Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 I 219



91 I 219

37. Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Juni 1965 i.S. Dr. A. Wander
AG gegen Eidg. Amt für geistiges Eigentum. Regeste

    Art. 2 Ziff. 2 PatG. Zweck der Vorschrift. Begriff der Herstellung
von Arzneimitteln. Herstellung auf anderm als chemischem Wege. Fall der
Hitzesterilisation.

    Art. 59 Abs. 1 PatG. Das Amt ist nicht gehalten, dem Patentbewerber
die Gründe, aus denen es die Erfindung als von der Patentierung
ausgeschlossen betrachtet, vor Erlass der Zurückweisungsverfügung in Form
von Beanstandungen des Patentgesuchs mitzuteilen.

Sachverhalt

    Die Dr. A. Wander AG stellte am 2. Februar 1959 beim Eidgenössischen
Amt für geistiges Eigentum das Gesuch um Erteilung eines Patentes für ein
"Verfahren zur Herstellung von sterilen, unbegrenzt haltbaren, Calciumsalze
enthaltenden, intravenös und intramuskulär injizierbaren, wässrigen Vitamin
D-Lösungen, welche aus toxikologisch bedingten Gründen nur sehr geringe
Mengen von Lösungsvermittlern enthalten dürfen, durch Hitzesterilisation
entsprechender wässriger Lösungen, dadurch gekennzeichnet, dass man als
Vitamin D-Verbindung einen Vitamin D-Ester einer niedrigen Fettsäure
verwendet."

    Das Amt vertrat in drei Beanstandungen die Auffassung, die Erfindung
betreffe ein Verfahren zur Herstellung von Arzneimitteln auf anderm
als chemischen Wege und sei daher gemäss Art. 2 Ziff. 2 PatG von der
Patentierung ausgeschlossen. Da die Patentbewerberin an ihrem Gesuch
festhielt, wies das Amt dieses mit Verfügung vom 9. Februar 1965 in
Anwendung der eben genannten Bestimmung sowie von Art. 59 Abs. 1 PatG
und Art. 13 Abs. 1 PatV I zurück.

    Gegen diese Verfügung führt die Patentbewerberin beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, das Amt anzuweisen, ihr
das nachgesuchte Patent zu erteilen. Das Amt beantragt die Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Neben den Erfindungen von Arzneimitteln sind nach Art. 2 Ziff. 2
PatG von der Patentierung ausgeschlossen "Erfindungen von Verfahren zur
Herstellung von Arzneimitteln auf anderem als chemischem Wege". Eine solche
Erfindung liegt vor, wenn das Enderzeugnis des Verfahrens ein Arzneimittel
ist, das Verfahren die Herstellung eines solchen zum Gegenstand hat und die
Herstellung auf nicht chemischem Wege erfolgt. Diese drei Voraussetzungen
müssen zugleich erfüllt sein. Wenn eine davon fehlt, steht Art. 2 Ziff. 2
PatG der Patentierung des Verfahrens nicht im Wege.

    Im vorliegenden Falle ist unbestritten und steht ausser Zweifel,
dass das Erzeugnis des als Erfindung beanspruchten Verfahrens ein
Arzneimittel ist. Streitig und zu prüfen ist nur, ob auch die beiden
andern Voraussetzungen für den Ausschluss von der Patentierung gegeben
seien.

Erwägung 2

    2.- Aus der Entstehungsgeschichte von Art. 2 Ziff. 2 PatG geht hervor,
dass diese Bestimmung die Wahrung der Interessen der Allgemeinheit,
insbesondere die Förderung der Gesundheitspflege bezweckt. Man befürchtete,
die Gewährung des Patentschutzes für Erfindungen von Arzneimitteln und von
Verfahren zur Herstellung solcher auf anderm als chemischem Wege würde
zu einer Verteuerung der Arzneimittel führen. Der Ausschluss dieser
Erfindungen von der Patentierung soll verhüten, dass unentbehrliche
Heilmittel einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung nicht oder nur zu
untragbaren Bedingungen zur Verfügung stehen (vgl. namentlich die Botschaft
des Bundesrates vom 25. April 1950 über die Revision des Bundesgesetzes
betr. die Erfindungspatente, S. 28 f. = BBl 1950 I 1004 f.; Sten.Bull. NR
1952 S. 326 f., StR 1953 S. 357).

    Dieser klar ersichtlichen Zielsetzung des Gesetzes ist bei der
Auslegung Rechnung zu tragen, ohne dass zu prüfen wäre, ob die im
Schrifttum vielfach kritisierten Überlegungen, die zum Erlass der
fraglichen Bestimmung führten, stichhaltig seien oder nicht (vgl. hiezu
BLUM/PEDRAZZINI I S. 206 f. Anm. 8 mit Hinweisen). Die in Art. 2 Ziff. 2
PatG umschriebenen Voraussetzungen für den Ausschluss pharmazeutischer
Erfindungen von der Patentierung dürfen demgemäss nicht einschränkend
ausgelegt werden.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, eine "Herstellung"
von Arzneimitteln liege nur vor, wenn als Arzneimittel nicht geeignete
Stoffe oder Stoffgemische in ein als Arzneimittel verwendbares Erzeugnis
übergeführt werden. Das Amt für geistiges Eigentum hat diese Auffassung
mit Recht abgelehnt. Im Hinblick auf den in Erwägung 2 hievor dargelegten
Zweckgedanken von Art. 2 Ziff. 2 PatG ist unter einem Verfahren zur
"Herstellung" von Arzneimitteln jedes Verfahren zu verstehen, das zu einer
für die Heilwirkung oder Heilanwendung oder sonstwie wesentlichen Änderung
des Ausgangsstoffes führt (Urteil vom 6. April 1965 i.S. Kern). Als
Herstellungsverfahren hat also insbesondere auch ein Verfahren zu
gelten, durch das ein Arzneistoff so bearbeitet wird, dass ein für die
Heilanwendung besser geeignetes oder angenehmeres Erzeugnis entsteht.

