Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 I 340



91 I 340

54. Auszug aus dem Urteil vom 29. September 1965 i.S. Geisseler und
Mitbeteiligte gegen Regierungsrat des Kantons Aargau. Regeste

    Eigentumsgarantie, Heimatschutz, gesetzliche Grundlage.

    Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts in bezug auf die gesetzliche
Grundlage der Unterstellung von Gebäuden unter Denkmalschutz. Begriff
der "Altertümer" und der "Denkmäler" im Sinne kantonaler
Heimatschutzvorschriften.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Das aargauische EG/ZGB bestimmt in § 93:

    "Der Regierungsrat soll Verfügungen mit Strafandrohung treffen:

    1. zur Erhaltung und Sicherung von Altertümern, Naturdenkmälern und
von Pflanzen und Tieren, die vom Aussterben bedroht sind;

    2. gegen die Verunstaltung von Landschaften, Ortschaftsbildern und
Aussichtspunkten (702, 724)."

    Gestützt hierauf erliess der Regierungsrat am 23. Mai 1958 eine
Verordnung über den Schutz historischer Denkmäler (Denkmalschutzverordnung,
DSchV). Diese bestimmt in § l:

    "Als schutzwürdige historische Denkmäler gelten jene Werke
früherer menschlicher Tätigkeit, die wegen ihres künstlerischen oder
wissenschaftlichen Interesses erhalten zu werden verdienen, so vor allem:

    a) Kirchen, Kapellen und andere kirchliche Bauten, Burgen, Schlösser,
Wehranlagen, öffentliche und korporative Bauten, Wohnhäuser sowie andere
Gebäude oder Gebäudeteile, seien sie vollständig oder nur als Ruinen
erhalten;

    b)-e) ....."

    Nach § 2 DSchV werden schutzwürdige historische Denkmäler nach
Anhörung der Eigentümer auf Grund eines Beschlusses des Regierungsrates
in ein Denkmälerverzeichnis eingetragen, was nach § 4 DSchV zur Folge
hat, dass sie ohne vorgängige Bewilligung der Erziehungsdirektion weder
verändert, beseitigt, renoviert, verunstaltet noch in ihren Wirkungen
beeinträchtigt werden dürfen und so zu unterhalten sind, dass ihr Bestand
dauernd gesichert ist.

    B.- Am 13. Dezember 1963 beschloss der Regierungsrat des
Kantons Aargau, die "strassenseitige Fassade samt Dach" der drei
aneinanderstossenden, im 18. Jahrhundert erbauten Häuser Rain Nr. 20,
22 und 24 in Aarau gemäss §§ 1-4 DSchV unter Denkmalschutz zu stellen.

    C.- Gegen diesen Beschluss führen die Eigentümer dieser drei Häuser
staatsrechtliche Beschwerde. Sie werfen dem Regierungsrat Verletzung
der Eigentumsgarantie sowie des Art. 4 BV (Willkür) vor und machen zur
Begründung geltend, für den im angefochtenen Entscheid liegenden Eingriff
in ihr Eigentum fehle es sowohl an der gesetzlichen Grundlage als auch
am öffentlichen Interesse.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, in bezug auf die Rüge des
Mangels der gesetzlichen Grundlage aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Ob eine öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung auf einer
gesetzlichen Grundlage beruhe, prüft das Bundesgericht dann frei, wenn
der Eingriff ausserordentlich tief in die Rechte Privater eingreift
und wesentlich über das hinausgeht, was bisher in der Schweiz als
öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung üblich war (BGE 89 I
467 Erw. 2 mit Verweisungen) 1. Die Unterstellung eines Hauses unter
Denkmalschutz stellt keinen ausserordentlich tiefgreifenden Eingriff
in das Eigentumsrecht am Hause dar, zumal wenn sich der Schutz, wie
hier, auf die vordere Fassade und das Dach beschränkt. Massnahmen
des Denkmalschutzes, als solche des Heimatschutzes im weiteren Sinne,
gehören sodann im allgemeinen zu den herkömmlichen Eigentumsbeschränkungen
(vgl. BGE 84 I 175, 89 I 468). Das Vorliegen der gesetzlichen Grundlage

