Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 I 266



91 I 266

42. Urteil vom 15. September 1965 i.S. Plüss und Brunner gegen den Grossen
Rat des Kantons Aargau. Regeste

    Politisches Stimmrecht, Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichtes,
Gültigkeit eines Wahlzettels, Verweigerung des rechtlichen Gehörs,
Ausstand bei Erwahrungsbeschluss, Art. 85 lit a OG, Art. 4 BV.

    1.  Bei Stimmrechtsbeschwerden prüft das Bundesgericht die Auslegung
von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, die Auslegung anderer
kantonaler Vorschriften aber, sofern sie nicht das schon von Bundesrechts
wegen gewährleistete Stimmrecht nach Umfang und Inhalt betreffen, nur
unter dem beschränkten Gesichtswinkel von Art. 4 BV (Erw. 2).

    2.  Willkürlichkeit der Annahme, ein mit Klebspuren versehener
Wahlzettel sei bei der Auszählung nicht mit der für die Gültigkeit des
Zettels erforderlichen Kontrollmarke versehen gewesen? AufGrund von §
13 Abs. 1 des aargauischen Gesetzes über die Verhältniswahl des Grossen
Rates vom 10. Januar 1921 kann ohne Willkür angenommen werden, es sei
Sache des Wählers, dafür zu sorgen, dass sein Wahlzettel als gültig
gekennzeichnet sei. (Erw. 3).

    3.  Das vom Bundesrecht gewährleistete Stimmrecht gibt dem Bürger
einen Anspruch darauf, dass kein Wahlergebnis anerkannt wird, das den
freien Willen der Wählerschaft nicht zuverlässig und unverfälscht zum
Ausdruck bringt (Erw. 4).

    4.  Im Verfahren betreffend Erwahrung eines Wahlergebnisses ist der
sich unmittelbar aus Art. 4 BV ergebende Anspruch auf rechtliches Gehör
schon dann gewahrt, wenn die Argumente, die für oder gegen die Erwahrung
sprechen, als solche den entscheidenden Instanzen zur Kenntnis gebracht
werden (Erw. 6).

    5.  Behörden, die Rechtssätze aufstellen, binden damit auch sich selber
(Erw. 7).

Sachverhalt

    A.- Das aargauische Gesetz über die Verhältniswahl des Grossen Rates
vom 10. Januar 1921 (GRWG) sieht vor, dass die Wahlen in den Bezirken auf
Grund von Wahlvorschlägen durchgeführt werden. Einreichung, Bereinigung
und Numerierung der Wahlvorschläge regeln die §§ 2-10 GRWG. Das Bezirksamt
stellt jedem Wähler sämtliche Listen zur Benützung als Wahlzettel zu
(§ 11 Abs. 1 GRWG). Um eine mehrfache Stimmabgabe auszuschliessen, ist
jeder Wahlzettel mit einer Kontrollmarke zu versehen, die das Wahlbüro dem
Wähler unmittelbar vor der Stimmabgabe abgibt (§ 13 Abs. 1 GRWG). Bei der
Verteilung der Grossratsmandate unter die Parteien wird von der Zahl der
gültigen Wahlzettel ausgegangen, die für jede der amtlich veröffentlichten
Listen abgegeben worden sind (Parteistimmen). Jeder gültige Wahlzettel
wird als Parteistimme derjenigen Liste zugerechnet, deren Bezeichnung
oder Ordnungsnummer auf dem Wahlzettel gedruckt oder geschrieben ist. Auf
die gleiche Verteilungszahl kommt bei allen Listen je ein Vertreter (§
15 Ziff. 1 und § 16 GRWG). Um die Verteilungszahl zu ermitteln, wird die
Summe aller Parteistimmen durch die um eins vermehrte Zahl der in einem
Bezirk zu wählenden Mitglieder des Grossen Rates geteilt. Die nächsthöhere
ganze Zahl des so ermittelten Quotienten ist die Verteilungszahl. Jede
Liste erhält soviel Mal ein Mitglied des Grossen Rates zugeteilt, als die
Verteilungszahl in ihrer Stimmenzahl enthalten ist. Kommen dabei nicht so
viele Gewählte heraus, als zu wählen sind, so wird die Stimmenzahl jeder
Liste durch die um eins vermehrte Zahl der ihr schon zugewiesenen Mandate
geteilt. Der erste noch zu vergebende Sitz wird der Liste gegeben, die
dabei den grössten Quotienten aufweist. Dieses Verfahren wird wiederholt,
bis alle Mandate vergeben sind (§ 17 Abs. 1-4 GRWG). Eine Partei, die
bei der ersten Verteilung die Verteilungszahl nicht erreicht, fällt für
das weitere Zuteilungsverfahren ausser Betracht (§ 17 Abs. 5 GRWG).

