Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 I 110



91 I 110

18. Urteil vom 17. Februar 1965 i.S. Bachmann und Mitbeteiligte gegen
Grosser Rat des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 84 OG. Die in einer Kantonsverfassung enthaltene Bestimmung,
wonach alle Gesetze vom Grossen Rat einer doppelten Beratung unterworfen
werden müssen, begründet kein Individualrecht, dessen Verletzung mit
staatsrechtlicher Beschwerde geltend gemacht werden kann (Erw. 2).

    Organisation der Kirchgemeinden im Kanton Luzern.

    Kantonale Gesetzesbestimmung, welche die Kirchgemeinden ermächtigt,
in ihrer Organisation zu bestimmen, dass die Pfarrer von Amtes wegen der
"Vertretung der Bürgerschaft" angehören, welcher gewisse Befugnisse der
Gemeindeversammlung übertragen werden können. Diese Gesetzesbestimmung
verletzt weder den Grundsatz der Rechtsgleichheit (Art. 4 BV) noch §
95 luzern. KV (Erw. 4 und 5). Verstösst sie gegen eine ungeschriebene
Verfassungsnorm, dass ein Parlament nur aus gewählten Mitgliedern bestehen
kann? (Erw. 6).

Sachverhalt

    A.- Das am 9. Oktober 1962 erlassene und am 1. Januar 1963 in Kraft
getretene Gemeindegesetz (GG) des Kantons Luzern kennt vier Arten
von Gemeinden, nämlich die Einwohnergemeinde, die Bürgergemeinde,
die Kirchgemeinde und die Korporationsgemeinde. Die Kirchgemeinden
ordnen ihre Angelegenheiten "gemäss ihrer kirchlichen Eigenart" im
Rahmen des Gesetzes (§ 25). Die verwaltende und vollziehende Behörde,
die in der römisch-katholischen Kirchgemeinde "Kirchenrat" heisst (§
31), besteht aus den Pfarrern sowie weiteren 4-12 Mitgliedern, deren
Zahl von den Stimmberechtigten vor Beginn der Amtsperiode festgesetzt
wird (§ 29 Abs. 1). In der römischkatholischen Kirchgemeinde ist der
Pfarrer von Amtes wegen Präsident des Kirchenrates (§ 30 Abs. 1). Die
Befugnisse der Stimmberechtigten der Kirchgemeinde sind in § 28 Ziff. 1-20
aufgezählt; sie umfassen Wahlen (Ziff. 1-6), Beschlüsse auf dem Gebiete
der Finanzverwaltung (Ziff. 7-19) sowie den Erlass von Gemeindeordnungen
und Reglementen (Ziff. 20).

    Nach § 61 sind die Stimmberechtigten einer Gemeinde (gleich welcher
Art) befugt, sich eine Sonderorganisation zu geben, die der Genehmigung des
Grossen Rates unterliegt und für welche § 62 folgende Grundsätze aufstellt:

    "1 Die Befugnisse der Stimmberechtigten dürfen in einer
Sonderorganisation nur eingeschränkt werden, wenn die Übertragung an
eine Vertretung der Bürgerschaft (Grosser Gemeinderat usw.) erfolgt,
deren Mitgliederzahl der Grösse der Gemeinde entspricht und die
in den Einwohner-, Bürger- und Korporationsgemeinden nach dem
Verhältniswahlverfahren bestellt wird.

    2 Den Stimmberechtigten müssen in allen Fällen vorbehalten bleiben:

    1.  Änderung der Gemeindeorganisation;

    2.  Wahl der Gemeindebehörde;

    3.  das fakultative Referendum für den Rechnungsvoranschlag und die
Festsetzung der Gemeindesteuer;

    4.  Initiative und Referendum;

    5.  Beitritt zu einem Zweckverband;

    6.  alle weitern Geschäfte, deren finanzieller Wert eine angemessene
Grenze überschreitet, die in der Gemeindeorganisation festzulegen ist.

    3 Alle Wahlen und Abstimmungen durch die Stimmberechtigten sind im
Urnenverfahren durchzuführen."

    Die beim Inkrafttreten des GG bestehenden Sonderorganisationen, die
mit diesem Gesetz in Widerspruch stehen, waren bis 31. Dezember 1963 zu
revidieren und dem Grossen Rate zur Genehmigung vorzulegen (§ 92).

