Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 I 290



91 I 290

45. Auszug aus dem Urteil vom 4. Juni 1965 i.S. X. gegen
Steuerrekurskommission des Kantons Graubünden. Regeste

    Wehrsteuer: Eine stille Reserve im Warenlager, die der Kaufmann schon
vor der massgebenden Berechnungsperiode gebildet hatte und in ihr im
bisherigen Umfange, entsprechend der Ergänzung des Lagers, beibehalten
hat, darf nicht als Gewinn dieser Periode angerechnet werden (Änderung
der Rechtsprechung).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Der Beschwerdeführer setzte seine Warenvorräte jeweils unter
dem wirklichen Werte - den Gestehungskosten oder dem Marktpreis
am Bilanztage - in die Bilanzen ein. Bei seiner Veranlagung zur
Wehrsteuer der 11. Periode wurde die stille Reserve im Warenlager,
die der Einkommenssteuer früher nicht unterworfen worden war, nur
noch insoweit als geschäftsmässig begründet anerkannt, als sie einen
Drittel der Gestehungskosten oder des Marktwertes nicht überstieg; der
Differenzbetrag wurde als Einkommen angerechnet, obwohl er schon vor der
massgebenden Berechnungsperiode in Reserve gestellt worden war. Gegen den
diese Anrechnung bestätigenden Entscheid der kantonalen Rekurskommission
richtet sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer setzt sein Warenlager in jedem Jahre
mindestens einmal um, wie auf Grund seiner Angaben über die erzielten
Umsätze, die Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Marktwert
der Vorräte angenommen werden muss. Daraus schliessen die kantonalen
Behörden und die eidgenössische Steuerverwaltung, die am Anfang eines
Geschäftsjahres vorhandene Reservestellung werde mit dem Verkauf der
Ware im gleichen Jahre realisiert, und es werde durch Unterbewertung
der während derselben Geschäftsperiode zur Ergänzung des Lagers
angeschafften oder hergestellten Waren eine neue Reserve gebildet,
welche den Gewinn dieser Periode schmälere und daher insoweit, als
sie nicht geschäftsmässig begründet sei, bei der Ermittlung des in der
entsprechenden Veranlagungsperiode steuerbaren Gewinns angerechnet werden
könne. Sie berufen sich auf Ausführungen in BGE 74 I 202 f. (Erw. 3 b),
welche ihnen in der Tat recht geben.

    Indessen kann an dieser Rechtsprechung nicht festgehalten werden,
weil sie den wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht gerecht wird. In
Wirklichkeit wurde die Reserve, welche die Steuerbehörden dem vom
Beschwerdeführer in der Berechnungsperiode 1959/60 erzielten Gewinn
zurechnen wollen, schon viele Jahre vorher geschaffen und seither stets
weitergeführt. Die Warenvorräte, auf denen sie seinerzeit gebildet worden
war, wurden jedes Jahr wieder ergänzt Dementsprechend wurde die Reserve
- wirtschaftlich betrachtet - immer wieder aus dem Vorjahr übernommen,
also nicht jedes Jahr neu geschaffen. Daraus ergibt sich, dass sie
den Gewinn der Berechnungsjahre 1959 und 1960 nicht schmälert. Da der
Beschwerdeführer sie in diesen Jahren auch nicht verbucht hat, kann sie
bei der Ermittlung des für die Wehrsteuer der 11. Periode massgebenden
Einkommens nicht angerechnet werden (vgl. KÄNZIG, Wehrsteuer, N. 82 und
84 zu Art. 22 WStB, und den in BGE 74 I 203 angeführten Entscheid der
Zürcher Oberrekurskommission betreffend das kantonale Steuergesetz).