Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 I 133



91 I 133

22. Auszug aus dem Urteil vom 12. März 1965 i.S. Eidg. Steuerverwaltung
gegen X. und Steuerrekurskommission des Kantons Schwyz. Regeste

    Wehrsteuer; Amnestie gemäss Art. 5 BB vom 22. Dezember 1954 über die
Ausführung der Finanzordnung 1955 bis 1958.

    Grundsatz von Treu und Glauben: Der Steuerpflichtige, der von
der Amnestie Gebrauch macht, darf sich auf die von der kantonalen
Steuerverwaltung zum voraus öffentlich abgegebene Zusicherung verlassen,
dass bei der Durchführung der Amnestie Nachforschungen nur in bestimmten
Grenzen angestellt werden sollen.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Das Steuergesetz des Kantons Schwyz vom 28. Oktober 1958, das am
1. Januar 1959 in Kraft getreten ist, sieht in § 97 eine Steueramnestie
vor. Danach wird der Steuerpflichtige, der bei der Haupteinschätzung
1959 innerhalb bestimmter Frist die Bestandteile des Einkommens und des
Vermögens vollständig und genau angibt, von der Entrichtung von Steuern
und Nachsteuern für die Zeit vor dem Jahre 1959 befreit, wenn und soweit
im Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung nicht bereits mit seinem
Wissen ein Nachsteuerverfahren hängig ist.

    Erfüllt der Steuerpflichtige die Voraussetzungen dieser Amnestie,
so wird er "auch von den Straffolgen der Hinterziehung der Wehrsteuer
befreit, wenn er für das nachträglich angegebene Einkommen und
Vermögen die Wehrsteuer im einfachen Betrage nachvergütet, soweit
die Strafverfolgung der Hinterziehung dieser Steuer im Zeitpunkt des
Erwerbs des Amnestieanspruches gegenüber dem Kanton noch nicht verjährt
ist." (Anschlussamnestie, Art. 5 BB vom 22. Dezember 1954 über die
Ausführung der Finanzordnung 1955 bis 1958 in Verbindung mit Art. 8 der
Übergangsbestimmungen der BV).

    B.- Fabrikant X. machte von der Amnestie Gebrauch, indem er
in der Steuererklärung für die Steuerjahre 1959/60 (lo. Periode der
Wehrsteuer) bisher nicht bekannt gegebene Vermögenswerte, insbesondere
beträchtliches Barvermögen, deklarierte. Auf Anfrage teilte er der
kantonalen Steuerverwaltung mit, er habe das Barvermögen vor dem Kriege
durch Berufstätigkeit erworben und seither im Tresor verwahrt.

    Die eidgenössische Steuerverwaltung vermutete, diese Darstellung
entspreche nicht der Wahrheit, sondern diene der Tarnung nicht
versteuerten Einkommens der Konjunkturjahre 1951 ff., wofür noch
Nachsteuern gefordert werden könnten, während dies für Einkommen früherer
Jahre wegen Verjährung nicht mehr möglich wäre. Sie veranlasste daher
die kantonale Steuerverwaltung, vom Steuerpflichtigen die Beantwortung
eines ausführlichen Fragebogens und die Einreichung von Bescheinigungen
verschiedener Banken zu verlangen. X. widersetzte sich dieser Auflage
und erhob Beschwerde beim kantonalen Finanzdepartement.

    In der Folge kam es zu Verhandlungen zwischen dem Steuerpflichtigen
und den kantonalen Behörden. Das kantonale Finanzdepartement regte an,
dass die Streitigkeit gütlich erledigt werde, "in Anbetracht der seinerzeit
den Steuerpflichtigen gegebenen Versprechen, dass die Amnestierenden loyal
behandelt würden". Die kantonale Steuerverwaltung prüfte die Buchhaltung
des Steuerpflichtigen für die Geschäftsjahre 1957 und 1958; sie fand
darin nichts, das gegen die Gewährung der Amnestie gesprochen hätte. Der
Steuerpflichtige hielt an seiner Darstellung fest, doch erklärte er sich
schliesslich bereit, von einem Teil des neu angegebenen Barvermögens für
jedes in Frage kommende Jahr einen Ertrag zu versteuern. Die kantonale
Steuerverwaltung stimmte diesem Vorschlag zu und verzichtete auf weitere
Untersuchungsmassnahmen. Sie berechnete die für die 7., 8. und 9.
Wehrsteuerperiode nachzuzahlenden Steuern sowie die Steuer für die 10.
Periode gemäss der getroffenen Vereinbarung. Bussen wegen Hinterziehung
wurden nicht ausgesprochen.

