Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 IV 69



91 IV 69

20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Juni 1965
i.S. Geisser gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 169 StGB, Art. 93 SchKG. Die Pfändung künftigen Dirnenlohnes
ist rechtsgültig.

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Nach der Rechtsprechung kann sowohl noch nicht verdienter Lohn
unselbständig Erwerbender als auch noch nicht eingegangener Verdienst
aus selbständiger Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 93 SchKG unter der
dort vorgesehenen Beschränkung für die Dauer eines Jahres gepfändet werden
(BGE 82 IV 187, 84 IV 155, 85 III 38, 86 III 15 und dort erwähnte frühere
Entscheidungen). Die Zulässigkeit der Pfändung künftigen Erwerbseinkommens
setzt nur voraus, dass es Lohncharakter hat, d.h. dass es durch Arbeits-
oder Dienstleistung zur Bestreitung des Lebensunterhaltes erworben wird und
dass der Eingang solcher Einkünfte mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden
kann. Diese Voraussetzungen erfüllt auch das Einkommen der Dirne, die ihr
Leben ganz oder teilweise aus dem Ertrag gewerbsmässiger Unzucht fristet.

    Die Unsittlichkeit des Gewerbes der Dirne hat entgegen der Auffassung
der Beschwerdeführerin nicht zur Folge, dass auch die Pfändung des
Dirnenlohnes unsittlich und daher nichtig ist. Nichtig ist nur die nach
Art. 20 OR gegen die guten Sitten verstossende Vereinbarung eines Entgeltes
für die Hingabe der Dirne, was bewirkt, dass sie keinen Rechtsanspruch auf
Dirnenlohn hat. Für die Gültigkeit der Lohnpfändung im Sinne des Art. 93
SchKG ist indessen nicht nötig, dass die Zahlungen, die den Verdienst des
Betreibungsschuldners ausmachen, rechtlich geschuldet oder wenigstens auf
Grund einer sittlichen Pflicht geleistet werden. Das hat das Bundesgericht
schon wiederholt entschieden, weshalb auch künftige Trinkgeldeinnahmen
und freiwillig ausgerichtete Gratifikationen pfändbar sind (BGE 71 III
61/2, 79 III 155, 84 IV 157, 85 III 39). Unter dem Gesichtspunkt des
Zwangsvollstreckungsrechts, das der Befriedigung der Gläubiger dient,
genügt, dass die der Dirne geleisteten Zahlungen von der Rechtsordnung
als gültig anerkannt werden, was u.a. daraus hervorgeht, dass Art. 66 OR
die Rückforderung des Dirnenlohnes ausschliesst.

    Die Dirne ist dcnn auch in ihrem tatsächlich erreichten
Erwerbseinkommen in gleicher Weise geschützt wie jemand, der seinen
Verdienst aus einem nicht anstössigen Gewerbe bezieht. Geniesst aber
der empfangene Dirnenlohn den Schutz des Gesetzes, so muss er auch den
gesetzlichen Belastungen wie z.B. der Pfändbarkeit nach Art. 93 SchKG
unterstehen.

    Unrichtig ist auch der Einwand der Beschwerdeführerin, dass die Dirne
durch die Pfändungsverfügung des Betreibungsamtes zu intensiver Ausübung
ihres Gewerbes gezwungen werde. Die Pfändung künftigen Verdienstes
verpflichtet den Schuldner nicht, seine bisherige Erwerbstätigkeit
fortzusetzen und zu einem seinen Notbedarf übersteigenden Verdienst
zu gelangen; die Beschlagnahme und die Verpflichtung zur Ablieferung
der gepfändeten Geldbeträge gelten nur unter der Bedingung, dass der
Schuldner ein entsprechendes Einkommen tatsächlich erzielen werde. Eine
Pflicht der Dirne zur Fortsetzung ihres unsittlichen Gewerbes anzunehmen
und daraus ableiten zu wollen, die Pfändung sei auch aus diesem Grunde
sittenwidrig, ist daher abwegig. Stossend wäre es aber, tatsächlich
empfangenen Dirnenlohn von der Pfändbarkeit auszunehmen und damit die Dirne
gegenüber andern, die einem sittlich nicht anfechtbaren Erwerb nachgehen,
zu bevorzugen.

    Die Dirne, die gepfändetes Einkommen, statt es dem Betreibungsamt
abzuliefern, eigenmächtig zum Nachteil der Gläubiger anderweitig verwendet,
macht sich demnach gemäss Art. 169 StGB strafbar.