Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 II 293



92 II 293

43. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. November 1966
i.S. Merck & Co. Inc. gegen Alpharm AG und Mitbeteiligte. Regeste

    Widerrechtliche Benützung einer in der Schweiz patentierten Erfindung
(Art. 66 lit. a und Art. 8 PatG).

    1.  Widerrechtlich kann nur eine in der Schweiz erfolgte Benützung
sein. Dieser Begriff erfasst aber nicht bloss in der Schweiz ausgeführte
Handlungen, sondern ohne Rücksicht auf den Ort der Ausführung jedes Tun
oder Unterlassen, das rechtserhebliche Ursache einer in der Schweiz
erfolgten Benützung ist, insbesondere die Handlungen von Anstiftern,
mittelbaren Tätern, Miturhebern und Gehilfen, welche die Benützung in
der Schweiz vom Ausland aus veranlasst oder gefördert haben (Erw. 4).

    2.  Begriff und Arten der Benützung (Erw. 5).

    3.  Widerrechtliche Benützung einer in der Schweiz patentierten
Erfindung durch Einfuhr patentverletzender Erzeugnisse in die Schweiz und
durch Lagerung solcher Erzeugnisse in einem schweizerischen Zollfreilager
zwecks Belieferung von Kunden im Ausland, sowie durch Verkauf und Versand
solcher Erzeugnisse aus der Schweiz ins Ausland (Erw. 6).

Sachverhalt

    A.- Die Firma Merck & Co. Inc. in New Jersey ist Inhaberin der
schweizerischen Patente Nr. 282 222, 283 913, 292 590 und 294 171,
welche Verfahren zur Herstellung von Vitaminsubstanzen, Vitaminprodukten,
Vitamin B 12 und Vitamin B 12-Konzentraten betreffen. Am 16. Juli 1964
reichte sie beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen die Firmen
Pierrel S.p.A., Mailand, Alpharm AG, Bern, und Medipharm AG, Zürich,
sowie gegen Paolo Lanzarini, Mailand, eine Klage ein. Sie beantragte, es
sei festzustellen, dass sich die Beklagten "durch Herstellen, Feilhalten,
Verkaufen und/oder Inverkehrbringen von Cyanocobalamin (Vitamin B 12), bzw.
durch Anstiftung, Mitwirkung, Erleichterung und/oder Begünstigung solcher
Handlungen" der Verletzung der erwähnten Patente "schuldig machen bzw.
gemacht haben". Damit verband sie das Begehren, den Beklagten zu verbieten,
Cyanocobalamin herzustellen, feilzuhalten, zu verkaufen oder in Verkehr
zu bringen oder bei diesen Handlungen mitzuwirken, dazu anzustiften,
deren Begehung zu begünstigen oder zu erleichtern. Ferner klagte sie auf
Ersatz ihres Schadens in einem gerichtlich zu bestimmenden Betrag nebst
Zins und auf Ermächtigung zur Veröffentlichung des Urteils.

