Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 IV 78



91 IV 78

24. Urteil des Kassationshofes vom 9. April 1965 i.S. Meier gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 33 Abs. 2, 49 Abs. 2 SVG, Art. 6 Abs. 1, 47 Abs. 3 VRV.

    Vortrittsrecht der Fussgänger auf Fussgängerstreifen. Das
Vortrittsrecht darf nur in angemessener Entfernung vor heranfahrenden
Fahrzeugen beansprucht werden. Die Angemessenheit der Entfernung
bestimmt sich nach den Strassen- und Verkehrsverhältnissen, nicht nach
der tatsächlichen Geschwindigkeit, mit der sich ein Fahrzeug dem Streifen
nähert.

Sachverhalt

    A.- Meier führte am 6. Dezember 1963 um 16.55 Uhr ein Personenauto
in Zürich die Winterthurerstrasse stadtauswärts. Bei der Einmündung der
Dübendorfstrasse hielt er hinter zwei andern Wagen an, um dem von rechts
aus der Dübendorfstrasse kommenden Verkehr den Vortritt zu lassen.
Alsdann setzten sich die drei Wagen wieder in Bewegung und fuhren
gegen den Fussgängerstreifen, der unmittelbar nach der Einmündung der
Dübendorfstrasse über die 12 m breite Winterthurerstrasse führt. Auf dem
rechten Trottoir standen vor dem Streifen Fussgänger. Nachdem die ersten
beiden Wagen den Fussgängerstreifen passiert hatten, trat einer der
Fussgänger, Ernesto Polentarutti, mit erhobenem Arm auf die Fahrbahn,
um sie eilenden Schrittes zu überqueren. Sobald der Fussgänger den
Streifen betrat, bremste Meier sein Fahrzeug. Er konnte aber nicht
verhindern, dass er den Fussgänger mit dem linken vordern Kotflügel
etwa 4 m vom Trottoirrand entfernt anfuhr. Polentarutti kam zu Fall
und zog sich Verletzungen zu. Er stellte Strafantrag wegen fahrlässiger
Körperverletzung.

    B.- Das Bezirksgericht Zürich sprach Meier frei. Es führte aus, Meier
sei auf Grund des festgestellten Bremsweges von 3,3 m mit der nicht zu
beanstandenden Geschwindigkeit von 22,5 km/Std gefahren und habe bei dieser
Geschwindigkeit und bei einer Reaktionszeit von einer Sekunde zum Anhalten
zwei Sekunden gebraucht, während der mit eilenden Schritten die Fahrbahn
überquerende Fussgänger eine Gehgeschwindigkeit von 2,5 m/sec. gehabt und
somit die Strecke von 4 m vom Trottoirrand bis zur Kollisionsstelle in
1,6 Sekunden zurückgelegt habe. Für Meier sei daher der Zusammenstoss
unvermeidbar gewesen. Polentarutti habe den Fussgängerstreifen entgegen
den Vorschriften nicht in angemessener Entfernung von dem herannahenden
Fahrzeug betreten und sei infolgedessen nicht vortrittsberechtigt gewesen,
weshalb es auch nicht darauf ankomme, ob er allenfalls das Handzeichen
schon vor dem Betreten der Fahrbahn gegeben habe.

    C.- Das Obergericht des Kantons Zürich hob auf Berufung des
Geschädigten das bezirksgerichtliche Urteil am 8. Dezember 1964 auf,
erklärte Meier wegen Übertretung der Art. 33 Abs. 2 SVG und 6 Abs. 1 VRV
der fahrlässigen Körperverletzung (Art. 125 StGB) schuldig und verurteilte
ihn zu einer Busse von Fr. 200.--.

    Es ging davon aus, der Fahrzeugführer habe nach Art. 33 Abs. 2 SVG
und Art. 6 Abs. 1 VRV allein schon angesichts des Fussgängerstreifens
die Geschwindigkeit rechtzeitig so zu mässigen, dass er ausnahmslos jeden
Fussgänger durchlassen könne, der vor dem Fahrzeug den Streifen erreicht
habe. Diese Vorsichtspflicht der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen
werde durch die Vorschriften für die Fussgänger nicht eingeschränkt. Der
Fahrzeugführer könne sich daher nicht mit dem Nachweis befreien, dass
im Zeitpunkt, in dem er frühestens den Fussgänger auf die Fahrbahn habe
treten sehen können, die verfügbare Strecke nicht mehr zum Anhalten genügt
habe. Meier habe demzufolge den Zusammenstoss mit dem Fussgänger auch
dann verschuldet, wenn es ihm unmöglich gewesen sei, rechtzeitig zu halten.