    B.- Am 14. März 1965 fanden im Kanton Aargau die Erneuerungswahlen
für den Grossen Rat statt. Bei der Auszählung der Ergebnisse wurden im
Bezirk Brugg vom Wahlbüro folgende Parteistimmenzahlen ermittelt:

    Liste 1, Sozialdemokraten     2264

    Liste 2, Freisinnige  1308

    Liste 3, Konservativ-Christlichsoziale        521

    Liste 4, Evangelische Volkspartei     163

    Liste 5, Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei   1480

    Liste 6, Freie Stimmberechtigte       426

    Liste 7, Landesring der Unabhängigen  412

    Summe der gültigen Parteistimmen      6574

    Verteilungszahl bei 15 Mandaten: 411

    Bei der Verteilung der Mandate erhielten die Sozialdemokraten
nach dem vorhin beschriebenen Verfahren fünf Mandate, während dem
Landesring ein Mandat zufiel. Die Wahlerergebnisse des Bezirkes Brugg
und der übrigen Bezirke wurden gemeinsam in einer Beilage zum Amtsblatt
veröffentlicht. Gegen die veröffentlichten Ergebnisse wurde im Bezirk Brugg
keine Einsprache erhoben; dagegen erhob die konservativ-christlichsoziale
Partei des Bezirkes Aarau Einsprache gegen das dortige Resultat, mit dem
Erfolg, dass diese Partei auf Kosten der Sozialdemokraten einen Sitz mehr
zugeteilt erhielt.

    Im Anschluss an diese Berichtigung ordnete der Regierungsrat des
Kantons Aargau in fünf Bezirken, die knappe Wahlergebnisse aufwiesen,
eine Nachzählung der Wahlzettel an. Dabei ergaben sich für den Bezirk
Brugg folgende Differenzen gegenüber den publizierten Parteistimmenzahlen:

    Sozialdemokraten      - 1

    Freisinnige   -

    Konservativ-Christlichsoziale - 2

    Evangelische Volkspartei      + 2

    Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei    + 1

    Freie Stimmberechtigte        + 4

    Landesring der Unabhängigen   - 2

    Die Parteistimmenzahl des Landesrings der Unabhängigen sank somit von
412 auf 410. Der Landesring blieb damit unter der Verteilungszahl 411 und
verlor das Mandat, das vorher seinem Vertreter Ernst Döbeli zugeteilt
worden war. Das Mandat ging an die Sozialdemokraten, weil sie bei der
Zuteilung dieses zweiten Restmandates den höchsten Quotienten erreichten;
die Wahl fiel auf Heinrich Kurth.

    Von den beiden Listen des Landesrings, die bei der Kontrolle als
ungültig ausgeschieden wurden, war die eine in Brugg und die andere in
Windisch eingelegt worden. Der Grund der Ungültigkeit war bei beiden
Zetteln derselbe: Sie trugen keine Kontrollmarke. Der in Windisch
eingelegte Zettel wies auch keine Klebspuren auf, wohl aber der Zettel
Nr. 33 von Brugg. Das Bezirksamt Brugg unterbreitete ihn daher dem
wissenschaftlichen Dienst der Stadtpolizei Zürich, um abzuklären,
ob auf der Rückseite des Zettels eine Kontrollmarke aufgeklebt gewesen
sei. Nach der Antwort des genannten Institutes erlaubt das Spurenmaterial
keine eindeutige Beurteilung der gestellten Frage. Die Klebspuren können
von einer aufgeklebten Kontrollmarke herrühren, aber auch einfach ein
Abklatsch der übernässten Marke eines anderen Zettels sein. Der Experte
hält für den Fall, dass in der Markenabrechnung eine Marke fehlen sollte,
die Version, dass eine dem Zettel aufgeklebte Marke abgefallen sei,
für die wahrscheinlichere.