    Die Klägerin behauptete unter anderem: Die Firma Pierrel S.p.A. stelle
seit Anfang 1960 in Neapel unter Benutzung der erwähnten patentierten
Erfindungen Vitamin B 12 her und liefere solches an Lanzarini und an
dessen Handelsfirmen, unter anderem an die Alpharm AG und die Medipharm
AG Lanzarini sei Hauptaktionär und Delegierter des Verwaltungsrates
der Alpharm AG und auch an der Medipharm AG beteiligt. Er und diese
Gesellschaften unterhielten in den Räumen einer Zürcher Transportfirma in
den Zollfreilagern in Zürich und Kloten ein Lager an Vitamin B 12. Die
Transportfirma sei in ihrem Auftrage Lagerhalter und Spediteur und
besorge darüber hinaus in einzelnen Fällen die eigentliche Führung
der Verkaufsverhandlungen, die Verpackung, die Rechnungstellung und
das Inkasso. Von den erwähnten Lagern aus werde eine Händler- und
Schmugglerorganisation beliefert, die sich in den Vereinigten Staaten von
Amerika für den Handel von widerrechtlich hergestelltem Vitamin B 12 und
Antibiotika gebildet habe und deren Hauptperson X. sei. Ein Prokurist
der Transportfirma habe wiederholt von den erwähnten Waren nach den
Vereinigten Staaten mitgenommen und sie daselbst gegen Barzahlung verkauft.
Oft sei X. aufgefordert worden, Zahlungen an die Transportfirma zu machen.
Einmal sei er in der Schweiz gewesen und habe mit Lanzarini diese Firma
besucht. Da die Alpharm AG mit Vitamin B 12 Handel treibe, bestehe kein
Zweifel, dass sie die schweizerischen Patentrechte der Klägerin verletze,
und zwar auch dann,wenn dieses Erzeugnis in einzelnen Fällen nicht in die
Schweiz eingeführt oder durch die Schweiz durchgeführt worden sei. Das
treffe auch für Lanzarini zu. Dieser sei ausser für seine persönlichen
Geschäfte für die Handlungen der Alpharm AG verantwortlich. Er habe diese
angestiftet, bei ihren Handlungen mitgewirkt, sie zum mindesten begünstigt
oder erleichtert. Es treffe ihn gemäss Art. 50 OR insbesondere die
Schadenersatzpflicht, auch für die Handlungen der Alpharm AG Die Klägerin
werde aber darüber hinaus beweisen, dass er auch seine persönlichen
Geschäfte über die Schweiz und in Zürich abgewickelt habe. Die Medipharm
AG sei ebenfalls eine blosse Tarnorganisation. Ihre Behauptung, sie wisse
nichts von den in ihrem Namen durchgeführten Transporten, sei nicht ernst
zu nehmen. Die Transportfirma habe nicht völlig zu Unrecht die Medipharm
AG in ihren Dokumenten erwähnt. Auf Grund dieser Erwähnungen seien der
Medipharm AG auch direkte Mitteilungen zugegangen.

    B.- Das Handelsgericht beschloss am 30. März 1966, die Klagen gegen
die Alpharm AG, die Medipharm AG und Lanzarini in einem besonderen
Prozess vorweg zu beurteilen. Es wies sie am gleichen Tage ab mit der
Begründung, die diesen drei Beklagten vorgeworfenen Handlungen könnten
die schweizerischen Patente der Klägerin nicht verletzen.

    Das Bundesgericht weist die Sache auf Berufung der Klägerin hin an
das Handelsgericht zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Dass die Benützung der Erfindung nach dem Bundesgesetz über die
Erfindungspatente nur dann widerrechtlich ist, wenn sie in der Schweiz
erfolgt, heisst nicht, der Verantwortliche müsse im Gebiete der Schweiz
handeln. Die widerrechtliche Benützung ist eine unerlaubte Handlung. Solche
Handlungen können schon dann nach schweizerischem Recht verfolgt werden,
wenn der Erfolg in der Schweiz eingetreten ist (BGE 76 II 110 ff.,
82 II 163, 87 II 115, 91 II 123 f.). Jedes Tun oder Unterlassen, das
rechtserhebliche Ursache einer in der Schweiz erfolgten Benützung der
Erfindung ist, macht deshalb nach schweizerischem Recht verantwortlich,
gleichgültig wo es sich ereigne. Das ist namentlich von Bedeutung für
Anstifter, mittelbare Täter, Miturheber und Gehilfen. Sie können schon dann
in der Schweiz zivilrechtlich verfolgt werden, wenn sie die Benützung in
der Schweiz vom Auslande aus veranlasst oder gefördert haben. Andernfalls
ginge der strafrechtliche Schutz des Patentinhabers (Art. 81 ff. PatG,
insbesondere Art. 83 PatG in Verbindung mit Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 und
Art. 7 Abs. 1 StGB) weiter als der zivilrechtliche, was dem Grundsatz
widerspräche, dass Handlungen, die unter eine das fragliche Rechtsgut
schützende Strafnorm fallen, stets auch zivilrechtlich unerlaubt sind.

