Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 IV 86



91 IV 86

25. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. April 1965
i.S. Wallimann gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    1.  Art. 34 Abs. 4 SVG. Seitlicher Abstand beim Überholen von
Fussgängern; 50 cm sind je nach den Umständen ungenügend.

    2.  Art. 42 Abs. 1 SVG. Die vermeidbare Belästigung kann im Erschrecken
eines Fussgängers liegen, in dessen Nähe unnötigerweise ein Fahrzeug
stark gebremst wird.

Sachverhalt

    A.- Wallimann führte am 20. Februar 1963 gegen 20 Uhr ein Personenauto
auf der Hauptstrasse in Koblenz in westöstlicher Richtung in der Absicht,
zusammen mit einem Mitfahrer Fräulein Hediger zu besuchen, die am
Ostausgang des Dorfes Koblenz wohnte. Auf der Fahrt dorthin erblickten sie
eine am rechten Strassenrand in gleicher Richtung gehende Fussgängerin,
in der sie Fräulein Hediger zu erkennen glaubten. Wallimann bremste in
ihrer Nähe stark ab und fuhr, als er feststellte, dass es sich nicht um
Fräulein Hediger handelte, mit einem seitlichen Abstand von etwa 50 cm
links an der Fussgängerin vorbei. Da diese durch die Fahrweise erschreckt
worden war, erstattete sie gegen Wallimann Strafanzeige.

    B.- Die 2. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Aargau erklärte
Wallimann am 3. Februar 1965 der Widerhandlung gegen Art. 34 Abs. 4 und
42 Abs. 1 SVG schuldig und verurteilte ihn gestützt auf Art. 90 Ziff. 1
SVG zu einer Busse von Fr. 20.-.

    C.- Wallimann führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde. Er
beantragt sinngemäss, er sei freizusprechen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- ...

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 34 Abs. 4 SVG ist der Fahrzeugführer verpflichtet,
beim Überholen gegenüber allen Strassenbenützern einen ausreichenden
Abstand zu wahren. Die Grösse des seitlichen Abstandes, der gegenüber am
Strassenrand gehenden Fussgängern einzuhalten ist, kann nicht allgemein
zahlenmässig festgelegt werden. Sie richtet sich vielmehr nach der Breite
der Fahrbahn, den Verkehrs- und Sichtverhältnissen und der Geschwindigkeit
des überholenden Fahrzeuges. Ein Abstand von 50 cm kann unter Umständen,
z.B. in einer engen Gasse bei geringer Geschwindigkeit, die ein sofortiges
Anhalten erlaubt, genügen.

    Im vorliegenden Falle ist nicht festgestellt, und es wird auch in der
Beschwerde nicht behauptet, dass die Verhältnisse den Beschwerdeführer
gezwungen hätten, beim Überholen der Fussgängerin bis auf rund 50 cm an
sie heranzufahren. Das Obergericht geht im Gegenteil davon aus, dass ein
grösserer Abstand ohne weiteres möglich war. Aus diesem Grunde hat auch
die Fussgängerin mit einer solchen Annäherung nicht gerechnet und war sie
darauf nicht gefasst. Unter diesen Umständen ist ein Abstand von nur 50
cm, der zu Fehlreaktionen des Fussgängers führen kann, nicht genügend,
insbesondere in der Dunkelheit nicht, wie es hier zutraf. Die Annahme
einer Widerhandlung gegen Art. 34 Abs. 4 SVG ist daher begründet.

Erwägung 3

    3.- Nicht notwendig war auch, dass der Beschwerdeführer in nächster
Nähe der Fussgängerin sein Fahrzeug stark bremste. Wie das Obergericht
verbindlich feststellt, ist die Fussgängerin dadurch erschreckt worden,
womit der Beschwerdeführer Art. 42 Abs. 1 SVG zuwidergehandelt hat. Die
vermeidbare Belästigung im Sinne dieser Bestimmung liegt im unnötigen
Erschrecken der Fussgängerin, nicht im Geräusch an sich, das durch das
heftige Bremsen verursacht wurde. Der Einwand des Beschwerdeführers,
dass die bei jedem Bremsen entstehenden Geräusche nicht als lästiger Lärm
gelten könnten, geht daher an der Sache vorbei.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.