Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 IV 174



92 IV 174

45. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. Oktober 1966
i.S. Hendriks gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 140 Ziff. 1 StGB.

    1.  Agenturvertrag: Die Waren, die er zum Verkaufe erhält, sowie
ihr Erlös sind dem Agenten im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 StGB anvertraut
(Erw. 1).

    2.  Das gilt selbst dann, wenn der Vertrag zivilrechtlich ungültig ist
(Erw. 2).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Yngve Bergstrand schloss am 1. September 1963 mit dem in Littau
wohnhaften Holländer Roelof Hendriks einen Vertrag ab, inwelchem diesem
der Verkauf von Kupfer- und Zinnprodukten in der Schweiz übertragen
wurde. Bergstrand handelte angeblich für die Nordic International
Company in Stockholm (NIC), in deren Namen er die Vereinbarung denn auch
unterschrieb. Nach dem Vertrag hatte Hendriks zu den von der NIC bestimmten
Preisen zu verkaufen, bei jedem Verkauf einen Orderzettel zu erstellen
und die Kopien der Zettel einmal im Monat der NIC einzusenden. Die
eingegangenen Zahlungen waren monatlich dem Schweizer Bankkonto der NIC
zu überweisen. Hendriks hatte Anspruch auf eine Kommission von 20%, die er
aber nicht an den Verkaufserlösen abziehen durfte; über die Kommissionen
sollte vielmehr alle zwei Monate abgerechnet werden, worauf sie Hendriks
auszubezahlen waren.

    Die NIC lieferte Hendriks Waren für insgesamt Fr. 7120.40. Da
Hendriks kein Geld ablieferte, wurde der Vertrag Ende Februar 1964
aufgelöst. Die Schlussabrechnung ergab nach Abzug der Spesen, Kommissionen
und Rückzahlungen Hendriks'einen Saldo von Fr. 1331.85 zugunsten der NIC.

    B.- Am 16. November 1964 erhob Bergstrand gegen Hendriks Strafklage
wegen Veruntreuung. Er klagte als seinerzeitiger Inhaber der Einzelfirma
NIC, die seither gelöscht worden sei.

    Das Obergericht des Kantons Luzern verurteilte Hendriks am 22. Juli
1966 wegen Veruntreuung im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 StGB zu einer
bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von drei Monaten.

    Das Obergericht stellte Erhebungen an über die NIC und über die
Befugnis des Bergstrand, sie zu vertreten. Gestützt auf das Ergebnis
gelangte es zum Schluss, dass in Schweden eine auf B. Aelmeby in Bromma
persönlich eingetragene Firma Nordic International bestehe, dass aber
Bergstrand nicht bevollmächtigt gewesen sei, sich gegenüber Hendriks als
deren Vertreter auszugeben. An der Strafsache ändere das jedoch nichts,
da Veruntreuung von Amtes wegen zu verfolgen sei.

    C.- Hendriks führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf
Freisprechung. Er macht vor allem geltend, dass der von Bergstrand
namens der NIC abgeschlossene Vertrag mangels Vertretungsvollmacht nicht
gültig gewesen sei und der Angeschuldigte daher keine vertraglichen
Verpflichtungen habe verletzen können. Das eingenommene Geld sei folglich
nicht anvertrautes Gut gewesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht bezeichnete das Vertragsverhältnis zwischen der NIC
und dem Angeschuldigten mit Recht als Agenturvertrag im Sinne von Art. 418
a ff. OR. Der Beschwerdeführer hat die Verpflichtung übernommen, im Namen
und auf Rechnung der NIC Verkaufsgeschäfte zu tätigen, ohne dass er zur
Auftraggeberin in einem Dienstverhältnis stand. Die Waren blieben daher
entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung bis zum Verkaufe
Eigentum der Gesellschaft, und die eingegangenen Erlöse waren dieser
monatlich abzuliefern. Dass Hendriks nach Ziff. 2 des Vertrages "völlig
freie Hände" hatte, "über die Produkte der NIC zu verfügen sowie seine
Verkaufsanstrengungen zu planieren", ändert daran nichts. Damit wurde
nur gesagt, dass der Beschwerdeführer in der Organisation des Verkaufes
- abgesehen von der Pflicht zur Lagerhaltung und zur Einhaltung der von
der NIC festgesetzten Preise - frei sei. Die Waren und die an ihre Stelle
getretenen Verkaufserlöse waren somit dem Beschwerdeführer gleich wie bei
einem Kommissionsverhältnis im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 StGB anvertraut,
wie die ihm zustehenden Provisionen denn auch als Kommissionen bezeichnet
wurden. Die NIC hatte im Gegensatz zu dem in BGE 80 IV 55 beurteilten
Falle nicht bloss einen Anspruch auf Herausgabe der eingenommenen Gelder.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer wendet ein, der Vertrag vom 1. September 1963
sei, weil Bergstrand nicht namens der NIC hätte auftreten dürfen, nichtig
gewesen, habe folglich für ihn auch keine Verpflichtungen begründen können.

    Dass der.Vertrag ungültig gewesen sei, steht jedoch nicht
fest. Bergstrand hat im Verfahren behauptet, dass er die NIC vor etwa
drei Jahren in Stockholm als einfache Gesellschaft gegründet habe
und ihr alleiniger Inhaber gewesen sei. Diese Behauptung liess sich
offenbar bisher nicht widerlegen. Die Vorinstanz hielt zwar Bergstrand
gleichwohl nicht für berechtigt, namens der von Bengt Aelmeby geführten NIC
aufzutreten. Sie liess aber ausdrücklich offen, ob ein Vertrag zwischen
Hendriks und Bergstrand persönlich zustande gekommen sei; diese Frage
müsse vom Zivilrichter entschieden werden. In der Tat kann ein gültiger
Vertrag zwischen dem Beschwerdeführer und Bergstrand persönlich zustande
gekommen sein, auch wenn Bergstrand dabei missbräuchlich die Firma NIC
als Deckmantel verwendete.

    Allein selbst wenn der Vertrag ungültig gewesen sein sollte, wären
die Waren und ihr Erlös dem Beschwerdeführer im Sinne von Art. 140
Ziff. 1 StGB anvertraut gewesen. Ob der Vertrag zivilrechtlich gültig
war und ob damit eine klagbare Verpflichtung des Beschwerdeführers, die
Waren für den Auftraggeber zu verkaufen und ihm den Erlös abzuliefern,
begründet wurde, ist unerheblich. Entscheidend ist einzig, dass ihm die
Waren zu diesem Zwecke und im Vertrauen darauf, dass er Ware und Erlös
bestimmungsgemäss verwende, übergeben wurden. Wie der Kassationshof in
BGE 69 IV 77 und 73 IV 172 entschieden hat, setzen die Tatbestände der
Veruntreuung und des Betruges überhaupt nicht voraus, dass dem Geschädigten
ein zivilrechtlicher Anspruch zustehe. Umsoweniger kann von Belang sein,
ob der Geschädigte statt einer Forderung aus Vertrag möglicherweise nur
eine solche aus ungerechtfertigter Bereicherung hat.