Erwägung 5

    5.- Nur die gewerbsmässige Benützung der Erfindung kann widerrechtlich
sein, denn nur auf gewerbsmässige Benützung hat der Patentinhaber ein
ausschliessliches Recht (Art. 8 Abs. 1 PatG).

    Der Begriff der Benützung ist im übrigen im Gesetz nicht definiert. Als
Benützung gelten vorab der Gebrauch und die Ausführung der Erfindung
(Art. 8 Abs. 2 PatG), ferner die Nachahmung (Art. 66 lit. a PatG). Daneben
werden das Feilhalten, der Verkauf und das Inverkehrbringen genannt
(Art. 8 Abs. 2 PatG). Wie aus dem Wort "insbesondere" hervorgeht, sind
das aber nur Beispiele der Benützung.

    Wenn ein Verfahren Gegenstand der Erfindung ist, erstreckt sich
das Recht des Patentinhabers auch auf die unmittelbaren Erzeugnisse
des Verfahrens (Art. 8 Abs. 3 PatG). Als Benützung des letztern gelten
daher insbesondere auch der Gebrauch, das Feilhalten, der Verkauf und
das Inverkehrbringen von Erzeugnissen, die im patentierten oder in einem
nachgeahmten Verfahren hergestellt wurden.

Erwägung 6

    6.- Die Klägerin hat im kantonalen Verfahren behauptet, der Leiter der
Pierrel S.p.A., Y., habe im Oktober 1960 versucht, mit X. bezüglich des
Vitamins B 12 direkt ins Geschäft zu kommen, doch habe X. vorgezogen,
weiterhin durch Lanzarini und dessen Gesellschaften von Zürich aus
beliefert zu werden. Deshalb habe sich Y. in der Folge mit Lanzarini in
Verbindung gesetzt und die Geschäfte der Pierrel S.p.A. über diesen,
die Alpharm AG und die Medipharm AG von Zürich aus abgewickelt. Die
von Lanzarini beherrschte Alpharm AG habe bei diesen rechtswidrigen
Geschäften als Deckmantel gedient und auch die Medipharm AG, an der
Lanzarini beteiligt sei, sei eine blosse Tarnorganisation. Ihre Behauptung,
sie wisse nichts von den in ihrem Namen durchgeführten Transporten, sei
nicht ernst zu nehmen. Lanzarini, die Alpharm AG und die Medipharm AG
unterhielten durch die von ihnen als Lagerhalter und Spediteur beauftragte
Transportfirma in den Zollfreilagern Zürich und Kloten ein Lager an
Vitamin B 12.

    Wenn diese Behauptungen zutreffen, sind Lanzarini, die Alpharm AG
und die Medipharm AG schon dafür mitverantwortlich, dass die Pierrel
S.p.A. die erwähnte Ware nach Zürich und Kloten verbringen liess; denn
sie haben diese Handlungen begünstigt und erleichtert, indem sie sich
zwecks Tarnung des Ursprunges der Ware als Mittler zwischen der Pierrel
S.p.A. und der Händler- und Schmugglerorganisation des X. zur Verfügung
stellten. Der Transport nach Zürich und Kloten erfolgte zwecks Belieferung
der amerikanischen Abnehmer und war daher eine typische Handlung, die
unter den Begriff des Inverkehrbringens im Sinne des Art. 8 Abs. 2 PatG
fällt. Zum mindesten wird er vom Oberbegriff der (gewerbsmässigen)
Benützung der Erfindung erfasst; denn er gehört zur Gesamtheit der
Handlungen, die vorgenommen wurden, um Erzeugnisse vom Hersteller oder
Händler an einen Abnehmer zu verbringen. Da Art. 8 Abs. 2 PatG die Arten
der Benützung nicht abschliessend aufzählt, steht der Erfassung der
Einfuhr als Benützungshandlung nichts im Wege.

