Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 II 210



92 II 210

31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Oktober 1966
i.S. Eheleute W. gegen den Kanton Thurgau. Regeste

    Zivilrechtliche Streitigkeit zwischen Privaten und einem Kanton vor
dem Bundesgericht als einziger Instanz. Art. 42 OG.

    1.  Zivilrechtliche Streitigkeiten im weitern Sinne können Gegenstand
einer solchen Klage bilden (Erw. 1)

    - jedoch nur solche vermögensrechtlicher Natur (Erw. 3, b).

    2.  Den Gegenstand des Rechtsstreites bezeichnen die auf ein Sachurteil
abzielenden Rechtsbegehren. (Anfang der Erw. 3).

    3.  Befindet die zuständige Abteilung des Bundesgerichts die
Klage einstimmig als unzulässig, und zwar nicht bloss wegen eines
verbesserlichen Prozessmangels, sondern weil eine Bundesgerichtsbarkeit
einziger Instanz für den in Frage stehenden Rechtsstreit nicht gegeben ist,
so kann die Klage in Analogie zu Art. 60 Abs. 1 OG im Vorprüfungsverfahren
ohne Schriftenwechsel, ohne mündliche Verhandlung und ohne öffentliche
Beratung von der Hand gewiesen werden. Art. 3 Abs. 1 BZP. (Erw. 5).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- A. W. wurde im September 1963 zur Begutachtung in die Heil- und
Pflegeanstalt Münsterlingen eingewiesen, da sein seit Jahren beobachtetes
querulatorisches Verhalten mit Beschuldigungen und Drohungen gegen
Private und Behörden stärker in Erscheinung getreten war. Zwei Gutachten
stellten eine paranoide Schizophrenie fest, verbunden mit beginnender
gehirnarteriosklerotischer Demenz, bezw. paranoïsche Querulanz. Gestützt
auf diese Gutachten sprachen sowohl das Bezirksgericht Bischofszell wie
auch das Obergericht des Kantons Thurgau, dieses mit Urteil vom 21. Oktober
1965, die Entmündigung in Anwendung des Art. 369 ZGB aus.

    B.- Dieses Urteil focht der Interdizend beim Bundesgericht mit Berufung
und mit staatsrechtlicher Beschwerde an. Auf diese Beschwerde trat das
Bundesgericht am 5. Februar 1966 zur Hauptsache nicht ein; im übrigen
wurde die Beschwerde abgewiesen. Mit Entscheid vom gleichen Tage wurde
auch die Berufung abgewiesen und das Entmündigungsurteil bestätigt.

    C.- Mit einer vom 24. Dezember 1965 datierten, am 12.  Januar 1966
zur Post gegebenen Klageschrift von 50 Seiten belangen A. W. und seine
Ehefrau den Kanton Thurgau vor dem Bundesgericht als einziger Instanz
mit Hinweis auf Art. 42 OG

    "a. wegen unbefugten Angriffen und Verletzungen in den persönlichen
Verhältnissen

    b. auf Beseitigung der Störungen

    c. auf Schadenersatz und Genugtuung im Betrage von über 6000.--
Franken."

    Die Rechtsbegehren lauten:...

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 42 OG beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz
"zivilrechtliche Streitigkeiten" zwischen einem Kanton einerseits und
Privaten oder Korporationen anderseits (unter den in der gleichen Norm
bestimmten nähern Voraussetzungen). Nach ständiger Rechtsprechung fallen
unter diese Gesetzesnorm nicht nur Streitigkeiten über zivilrechtliche
Verhältnisse im eigentlichen, engern Sinn dieses Wortes (wie er
für das Rechtsmittel der Berufung, Art. 43 ff. OG, massgebend ist),
sondern auch "gewisse Anstände, die nach heutiger Rechtsauffassung zu
den öffentlichrechtlichen Streitigkeiten gerechnet würden, aber nach
älterer Anschauung als Zivilrechtsstreitigkeiten galten" (vgl. BGE
78 II 26, letzter Absatz der Erw. 1). Darunter fallen insbesondere
auch Verantwortlichkeitsklagen wegen Schädigung eines Privaten durch
widerrechtliche Ausübung öffentlicher Gewalt, was den hauptsächlichen
Inhalt der vorliegenden Klage bildet (vgl. statt vieler BGE 38 II 397,
79 II 432 Erw. 1 am Ende).

Erwägung 2

    2.- (zuständige Abteilung des Bundesgerichts).

Erwägung 3

    3.- Den Gegenstand des Rechtsstreites bezeichnen die auf ein
Sachurteil abzielenden Rechtsbegehren. Ausser Betracht fallen somit
bei Beurteilung der Zulässigkeit der Klage die Begehren 5a, 5b und 6,
welche auf Beweismassnahmen gerichtet sind, sowie das Begehren 7, womit
die allfällige Anhebung von Strafklagen (eine überhaupt ausserhalb dieses
Rechtsstreites liegende Massnahme) verlangt wird.