    B.- Die römisch-katholische Kirchgemeinde der Stadt Luzern, die sich
zur Zeit aus 6 Pfarreien zusammensetzt, hatte nach ihrer "Organisation"
vom 15. Juli 1934 neben dem aus einem Pfarrer und 6 gewählten Mitgliedern
bestehenden "Kirchenrat" einen "Grossen Kirchenrat", der aus den
Mitgliedern des Kirchenrates, den Pfarrern aller Stadtpfarreien sowie
aus 20 gewählten Mitgliedern bestand.

    Am 2. Mai 1963 machte das kantonale Justizdepartement den Kirchenrat
der Katholischen Kirchgemeinde Luzern darauf aufmerksam, dass ihre
Sonderorganisation in mehrfacher Hinsicht gegen zwingende Vorschriften
des neuen GG verstosse und abgeändert werden müsse; insbesondere sei die
Bestimmung, wonach die Pfarrer von Amtes wegen dem Grossen Kirchenrate
angehören, unvereinbar mit § 62 GG, der als selbstverständlich voraussetze,
dass die Mitglieder des Gemeindeparlaments als Vertretung der Bürgerschaft
vom Volke gewählt werden.

    Am 16. Dezember 1963 stimmte der Grosse Kirchenrat einer neuen
"Organisation" zu. Nach dem mit 18 gegen 13 Stimmen angenommenen §
13 dieser Organisation besteht der Grosse Kirchenrat aus 30 von den
Stimmberechtigten nach dem Verhältniswahlverfahren gewählten Mitgliedern
und den Pfarrern aller Stadtpfarreien mit Ausnahme desjenigen, der dem
Kirchenrat als Mitglied angehört. In der Sitzung vom 18. Juni 1964 befasste
sich der Grosse Kirchenrat mit der Revision gewisser Bestimmungen der
neuen Organisation. Dabei wurde der Antrag auf Streichung der Bestimmung,
wonach die Pfarrer von Amtes wegen dem Grossen Kirchenrat angehören,
mit 13 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Dafür stimmten 7 liberale und 3
sozialdemokratische Mitglieder, dagegen 8 konservativchristlichsoziale
Mitglieder sowie die 5 Pfarrer.

    Gegen diesen Beschluss reichten die 10 in der Minderheit gebliebenen
Mitglieder am 24. Juni 1964 beim Regierungsrat des Kantons Luzern eine
Beschwerde ein mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und festzustellen,
dass den Pfarrern seit dem 1. Januar 1964 kein Stimmrecht im Grossen
Kirchenrat zustehe. Diese Beschwerde ist noch nicht beurteilt worden.

    C.- Inzwischen hatte der Grosse Rat des Kantons Luzern am 18. Mai 1964
erstmals den Entwurf eines Gesetzes über die Änderung des GG vom 9. Oktober
1962 beraten. Als die grossrätliche Kommission am 13. Oktober 1964 sich im
Hinblick auf die zweite Lesung nochmals mit dem Entwurf befasste, stellte
ein Mitglied den Antrag, dem (bisher nicht in die Revision einbezogenen)
§ 62 GG folgenden neuen Absatz 2 beizufügen:

    "Die Kirchgemeinden können in einer Sonderorganisation bestimmen,
dass die Pfarrer, die nicht Mitglieder des Kirchenrates sind, von Amtes
wegen der Vertretung der Bürgerschaft angehören."

    Dieser Antrag wurde von der Kommission mit 8 gegen 3 Stimmen und
am 26. Oktober 1964 vom Grossen Rate mit 84 gegen 67 Stimmen angenommen,
worauf die abgeänderten Bestimmungen des GG im Luzerner Kantonsblatt vom
31. Oktober 1964 veröffentlicht wurden.

    D.- Am 30. November 1964 haben Walter Bachmann und 25 weitere, in einer
römisch-katholischen Kirchgemeinde des Kantons Luzern stimmberechtigte
Kantonseinwohner, darunter 7 Mitglieder des Grossen Rates und 11 Mitglieder
des Grossen Kirchenrates der römisch-katholischen Kirchgemeinde der
Stadt Luzern, beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit
dem Antrag, § 62 Abs. 2 des revidierten GG sei aufzuheben. Sie erheben
folgende Rügen:

    a) Nach § 52 KV müssen alle Gesetze vom Grossen Rat einer doppelten
Beratung unterworfen werden, wobei die zweite nicht vor zwei Monaten nach
Abschluss der ersten angehoben werden dürfe. Entgegen dieser zwingenden
Bestimmung sei § 62 Abs. 2 GG nur einer einmaligen Beratung, nämlich bei
der zweiten Lesung des Gesetzes, unterworfen worden.

