Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 II 57



92 II 57

8. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Januar 1966 i.S. Schweisswerk
Bülach A.-G. gegen Kurz. Regeste

    Bundesgesetz über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes (EGG).

    Das Vorkaufsrecht der Nachkommen gemäss Art. 6 Abs. 1 EGG steht auch
dem Adoptivkinde des Verkäufers zu.

Sachverhalt

    A.- Mit Vertrag vom 29. Oktober 1962 verkaufte Frau Wwe.  Kreszentia
Kurz-Moosbrucker von ihrem Grundeigentum in Pfungen 467,2 Aren Acker-
und Wiesland an die Firma Schweisswerk Bülach A.-G. zum Preise von Fr.
206'000.--. In der Folge machte der Adoptivsohn der Verkäuferin, Kurt
Kurz, gestützt auf Art. 6 und 11 EGG das Vorkaufsrecht zum gleichen
Preise geltend und zahlte die Kaufsumme beim Grundbuchamt ein. Die
Schweisswerk A.-G. bestritt dem Ansprecher ein Vorkaufsrecht, erwirkte
vom Audienzrichter des Bezirksgerichts Winterthur eine Verfügungssperre
beim Grundbuch und reichte am 9. Oktober 1963 gegen Wwe. Kurz und ihren
Adoptivsohn Klage ein mit dem Begehren, es sei festzustellen, dass dem
letztern an der Kaufliegenschaft kein Vorkaufsrecht zustehe, und Frau Kurz
sei daher verpflichtet, den mit der Klägerin abgeschlossenen Kaufvertrag
beim Grundbuchamt anzumelden und bei der Eigentumsübertragung an die
Klägerin mitzuwirken.

    Die Beklagten erhoben Widerklage mit dem Antrag auf Abweisung der
Klage und Feststellung des Bestehens des Vorkaufsrechts.

    B.- Sowohl das Bezirksgericht Winterthur als, in Abweisung der Berufung
der Klägerin, das Obergericht des Kantons Zürich (Urteil vom 5. Juli
1965) haben die Klage abgewiesen und das Vorkaufsrecht des beklagten
Adoptivsohnes bejaht.

    C.- Hiegegen richtet sich die vorliegende Berufung der Klägerin
mit dem Antrag auf Gutheissung der Klage im Sinne der Verneinung eines
Vorkaufsrechts.

    Die Berufungsbeklagten tragen auf Abweisung der Berufung und
Bestätigung des angefochtenen Urteils an.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Der Streit geht einzig um die umstrittene Frage, ob ein angenommenes
Kind des Verkäufers zu den nach Art. 6 Abs. 1 EGG vorkaufsberechtigten
Verwandten, nämlich den Nachkommen desselben gehöre bezw. diesen
gleichgestellt sei (für Verneinung: CHATELAIN, Notar und Recht 1953,
S. 186; MEIER-HAYOZ, Schweiz. Beiträge zum 4. Internationalen Kongress
für Rechtsvergleichung, 1954, S. 136; A. COMMENT, ZBGR 39/1958, S. 12;
für Bejahung: JOST, Das neue landwirtschaftliche Bodenrecht der Schweiz,
1954, S. 45; JENNY, Das bäuerliche Vorkaufsrecht, Dissertation Freiburg
1955, S. 61; Vernehmlassung der Eidg. Justizabteilung vom 14. Februar
1963 im vorliegenden Prozesse). Die Vorinstanz hat sich auf Grund
eingehender Prüfung der das Vorkaufsrecht des Adoptivkindes bejahenden
Auffassung angeschlossen; das Bundesgericht pflichtet ihren sorgfältigen
und umfassenden Erwägungen in allen Teilen bei.