    Der Grosse Rat des Kantons Aargau erwahrte in seiner konstituierenden
Sitzung vom 27. April 1965 das abgeänderte Wahlresultat auf Antrag seiner
Wahlprüfungskommission.

    C.- Den Erwahrungsbeschluss des Grossen Rates fechten Hans Plüss und
Eugen Brunner mit staatsrechtlicher Beschwerde an. Sie beantragen:

    "1.  Die vom Grossen Rate des Kantons Aargau am 27. April 1965
vorgenommene Validierung des Herrn Heinrich Kurth, Brugg, als Mitglied
des Grossen Rates sei zu kassieren und der Grosse Rat des Kantons Aargau
einzuladen, Herrn Ernst Döbeli, Brugg, als gewählt zu erklären.

    2.  Eventuell: Die am 14. März 1965 erfolgte Wahl von 15 Mitgliedern
des Aarg. Grossen Rates, vom Grossen Rate am 27. April 1965 berichtigt
und validiert, sei zu kassieren und es sei der Grosse Rat des Kt. Aargau
einzuladen, Neuwahlen im Bezirk Brugg anzuordnen."

    Auf die Begründung der Beschwerde wird, soweit erforderlich, in den
Erwägungen hingewiesen.

    D.- Der Regierungsrat des Kantons Aargau beantragt im Namen des
Grossen Rates Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach § 13 Abs. 1 GRWG ist der Wahlzettel, den der Wähler in
die Urne legt, "mit einer vom Wahlbüro zu beziehenden Kontrollmarke zu
versehen". Wahlzettel ohne Kontrollmarke sind gemäss § 7 Ziff. 6 der
Vollziehungsverordnung vom 14. März 1921 zum Grossratswahlgesetz (GRWV)
ungültig. Alle Instanzen, die sich mit der umstrittenen Wahl befasst haben,
sind davon ausgegangen, das Grossratswahlgesetz werde durch § 7 Ziff. 6
GRWV sinngemäss und in zulässiger Weise ergänzt. Die Beschwerdeführer
behaupten nicht, § 13 Abs. 1 GRWG enthalte nur eine Ordnungsvorschrift
oder verletze eine Verfassungsnorm; sie sind lediglich der Meinung,
der Grosse Rat habe zu Unrecht angenommen, dass der einzig umstrittene
Wahlzettel Nr. 33 von Brugg mit keiner Kontrollmarke versehen gewesen sei.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführer berufen sich zunächst auf Art. 85
lit. a OG. Darnach beurteilt das Bundesgericht Beschwerden über "die
politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen
und Abstimmungen auf Grund sämtlicher einschlägiger Bestimmungen des
kantonalen Verfassungsrechts und des Bundesrechtes". Die Wahlen in den
Grossen Rat des Kantons Aargau sind Wahlen im Sinne dieser Vorschrift. Die
Beschwerdeführer sind in ihrer Eigenschaft als Stimmberechtigte zur
Beschwerde legitimiert (BGE 76 I 51; KIRCHHOFER, Die Legitimation zur
staatsrechtlichen Beschwerde, in ZSR 55 S. 149).

