Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 IV 211



91 IV 211

57. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. November 1965
i.S. Trumpf gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 90 SVG, Art. 117 und 125 StGB.

    Durch die Strafe wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung
wird die Gefährdung der allgemeinen Verkehrssicherheit und die konkrete
Gefährdung der getöteten oder verletzten Personen mitabgegolten.Neben
Art. 117 und 125 StGB ist daher Art. 90 SVG nur anwendbar, wenn ausser
den getöteten oder verletzten Personen eine weitere konkret gefährdet
worden ist.

Sachverhalt

    A.- Trumpf führte am Abend des 4. März 1964 gegen 18 Uhr einen
Personenwagen von Eiken herkommend Richtung Frick. In der Nähe dieser
Ortschaft wurde er etwa 300-400 m vor der Tanksperre von einem andern
Personenwagen überholt, worauf er mit einer Geschwindigkeit von ca. 100
km/Std und in einem Abstand von 50 m hinter diesem Wagen fuhr. Bei
der Tanksperre stand die 1892 geborene Frau Schmid und ihr 10-jähriges
Enkelkind am rechten Strassenrand. Trumpf sah die beiden nach seinen
Angaben erst auf eine Entfernung von etwa 50 m, als das vorausfahrende
Fahrzeug an ihnen vorbei war und Frau Schmid die Strasse zu überqueren
begann. Er bremste sofort, konnte aber nicht mehr verhindern, dass Frau
Schmid von seinem Wagen erfasst und auf der Stelle getötet wurde.

    B.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau erhob gegen Trumpf
Anklage wegen Verletzung von Verkehrsregeln und wegen fahrlässiger
Tötung. Das Bezirksgericht Laufenburg sprach ihn durch Urteil vom
10. Dezember 1964 frei.

    Auf Berufung der Staatsanwaltschaft hob das Obergericht des Kantons
Aargau am 23. Juni 1965 das bezirksgerichtliche Urteil auf und verurteilte
den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung und Widerhandlung gegen Art. 26
Abs. 2 und 32 Abs. 1 SVG in Anwendung von Art. 117 StGB, Art. 90 Ziff. 1
SVG und Art. 68 Ziff. 1 StGB zu einer auf drei Jahre bedingt aufgeschobenen
Gefängnisstrafe von sieben Tagen.

    C.- Trumpf führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde. Er
beantragt, es aufzuheben und die Sache zu seiner gänzlichen Freisprechung,
eventuell zur Freisprechung von der Anklage der Übertretung von
Verkehrsregeln an das Obergericht zurückzuweisen.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 4

    4.- Das Obergericht erklärte den Beschwerdeführer sowohl der
fahrlässigen Tötung nach Art. 117 StGB als auch der Verletzung von
Verkehrsregeln nach Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig und verurteilte ihn wegen
Verwirkung zweier Strafen in Anwendung von Art. 68 Ziff. 1 StGB zu einer
Gesamtstrafe. Es begründet die Idealkonkurrenz, die es im Gegensatz zu
den Ausführungen in BGE 91 IV 32 ff. zwischen den Verletzungsdelikten des
StGB und den Straftatbeständen des Art. 90 SVG annimmt, mit der zuletzt
geltenden Rechtsprechung zu Art. 237 Ziff. 2 StGB (BGE 76 IV 125), davon
ausgehend, dass auch in Art. 90 SVG der öffentliche Verkehr unmittelbares
und selbständig geschütztes Rechtsgut sei, während die Art. 117 und 125
StGB ausschliesslich Leib und Leben bestimmter Einzelpersonen schützten,
so dass die abstrakte Gefährdung, die sich ausser gegen den Verletzten
auch gegen einen unbestimmten Kreis weiterer Verkehrsteilnehmer richte,
von keiner der Bestimmungen des StGB erfasst werde und dass darum auch die
wegen Tötung oder Körperverletzung ausgesprochene Strafe das Verschulden
des Täters nicht allseitig abgelte.

    Die Auffassung des Obergerichts, dass der Gefährdungstatbestand
des Art. 90 SVG und die Verletzungsdelikte der Art. 117 und 125 StGB
dem Schutze verschiedener Rechtsgüter dienten und deshalb keine dieser
Bestimmungen den Unrechtsgehalt der Tat vollständig erfassen könne,
verkennt, dass zwischen zwei Bestimmungen trotz der Verschiedenheit der
geschützten Rechtsgüter nicht notwendig Idealkonkurrenz bestehen muss
(vgl. BGE 85 IV 180/181; HAEFLIGER, ZStR 1965, 268). Gesetzeskonkurrenz
(unechte) liegt nicht nur vor, wenn wie im Falle der Spezialität der
besondere Tatbestand den allgemeinen in allen Teilen in sich schliesst,
sondern auch dann, wenn der eine Tatbestand nicht mit allen einzelnen
Merkmalen, wohl aber wertmässig, dem Verschulden und Unrecht nach, im
andern enthalten ist, so dass die eine Bestimmung die andere konsumiert.