    Die eidgenössische Steuerverwaltung fand sich mit dieser Erledigung
nicht ab und zog daher die Verfügungen der kantonalen Steuerverwaltung an
die kantonale Rekurskommission weiter. Diese wies die Beschwerde ab. Sie
betrachtete die Darstellung des Steuerpflichtigen als glaubwürdig und fand
ausserdem, dass weitere Untersuchungsmassnahmen, wie die Beschwerdeführerin
sie verlangt hatte, gegen Treu und Glauben verstossen würden, nachdem
den Steuerpflichtigen zugesichert worden sei, dass die Amnestie loyal
gehandhabt werde.

    C.- Die eidgenössische Steuerverwaltung erhebt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid der
Rekurskommission sei aufzuheben und die Angelegenheit an diese
zurückzuweisen "zur Vornahme gehöriger Untersuchungsmassnahmen für die
Ermittlung des Einkommens des Steuerpflichtigen der Jahre 1951 bis 1958
und zur neuen Entscheidung".

    Die Beschwerdeführerin macht u.a. geltend, der Grundsatz von Treu
und Glauben könne hier nicht massgebend sein; sollten kantonale Stellen
Zusicherungen, wie sie behauptet werden, abgegeben haben, so könnte
der Steuerpflichtige sich darauf nicht berufen, weil das Gebot der
gleichmässigen gesetzlichen Steuererhebung vorgehe.

    D.- Der Steuerpflichtige und die kantonalen Behörden beantragen
Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesgericht folgt diesem Antrag.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Der Steuerpflichtige und die kantonalen Behörden machen geltend,
die von der eidgenössischen Steuerverwaltung verlangte zusätzliche
Untersuchung würde auch einen Bruch gegebener Zusicherungen und damit
einen Verstoss gegen den Grundsatz von Treu und Glauben bedeuten. Diese
Auffassung ist begründet.

    a) Allerdings ist im Verwaltungsrecht im allgemeinen das Gesetz und
nicht eine von ihm abweichende Zusicherung einer Verwaltungsbehörde
massgeblich. "Der Grundsatz der Gesetzmässigkeit verlangt, dass
die Steuerbehörde nach dem Gesetz und nicht nach der dem Gesetz
widersprechenden Auskunft entscheide" (Rechenschaftsbericht des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich 1960, S. 105 f.; IMBODEN,
Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 2. Aufl., S. 205 Nr. 54 I;
ASA Bd. 30 S. 459 f.).

    Indessen ist auch im Verwaltungsrecht der Grundsatz von Treu und
Glauben zu beachten. Insbesondere ist anerkannt, dass nach dieser Regel
eine unrichtige Auskunft, welche die Verwaltungsbehörde dem Bürger erteilt
und auf die er sich verlassen hat, unter gewissen Umständen bindend ist
(BGE 72 I 81, 76 I 190, 88 I 148, 89 I 435; GIACOMETTI, Allgemeine Lehren
des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S. 289 ff.). Voraussetzung dafür
ist, dass die Amtsstelle, welche die unrichtige Auskunft gegeben hat, für
die Auskunfterteilung zuständig war, dass der Bürger die Unrichtigkeit
des Bescheides nicht ohne weiteres hat erkennen können und dass er im
Vertrauen auf die Auskunft eine nicht wieder rückgängig zu machende
Disposition getroffen hat (IMBODEN, aaO II und III).

    Diese Grundsätze gelten auch im Wehrsteuerrecht. Der Steuerpflichtige
kann sich auf eine unrichtige Auskunft verlassen, die ihm von der
zuständigen Behörde erteilt wurde, von ihm als bindend entgegengenommen
werden durfte und ihn zu Massnahmen veranlasste, die er sont unterlassen
hätte (PERRET/MASSHARDT, Kommentar zur eidg. Wehrsteuer, N. 21 zu Art. 1
WStB; KÄNZIG, Die eidg. Wehrsteuer, N. 20 zu Art. 2 WStB). In Betracht
kommen nicht nur Mitteilungen an den einzelnen Steuerpflichtigen, sondern
auch öffentliche Wegleitungen (KÄNZIG aaO).

    b) Im Kanton Schwyz wurden auf Veranlassung des kantonalen
Finanzdepartementes an verschiedenen Orten öffentliche Versammlungen
durchgeführt, an denen die kantonale Steuerverwaltung die Bürger über
Voraussetzungen und Wirkungen der Amnestie aufklärte, um bestehende
Unklarheiten zu beseitigen. Dabei wurde zugesichert, die Amnestie werde
loyal gehandhabt, ohne dass unnötige Nachforschungen nach der Herkunft
neu angegebener Werte angestellt würden. Ferner orientierte die kantonale
Steuerverwaltung die Steuerpflichtigen durch ein Zirkular "Fragen zur
Steueramnestie", worin sie u.a. ausführte: "Um die Nachsteuern für die
Wehrsteuer berechnen zu können, wird den Amnestie-Benützern ein Fragebogen
zugestellt werden, auf welchem die Art des Einkommens und Vermögens
in der massgebenden Zeitperiode anzugeben ist... Über die Herkunft des
amnestierten Vermögens werden keine Nachforschungen erhoben, soweit die
ordentliche Veranlagung für die kantonalen Steuern, also Einschätzung
1959/60 und die Erhebung der Nachsteuern gemäss Amnestie-Beschluss für
die Wehrsteuer dies nicht erfordert."