    Das Obergericht nahm sodann an, Meier habe zudem zu spät zu bremsen
begonnen oder zu langsam gebremst. Wenn ein Fussgänger die Strasse
überschreiten wolle, so könne ihm diese Absicht in der Regel nicht erst,
wenn er den Fuss auf die Fahrbahn setze, sondern schon Sekundenbruchteile
vorher angesehen werden. So verhalte es sich auch hier. Das erste Anzeichen
der Absicht Polentaruttis, die Strasse zu überqueren, sei bestimmt schon
0,4 Sekunden vor dem Beginn der Überschreitung zu sehen gewesen. Meier
seien somit die benötigten zwei Sekunden zur Verfügung gestanden, und
er hätte bei sofortiger und richtiger Reaktion noch rechtzeitig anhalten
können.

    D.- Gegen dieses Urteil führt Meier Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an das
Obergericht zurückzuweisen.

    E.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen
verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Das Verhalten des Fahrzeugführers an Fussgängerstreifen wird
in Art. 33 Abs. 2 SVG und Art. 6 Abs. 1 VRV geregelt. Nach der ersten
Bestimmung hat er vor Fussgängerstreifen besonders vorsichtig zu fahren
und nötigenfalls anzuhalten, um Fussgängern, die sich schon auf dem
Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten, den Vortritt zu
lassen. Nach der zweiten Bestimmung, welche die besondere Vorsicht näher
umschreibt, hat der Fahrzeugführer die Geschwindigkeit so zu mässigen,
dass er den Fussgängern den Vortritt lassen kann, namentlich, wenn sie
ein Handzeichen geben. Er muss jedem Fussgänger den Vortritt gewähren,
der den Streifen betritt, bevor das Fahrzeug den Streifen erreicht.

    Für die Fussgänger bestimmt Art. 49 Abs. 2 SVG, dass sie auf dem
Fussgängerstreifen vortrittsberechtigt sind, dass sie ihn aber nicht
überraschend betreten dürfen. Art. 47 Abs. 3 VRV sodann führt hiezu aus,
dass Fussgänger, die den Vortritt beanspruchen, dies dem Fahrzeugführer
anzuzeigen haben, indem sie den Streifen mit einem Fuss betreten oder ein
deutliches Handzeichen geben, und dass sie den Vortritt nicht beanspruchen
dürfen, wenn das Fahrzeug nicht rechtzeitig halten könnte.

    b) Das Obergericht verlangt gestützt auf den Wortlaut des Art. 6
Abs. 1 VRV, dass der Fahrzeugführer jeden Fussgänger durchlassen müsse,
der vor dem Fahrzeug den Fussgängerstreifen erreiche, indem es annimmt, der
Vortritt stehe dem Fussgänger immer dann zu, wenn er den Fussgängerstreifen
betrete oder diese Absicht bekunde, bevor das Fahrzeug den Streifen
erreiche. Demnach könnte das Vortrittsrecht ohne Rücksicht darauf,
wie weit das Fahrzeug vom Streifen entfernt ist, ausgeübt werden. Diese
Auffassung ist unhaltbar. Sie hätte zur Folge, dass der Fahrzeugführer
jedes Mal, wenn er einen Fussgänger vor dem Streifen stehen sähe, sich
nur noch im Schrittempo nähern könnte, um dem Fussgänger auch dann noch
den Vortritt zu lassen, wenn dieser erst im letzten Augenblick vor dem
Fahrzeug in die Fahrbahn träte. Eine solche Regelung würde, namentlich auf
verkehrsreichen Strassen, zu unerträglichen Stockungen im Verkehrsablauf
führen, was nicht der Sinn des Art. 6 Abs. 1 VRV sein kann.