    b) § 62 Abs. 2 GG verletze die in Art. 4 BV und § 4 KV gewährleistete
Rechtsgleichheit, da er die Kirchgemeinden ermächtige, zweierlei
Mitglieder des Grossen Kirchenrates zu schaffen, nämlich gewählte
Mitglieder und die Pfarrer als Mitglieder von Amtes wegen. Damit werde
die Gleichheit des passiven wie auch des aktiven Wahlrechts verletzt. Für
eine Mitgliedschaft der Pfarrer von Amtes wegen beständen keinerlei
sachliche, sondern nur parteipolitische Gründe; sie werde vorgesehen,
um der konservativ-christlichsozialen Fraktion im Grossen Kirchenrat die
Mehrheit zu verschaffen, denn die Pfarrer stimmten, wie im Grossen Rate
offen zugegeben worden sei, konservativ oder christlichsozial. Dazu komme,
dass in absehbarer Zeit mit der Bildung weiterer Stadtpfarreien zu rechnen
sei, was zur Folge haben werde, dass die Stellung der gewählten Mitglieder
des Grossen Kirchenrates noch mehr geschwächt würde.

    c) § 62 Abs. 2 GG verletze ferner § 95 KV, wonach die Behörden und
insbesondere die Gemeindeparlamente durch Volkswahl bestellt werden. Etwas
anderes lasse sich weder aus § 91 Abs. 2 noch aus § 94 Abs. 1 KV ableiten.

    d) Schliesslich verletze § 62 Abs. 2 GG auch die ungeschriebene
Verfassungsnorm, dass ein Parlament in Bund, Kanton und Gemeinden
nur aus gewählten Mitgliedern bestehen könne. Ein Parlament sei nach
schweizerischer demokratischer Auffassung eine von den Stimmberechtigten
gewählte Vertretung der Bürgerschaft. Diesen Namen verdiene es aber nicht
mehr, wenn ihm Mitglieder von Amtes wegen angehören.

    E.- Der Grosse Rat des Kantons Luzern beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Gesetz vom 26. Oktober 1964, durch welches unter anderm dem
§ 62 GG ein neuer Absatz 2 beigefügt wurde, unterlag dem Referendum (§
39 KV). Dass dieses nicht ergriffen wurde, steht dem Eintreten auf die
staatsrechtliche Beschwerde nicht entgegen, da das fakultative Referendum
nicht zu den kantonalen Rechtsmitteln gehört, von denen gemäss Art. 86
Abs. 1 und 2 OG vor der Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde
Gebrauch zu machen ist (BGE 88 I 153 Erw. 2).

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerde ist nach ihrer Begründung einerseits eine solche
wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Art. 84 lit. a OG), und
anderseits eine solche betreffend die politische Stimmberechtigung
(Art. 85 lit. 1 OG).