    Fahrlässige Tötung und Körperverletzung (Art. 117 und 125 StGB)
können im Strassenverkehr gewöhnlich nicht anders als durch Verletzung
von Verkehrsregeln begangen werden. Ursache des Verletzungserfolges
ist dann diese Widerhandlung mit der ihr notwendig innewohnenden
abstrakten Verkehrsgefährdung und die aus dieser hervorgegangene
konkrete Gefährdung einer oder mehrerer bestimmter Personen (Art. 90
SVG). In gleichem Masse, wie der Eintritt einer Verletzung nur die
Folge der vorausgegangenen abstrakten und konkreten Gefährdung ist,
besteht auch zwischen der Rechtswidrigkeit des Gefährdungstatbestandes
und jener des Verletzungsdelikts ein unmittelbarer, enger Zusammenhang,
denn rechtswidrig ist die eingetretene Tötung oder Körperverletzung
nur, wenn es auch das gefährdende Verkehrsverhalten war. Das Unrecht
der Gefährdung, das Grundlage und Voraussetzung des Unrechts der
Verletzung ist, bildet mit diesem zusammen ein untrennbares Ganzes und
ist daher sinngemäss in den Straftatbeständen der Art. 117 und 125 StGB
mitenthalten. Entsprechendes gilt für das Verschulden. Wie in BGE 91
IV 32 f. ausgeführt wurde, liegt die pflichtwidrige Unvorsichtigkeit,
welche die Fahrlässigkeit bei den Verletzungsdelikten der Art. 117 und 125
StGB ausmacht, bei Verkehrsunfällen gerade darin, dass sich der Täter der
Verletzung von Verkehrsregeln und damit der Verkehrsgefährdung schuldig
machte. Das Verschulden, das in der Gefährdung der Verkehrssicherheit
und der Sicherheit einzelner Personen liegt, bestimmt denn auch den Grad
des Verschuldens, das dem Täter wegen Tötung oder Körperverletzung zur
Last fällt. Je unvorsichtiger oder rücksichtsloser ein Fahrzeugführer
sich benimmt, umso grösser ist die abstrakte und konkrete Gefährdung und
damit auch sein Verschulden, und desto schwerer wird er für die Tötung
oder Körperverletzung bestraft, zu der die Gefährdung geführt hat. Durch
die nach Art. 117 oder 125 StGB ausgefällte Strafe wird daher notwendig
auch das in der Gefährdung der Verkehrssicherheit liegende Verschulden
mitabgegolten. Es darf daneben nicht auch noch Art. 90 SVG angewendet
werden, ansonst der Täter für dasselbe Verschulden zweimal bestraft würde.

    Dem Umstand, dass Art. 90 Ziff. 1 SVG in erster Linie die allgemeine
Sicherheit im Strassenverkehr gewährleisten will, kommt infolgedessen
keine erhebliche Bedeutung mehr zu, dies umso weniger, als der Schutz
der Allgemeinheit auch den Schutz der Einzelpersonen umfasst und deshalb
Art. 90 Ziff. 1 SVG mindestens mittelbar auch Leib und Leben schützt. Dass
Art. 90 SVG neben der Verkehrssicherheit zugleich die Sicherheit der
einzelnen Verkehrsteilnehmer zum Zwecke hat, ergibt sich deutlich aus
Ziff. 2 dieser Bestimmung, wo ausdrücklich von der Sicherheit anderer
die Rede ist.

    Ohne Belang ist auch, dass das SVG keine dem Art. 65 Abs. 4 MFG
entsprechende Bestimmung enthält. Mit dieser im Jahre 1932 erlassenen
Regel sollte der Richter der Aufgabe enthoben werden, auf dem Wege der
Auslegung zu ermitteln, welche von mehreren Bestimmungen allein anwendbar
sei, und zugleich wollte verhindert werden, dass die Meinung aufkommen
könnte, die eidgenössischen Strafnormen des MFG hätten gegenüber den
kantonalen gemeinen Straftatbeständen den Vorrang. Das Fehlen einer
Kollisionsnorm im SVG hat bloss zur Folge, dass der Richter das Verhältnis
gleichzeitig zutreffender Strafbestimmungen selber nach den allgemeinen
Konkurrenzregeln zu bestimmen hat. Wie dargetan wurde, führt die Abwägung
des Wertverhältnisses zwischen Art. 90 SVG und den Tatbeständen der
Art. 117 und 125 StGB zum Ergebnis, dass diese Bestimmungen die Anwendung
der erstern zufolge Konsumtion ausschliessen. Die gleiche Auffassung
ist auch in der Literatur vorherrschend (SCHULTZ, Die Strafbestimmungen
des SVG, S. 83 ff., 158, 174; SCHWANDER, Schweiz. Strafgesetzbuch,
2. Aufl. S. 152; MEYER, ZStR 1960, 39; RUSCONI, ZStR 1964, 392 ff.;
HAEFLIGER, ZStR 1965, 263 f.). Da die Gefährdung der allgemeinen
Sicherheit und die konkrete Gefährdung des Getöteten oder Verletzten
durch die Strafe wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung gesühnt
werden, ist Idealkonkurrenz zwischen Art. 90 SVG einerseits und Art.
117 und 125 StGB anderseits nur möglich, wenn neben der getöteten oder
verletzten Person eine weitere konkret gefährdet worden ist.

Erwägung 5

    5.- Der Beschwerdeführer wird nicht beschuldigt, er habe ausser Frau
Schmid noch eine weitere Person, namentlich den die getötete Fussgängerin
begleitenden Knaben konkret gefährdet. Art. 68 Ziff. 1 StGB ist somit zu
Unrecht angewendet worden. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und
die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, damit es den Beschwerdeführer
einzig wegen fahrlässiger Tötung nach Art. 117 StGB, nicht auch wegen
Verletzung von Verkehrsregeln nach Art. 90 SVG, bestrafe. Ob dabei die
Vorinstanz anstelle der ausgefällten Strafe von sieben Tagen Gefängnis,
die ohnehin schon die untere Grenze des in Art. 117 StGB vorgesehenen
Strafrahmens fast erreicht, auf eine noch mildere Strafe erkennen will,
steht ihrem Ermessen anheim.