    Zwischen den Vorschriften, die das Verhalten der Fahrzeugführer
an Fussgängerstreifen regeln (Art. 33 Abs. 2 SVG, Art. 6 Abs. 1 VRV),
und jenen, die das Vortrittsrecht der Fussgänger auf den Streifen ordnen
(Art. 49 Abs. 2 SVG, Art. 47 Abs. 3 VRV), besteht eine Wechselbeziehung,
die bei der Auslegung der einen oder andern dieser Bestimmungen beachtet
werden muss. Wenn der Fussgänger nach Art. 49 Abs. 2 SVG den Streifen
nicht überraschend betreten darf und Art. 47 Abs. 3 VRV ausdrücklich
vorschreibt, dass er den Vortritt nicht beanspruchen darf, falls das
Fahrzeug nicht rechtzeitig halten könnte, so heisst das umgekehrt, dass der
Fahrzeugführer in diesem Falle den Vortritt nicht zu gewähren hat. Dieser
muss also nach den Vorschriften über die Ausübung des Vortrittsrechts
nicht damit rechnen, dass ein Fussgänger erst dann den Streifen betrete
oder diese Absicht anzeige, wenn sich das Fahrzeug bereits unmittelbar
vor dem Streifen befindet, sondern er darf erwarten, dass der Fussgänger
den Vortritt in angemessener Entfernung vor dem herannahenden Fahrzeug
geltend mache. Diese Beschränkung des Vortrittsrechts, die sowohl im
Interesse der Fussgänger wie der Fahrzeugführer liegt, ist notwendig,
wenn die Verkehrssicherheit gewährleistet, der Verkehrsfluss aber auch
nicht in unerträglicher Weise behindert werden soll (vgl. Botschaft des
Bundesrates vom 9. März 1961, BBl 1961 I 408).

    Anderseits darf die Ausübung des Vortrittsrechts aber auch nicht von
der Geschwindigkeit herannahender Fahrzeuge abhängig gemacht werden,
wozu die Vorschrift Anlass geben könnte, dass der Fussgänger den
Vortritt nicht beanspruchen dürfe, wenn das Fahrzeug nicht rechtzeitig
halten könnte (Art. 47 Abs. 3 VRV). Nach Art. 33 Abs. 2 SVG und Art. 6
Abs. 1 VRV ist der Fahrzeugführer verpflichtet, bei der Annäherung
an Fussgängerstreifen seine Geschwindigkeit so zu mässigen, dass er
imstande ist, den Fussgängern den Vortritt zu gewähren, wenn sie ihn
in angemessener Entfernung vom Fahrzeug in Anspruch nehmen. Mit der
Verpflichtung des Fahrzeugführers zur Mässigung der Geschwindigkeit vor
Fussgängerstreifen will verhindert werden, dass er durch schnelles Fahren
dem Fussgänger die Ausübung des Vortrittsrechts verunmögliche. Es soll also
nicht dem Fahrzeugführer überlassen bleiben, durch die Geschwindigkeit,
mit der er gegen den Streifen zufährt, die für die Ausübung des Vortritts
angemessene Entfernung frei zu bestimmen. Er muss sich vielmehr mit so
mässiger Geschwindigkeit dem Streifen nähern, dass dem Fussgänger, der den
Vortritt in angemessener Entfernung beansprucht, genügend Zeit verbleibt,
um die Fahrbahn ungehindert überschreiten zu können. Der ordnungsgemäss
das Vortrittsrecht ausübende Fussgänger soll sich darauf verlassen können,
dass auch der Fahrzeugführer sich ihm gegenüber pflichtgemäss verhält (BGE
90 IV 216), d.h. dass er die Geschwindigkeit frühzeitig genug herabsetzt,
um nötigenfalls vor dem Streifen halten zu können.

    Wie in BGE 86 IV 38 ausgeführt wurde, kann die angemessene Entfernung,
auf die noch damit gerechnet werden muss, dass Fussgänger den Vortritt
beanspruchen könnten, nicht ein- für allemal in Metern festgelegt werden,
da die im Einzelfall unterschiedlichen Strassen- und Verkehrsverhältnisse
nicht ausser Acht gelassen werden können. Insbesondere ist zu
berücksichtigen, ob sich der Fussgängerstreifen auf einer Innerorts-
oder Ausserortsstrecke befindet. Innerorts, wo die an sich zulässige
Geschwindigkeit niedriger und der Fussgängerverkehr grösser als ausserorts
ist, muss dem Fahrzeugführer zugemutet werden, dass er bei der Annäherung
an einen Fussgängerstreifen seine Geschwindikgkeit mehr herabsetze als
auf einer Ausserortsstrecke, und dementsprechend hat er sich darauf
einzustellen, dass innerorts die angemessene Entfernung zur Ausübung
des Vortrittsrechts kürzer ist. Hievon geht auch der erwähnte Entscheid
aus, wo es als angemessen erachtet wurde, dass Fussgänger auf einer
verhältnismässig schmalen Stadtstrasse mit dichtem Verkehr den Streifen
noch in einer Entfernung von 14-17 m vor dem herannahenden Fahrzeug
überquerten (BGE 86 IV 40).