    Bei Beschwerden dieser Art prüft das Bundesgericht die Auslegung von
Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, die Auslegung anderer
kantonaler Vorschriften aber, sofern sie nicht das schon von Bundesrechts
wegen gewährleistete Stimmrecht nach Umfang und Inhalt betreffen, nur
unter dem beschränkten Gesichtswinkel des Art. 4 BV (BGE 89 I 85/86,
83 I 176 mit Verweisungen). Im vorliegenden Falle liegt nicht das
Stimmrecht der Beschwerdeführer im Streit, sondern die Anwendung einer
Verfahrensvorschrift, denn die Bestimmung, dass der Wahlzettel mit einer
Kontrollmarke zu versehen sei, betrifft ausschliesslich das Verfahren,
das der Berechtigte bei der Ausübung seines Wahlrechtes zu beobachten
hat. Ausserdem handelt es sich um eine Frage, die ausschliesslich vom
kantonalen Recht beherrscht wird (Urteil vom 6. Oktober 1934 i.S. Solliard
und Dubuis, Erw. 9). Die Beschwerde nach Art. 85 lit. a OG fällt daher
mit derjenigen wegen Verletzung von Art. 4 BV zusammen.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 28 Abs. 5 KV entscheidet im Kanton Aargau der Grosse Rat
selbst über die Gültigkeit der Wahl seiner Mitglieder. Das entspricht der
Regelung in den übrigen Kantonen und bei den Nationalratswahlen. Dabei
ist es wohl unvermeidlich, dass bei umstrittenen Wahlen, wo - wie hier
- eine Änderung der Fraktionsstärken in Frage steht, auch Erwägungen
politischer Opportunität angestellt werden. Der Berichterstatter der
Wahlaktenprüfungskommission hat denn auch im Grossen Rat besonders
darauf hingewiesen, dass der Entscheid umso schwerer zu fällen sei, als
"auch emotionelle Momente hineinspielen". Er wies auch darauf hin, dass
die Kommission ihren Entscheid nur mit einer Mehrheit von einer Stimme,
bei zwei Enthaltungen, gefällt habe; offen und unbefangen legte er die
für und gegen diesen Entscheid sprechenden Gründe dar.

    a) Einigkeit besteht darüber, dass der Wahlzettel Nr.  33/Brugg keine
Kontrollmarke trägt, aber Klebspuren aufweist; streitig ist dagegen,
ob dieser Wahlzettel zur Zeit der Stimmabgabe mit einer Kontrollmarke
versehen gewesen sei. Sicher ist, dass sich weder das eine noch das andere
beweisen lässt. Die Wahlaktenprüfungskommission und der Grosse Rat hatten
Indizien zu würdigen, sodass das Bundesgericht nur zu prüfen hat, ob das
Ergebnis dieser Würdigung willkürlich, mit vernünftigen Gründen überhaupt
nicht vertretbar sei. Das lässt sich nicht sagen.

    Die bei den Grossratswahlen vom 14. März 1965 benützten Kontrollmarken
messen 3,2 x 2,3 cm. Die mit der Lupe erkennbare kleinste Distanz der
Klebspur vom Rande des Wahlzettels Nr. 33 beträgt 0,2 cm, die grösste 0,8
cm. Wie sich aus dem Expertenbericht ergibt, ist zwischen diesen Spuren
und dem Rande des Zettels nichts weiter feststellbar. Die Marke hätte
daher blatteinwärts placiert gewesen sein müssen. Hier ist das Papier - von
blossem Auge und auch mit der Lupe kaum sichtbar - schwach aufgerauht. Die
aufgerauhte Zone ist laut Gutachten "5 Zähne hoch und ca. 7 mm breit". Da
fünf Zähne der halben Schmalseite der verwendeten Kontrollmarken und damit
höchstens 1,2 cm entsprechen, umfasst die mit diesen Massen gebildete
Fläche höchstens 0,84 cm2, während die ganze Marke eine Fläche von 7,36
cm2 aufweist. Die allenfalls zum Zettel 33 gehörende Kontrollmarke wäre
also nur auf rund einem Neuntel der gummierten Fläche benetzt und zudem,
wie ein Vergleich mit dem vom Experten angeschnittenen Kontrollzettel
Nr. 4 sofort zeigt, nicht normal befeuchtet gewesen. Es kann daher keine
Rede davon sein, dass auf dem Wahlzettel Nr. 33 eine Kontrollmarke "mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" aufgeklebt war. Die gegenteilige
Annahme hat viel für sich und ist auf jeden Fall nicht willkürlich.

