Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 IV 195



91 IV 195

51. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. September 1965
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn gegen K. Regeste

    Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 5 StGB.

    Die Aufzählung der Erschwerungsgründe ist abschliessend und lässt
daher auch keine Ausdehnung auf Stiefgrosskinder zu.

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Zu Unrecht beanstandet die Beschwerdeführerin, dass die Vorinstanz
die in Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 5 StGB enthaltene
Aufzählung der Erschwerungsgründe als abschliessend betrachtet und
nicht auf Stiefgrosskinder ausgedehnt hat. Für eine solche Erweiterung
bestünde nur Raum, wenn sich der Gesetzgeber entweder - ähnlich wie
in Art. 194 Abs. 2 und Art. 197 Abs. 1 StGB - für eine allgemeine
Fassung entschieden oder sich auf die Nennung einzelner Beispiele
beschränkt hätte. Beides ist nicht der Fall. Ein Antrag (Lang),
die Aufzählung durch eine allgemeine Fassung zu ersetzen, wurde in der
Gesetzesberatung ausdrücklich und endgültig abgelehnt (vgl. Protokoll der
zweiten Expertenkommission zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, Band III
S. 152, 160 und 170). Als Beispiele aber dürften die einzeln aufgeführten
Verhältnisse (Kind, Schüler, Zögling ... usw.) nur verstanden werden,
wenn eine entsprechende Wendung dies zum Ausdruck brächte, wie das in
zahlreichen anderen Bestimmungen geschehen ist, sei es durch Voranstellen
der Worte "namentlich" oder "insbesondere" (Art. 163 Ziff. 1 Abs. 2 und
3; 164 Ziff. 1 Abs. 2 und 3; 167; 228 Ziff. 1 Abs. 2; 237 Ziff. 1 Abs. 1
StGB usw.), sei es durch Anfügen eines darauf hinweisenden Nachsatzes
(vgl. Art. 223 Ziff. 1 Abs., "oder ähnlichen Stoffen..."; Art. 243
Ziff. 1 Abs. 1 StGB, "oder auf andere Art..."). Bei den hier in Frage
stehenden Bestimmungen fehlt ein solcher Hinweis. Sodann hätte die in der
zweiten Expertenkommission erfolgte Auseinandersetzung darüber, ob auch
"das Grosskind", "das Adoptivkind", "der Dienstbote" in die Aufzählung
aufgenommen werden sollen (vgl. Prot. III S. 160-170), wenig Sinn
gehabt, wenn damit nur Beispiele gemeint gewesen wären, die auf dem Weg
der Auslegung auch eine Ergänzung hinsichtlich ähnlich gelagerter Fälle
zulassen würden. Dass die unter erhöhten Schutz gestellten Personen
deshalb erschöpfend bezeichnet sind und so bezeichnet werden wollten,
wird denn auch in der Lehre anerkannt (vgl. ZÜRCHER, Erläuterungen zum
Vorentwurf des StGB vom April 1908, S. 223, THORMANN/OVERBECK N. 11 zu
Art. 191 StGB, SCHWANDER N. 641 b und WALDER, "Unzucht mit Kindern" S. 18
ff.). Im gleichen Sinne ist stets entschieden worden (BGE 71 IV 192 Erw. 4;
80 IV 36 Erw. 1). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gilt das
nicht nur für die in den angeführten Urteilen behandelten Verhältnisse,
sondern für alle gesetzlich aufgezählten Fälle. Die dort nicht genannten
Personen, wie Urgrosskinder und Stiefgrosskinder müssen deshalb von jenem
festgelegten Kreis ausgeschlossen bleiben, so wünschenswert und sinngemäss
ihre Miteinbeziehung auch immer erscheinen mag. Art. 1 StGB verbietet
es dem Strafrichter, zu Lasten des Beschuldigten über den eindeutigen
Wortlaut des Gesetzes hinauszugehen, der dem vom Gesetzgeber gewollten
Sinn entspricht (vgl. BGE 70 IV 110; 71 IV 137; 72 IV 137; 86 IV 43).