    Aus Art. 84 lit. 1 OG folgt, dass nur wegen Verletzung solcher
Verfassungsbestimmungen oder ungeschriebener Verfassungsgrundsätze
Beschwerde erhoben werden kann, welche ein Individualrecht des Bürgers
begründen. Das trifft zunächst für den von den Beschwerdeführern
angerufenen Art. 4 BV zu (neben welchem der inhaltlich gleich lautende
§ 4 Abs. 1 KV keine selbständige Bedeutung hat). Die Beschwerdeführer
werden durch die gerügte Rechtsungleichheit in ihrer Eigenschaft als
Stimmberechtigte persönlich betroffen und sind nach Art. 88 OG zur
Beschwerde legitimiert, weil die angefochtene Bestimmung dann, wenn
sie in ihrer Wohngemeinde zur Anwendung kommt, ihr Wahlrecht insofern
einschränkt, als sie nicht alle Mitglieder des Grossen Kirchenrates
einer römischkatholischen Kirchgemeinde wählen können. Als ein
verfassungsmässiges Individualrecht und zugleich als Ausfluss des
politischen Stimmrechts erscheint sodann das von den Beschwerdeführern
aus § 95 KV und aus einem ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz abgeleitete
Recht darauf, dass eine Behörde wie der Grosse Kirchenrat nur aus von den
Stimmberechtigten gewählten Mitgliedern bestehe und ihr niemand von Amtes
wegen angehöre. Dagegen gewährleistet § 52 KV kein verfassungsmässiges
Individualrecht, dessen Verletzung mit staatsrechtlicher Beschwerde
geltend gemacht werden kann. Diese Bestimmung, wonach alle Gesetze vom
Grossen Rat einer doppelten Beratung unterworfen werden müssen, ist eine
das Gesetzgebungsverfahren betreffende Vorschrift, die sich nur an den
Grossen Rat richtet und keine Rechte der Stimmbürger begründet. Deren
verfassungsmässig gewährleistete Mitwirkung an der Gesetzgebung besteht
im Initiativ- und Referendumsrecht (§§ 39 und 41bis KV). Auch die
unter den Beschwerdeführern befindlichen Mitglieder des Grossen Rates
sind zur Berufung auf § 52 KV nicht legitimiert, denn sie werden durch
eine allfällige Missachtung dieser Vorschrift ausschliesslich in ihrer
Eigenschaft als Behördemitglieder berührt, und als solchen stehen ihnen
keine verfassungsmässigen Rechte zu (vgl. BGE 55 I 111, 82 I 98). Auf
die Rüge der Verletzung des § 52 KV kann daher nicht eingetreten werden.

Erwägung 3

    3.- Organe der Kirchgemeinde sind nach dem GG die durch die
Gesamtheit der stimmberechtigten Konfessionsangehörigen gebildete
Gemeindeversammlung und eine verwaltende und vollziehende Behörde, die in
der römisch-katholischen Kirchgemeinde Kirchenrat heisst. Die Kirchgemeinde
braucht sich jedoch nicht mit dieser Organisation zu begnügen, sondern
ist nach § 61 GG befugt, sich eine (der Genehmigung des Grossen Rates
unterliegende) Sonderorganisation zu geben. Durch diese dürfen indes,
wie § 62 Abs. 1 GG weiter bestimmt, die Befugnisse der Stimmberechtigten
nur eingeschränkt werden, wenn die Übertragung an eine "Vertretung der
Bürgerschaft" erfolgt. Ferner ermächtigt der streitige Absatz 2 des § 62
GG die Kirchgemeinden, in ihrer Sonderorganisation zu bestimmen, dass die
Pfarrer, die nicht Mitglieder des Kirchenrates sind, von Amtes wegen der
"Vertretung der Bürgerschaft" angehören. Von den römisch-katholischen
Kirchgemeinden des Kantons Luzern hat sich bis heute nur diejenige der
Stadt Luzern eine Sonderorganisation gegeben, und zwar schon im Jahre 1934.
Offenbar im Hinblick auf diese Gemeinde ist auch die streitige Bestimmung
erlassen worden. Beim Entscheid darüber, ob sie verfassungswidrig sei, sind
daher auch die besonderen Verhältnisse dieser Gemeinde zu berücksichtigen,
wozu vor allem gehört, dass ihrer als "Grosser Kirchenrat" bezeichneten
"Vertretung der Bürgerschaft" von jeher die Pfarrer von Amtes wegen
angehörten.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführer machen in erster Linie geltend, die
angefochtene Bestimmung verstosse gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit,
da sie die Schaffung von zweierlei Mitgliedern des Grossen Kirchenrates,
nämlich gewählter und ihm von Amtes wegen angehörender, ermögliche.

    Gegen Art. 4 BV, der auch vom Gesetzgeber zu beachten ist, verstösst
ein allgemein verbindlicher Erlass nach ständiger Rechtsprechung dann,
wenn er sich nicht auf ernsthafte, sachliche Gründe stützen lässt oder
rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund
in den tatsächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich ist (BGE 90 I 98
Erw. 5 mit Verweisungen). Die angefochtene Bestimmung ist daher aus
dem Gesichtswinkel des Art. 4 BV nicht zu beanstanden, wenn ernsthafte,
sachliche Gründe dafür bestehen, dass die Pfarrer von Amtes wegen dem
Grossen Kirchenrat angehören.

