicht die Rede sein. Wie schon OSTERTAG (N. 3
zu Art. 959 ZGB) mit Zustimmung von GUHL (aaO S. 96/7) erklärte, dass
das vorgemerkte Recht "persönliche mit dinglichen Elementen vereinige"
und "in der Mitte zwischen beiden Kategorien von Rechten stehe", so
bezeichnen auch neuere Kommentatoren das vorgemerkte persönliche Recht als
"Mittelstufe zwischen persönlichen und dinglichen Rechten" (HOMBERGER N. 17
zu Art. 959 ZGB), die "den Gegensatz zwischen dinglichen und persönlichen
Rechten überbrückt" (LIVER N. 152 zur Einleitung zu Art. 730 ff. ZGB).

    Weder das Urteil BGE 44 I 46 ff., dem der gleiche Sachverhalt wie der
heute zu beurteilende zugrunde liegt, noch das Urteil i.S. Prébandier &
Cie sind denn auch in der Rechtslehre auf Ablehnung gestossen. GUHL,
auf den sich die Beschwerdeführerin beruft, betrachtet vielmehr auch
den wesentlichen Teil der Begründung des ersten Urteils als durchaus
zutreffend (aaO S. 144 Anm. 2), während HAAB (N. 30 zu Art. 656) das
Urteil i.S. Prébandier zwar insofern, als es von einer "Verdinglichung"
des persönlichen Rechts spricht, kritisiert, im Ergebnis dagegen
ausdrücklich als richtig bezeichnet. Die neuere Rechtslehre geht sogar
noch weiter und vertritt einhellig die Auffassung, dass der Ausdruck
"persönliche Ansprache" in Art. 59 BV nicht im Sinne der theoretischen
Unterscheidung zwischen persönlichen (obligatorischen) und dinglichen
Rechten auszulegen und der Gerichtsstand der gelegenen Sache allgemein
zuzulassen sei für Klagen, welche auf Zusprechung des Eigentums (oder
dinglicher Rechte überhaupt) an einem Grundstück gerichtet seien
(BURCKHARDT, Kommentar zur BV S. 548 und 553/4; GUHL MBVR 25 S. 54;
HAAB N. 30 zu Art. 656 ZGB; HOMBERGER N. 25 zu Art. 959 und N. 27 zu
Art. 960 ZGB; KUMMER ZSR 1954 S. 185 Anm. 51; MEIER-HAYOZ N. 15 a.E.
zu Art. 655 ZGB). Ob die Rechtsprechung in diesem Sinne zu ändern
sei, ist vorliegend nicht zu prüfen. Dagegen besteht jedenfalls kein
Anlass, von BGE 44 I 47 Erw. 2 abzugehen und die Klage auf Erfüllung
eines vorgemerkten Kaufsrechts als "persönliche Ansprache" im Sinne
von Art. 59 BV zu behandeln. Die Vormerkung des Kaufsrechts bewirkt,
dass es später begründeten dinglichen Rechten am Grundstück vorgeht
und auch späteren Beschlagsrechten der Gläubiger des Grundeigentümers
aus Pfändung, Arrest oder Konkurs entgegengehalten werden kann (BGE
44 II 371). Während sodann beim nicht vorgemerkten Kaufsrecht immer
der ursprüngliche Vertragspartner Verpflichteter ist, richtet sich das
vorgemerkte Kaufsrecht im Falle der Veräusserung des Grundstücks gegen
den Erwerber und ist stets gegenüber demjenigen geltend zu machen, der im
Zeitpunkt der Ausübung des Kaufsrechts Eigentümer des Grundstücks ist (Art.
683 Abs. 1 ZGB; HAAB N. 5 zu Art. 683 ZGB und HOMBERGER N. 32 zu Art. 959
ZGB). Durch diesen verstärkten Schutz und durch die subjektivdingliche
Verknüpfung der Verpflichtung mit dem Eigentum am Grundstück kommt das
vorgemerkte Kaufsrecht hinsichtlich seiner Wirkung einem dinglichen Recht
sehr nahe. Dies lässt es als richtig erscheinen, die auf ein vorgemerktes
Kaufsrecht gestützte Klage auf Zusprechung des Eigentums in bezug auf den
örtlichen Gerichtsstand nicht als "persönliche Ansprache" zu behandeln,
die nach Art. 59 BV am jeweiligen Wohnsitz der wechselnden Eigentümer zu
erheben wäre, sondern den Entscheid über die Gültigkeit und Wirksamkeit
eines solchen Kaufsrechts und seiner Vormerkung dem Richter am Ort der
gelegenen Sache zuzuweisen. Dass hiefür auch, wie in BGE 44 I 48 dargelegt,
praktische Rücksichten sprechen, bestreitet die Beschwerdeführerin an sich
nicht; sie macht lediglich geltend, dass solche "Zweckmässigkeitsgründe"
nicht massgeblich sein könnten. Ob sie für sich allein eine Ausnahme
von Art. 59 BV zu begründen vermöchten, ist nicht zu entscheiden. Da
die Auffassung, die vorliegende Klage sei keine "persönliche Ansprache",
sich schon aus den genannten rechtlichen Gründen aufdrängt, genügt die
Feststellung, dass die praktischen Gesichtspunkte nicht gegen, sondern
ebenfalls für diese Lösung sprechen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.