    a) Aus der Entstehungsgeschichte des EGG, namentlich den Materialien
zu Art. 6, lässt sich kein entscheidendes Argument für die gegenteilige
Interpretation ableiten. Der Entwurf des Bundesrates (vgl. BBl 1948
I S. 72 ff., Botschaft vom 30. September 1947 dazu S. 1 ff.) sah in
Art. 8 Abs. 1 ein Vorkaufsrecht der Nachkommen, Geschwister und deren
Nachkommen, des Ehegatten und der Eltern des Verkäufers vor, überdies
in Abs. 2 ein richterlich zuerkennbares zugunsten "einer Person,
die zum Verkäufer oder zur verkauften Liegenschaft in besonderen,
den Vorrang nahelegenden Beziehungen steht (Adoptivsohn, Patenkind,
Pflegesohn usw.)". In der Folge wurde Art. 8 Abs. 2 des Entwurfs fallen
gelassen. Dabei war nie davon die Rede, dass namentlich dem Adoptivsohn
das Vorkaufsrecht versagt werden solle; vielmehr wollte man allgemein
den Kreis der Vorkaufsberechtigten enger ziehen und den Gedanken des
Familienschutzes gegenüber dem agrarpolitischen Zweck stärker zur Geltung
bringen. Aus der Streichung des Art. 8 Abs. 2 des Entwurfs kann daher
nicht mit Bestimmtheit gefolgert werden, der Gesetzgeber habe damit den
Adoptivsohn vom Vorkaufsrecht ausschliessen wollen.

    b) Es ist richtig, dass mit den Ausdrücken "Nachkommen" und "Verwandte"
(Marginale zu Art. 6 EGG) in ersterLinie die leiblichen Deszendenten
und Verwandten gemeint sind. Allein durch die Adoption erhält das
angenommene Kind gemäss Art. 268 ZGB die Stellung eines ehelichen Kindes
des Annehmenden; zwischen dem Annehmenden und dem Angenommenen entsteht
ein eheliches Kindesverhältnis, was schon daraus erhellt, dass die
Vorschriften über die Kindesannahme als 3. Abschnitt im 7. Titel über "Das
eheliche Kindesverhältnis" (Art. 252-301 ZGB) und in der 2. Abteilung über
"Die Verwandtschaft" stehen (vgl. Komm. EGGER N. 1 und 2, HEGNAUER N. 5
zu Art. 268). Das Adoptivkind erhält den Familiennamen des Annehmenden
und wird diesem gegenüber erbberechtigt gleich einem ehelichen Kinde
(Art. 268 Abs. 1, 465), sofern nicht gemäss Art. 268 Abs. 3 vor der
Adoption mit öffentlicher Urkunde "Abweichungen von den Bestimmungen
über die Rechtsstellung eines ehelichen Kindes" vereinbart wurden. Die
übrigen Rechte gegenüber den Eltern, insbesondere das Recht auf Unterhalt
(Art. 272 ZGB) und auf Unterstützung (Art. 328) stehen dem angenommenen
Kinde gleich wie dem ehelichen zu; abweichende Vereinbarungen sind hierüber
nicht zulässig (vgl. HEGNAUER, N. 28, 30, 39 zu Art. 268 ZGB). Das einem
leiblichen Kinde nach EGG zustehende gesetzliche Vorkaufsrecht stellt
ebenfalls ein Vermögensrecht gegenüber den Eltern dar. Das spricht dafür,
dass es auch dem Adoptivkinde zukommt. Im bäuerlichen Erbrecht hat es
als Erbe wie leibliche Nachkommen Anspruch auf ungeteilte Zuweisung des
Gewerbes (TUOR/PICENONI, N. 14, ESCHER N. 31 zu Art. 620 ZGB). Dieser
Umstand bildet zwar kein durchschlagendes Argument für die Annahme
des Vorkaufsrechts, weil der Anspruch auf ungeteilte Übernahme eines
landwirtschaftlichen Gewerbes nicht nur den Nachkommen, sondern auch den
übrigen Erben zusteht. Es wäre aber doch widerprüchlich, die Adoptivkinder
im einen Fall den leiblichen Kindern gleichzustellen und im andern nicht.

