Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 I 312



91 I 312

50. Auszug aus dem Urteil vom 10. November 1965 i.S. Genossenschaft Migros
Luzern gegen Regierungsrat des Kantons Obwalden. Regeste

    Verkaufswagengebühr, Überprüfung der Verfassungsmässigkeit kantonalen
Rechtes, Rechtsgleichheit, Handels- und Gewerbefreiheit. Art. 4 und 31 BV.

    1.  Wird im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens geltend gemacht, eine
Bestimmung des kantonalen Rechtes sei bundesverfassungswidrig, so können
sich die Verwaltungsbehörden der Prüfung dieser Frage nicht entschlagen
(Erw. 3 lit. a).

    2.  Die Belastung von Kantonseinwohnern und Kantonsfremden mit
unterschiedlichen Hausiergebühren (hier Verkaufswagengebühren) verstösst
grundsätzlich gegen die Rechtsgleichheit und gegen die Handels- und
Gewerbefreiheit (Erw. 3 lit. b).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Die Genossenschaft Migros Luzern nahm am 7. August 1964 einen
Verkaufswagenbetrieb im Kanton Obwalden auf. Sie erzielte damit
bis Ende des Jahres einen bestimmten Bruttoerlös. Mit Verfügung vom
1. März 1965 setzte hierauf die Polizeidirektion des Kantons Obwalden die
Verkaufswagengebühr für das Jahr 1964 auf 3% des Bruttoumsatzes fest. Zur
Begründung wurde auf den Beschluss des Kantonsrates des Kantons Obwalden
vom 21. November 1963 betreffend Neuregelung der Bewilligungsgebühren für
die Ausübung des Hausier- und Wandergewerbes verwiesen, wo unter Ziffer
I bestimmt wird:

    "Die Bewilligungsgebühr bei Hausierhandel mit Fahrzeugen, die dem
Warenverkauf dienen, nach einem bestimmten Plan fahren und zum Zwecke
des Warenverkaufs anhalten, beträgt:

    a) für Kantonseinwohner oder im Kanton domizihierte Firmen zwei
Prozent des Bruttoumsatzes pro Verkaufswagen;

    b) für Ausserkantonale oder ausserhalb des Kantons domizilierte Firmen
drei Prozent des Bruttoumsatzes."

    Die in der Folge gegen diesen Entscheid von der Genossenschaft Migros
erhobene Beschwerde, mit welcher im wesentlichen beantragt wurde, es sei
die Gebühr für den Verkaufswagenbetrieb auf höchstens 2% des erzielten
Umsatzes herabzusetzen, wies der Regierungsrat des Kantons Obwalden mit
Beschluss vom 3. Mai 1965 ab.

    Die staatsrechtliche Beschwerde, mit welcher die Genossenschaft
Migros Luzern beantragte, es sei der Beschluss des Regierungsrates vom
3. Mai 1965 wegen Verletzung von Art. 4, 31 und 46 Abs. 2 BV aufzuheben
und der Regierungsrat anzuweisen, "die monatliche Gebühr für den von
der Beschwerdeführerin betriebenen Verkaufswagen auf höchstens Fr. X,
eventuell aufhöchstens 2% des vom Verkaufswagen im Kantonsgebiet erzielten
Umsatzes festzusetzen", wurde vom Bundesgericht teilweise gutgeheissen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Legitimation).

Erwägung 2

    2.- (Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges).

Erwägung 3

    3.- Im Verfahren vor dem Regierungsrat hat die Beschwerdeführerin
geltend gemacht, es verstosse gegen das Prinzip der Rechtsgleichheit,
wenn ausserkantonale Betriebe eine höhere Gebühr zu bezahlen
hätten als im Kanton domizilierte Firmen. Darin war auch der in der
staatsrechtlichen Beschwerde wieder aufgenommene Vorwurf enthalten,
der Kantonsratsbeschluss vom 21. November 1963 und der darauf beruhende
Entscheid des Regierungsrates vom 3. Mai 1965 seien verfassungswidrig.

    a) Im angefochtenen Entscheid wird dazu ausgeführt, es sei
weder Sache der Polizeidirektion noch des Regierungsrates, die
Verfassungsmässigkeit der vom Kanton erlassenen Bestimmungen zu
überprüfen. Die Frage der Rechtsungleichheit stelle sich praktisch nicht,
da keineVerkaufswagenvonKantonseinwohnern oder von im Kanton domizilierten
Firmen im Verkehr stünden. Abgesehen davon liege eine tatsächliche
Rechtsungleichheit nicht vor, weil nicht gleiche, sondern ungleiche
Verhältnisse ungleich behandelt würden. Was darunter zu verstehen ist,
hat der Regierungsrat in seiner Vernehmlassung zur Beschwerde dargetan,
wo gesagt wird, die Verhältnisse eines Unternehmens, das im Kanton Obwalden
Einkommens- und Vermögenssteuern bezahle, seien nicht gleich wie diejenigen
eines kantonsfremden Unternehmens, das wegen seines auswärtigen Domizils
im Kanton nicht steuerpflichtig sei. Die unterschiedliche Behandlung von
Kantonseinwohnern und Ausserkantonalen im Zusammenhang mit Hausiergebühren
sei im Kanton Obwalden schon lange gesetzlich verankert.