    Sodann wurde in einer Konferenz, die auf Wunsch des kantonalen
Gewerbeverbandes am 30. April 1959 stattfand, seitens der kantonalen
Steuerverwaltung u.a. folgendes zugegesichert: Wenn ein Bürger ein
angeblich aus einer Erbschaft stammendes Vermögen neu anmeldet, so ist er
nicht zu näheren Angaben über die Herkunft der Werte verpflichtet. Wenn
er erklärt, er habe das Geld in bar im Kassenschrank aufbewahrt, und
den Nachweis dafür natürlich nicht erbringen kann, so wird diese Angabe
akzeptiert, sofern das Vermögen nicht aus Erwerbseinkommen der Jahre
1951-1957 stammt. Wenn der Pflichtige sich über die Herkunft von Vermögen
in Form von Wertschriften, Bargeld, Gold usw. nicht ausweisen kann, begnügt
sich die Steuerverwaltung mit der Ausfüllung des speziellen Formulars,
ohne weitergehende Nachforschungen anzustellen.

    Diese Auskünfte wurden von der zuständigen Instanz erteilt, nämlich von
der kantonalen Steuerverwaltung, die zugleich als Wehrsteuerverwaltung
handelte. Sie konnten ohne weiteres als Versprechen verstanden
werden, dass über die Herkunft neu deklarierter Barbeträge nur die im
Amnestieformular vorgesehenen Auskünfte erteilt werden müssten und keine
weiteren Nachforschungen durchgeführt würden, wenn der Steuerpflichtige
erkläre, das Vermögen stamme nicht aus Einkommen der Jahre 1951-1957, er
sei aber nicht in der Lage, sich näher darüber auszuweisen. Allerdings
ist die kantonale Steuerverwaltung im Bestreben, der Amnestie zu
einem vollen Erfolg zu verhelfen, mit ihren Zusicherungen etwas über
die gesetzliche Ordnung hinausgegangen. Sie war nach Wehrsteuerrecht
verpflichtet, gegen Steuerpflichtige, die sich auf die Amnestie beriefen,
ein Hinterziehungsverfahren durchzuführen. Sie durfte nicht zum voraus
in allgemeiner Form den Verzicht auf bestimmte Massnahmen erklären
für den Fall, dass der Steuerpflichtige einen summarisch gehaltenen
Fragebogen ausfülle und gewisse negative Erklärungen abgebe. Allein die
Steuerpflichtigen durften sich in guten Treuen auf die Auskünfte verlassen,
die von der zuständigen Behörde wiederholt erteilt und von keiner Seite
dementiert worden waren. Die Auskünfte betrafen neu geschaffenes Recht,
das zudem eine einmalige Ausnahmesituation begründete. In solchen Fällen
ist der Bürger in besonderem Masse auf den Schutz seines Vertrauens in
Auskünfte der Behörde angewiesen (IMBODEN, aaO II).

    X. ist durch die erwähnten Zusicherungen veranlasst worden,
umfangreiche Vermögenswerte zur Amnestie anzumelden. Durch Abgabe der
Amnestieerklärung traf er eine nicht wieder rückgängig zu machende
Disposition. Die Behörden wussten nunmehr von der Existenz grosser
Vermögenswerte, die ihnen bisher mit Erfolg verheimlicht worden waren.

    Wenn sich ergeben hätte, dass X. in seiner Amnestieerklärung
unrichtige Angaben gemacht hatte, so hätte er freilich keinen Anspruch
auf die Amnestie. Für solche Fälle hatte die kantonale Steuerverwaltung
natürlich keine "loyale Behandlung" und keinen Verzicht auf gewisse
Untersuchungsmassnahmen zugesichert. Indessen bestehen, wie ausgeführt
(Erw. 3), keine genügenden Anhaltspunkte dafür, dass die Amnestieerklärung
des X. unrichtige Angaben enthält.

    Die Voraussetzungen, unter denen sich ein Bürger auf den
Vertrauensschutz berufen kann, sind somit erfüllt. Auch der Rechtsbrecher
hat Anspruch darauf, dass die Behörden nach dem Grundsatz von Treu
und Glauben handeln. Wie im Strafprozess die Behörden gegenüber dem
Verdächtigten oder teilweise Überführten alle Verfahrensvorschriften
und unverletzlichen Persönlichkeitsrechte respektieren müssen und nicht
auf krummen Wegen Schuldbeweise beibringen dürfen, so darf auch die
Steuerverwaltung nicht durch Versprechungen, die dann nicht gehalten
werden, den Steuerdefraudanten dazu bewegen, bisher nicht versteuerte
Werte anzugeben, die er sonst weiterhin verheimlicht hätte.