Erwägung 2

    2.- Eine Widerhandlung gegen Art. 33 Abs. 2 SVG und Art. 6 Abs. 1
VRV kann demnach dem Beschwerdeführer nur vorgeworfen werden, wenn
er im Zeitpunkt, in dem der Fussgänger die Absicht, die Fahrbahn zu
überschreiten, zu erkennen gab, vom Fussgängerstreifen noch so weit
entfernt war, dass er mit der Möglichkeit, Fussgänger könnten auf diese
Entfernung von ihrem Vortrittsrecht Gebrauch machen, rechnen musste. Trifft
diese Voraussetzung zu, so ist er nicht mit der mässigen Geschwindigkeit
oder nicht mit der besondern Vorsicht gefahren, zu der er verpflichtet
war, um dem vortrittsberechtigten Fussgänger die ungehinderte Überquerung
der Strasse zu ermöglichen. Hat dagegen der Fussgänger den Vortritt in zu
kurzer Entfernung vom herannahenden Fahrzeug beansprucht, so war dieser
nicht vortrittsberechtigt, und es kann daher dem Beschwerdeführer auch
nicht eine Verletzung der entsprechenden Pflichten zur Last gelegt werden.

    Der Beschwerdeführer, der bremste, als der Fussgänger die Fahrbahn
betrat, konnte sein Fahrzeug auf der Kollisionsstelle - kurz vor dem
entfernteren Rand des 4,5 m breiten Fussgängerstreifens - praktisch
anhalten. Der Bremsweg betrug nach der Annahme der Vorinstanzen 3,3 m
und der Weg, den der Wagen bei der Geschwindigkeit von 22,5 km/Std in
der Reaktionszeit zurücklegte, 6,25 m, sofern die Reaktionszeit auf
eine Sekunde bemessen wird. Danach wäre der Wagen, als der Fussgänger
die Strasse betrat, noch rund 9,5 m von der Kollisionsstelle entfernt
gewesen. Bei der Beurteilung der Frage, auf welche Entfernung der
Fahrzeugführer noch mit dem Überschreiten der Fahrbahn durch einen
Fussgänger rechnen muss, kann jedoch nicht von der erwähnten Anhaltestrecke
von 9,5 m ausgegangen werden, wovon mindestens die letzten 4 m innerhalb
des Fussgängerstreifens lagen, sondern es ist darauf abzustellen, wie
weit das Fahrzeug im massgeblichen Zeitpunkt vom näher gelegenen Rand des
Streifens entfernt war; denn es können auch dort Fussgänger die Strasse
überqueren, und der Fahrzeugführer hat allgemein die Geschwindigkeit so
zu mässigen, dass er vor dem Streifen anhalten kann. Der Beschwerdeführer
hätte sich somit dem Streifen auf rund 5,5 m genähert, als der Fussgänger
ihn betrat. Dazu kommt, dass dem Fahrzeugführer in Situationen, in denen er
auf Gefahren oder Hindernisse gefasst sein muss und deshalb zu besonderer
Aufmerksamkeit und zur Erstellung der Bremsbereitschaft verpflichtet
ist, nicht eine volle Sekunde als Reaktionszeit zugestanden werden kann
(BGE 90 IV 101). Eine solche Lage besteht auch vor Fussgängerstreifen,
an denen sich Fussgänger bereit halten, um die Strasse zu überqueren. Die
angemessene Reaktionszeit ist in diesen Fällen auf 0,6 bis 0,7 Sekunden zu
bemessen. Werden 0,7 Sekunden zugrunde gelegt, so verkürzt sich die oben
errechnete Entfernung des Beschwerdeführers vom Streifen um 1,9 m auf 3,6
m. Es liegt auf der Hand, dass der Beschwerdeführer nicht damit rechnen
musste, dass ein Fussgänger auf so kurze Entfernung noch versuchen werde,
vor ihm die Fahrbahn zu überqueren. Das war auch dann nicht zu erwarten,
wenn der Beschwerdeführer, wie das Obergericht in seiner Eventualbegründung
annimmt, die Absicht des Fussgängers nicht erst beim Betreten der Fahrbahn,
sondern schon 0,4 Sekunden vorher hätte erkennen können, als er mithin noch
2,5 m weiter, d.h. ca. 6,l m vom Streifen entfernt war. Einem Fussgänger,
der derart überraschend die Strasse betritt, steht das Vortrittsrecht
nicht zu. Der Beschwerdeführer hat daher Art. 33 Abs. 2 SVG und Art. 6
Abs. 1 VRV nicht verletzt und ist in diesem Punkt freizusprechen.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht wirft dem Beschwerdeführer in zweiter Linie vor, er
habe zu spät oder nicht genügend gebremst und hätte bei rechtzeitiger und
richtiger Reaktion den Zusammenstoss mit dem Fussgänger vermeiden können.