    Ferner weist die Vorinstanz mit Recht darauf hin, dass nach
einstimmiger Doktrin das den Nachkommen eingeräumte Vorkaufsrecht auch
den ausserehelichen Nachkommen zusteht, soweit sie gegenüber dem Verkäufer
erbberechtigt sind (Art. 461; 303, 323 ZGB; JOST, Handkomm. zum EGG 1953,
S. 54; CHATELAIN aaO S. 186; JENNY, Vorkaufsrecht, S. 61; MEIER-HAYOZ,
Beiträge S. 137 und ZbJV 92/1956 S. 328 Anm. 4; COMMENT aaO S. 12;
KINDLE, Das Vorkaufsrecht im neuen Bodenrecht, Dissertation Basel 1954
S. 112). Es würde zu praktisch unbefriedigenden, ja widersinnigen Folgen
führen, wenn das Vorkaufsrecht den (zwar leiblichen, aber) ausserehelichen
(erbberechtigten) Nachkommen zugestanden, den durch Annahme an Kindesstatt
rechtlich zu ehelichen Nachkommen gewordenen Adoptivkindern und deren
Nachkommen aber versagt würde.

    Bliebe bei der Auslegung des Art. 6 EGG hinsichtlich der Adoptivkinder
noch ein Zweifel, so würde er beseitigt bei seiner Vergleichung mit Art. 11
EGG, der die Rangfolge innerhalb der nach Art. 6 vorkaufsberechtigten
Verwandten regelt. Hier ist nicht von "Nachkommen" des Verkäufers die
Rede, sondern die Reihenfolge nennt: Kinder, Enkel, Ehegatte, Eltern
(gegebenenfalls - Art. 6 Abs. 2 - Geschwister und deren Nachkommen). Dabei
ist klar, dass Kinder und Enkel zusammen die Nachkommen im Sinne von Art. 6
Abs. 1 sind; "Nachkommen" ist einfach der zusammenfassende Begriff für
Kinder und Kindeskinder aller Grade. Der Ausdruck "Nachkommen" in Art. 6
EGG bildet somit inhaltlich keinen Gegensatz zum Ausdruck "Kinder" in
Art. 11 dieses Gesetzes. Es kann deshalb auch nicht angenommen werden, das
Gesetz habe durch diese Benennung das Vorkaufsrecht auf Kinder leiblicher
Abstammung beschränken wollen.

    c) Die Einordnung der (erbberechtigten) Adoptivkinder bei den
"Nachkommen" des Art. 6 Abs. 1 EGG entspricht ausserdem dem Wesen und
Zweck sowohl des bäuerlichen Vorkaufsrechts als auch des Instituts der
Kindesannahme. Im "Programmartikel" (Art. 1) des Gesetzes steht der Gedanke
des Familienschutzes neben der agrarpolitischen Zwecksetzung. Andererseits
gibt die Kindesannahme einer Person ohne leibliche Nachkommen die
Möglichkeit, durch die Ersatzkindschaft eine Familie zu begründen. In
bäuerlichen Verhältnissen wird dabei in der Regel der Gedanke an die
Weiterführung des landwirtschaftlichen Gewerbes eine Rolle spielen.

    d) Ob die Gleichstellung des Adoptivkindes (und seiner
Nachkommen) mit den leiblichen Nachkommen auch zur Folge hat, dass das
vorkaufsberechtigte Adoptivkind im Falle der Selbstbewirtschaftung
die Übernahme zum Vorzugspreis des Art. 12 EGG beanspruchen könne,
wie das die Eidg. Justizabteilung in ihrer Vernehmlassung annimmt,
braucht nicht entschieden zu werden, da Kurt Kurz das Preisprivileg
nicht beansprucht. Mit "Blutsverwandten in gerader Linie" sind aber
offenbar einfach die Nachkommen (im dargelegten Sinne) und die Eltern
(Art. 6 Abs. 1) zusammengefasst, wobei sich bei der Aszendenz jedoch
Zweifel daraus ergeben, dass der Annehmende kein Erbrecht gegenüber dem
angenommenen Kinde hat (Art. 465 Abs. 2 ZGB).

    e) Wenn sich die Berufungsklägerin endlich auf die Vertragsfreiheit
beruft und geltend macht, Ausnahmen wie das Vorkaufsrecht, welche diese
Freiheit einschränken, dürften nach anerkannter Regel nicht ausdehnend
interpretiert werden, so geht dieser Einwand fehl. Es handelt sich nur
darum, nach gewöhnlichen Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln, was unter
"Nachkommen" im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EGG zu verstehen sei. Diese
Auslegung aber führt - wie dargetan - zum Schlusse, dass die Vorinstanz
Bundesrecht nicht verletzt, sondern es richtig angewendet hat.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 5. Juli 1965 bestätigt.