    Die materiellen Rechtsbegehren sind teils vermögensrechtlicher,
teils anderer Natur.

    a) Zur ersten Gattung gehören die Schadenersatz- und
Genugtuungsbegehren, wie sie die Klage auf Blatt 1 allgemein umschreibt
und in den Einzelbegehren 3b, 4a und 4b näher festlegt. Dies geschieht
jedoch ohne genaue Angabe der verlangten Geldbeträge, und die Bemerkung
"im Betrage von über 6000.-- Franken" auf Blatt 1 ist nicht geeignet, den
gesetzlichen Mindeststreitwert von Fr. 8000.-- für die direkte Anrufung
des Bundesgerichts nach Art. 42 OG darzutun. Auf diese Begehren kann
daher nicht eingetreten werden.

    b) Die übrigen Begehren aber (la, 1b, 2 und 3a) können, weil nicht
vermögensrechtlicher Natur, von vornherein nicht Gegenstand eines nach
Art. 42 OG vor Bundesgericht anzuhebenden Prozesses bilden. Nach Art.
110 Abs. 1 Ziff. 4 BV beurteilt das Bundesgericht zivilrechtliche
Streitigkeiten zwischen den Kantonen einerseits und Korporationen
oder Privaten anderseits, "wenn der Streitgegenstand von einer durch
die Bundesgesetzgebung zu bestimmenden Bedeutung ist und eine Partei es
verlangt". Nach dieser Verfassungsnorm hätte der Gesetzgeber zwar auch eine
nicht in Geldeswert bestehende "Bedeutung" der Streitsache berücksichtigen
können (worauf mehrere Autoren hinweisen; vgl. SCHURTER und FRITZSCHE,
Das Zivilprozessrecht der Schweiz, Bd. I S. 271 unten; W. BURCKHARDT,
Komm. zur BV, 3. A., S. 761 N 6). Das Gesetz über die Organisation der
Bundesrechtspflege (OG) verlangt nun aber in Art. 42 ebenso wie in Art. 41
lit. c Abs. 2 einen bestimmten Mindest-Streitwert und zieht damit eindeutig
nur vermögensrechtliche Streitigkeiten in Betracht. Was BGE 86 II 132
hierüber in bezug auf Prorogationsklagen ausführt, gilt auch für Klagen
nach Art. 42 OG. Wenn das als einzige Instanz angerufene Bundesgericht
mitunter eine nicht offensichtlich vermögensrechtliche Streitsache an Hand
nahm, so geschah es doch nur eben bei Bejahung dieses Charakters (so in
BGE 41 II 299 ff., wo der Klage auf Bestellung eines Schiedsgerichts zur
Beurteilung des Umfanges der Wasserzinspflicht eines Konzessionärs ein
bestimmter Streitwert zugeschrieben wurde).

Erwägung 4

    4.- 5. - Da eine Bundesgerichtsbarkeit einziger Instanz nicht gegeben
ist (Erw. 3), muss die Klage von der Hand gewiesen werden. Angesichts
der Einstimmigkeit des Gerichtes über die Unzulässigkeit dieser Klage
ist ohne Durchführung eines weiteren Verfahrens und ohne öffentliche
Beratung auf Nichteintreten zu erkennen, analog Art. 60 Abs. 1 OG. Der
Richter hat die Zulässigkeit der Klage von Amtes wegen zu prüfen (Art. 3
Abs. 1 BZP). Eine formelle Verbesserung der Klage, wozu den Klägern nach
Art. 27 Abs. 1 BZP Gelegenheit einzuräumen wäre, kommt hier nicht in
Frage, da man es nicht mit einem verbesserlichen Prozessmangel zu tun
hat. Aus diesem Grunde wäre auch die Durchführung eines vereinfachten,
auf die Frage der - hier keinem Zweifel unterliegenden - Unzulässigkeit
der Klage beschränkten Verfahrens (vgl. Art. 30 Abs. 1, 34 Abs. 2, 66
Abs. 3 BZP) zwecklos und als unnötige Weitläufigkeit zu betrachten. Unter
solchen Umständen hat denn auch die II. Zivilabteilung bereits in einem
andern Falle (nicht veröffentlichtes Urteil vom 3. Juni 1959 i.S. Spörri
gegen Spörri) eine im direkten Verfahren vor Bundesgericht unzulässige
Klage im Vorprüfungsverfahren von der Hand gewiesen. Ähnlich entschied
die I. Zivilabteilung - in bejahendem Sinne - über die Anhandnahme einer
prorogierten Streitsache (BGE 88 II 383 ff.) im Vorprüfungsverfahren
ohne Schriftenwechsel.

    In analoger Anwendung des Art. 60 Abs. 1 OG

Entscheid:

               erkennt demnach das Bundesgericht:

    Auf die Klage wird nicht eingetreten.