    1 Siehe nun BGE 91 I 332 Erw. 1a, wo die zweite Voraussetzung fallen
gelassen wurde.

    ist daher nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür
zu prüfen.

    a) Die Beschwerdeführer bestreiten die Gesetzmässigkeit der §§ 1-4
DSchV nicht, machen jedoch geltend, diese Bestimmungen seien auf ihre
Häuser deshalb nicht anwendbar, weil § 93 EG/ZGB, auf den sich die DSchV
stützt, den Regierungsrat nur zum Erlass von Bestimmungen zur Erhaltung
und Sicherung von "Altertümern" ermächtige, ihre Häuser aber keine
"Altertümer" seien.

    Der Ausdruck "Altertümer" ist offenbar dem Art. 702 ZGB entnommen
worden. Darunter fallen nicht nur Gegenstände und Werke, die aus
dem geschichtlichen Altertum stammen, d.h. aus den ersten Zeiten der
Menschheit bis zum frühen Mittelalter, denn bei dieser Auslegung würde
der bauliche Denkmalschutz, den die Bestimmung zweifellos auch im Auge
hat, praktisch zur Bedeutungslosigkeit herabsinken. Als "Altertümer"
dürfen vielmehr alle Erzeugnisse menschlicher Tätigkeit aus früheren
Zeiten betrachtet werden. In diesem Sinne ist auch der in § 182 des
zürch. EG/ZGB enthaltene Begriff "Altertümer" von jeher verstanden worden
(ISLIKER, Eingriffe in das Grundeigentum aus Gründen des Heimatschutzes,
S. 13; KAPPELER, Unterschutzstellung im Zürcher Natur- und Heimatschutz,
SJZ 1959 S. 19 Anm.11). Gegen diese weite Auslegung bestehen umso weniger
Bedenken, als für § 93 des aarg. EG/ZGB gelten muss, was das Bundesgericht
schon wiederholt für den entsprechenden § 182 des zürch. EG/ZGB
festgestellt hat; er enthält lediglich eine allgemeine programmatische
Angabe des Gegenstandes, auf den sich das dem Regierungsrat eingeräumte
Verordnungsrecht beziehen soll, während die eigentliche Umschreibung des
Inhalts des Heimatschutzes der Verordnung überlassen ist (BGE 41 I 486;
Urteil vom 22. März 1950 i.S. Messikommer, abgedruckt im ZBl 1950 S. 308
ff.). Weder § 1 DSchV, wonach als Schutzobjekt allgemein "Werke früherer
menschlicher Tätigkeit" in Frage kommen, noch die dem angefochtenen
Entscheid zugrunde liegende Auffassung, dass auch erst im 18. Jh. erbaute
Häuser schutzwürdig sein können, geht somit über § 93 EG/ZGB hinaus.

    b) Die Beschwerdeführer machen weiter geltend, dem angefochtenen
Entscheid fehle die gesetzliche Grundlage auch deshalb, weil der
Wortlaut der DSchV das Schwergewicht eindeutig auf "Denkmäler", also
auf ausserordentliche, besonders qualifizierte Werke, lege, während ihre
Häuser keine besondern Qualitäten aufwiesen. Angesichts der in § 1 lit. a
DSchV enthaltenen beispielsweisen Aufzählung von Bauten verschiedenster
Art und der in lit. b-e erwähnten weiteren Schutzobjekte ist es indes
nicht willkürlich, den Begriff "Denkmäler" ebenfalls weit auszulegen und
aus früheren Jahrhunderten stammende Gebäude schon dann, wenn sie für die
Entstehungszeit charakteristisch sind, als "Denkmäler" zu betrachten, nicht
erst, wenn es sich um ausserordentliche Werke von ganz besonderer Bedeutung
handelt. Damit, dass die Häuser der Beschwerdeführer als "Denkmäler"
im Sinne der DSchV anerkannt werden, ist indes noch nicht gesagt,
dass sie wegen ihres künstlerischen oder wissenschaftlichen Interesses
erhalten zu werden verdienen, was nach § 1 DSchV weitere Voraussetzung
der Unterstellung unter Denkmalschutz und im folgenden zu prüfen ist.