    Daran vermag die angeblich vom Stadtammann von Brugg abgegebene
Erklärung, seiner Überzeugung nach sei eine Marke aufgeklebt gewesen,
nichts zu ändern. Ein Versehen war auch bei einem seriös arbeitenden
Wahlbüro nicht ausgeschlossen. Auch die Tatsache, dass in der
Markenabrechnung von Brugg eine Marke fehlte, lässt keineswegs mit
Sicherheit darauf schliessen, dass die fehlende Kontrollmarke bei der
Auszählung auf dem Zettel Nr. 33 vorhanden war und nachträglich abgefallen
ist. Dies umso weniger, als das Stimmaterial nach der Auszählung in
einem versiegelten, erst bei der Nachkontrolle wieder geöffneten Umschlag
aufbewahrt worden ist. Unter diesen Umständen kommt auch der Zeit, die
zwischen der ersten Auszählung und der späteren Kontrolle verstrichen ist,
keine Bedeutung zu.

    b) § 13 Abs. 1 GRWG sagt nicht, wer die Kontrollmarke auf den
Wahlzettel zu kleben hat. Ob das in der Praxis ein Mitglied des
Wahlbüros tut oder der Stimmberechtigte selbst, kann dahingestellt
bleiben. Jedenfalls behält der Wähler seinen Zettel nach dem Aufkleben
der Marke noch in der Hand, sodass sich die Annahme des Regierungsrates,
es sei Sache des Wählers, sich vor dem Einwerfen des Wahlzettels in die
Urne zu vergewissern und dafür zu sorgen, dass die Marke richtig hafte,
nicht als willkürlich bezeichnen lässt. Trifft das zu, so ist es Aufgabe
des Wählers, dafür besorgt zu sein, dass sein Wahlzettel als gültig
gekennzeichnet ist. Unterlässt er es, so nimmt er die Ungültigkeit seines
Zettels mindestens in Kauf. An der Rechtslage würde sich daher sogar dann
nichts ändern, wenn angenommen würde, dem Zettel Nr. 33 sei ursprünglich
eine Kontrollmarke leicht angeklebt gewesen. Auf jeden Fall hielte auch
dieser Befund dem Vorwurf der Willkür stand.

Erwägung 4

    4.- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes gibt das vom
Bundesrecht gewährleistete Stimmrecht dem Bürger einen Anspruch
darauf, dass kein Wahlergebnis anerkannt wird, das den freien Willen
der Wählerschaft nicht zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt
(BGE 89 I 443, 75 I 245 mit Verweisungen). Die Beschwerdeführer erklären,
der angefochtene Grossratsbeschluss beeinträchtige diesen Anspruch in
hohem Masse. Dieser Einwand wäre indessen nur begründet, wenn der Zettel
Nr. 33 gültig wäre oder wenn bei der Ermittlung des freien Willens der
Wählerschaft nicht nur auf die gültigen Stimmen, sondern auf die Zahl
aller Urnengänger abgestellt werden müsste.

    Dass es nicht willkürlich war, den Zettel Nr. 33 als ungültig zu
behandeln, ist bereits dargetan worden. Dass es bei der Ermittlung des
freien Willens der Wählerschaft auf die Zahl aller Urnengänger, auch
der ungültig stimmenden, ankomme, behaupten die Beschwerdeführer mit
Recht selber nicht. Nach § 17 Abs. 1 GRWG ist bei der Ermittlung des
Wahlresultates von der "Gesamtzahl der gültigen Stimmen" auszugehen. In
Beachtung dieser Verfahrensvorschrift geht aber die Liste des Landesrings
im Bezirk Brugg bei den Wahlen vom 14. März 1965 leer aus, wenn die durch
die Nachkontrolle am ursprünglich ermittelten Abstimmungsresultat bewirkten
Änderungen in Betracht gezogen werden. Die ursprünglich festgestellte
Summe der Parteistimmen erhöht sich dann um (+ 7 - 5 =) 2 auf 6576,
die Verteilungszahl auf 412 (6576: 16 = 411, nächsthöhere ganze Zahl
412). Die Liste des Landesrings bleibt damit nicht nur um eine, sondern
um zwei Stimmen unter der Verteilungszahl.

    Die angefochtene Mandatsverteilung ist daher das gesetzmässig
und zuverlässig ermittelte Resultat der freien und unverfälschten
Willensäusserung jener Wähler, die im Bezirk Brugg gültig gestimmt haben.