    Wenn die erwähnten Behauptungen der Klägerin zutreffen, sind Lanzarini,
die Alpharm AG und die Medipharm AG auch dafür verantwortlich oder neben
der Pierrel S.p.A. mitverantwortlich, dass die Ware von der Transportfirma
gelagert wurde. Da auch diese Lagerung dem zwischen der Pierrel S.p.A. und
X. vereinbarten und mit Hilfe der Berufungsbeklagten organisierten Handel
gedient haben soll, wird auch sie von den Begriffen des Inverkehrbringens
und der Benützung miterfasst. Übrigens erfüllt sie auch die Merkmale des
Feilhaltens. Sie unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht grundsätzlich
von der Aufstapelung von Ware in einem Lager zwecks Belieferung von
Kunden; denn wenn die Behauptungen der Klägerin stimmen, wurde X. darüber
unterrichtet, dass das Lager bestand und dass er daraus Ware beziehen
könne, wenn er sich an die Berufungsbeklagten oder unmittelbar an die
Transportfirma wende. Auch die deutsche Rechtsprechung und Lehre legen
den Begriff des Feilhaltens so weit aus, dass ein derartiger Tatbestand
darunter fällt (vgl. das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. März 1960
in GRUR 1960 S. 423, besprochen von MOSER v. FILSECK in GRUR 1961 S. 178
u. 613; BENKARD, 4. Aufl. 1963, Randnote 19, und BUSSE, 3. Aufl. 1964,
Anm. 6 A 3 S. 199 f. zu § 6 des deutschen PatG).

    Die Klägerin hat sodann schon im kantonalen Verfahren unter Nennung
von Einzelheiten behauptet, die Transportfirma als Beauftragte der
Berufungsbeklagten habe von den Lagern in Zürich und Kloten aus die
amerikanische Händler- und Schmugglerorganisation des X. tatsächlich
beliefert, die Ware verpackt und versandt, Rechnung gestellt und das
Inkasso besorgt. Diese Handlungen, für welche die Berufungsbeklagten
zutreffendenfalls als Auftraggeber verantwortlich oder mitverantwortlich
sind, erfüllen nicht nur die Begriffe des Inverkehrbringens und der
Benützung der Ware, sondern auch den des Verkaufens im Sinne des Art. 8
Abs. 2 PatG. Dass die Käufer im Ausland niedergelassen waren und
die Erzeugnisse ausschliesslich ins Ausland geliefert wurden, ändert
nichts. Als Benützung im Inland ist es auch anzusehen, wenn Ware, die
in der Schweiz liegt, ins Ausland verkauft wird (wogegen von solcher
Benützung nicht die Rede sein kann, wenn der Kaufvertrag einzig durch
den Abschlussort zur Schweiz in Beziehung steht). Die Auffassung des
Handelsgerichtes, das Patentgesetz verlange nur die Fernhaltung der
patentverletzenden Erzeugnisse vom inländischen Wirtschaftsverkehr,
d.h. vom schweizerischen Binnenmarkt, findet im Gesetz keine Stütze. Sie
hält nicht stand.

    Sonst müsste es auch als erlaubt gelten, für den Export bestimmte
Erzeugnisse unter Benützung patentierter Erfindungen in der Schweiz
herzustellen. Das vertrüge sich nicht mit den berechtigten Interessen des
Patentinhabers, auch im Export gegen die Konkurrenz von Dritten geschützt
zu sein, die nachgemachte Erzeugnisse herstellen oder damit Handel treiben.

    Daher muss das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer
Beurteilung an das Handelsgericht zurückgewiesen werden.