    § 25 GG bestimmt, dass die Kirchgemeinden "ihre Angelegenheiten gemäss
ihrer kirchlichen Eigenart" ordnen, umschreibt diese Angelegenheiten
aber nicht näher. Als Aufgaben der Kirchgemeinde gelten im allgemeinen
die Präsentation oder Wahl der Pfarrer, die Beschaffung der Mittel für
die kirchlichen Bedürfnisse sowie die Verwaltung von kirchlichem Vermögen
(NOSER, Pfarrei und Kirchgemeinde, 1957 S. 111). Dass dies auch im Kanton
Luzern die "Angelegenheiten" der Kirchgemeinde sind, ergibt sich aus den
Befugnissen der Stimmberechtigten, die in § 28 GG aufgezählt sind und,
von der Präsentation oder Wahl der Pfarrer abgesehen, hauptsächlich in
Beschlüssen bestehen, welche die Beschaffung und Verwaltung der für die
kirchlichen Bedürfnisse bestimmten Mittel betreffen. Diese Befugnisse
sind es auch, die - mit Ausnahme der in § 62 GG ausschliesslich den
Stimmberechtigten vorbehaltenen - dem Grossen Kirchenrat übertragen
werden können. Da zwischen diesen Befugnissen und den Aufgaben der
Kirche, dem religiösen Kult und der Seelsorge, ein enger Zusammenhang
besteht, erscheint es als sachlich begründet, dass die Pfarrer, denen die
geistlichen Verrichtungen als eigentliche Aufgaben der Kirche obliegen,
Sitz und Stimmrecht im Grossen Kirchenrat haben. Auch ist es dort,
wo eine Kirchgemeinde mehrere Pfarreien umfasst, zweifellos wünschbar,
dass sämtliche Pfarrer dem Grossen Kirchenrat angehören. Gewiss könnten
die Pfarrer auch auf dem Wege der Wahl Mitglieder dieser Behörde
werden. Indes lassen sich für ihre Mitgliedschaft von Amtes wegen gute
Gründe anführen. Zunächst besteht im Falle der Wahl keine Gewähr dafür,
dass jeder Pfarrer einen Sitz erhält. Sodann wären die Pfarrer genötigt,
sich einer politischen Partei anzuschliessen und von ihr als Kandidaten
vorschlagen zu lassen, worunter das Vertrauen leiden könnte, das sie
als Seelsorger bei der ganzen Gemeinde geniessen sollten. Auch könnten
die Kritik, der sie sich im Wahlkampf aussetzen, sowie ein allfälliger
Misserfolg bei der Wahl ihr Ansehen beeinträchtigen (vgl. NOSER aaO
S. 146).

    Bestehen demnach ernsthafte, sachliche Gründe dafür, dass die Pfarrer
dem Grossen Kirchenrat angehören, aber nicht am Wahlkampf teilnehmen, so
hält die angefochtene Bestimmung vor Art. 4 BV stand, gleichgültig, ob der
luzernische Gesetzgeber sich bei ihrem Erlass von diesen Gründen leiten
liess oder, wie die Beschwerdeführer behaupten, parteipolitische Ziele
verfolgte. Unbehelflich ist auch der Einwand der Beschwerdeführer, dass
die Pfarrer wie die Mitglieder der konservativ-christlichsozialen Fraktion
zu stimmen pflegen, da ihnen als Mitglieder des Grossen Kirchenrates nicht
verwehrt werden kann, nach ihrer Überzeugung zu stimmen. Schliesslich
erscheint die streitige Bestimmung auch nicht deshalb als mit Art. 4 BV
unvereinbar, weil damit zu rechnen ist, dass die Zahl der Pfarreien und
damit der dem Grossen Kirchenrat von Amtes wegen angehörenden Geistlichen
der Stadt Luzern in absehbarer Zeit vermehrt wird. Beim derzeitigen
Verhältnis von 5 Pfarrern zu 30 Laien kann jedenfalls nicht von einem
stossenden Missverhältnis gesprochen werden. Ob die Zusammensetzung des
Grossen Kirchenrates der Stadt Luzern dann, wenn die Zahl der Pfarrer
wesentlich erhöht wird ohne entsprechende Vermehrung der gewählten
Mitglieder, aus dem Gesichtswinkel des Art. 4 BV zu beanstanden ist,
braucht heute nicht geprüft zu werden.