Erwägung 5

    5.- Auch die weiteren Einwände der Beschwerdeführer zur Sache vermögen
am bisherigen Ergebnis nichts zu ändern.

    a) Der Bericht des wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich
lag zusammen mit allen anderen Wahlakten zur Einsicht der Ratsmitglieder
auf. Die Wahlaktenprüfungskommission nahm den Expertenbericht zur Kenntnis,
und ihr Präsident gab in seinem Referat vor dem Grossen Rat das Ergebnis
der Expertise und alles bekannt, was für die eine und für die andere
Annahme sprach. Ein Sprecher der Landesring-Fraktion las dem Rat vor
der Abstimmung den Abschnitt, in welchem das Ergebnis der Untersuchung
zusammengefasst ist, im Wortlaut vor und machte auch alles geltend, was
zur Begründung seines Standpunktes vorgebracht werden konnte. Der Grosse
Rat war unter diesen Umständen über den Sachverhalt und das Ergebnis
der durchgeführten Untersuchung hinlänglich orientiert; die gegenteilige
Behauptung der Beschwerdeführer ist nicht begründet.

    b) Der Sachverständige des wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei
Zürich hat erklärt, wenn unter allen Wahlzetteln nur der Zettel Nr. 33
Klebspuren enthielte, so wäre das Vorhandensein eines Abklatsches auf einem
Zettel ohne Kontrollmarke "ein höchst unwahrscheinliches Ereignis". Das
hätte vielleicht Anlass geben können, auf allen Wahlzetteln nach Klebspuren
zu suchen. Die Beschwerdeführer rügen, dass nur die ungültig erklärten
Zettel auf Klebspuren abgesucht worden seien. Allein auch durch die
Ausdehnung der Suche auf alle gültigen Zettel hätte der Zettel Nr. 33
nicht mit einer Kontrollmarke versehen werden können. Der Verzicht auf ein
ohnehin unbehelfliches Beweismittel verstösst aber nicht gegen Art. 4 BV
(BGE 73 I 199).

    c) Unter Hinweis auf PICENONI (Die Kassation von Volkswahlen und
Volksabstimmungen in Bund, Kantonen und Gemeinden, S. 115 ff., namentlich
S. 121) vertreten die Beschwerdeführer die Meinung, der Grund dafür,
dass die Gültigkeit des Wahlzettels Nr. 33 umstritten sei, liege bei
irgend einem Organ der Wahlbehörden. Die Unklarheit, welche sich im
Zusammenhang mit dem Wahlzettel Nr. 33 ergeben habe, lasse sich nicht
beheben und müsse deshalb, wenn nicht zur Aufhebung der Wahl des Heinrich
Kurth, dann zur Kassation der gesamten Grossratswahlen im Bezirk Brugg
führen. Auch dieser Einwand ist unbegründet.

    Dass der Zettel Nr. 33 keine Kontrollmarke trägt, fällt, wie ohne
Willkür angenommen werden darf (vgl. Erw. 3 b), dem Wähler zur Last, der
diesen Wahlzettel eingelegt hat. Die Folge davon ist die Ungültigkeit
des Zettels. Dass er zuerst als gültig ausgezählt worden ist, war ein
Fehler des Wahlbüros in Brugg. Durch die Nachkontrolle wurde dieser Fehler
berichtigt. Damit ist aber alles geschehen, was möglich und erforderlich
war, um das Wahlergebnis gesetzmässig zu ermitteln.

Erwägung 6

    6.- Die Beschwerdeführer beklagen sich schliesslich auch über
eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs "gegenüber den beteiligten
Brugger Stimmbürgern und insbesondere gegenüber dem Wahlmännerkollegium
des Landesrings". Sie behaupten indessen nicht, selber zu diesem
Wahlmännerkollegium zu gehören, sodass sie nicht legitimiert sind, dessen
Interessen wahrzunehmen (Art. 88 OG). Dass sie zu den "beteiligten"
Brugger Stimmbürgern gehören, wird in der Beschwerde gleichfalls nicht
ausdrücklich behauptet, erscheint aber als glaubhaft und wahrscheinlich.

    Die Gehörsverweigerung besteht nach Auffassung der Beschwerdeführer
darin, dass die Änderung des vom Wahlbüro Brugg gemeldeten, vom Bezirksamt
Brugg verarbeiteten und von der Staatskanzlei zusammengestellten
und veröffentlichten Wahlergebnisses vor dem Erwahrungsbeschluss des
Grossen Rates nicht publiziert wurde, womit jegliche "Stellungnahme der
interessierten Brugger Stimmbürger verunmöglicht" worden sei.