    Das Verfahren, das Gegenstand der von der Beschwerdeführerin
zur Patentierung angemeldeten Erfindung ist, verfolgt den Zweck, für
Einspritzungen bestimmte Vitamin-Lösungen durch Erhitzen zu sterilisieren,
damit sie ohne schädliche Nebenwirkungen (Infektionen, Fieber) verwendet
werden können. Es ist klar, dass es sich dabei um eine für die Heilwirkung
und -anwendung wesentliche Veränderung des Ausgangsstoffes handelt. Durch
die mit dem Erhitzen erreichte Abtötung der patho- und pyrogenen Keime
entsteht aus einem als Arzneimittel nicht oder kaum verwendbaren Stoffe
ein als solches Mittel geeignetes Erzeugnis. Hierin liegt ohne Zweifel
die Herstellung eines Arzneimittels im Sinne von Art. 2 Ziff. 2 PatG.

Erwägung 4

    4.- Über die Frage, welche Merkmale den chemischen Vorgang vom
nichtchemischen unterscheiden, hat das Bundesgericht in BGE 82 I 208
Erw. 4 ausgeführt, sie beurteile sich "nicht nach den Ergebnissen der
neuesten wissenschaftlichen Forschung, die Zweifel an der Berechtigung
der Unterscheidung zwischen Physik und Chemie wecken mag, sondern
nach dem herkömmlichen Begriff des chemischen Vorganges, wie er den
gesetzgebenden Behörden sowohl beim Erlass des alten als auch des geltenden
Patentgesetzes vorgeschwebt hat"; dieses letztere gehe in Übereinstimmung
mit der unter dem frühern Gesetze herrschenden Lehrmeinung davon aus,
"dass physikalischanalytische Verfahren an sich nicht chemischer Natur
sind, ein chemischer Vorgang vielmehr nur vorliegt, wenn die stoffliche
Zusammensetzung von Molekülen verändert wird."

    Es besteht kein Grund, von dieser - in der Beschwerdeschrift nicht
beanstandeten - Rechtsauffassung abzuweichen und durch eine weitere
Umschreibung des Begriffs des chemischen Vorganges den Anwendungsbereich
des Patentschutzes für Arzneimittel im Widerspruch zum Grundgedanken des
Art. 2 Ziff. 2 PatG auszudehnen.

    Das Abtöten der schädlichen Keime, das im vorliegenden Falle
entscheidend ist, beruht, wie das Amt und die Beschwerdeführerin
übereinstimmend annehmen, auf der Koagulation (Ausflockung) und/oder
Denaturierung von Proteinen. Dabei handelt es sich nach der Auffassung
der Beschwerdeführerin um chemische Vorgänge im Sinne des Patentgesetzes,
nach der Ansicht des Amtes dagegen um rein kolloid-chemische Vorgänge.

    In den Veröffentlichungen, auf welche die Beschwerdeführerin
sich beruft, wird nur mittelbar und keineswegs zwingend auf das
Stattfinden chemischer Vorgänge im hergebrachten Sinne geschlossen. Diese
Veröffentlichungen sind daher nicht beweiskräftig. Andere Beweise bietet
die Beschwerdeführerin nicht an. Insbesondere beantragt sie nicht, ein
Gutachten einzuholen. Ihre Vorbringen sind daher nicht geeignet, die von
ihr angegriffene These des Amtes zu erschüttern, dass die massgebenden
Vorgänge lediglich kolloid-chemischer Natur sind. Es besteht auch kein
Anlass, den Sachverhalt von Amtes wegen zu überprüfen (Art. 105 OG).

    Gegen die Auffassung des Amtes, dass kolloid-chemische Vorgänge nicht
als chemische Vorgänge im Sinne von Art. 2 Ziff. 2 PatG zu betrachten sind,
wendet die Beschwerdeführerin nichts ein.

    Ist demnach mit dem Amte anzunehmen, dass das streitige Verfahren
die Herstellung von Arzneimitteln auf anderem als chemischem Wege zum
Gegenstand hat, so ist die Erfindung der Beschwerdeführerin gemäss Art. 2
Ziff. 2 PatG nicht patentierbar.

Erwägung 5

    5.- Dass das Amt der Beschwerdeführerin gewisse Erwägungen nicht in
einer Beanstandung, sondern erst in der Zurückweisungsverfügung mitteilte,
bildet entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin keinen Grund für die
Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Nach Art. 59 Abs. 1 PatG ist ein
Patentgesuch für eine Erfindung, welche durch Art. 2 von der Patentierung
ausgeschlossen ist, "ohne weiteres" zurückzuweisen. Das Amt war also nicht
gehalten, vor Erlass seiner Verfügung der Beschwerdeführerin alle seine
Überlegungen in Form von Beanstandungen des Patentgesuches mitzuteilen
und ihr so Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.