Erwägung 5

    5.- Die Beschwerdeführer machen weiter geltend, die angefochtene
Bestimmung verstosse gegen § 95 KV. Diese Rüge erweist sich selbst dann
als unbegründet, wenn die Zurückhaltung, die sich das Bundesgericht
bei der Auslegung des kantonalen Verfassungsrechts aufzuerlegen pflegt
(BGE 90 I 239 Erw. 3 mit Verweisungen), fallen gelassen wird. Aus § 95
KV ergibt sich entgegen der Behauptung der Beschwerdeführer keineswegs,
dass die Behörden mit Einschluss der Gemeindeparlamente vom Volke gewählt
werden müssen. Absatz 1 schreibt für die Volkswahlen grundsätzlich die
geheime Urnenabstimmung vor, Absatz 2 bezieht sich auf die Berechnung
der Mehrheit, Absatz 3 behält die Möglichkeit stiller Wahlen vor, Absatz
4 ermächtigt die Einwohner- und Ortsbürgergemeinden zur Einführung oder
Aufhebung des Verhältniswahlverfahrens und Absatz 5 bestimmt, dass das
Abstimmungsverfahren im übrigen durch das Gesetz zu regeln sei. Aus keiner
dieser Vorschriften noch aus den in der Beschwerde in diesem Zusammenhang
erwähnten §§ 91 Abs. 2 und 94 Abs. 1 lässt sich ableiten, dass in einer
Behörde wie dem Grossen Kirchenrat kein Platz für Mitglieder von Amtes
wegen sei.

Erwägung 6

    6.- Die Beschwerdeführer machen schliesslich geltend, die angefochtene
Bestimmung verstosse gegen die ungeschriebene Verfassungsnorm, dass ein
Parlament in Bund, Kanton und Gemeinde nur aus gewählten Mitgliedern
bestehen könne. Die Beschwerdeantwort des Grossen Rates bezeichnet
diese Rüge als verfehlt, weil der Grosse Kirchenrat kein Parlament im
eigentlichen Sinne sei, in der Hauptsache Verwaltungsfunktionen habe und
keine Gesetze erlassen könne.