    Wie das Bundesgericht schon wiederholt ausgeführt hat, wird
der Anspruch auf rechtliches Gehör seinem Umfange nach durch die
kantonalen Rechtsätze über das Verfahren und die Zuständigkeit der
Behörden umschrieben. Nur dort, wo sich der kantonale Rechtsschutz als
ungenügend erweist, greifen subsidiär die unmittelbar aus Art. 4 BV
herzuleitenden bundesrechtlichen Verfahrensregeln zur Sicherung des
rechtlichen Gehörs Platz (BGE 85 I 207 mit Verweisungen). § 15 GRWV
sieht lediglich die Veröffentlichung der Wahlprotokolle der Bezirksämter
vor. Die Beschwerdeführer behaupten nicht, dass eine Norm des kantonalen
Rechtes für den Fall, dass die spätere Kontrolle der Wahlakten zu einer
Änderung des ursprünglich ermittelten Wahlergebnisses Anlass gibt, eine
zweite Veröffentlichung unter Ansetzung einer neuen Einsprachefrist
vorschreibe. Es fragt sich jedoch, ob das kantonale Recht, das keine
zweite Einsprachemöglichkeit vorsieht, dem Bürger jenes Mindestmass an
Rechtsschutz gewähre, auf das er schon unmittelbar auf Grund des Art. 4
BV Anspruch hat (vgl. BGE 85 I 207 Erw. 1; 87 I 106 Erw. 4, 339 a).

    Bei der Prüfung dieser Frage sind gewisse Unterschiede im
Rechtsschutzbedürfnis zu beachten. Gegenüber Verfügungen, die jeden
Einzelnen in besonderer Weise treffen, wie das namentlich bei Eingriffen
in die verfassungsmässig gewährleisteten Freiheiten des Individuums vom
Staate der Fall ist, hat jeder Betroffene eigene, auf seine besondere
Lage bezogene Argumente vorzubringen. Die Erwahrung eines Wahlergebnisses
trifft demgegenüber alle Bürger, die ihre Stimme dem selben Kandidaten
gegeben haben, in gleicher Weise; sie haben die selben Interessen zu
wahren und die nämlichen Gründe dafür anzuführen. Es kommt deshalb in
diesem Falle nicht so sehr darauf an, dass jeder Einzelne aus dem Kreise
derer, die für einen bestimmten Kandidaten gestimmt haben, zum Worte komme,
sondern dass ihre Argumente als solche den entscheidenden Instanzen zur
Kenntnis gebracht werden. Das traf unter den obwaltenden Umständen zu. Der
Wahlaktenprüfungskommission des Grossen Rates gehörte Karl Baur (Aarau) an,
der Mitglied der Fraktion des Landesringes ist. Dass die Gründe, die für
die Gültigkeit des umstrittenen Wahlzettels sprechen, in der Kommission
wirksam vertreten wurden, zeigt die knappe Mehrheit, mit der diese dem
Grossen Rat die Erwahrung des abgeänderten Wahlergebnisses empfahl. Im
Grossen Rat selber setzten sich Ernst Gujer (Baden) und Rudolf Rey (Aarau)
für die Erwahrung der Wahl des Ernst Döbeli ein. Sie verwendeten dabei die
selben Argumente, welche in der staatsrechtlichen Beschwerde vorgebracht
werden. Die Beschwerdeführer behaupten denn auch mit Fug nicht, dass
einzelne Gründe, die zugunsten des ursprünglich ermittelten Wahlergebnisses
von Brugg sprechen, in der Wahlaktenprüfungskommission oder im Grossen
Rat, die von Amtes wegen die Rechtmässigkeit des Wahlergebnisses zu prüfen
haben, unerörtert geblieben seien. Angesichts dessen wurde den Wählern,
welche das ursprünglich ermittelte Wahlergebnis als gültig erachteten,
der Rechtsschutz, auf den sie schon unmittelbar auf Grund des Art. 4 BV
Anspruch haben, nicht versagt.