    Diesen Überlegungen des Regierungsrates kann nicht gefolgt werden.
Insbesondere ist ohne Bedeutung, wie lange die heute beanstandete Regelung
bereits gesetzlich verankert ist. Unrichtig ist auch die Auffassung,
es sei nicht Sache des Regierungsrates, die Verfassungsmässigkeit der
vom Kanton erlassenen Bestimmungen zu überprüfen. Wird im Rahmen eines
Verwaltungsverfahrens geltend gemacht, eine Bestimmung des kantonalen
Rechtes sei bundesverfassungswidrig, so können sich nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtes die Verwaltungsbehörden der Prüfung dieser Frage
nicht entschlagen (vgl. Urteil vom 29. Januar 1958 i.S. Migros Bern,
Erw. 4; BGE 82 I 219 Erw. 1). Erweist sich dann bei dieser Prüfung, dass
der Einwand berechtigt ist, so haben nicht nur die Gerichte, sondern auch
die Verwaltungsbehörden der als bundesverfassungswidrig erkannten Norm die
Anwendung zu versagen. - Unerheblich ist sodann, dass die unterschiedliche
Behandlung der Migros gegenüber gleichartigen innerkantonalen Firmen
nur theoretischer Natur wäre, weil die Beschwerdeführerin allein einen
Verkaufswagenbetrieb im Kanton Obwalden führe. Es handelt sich dabei
um rein zufällige Verhältnisse, die sich jederzeit ändern können. Eine
Verletzung der Rechtsgleichheit liegt aber schon dann vor, wenn zur Zeit
etwas angeordnet wird, das in andern Fällen bei gleichen tatsächlichen
und rechtlichen Verhältnissen nicht zulässig wäre.

    b) Mit der Frage der Zulässigkeit unterschiedlicher Hausiergebühren
für Einheimische und Fremde hatte sich das Bundesgericht schon im Jahre
1938 im Zusammenhang mit einer Beschwerde gegen den Kanton Nidwalden
zu befassen. Es gelangte damals (BGE 64 I 386 ff.) auf Grund einer
eingehenden Überprüfung des ganzen Fragenkomplexes und in Abänderung der
früheren Praxis zur Feststellung, die Belastung von Kantonseinwohnern
und Kantonsfremden mit unterschiedlichen Hausiergebühren verstosse gegen
die Rechtsgleichheit und gegen die Handels- und Gewerbefreiheit; eine
Erhöhung der "Hausierpatenttaxe" für Einwohner anderer Kantone sei aber
nicht völlig ausgeschlossen, denn die Abgabe stelle zum Teil eine Gebühr
für die Patenterteilung dar und dürfe deshalb für Einwohner anderer
Kantone dann entsprechend höher angesetzt werden, wenn die Erteilung
der Patente an diese Personen mehr Arbeit und Kosten verursache als bei
Kantonseinwohnern. Von den in diesem Entscheid entwickelten Grundsätzen
abzuweichen, besteht kein Anlass; sie stimmen auch mit der neuesten
Lehrmeinung überein (MARTI, Handels- und Gewerbefreiheit S. 248; SCHLUMPF,
Zum Doppelbesteuerungsrecht, 3. Aufl. S. 39).

    Dafür, dass der Verkaufswagenbetrieb der Beschwerdeführerin
einen grösseren Verwaltungsaufwand erfordert, als dies bei einem
gleichartigen innerkantonalen Unternehmen der Fall wäre, bestehen keine
Anhaltspunkte. Eine Differenzierung der Gebühren aus diesem Grunde liesse
sich daher nicht rechtfertigen. Soweit demnach mit dem Kantonsratsbeschluss
vom 21. November 1963 ermöglicht wird, die Umsatzgebühr für die
Verkaufswagen der Beschwerdeführerin höher anzusetzen (auf mehr als 2%
des Bruttoumsatzes), als dies für eine einheimische Firma gleicher Art
zulässig wäre, liegt demnach eine Verletzung der Rechtsgleichheit und
der Handels- und Gewerbefreiheit vor. In gleicher Weise und im nämlichen
Umfange ist auch der angefochtene Entscheid vom 3. Mai 1965, der sich
auf diesen Kantonsratsbeschluss stützt, verfassungswidrig und deshalb in
teilweiser Gutheissung der Beschwerde aufzuheben.