    Nach Art. 6 BV müssen die kantonalen Verfassungen nicht nur vom Volke
angenommen sein (lit. c), sondern auch "die Ausübung der politischen Rechte
nach republikanischen (repräsentativen oder demokratischen) Formen sichern"
(lit. b). Damit wird den Kantonen die Demokratie auch für die einfache
Gesetzgebung vorgeschrieben (GIACOMETTI, Bundesstaatsrecht S. 56 ff.,
Staatsrecht der Kantone S. 43 ff.). Zur demokratischen Gesetzgebung
gehört vor allem, dass die kantonalen Parlamente als die gesetzgebenden
Behörden durch Volkswahl bestellt werden (GIACOMETTI, Staatsrecht der
Kantone S. 283). Dass die Mitglieder der gesetzgebenden Behörden durch
das Volk zu wählen sind, kann als allgemeiner, das ganze schweizerische
Staatsrecht beherrschender Rechtssatz gelten, der grundsätzlich auch
für die Bestellung der Gemeindeparlamente gilt. Er muss jedenfalls für
die politische Gemeinde, die alle Einwohner ihres Gebietes umfasst,
allgemeine Aufgaben zu erfüllen hat und in erheblichem Umfange zur
Rechtsetzung befugt ist, unbeschränkte Geltung haben, so dass eine Ordnung,
wonach dem Parlament einer politischen Gemeinde gewisse Personen (z.B.
Vorsitzende von Zünften oder andern Körperschaften, Eigentümer bestimmter
Landgüter oder Industrieunternehmungen) von Amtes wegen angehören,
verfassungswidrig wäre. Dagegen rechtfertigt es sich, den Grundsatz nicht
in voller Strenge anzuwenden auf Gemeinden, die einen besondern Zweck
haben und deren Aufgaben hauptsächlich auf dem Gebiete der Verwaltung und
nicht der Rechtsetzung liegen. Um eine solche Gemeinde handelt es sich
aber bei der luzernischen Kirchgemeinde. Ihre Aufgaben sind, wie sich
aus § 28 GG ergibt und bereits in Erw. 4 dargelegt wurde, zur Hauptsache
administrativer Natur und bestehen in der Beschaffung und Verwaltung
der für die kirchlichen Bedürfnisse erforderlichen und bestimmten
Mittel. Rechtsetzung kommt für sie nur in ganz beschränktem Umfange in
Frage, zumal die Kirchensteuer auf Grund der für die Staatssteuer geltenden
Veranlagungen zu erheben ist (§§ 168 und 173 des luzernischen StG vom
27. Mai 1946) und die Kirchgemeinde nur den Steuerfuss festzusetzen hat
(§ 28 Ziff. 8 GG). Dementsprechend gehören auch die Befugnisse, die
dem Grossen Kirchenrat übertragen werden können, vorwiegend dem Gebiete
der Verwaltung an. Zudem können nach § 62 GG nicht alle Befugnisse der
Stimmberechtigten dem Grossen Kirchenrate übertragen werden; wichtige
Befugnisse müssen ihnen vorbehalten werden, so namentlich der Erlass
und die Änderung der Gemeindeorganisation, die Wahl des Kirchenrates,
das fakultative Referendum für das Budget und die Festsetzung der
Gemeindesteuer, das Initiativrecht sowie Geschäfte, deren finanzieller
Wert die Grenze überschreitet, die in der (der Genehmigung des Grossen
Rates unterliegenden) Gemeindeorganisation festzulegen ist. Können dem
Grossen Kirchenrat aber nur beschränkte und im wesentlichen administrative
Befugnisse übertragen werden, so bedeutet es keine Verletzung des
Grundsatzes der Volkssouveränität, wenn der kantonale Gesetzgeber den
Kirchgemeinden gestattet, die Pfarrer dieser Behörde von Amtes wegen
angehören zu lassen. Dass hiefür ernsthafte, sachliche Gründe bestehen,
ist bereits in Erw. 4 festgestellt worden. Diese mit der besondern Stellung
der Pfarrer in der Kirchgemeinde zusammenhängenden Gründe haben übrigens
nicht nur im Kanton Luzern auch die Zusammensetzung der eigentlichen
Verwaltungsbehörde beeinflusst. Während nämlich der Gemeinderat der
politischen Gemeinden wohl ausnahmslos aus vom Volke gewählten Mitgliedern
besteht (GIACOMETTI, Staatsrecht der Kantone S. 415), hat der Pfarrer in
zahlreichen Kantonen von Amtes wegen einen Sitz oder sogar den Vorsitz
im Kirchenrat der (römischkatholischen oder evangelisch-reformierten)
Kirchgemeinde (Verfassungen der Kantone Uri Art. 79, Nidwalden Art. 88,
Zug § 72; KAUFMANN, Rechtsstellung der römisch-katholischen Landeskirche
im Kanton Aargau S. 103; NOSER aaO S. 146/47. - GAMMENTHALER, Das
Gemeindeprinzip der reformierten Landeskirche S. 85 und dort in Anm. 209
zitierte Bestimmungen der Kantone Thurgau, Aargau, Schaffhausen, Appenzell
A.Rh., St. Gallen und Basel-Stadt). Ist dies aber mit schweizerischer
demokratischer Auffassung vereinbar, so besteht kein Grund, dagegen
einzuschreiten, dass die Pfarrer von Amtes wegen einer im wesentlichen
mit Verwaltungsaufgaben betrauten "Vertretung der Bürgerschaft" wie dem
Grossen Kirchenrat angehören. Diese Ordnung hat denn auch in der Stadt
Luzern schon seit 30 Jahren bestanden, ohne dass sie je wegen Verletzung
des Grundsatzes der Volkssouveränität angefochten worden ist.

    Gegen die Abweisung der Beschwerde bestehen umso weniger Bedenken,
als die luzernischen Kirchgemeinden, die einen Grossen Kirchenrat
schon haben oder noch schaffen wollen, keineswegs genötigt werden, den
Pfarrern in dieser Behörde einen Sitz von Amtes wegen einzuräumen. Die
angefochtene Bestimmung ermächtigt sie lediglich dazu, dies in ihrer
Sonderorganisation zu bestimmen. Das kann aber, da der Erlass und die
Änderung der Gemeindeorganisation zu den unübertragbaren Befugnissen
der Stimmberechtigten gehören, nur mit dem Willen der Mehrheit der
Stimmberechtigten geschehen. Auch haben die Stimmberechtigten, sofern
diese Zusammensetzung des Grossen Kirchenrates nicht befriedigen sollte,
jederzeit die Möglichkeit, auf dem Wege der ihnen vorbehaltenen Initiative
darauf zurückzukommen und die Gemeindeorganisation in dem Sinne abzuändern,
dass der Grosse Kirchenrat ausschliesslich aus gewählten Mitgliedern
besteht.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.