    a) Es nimmt an, der Beschwerdeführer hätte schon 0,4 Sekunden, bevor
der Fussgänger die Fahrbahn betrat, dessen Absicht erkennen können; es sei
ihm daher die zum Anhalten benötigte Zeit von zwei Sekunden tatsächlich
zur Verfügung gestanden, nicht bloss die Zeit von 0,6 Sekunden, die
der Fussgänger gebraucht habe, um vom Trottoir bis zur Kollisionsstelle
zu gelangen. Zu dieser Annahme genügt jedoch nicht die Überlegung, es
könne dem Fussgänger, der die Strasse überqueren wolle, diese Absicht
in der Regel Sekundenbruchteile vor dem Betreten der Fahrbahn angesehen
werden. Es muss im Einzelfall nachgewiesen werden, dass der Fussgänger
die Absicht, das Vortrittsrecht zu beanspruchen, wirklich vorzeitig zum
Ausdruck gebracht hat, und zwar in einer für den Fahrzeugführer klar
erkennbaren Weise. In den Erwägungen des angefochtenen Urteils wird
nur auf die Akten verwiesen, nicht aber festgestellt, dass Polentarutti
die Absicht, die Strasse zu überqueren, vor dem Betreten der Fahrbahn
tatsächlich deutlich angezeigt und worin dieses Zeichen bestanden habe.

    b) Für die Beantwortung der Frage, ob der Beschwerdeführer den
Unfall hätte vermeiden können, ist auch von Bedeutung, wie rasch der
Fussgänger auf der Fahrbahn gegangen ist. Dem angefochtenen Urteil liegen
die Feststellungen des Bezirksgerichts zugrunde, wonach Pollentarutti die
Fahrbahn eilenden Schrittes, also mit einer Geschwindigkeit von 2,5 m/sec.,
überquert habe, ohne dass das Obergericht diese Annahmen einer Prüfung
unterzog. Es frägt sich indessen, ob die erwähnte Gehgeschwindigkeit von
2,5 m/sec. nicht eher einem Laufschritt entspreche und ob tatsächlich
ein solcher angenommen werden wollte.

    c) Die Frage, ob der Beschwerdeführer den Unfall zufolge
Nichtbeherrschung des Fahrzeuges (Art. 31 Abs. 1 SVG) verschuldet
habe, kann daher mangels hinreichender Feststellungen vom Kassationshof
nicht zuverlässig nachgeprüft werden. Das Obergericht hat sie erneut zu
beurteilen, wozu ergänzende Feststellungen über die Art der Zeichengebung
und die tatsächliche Gehgeschwindigkeit des Fussgängers notwendig sind.

    d) Der unter Hinweis auf BGE 89 IV 105 erhobene Einwand des
Beschwerdeführers, dass es nicht angehe, seine Verantwortlichkeit
von Sekundenbruchteilen abhängig zu machen, hält nicht stand. Im
angezogenen Bundesgerichtsentscheid ging es um die Frage, ob ein
Fahrzeugführer strafrechtlich verantwortlich gemacht werden könne, wenn
er als Wartepflichtiger an einer Strassenverzweigung eine Viertels-
oder Drittelssekunde länger als nötig nach rechts beobachte. Mit jenem
Falle lässt sich der vorliegende nicht vergleichen. Hier musste der
Beschwerdeführer, wie unter Ziff. 2 dargelegt wurde, auf Gefahren gefasst
sein, und er war daher zum vorneherein zu erhöhter Aufmerksamkeit und
zur Erstellung der Bremsbereitschaft verpflichtet, weshalb von ihm beim
Eintritt der Gefahr eine rasche Reaktion verlangt werden durfte.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil
des Obergerichts des Kantons Zürich vom 8. Dezember 1964 aufgehoben und
die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen wird.