Erwägung 7

    7.- Nach § 1 Abs. 5 des Grossratsreglementes vom 20. Februar 1941
(GRR) nehmen Ratsmitglieder, deren Wahl beanstandet ist, zunächst
an den Ratsverhandlungen teil; sie haben sich aber in den Ausstand zu
begeben, wenn ihre eigene Wahl zur Behandlung kommt. Die Beschwerdeführer
rügen, dass nicht die ganze Rats-Deputation aus dem Bezirk Brugg beim
Erwahrungsbeschluss in den Ausstand getreten ist.

    In der dem Erwahrungsbeschluss des Grossen Rates vorangegangenen
Debatte beantragte Grossrat Ernst Gujer, Baden, unterstützt von
Grossrat Rudolf Rey, Aarau, es sei die Validierung der im Bezirk
Brugg durchgeführten Wahlen aufzuschieben. Dieser Antrag wurde
dem Antrag der Wahlaktenprüfungskommission auf Validierung der 196
"unbestrittenen" Mandate, unter denen sich auch 14 der 15 Mandate des
Bezirkes Brugg befanden, gegenübergestellt. Die Frage des Landammanns,
ob die Brugger Deputation mitstimmen dürfe, wurde vom Präsidenten der
Wahlaktenprüfungskommission bejaht. Die hierauf folgende Abstimmung
ergab 166 Stimmen für den Antrag der Wahlaktenprüfungskommission und 6
Stimmen für den Antrag Gujer. Das umstrittene Mandat des Heinrich Kurth
wurde alsdann in einer weiteren Abstimmung mit 124 zu 26 Stimmen erwahrt.
Dass die Grossräte aus dem Bezirk Brugg, ausgenommen Heinrich Kurt, an
dieser Abstimmung teilnehmen konnten, liegt auf der Hand. Dagegen war ihr
Mitwirken bei der ersten Abstimmung, welche die Validierung ihrer eigenen,
umstrittenen Mandate zum Gegenstand hatte, nicht richtig. Sie hätten bei
dieser Abstimmung auch nicht anwesend sein dürfen. Der Regierungsrat
versucht seine gegenteilige Auffassung mit dem Hinweis zu begründen,
der Grosse Rat dürfe das von ihm selber erlassene Reglement über die
Geschäftsführung jederzeit ändern. Dieser Überlegung kann nicht gefolgt
werden. Mit dem umstrittenen Beschluss hat der Grosse Rat sein Reglement
nicht geändert, sondern verletzt. Das aber ist in einem Rechtsstaat nicht
zulässig, da hier Behörden, die Rechtssätze aufstellen, damit auch sich
selber binden (BGE 74 I 17/18, 76 IV 52).

    Fraglich erscheint, ob § 1 Abs. 5 GRR Dritten in der Weise ein
subjektives öffentliches Recht verleihe, dass seine Missachtung von
jedermann wegen Verletzung klaren Rechts gerügt werden könnte (Art. 88
OG). Diese Frage kann indessen offen bleiben. Die Mehrheit, mit der die
Mandate aus dem Bezirk Brugg validiert worden sind, ist so gross, dass
der Kausalzusammenhang zwischen der Anwesenheit der Brugger Deputation
bei der Abstimmung und dem Abstimmungsergebnis ohne Willkür verneint
werden darf. Die Beschwerdeführer haben nichts vorgebracht, was für die
Annahme sprechen könnte, die blosse Anwesenheit der Grossräte aus dem
Bezirk Brugg bei der fraglichen Abstimmung habe die Freiheit der anderen
Grossräte beeinträchtigt. Erst recht liegt nichts vor, was die gegenteilige
Annahme als willkürlich erscheinen liesse.

Erwägung 8

    8.- Auf Grund dieser Erwägungen besteht kein Anlass, den angefochtenen
Erwahrungsbeschluss des Grossen Rates bezüglich des umstrittenen
Mandates des Heinrich Kurth und dessen Wahl oder bezüglich aller
Ratsmitglieder aus dem Bezirk Brugg aufzuheben. Die Frage, ob auf die
mit der staatsrechtlichen Beschwerde gestellten weiteren Anträge nicht
kassatorischer Natur eingetreten werden könnte, wird somit gegenstandslos.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.