Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 II 275



91 II 275

42. Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Juli 1965 i.S. Hossle gegen
Schenker. Regeste

    Irrtum (Art. 23 ff. OR).

    1.  Ob eine Partei sich in einem Irrtum befunden habe, ist Tatfrage
(Erw. 1).

    2.  Grundlagenirrtum (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR). Irrtum über eine
Eigenschaft der Kaufsache (Überbaubarkeit des gekauften Grundstücks), die
vom Käufer als notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde und
nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als solche betrachtet werden
durfte. Unter welchen Voraussetzungen verbietet die Wegbedingung der
Gewährleistung dem Käufer, das Vorhandensein einer bestimmten Eigenschaft
als notwendige Grundlage des Vertrages anzusehen? (Erw. 2).

    3.  Geltendmachung des Irrtums gegen Treu und Glauben? (Art. 25 Abs. 1
OR). (Erw.3).

Sachverhalt

    A. - Am 5. November 1961 liess die Cortal Verwaltungs AG im Auftrag
von Hossle folgende Anzeige im Aargauer Tagblatt erscheinen:

    "Ferien oder Wochenende

    Nur wenige Autominuten von der Staffeleggstrasse liegen

    ca. 25 Aren Wiesland

    in sonniger, erhöhter Lage. Das gegen Südosten geneigte Grundstück
enthält einige Zeilen gepflegte Reben (werden auf Wunsch entfernt) und
tragfähige Obstbäume und ist gegen Nordosten waldgeschützt. Wasser,
Strom und Weg sind in erreichbarer Nähe. Infolge besonderer Umstände
beträgt der Kaufpreis für raschentschlossenen Käufer nur Fr. 11'000.--.

    Auskunft und Besichtigung Telephon 2 88 33."

    Als Interessent meldete sich Architekt Schenker, dessen Frau
Ersparnisse anzulegen suchte. Am 17. November 1961 kaufte Frau Schenker von
Hossle zum Preise von Fr. 20 000.-- das Grundstück IR (= Interimsregister)
Herznach Nr. 1465, das nach dem Register aus 31,27 Aren Reben besteht.

    B. - Am 17. November 1962 leitete Frau Schenker gegen Hossle beim
Bezirksgericht Laufenburg Klage ein mit den Begehren:

    "1. Der ... Kaufvertrag vom 17. November 1961 über das Grundstück IR
Herznach Nr. 1465 sei rückgängig zu machen.

    2. Der Beklagte sei zu verurteilen, der Klägerin Fr. 20'091.--
zuzüglich Verzugszins zu 5 % ab 5. März 1962 zu bezahlen, die
Friedensrichterkosten zurückzuerstatten und die Kosten der Rückübertragung
zu übernehmen.

    3. Eventualbegehren: Der Beklagte sei zu verurteilen, der Klägerin für
Minderwert am Grundstück IR Herznach Nr. 1465 Fr. 16'873.-- zu bezahlen,
zuzüglich Verzugszins zu 5 % ab 5. März 1962."

    Die Klägerin berief sich auf Irrtum und Täuschung, weil sie in den
Glauben versetzt worden sei, das ihr angebotene Grundstück könne überbaut
werden, während ein Bauverbot darauf laste.

    Nach Durchführung eines Beweisverfahrens wies das Bezirksgericht die
Klage ab, weil Schenker vor dem Kaufabschluss über das Bauverbot genügend
unterrichtet worden sei.

    Das Obergericht des Kantons Aargau, an das die Klägerin appellierte,
hat nach einer Ergänzung des Beweisverfahrens mit Urteil vom 11. Dezember
1964 den Kaufvertrag vom 17. November 1961 wegen Grundlagenirrtums für
ungültig erklärt, das Grundbuchamt angewiesen, anstelle der Klägerin wieder
den Beklagten auf seine Kosten als Eigentümer des streitigen Grundstücks
einzutragen, und den Beklagten verpflichtet, der Klägerin Fr. 20'000.--
nebst 5% Zins seit 6. November 1962 zu bezahlen. Eine Minderheit des
Obergerichtes hätte das erstinstanzliche Urteil bestätigt.

    C. - Gegen das Obergerichtsurteil hat der Beklagte die Berufung an
das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.

    Die Klägerin beantragt die Bestätigung des angefochtenen Urteils.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht hat festgestellt, die Klägerin habe zur Zeit des
Vertragsabschlusses irrtümlich geglaubt, sie kaufe überbaubares Land. Diese
Feststellung betrifft tatsächliche Verhältnisse (BGE 45 II 437, 81 II 52,
87 II 137). Dass sie unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften
zustande gekommen sei, behauptet der Beklagte mit Recht nicht. Es kann aber
auch keine Rede davon sein, dass sie offensichtlich auf Versehen beruhe,
d.h. darauf zurückzuführen sei, dass die Vorinstanz bestimmte Aktenstellen
übersehen oder unrichtig wahrgenommen hätte (BGE 81 II 86, 83 II 341, 87
II 232/233). Was der Beklagte gegen die erwähnte Feststellung vorbringt,
richtet sich ausschliesslich gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanz
und ist daher nicht zu hören (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Dies gilt
insbesondere auch für die Ausführungen, mit denen der Beklagte die Annahme
der Vorinstanz beanstandet, einzelne Zeugen hätten ohne böse Absicht
unrichtig ausgesagt. Dass die Vorinstanz die Zeugenaussagen willkürlich
gewürdigt habe, wie der Beklagte behauptet, kann mit der Berufung an
das Bundesgericht nicht geltend gemacht werden. Die Feststellung, dass
die Klägerin das gekaufte Land irrtümlich für überbaubar gehalten habe,
ist daher für das Bundesgericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG).

    Diese Feststellung beruht entgegen der Auffassung des Beklagten
nicht auf der Annahme, die im Aargauer Tagblatt erschienene Anzeige
enthalte die Zusicherung einer Eigenschaft der Kaufsache, nämlich der
Ueberbaubarkeit des Kaufgrundstücks. Die Vorinstanz hat die erwähnte
Anzeige beim Entscheid darüber, ob sich die Klägerin in diesem Punkt in
einem Irrtum befunfen habe, lediglich als ein Indiz gewürdigt. Ansprüche
aus Art. 197 OR sind nicht streitig. Daher kann dahingestellt bleiben,
ob die Anzeige eine Zusicherung im Sinne dieser Bestimmung enthalte.

    Für die Beurteilung der Frage, ob sich die Klägerin geirrt habe,
ist auch unerheblich, ob der Beklagte das Kaufgrundstück selber als
überbaubar betrachtet habe, was er bestreitet.

Erwägung 2

    2.- Der festgestellte Irrtum ist nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
wesentlich, wenn er einen Sachverhalt betraf, der für die Klägerin eine
notwendige Grundlage des Vertrages bildete und nach den Regeln von Treu
und Glauben im Geschäftsverkehr als solche betrachtet werden durfte
(BGE 87 II 138 mit Hinweisen).

    a) Dass die Überbaubarkeit des Kaufgrundstücks für die Klägerin
eine unerlässliche Grundlage des Vertrags bedeutete, hat die Vorinstanz
nicht ausdrücklich festgestellt. Dem angefochtenen Urteil liegt aber
unzweifelhaft die Auffassung zugrunde, dass dies der Fall war. Das folgt
namentlich aus der für das Bundesgericht verbindlichen Feststellung, es
sei nicht anzunehmen, dass die Klägerin für rein landwirtschaftliches Land
einen (gemäss Aussage des Zeugen Hodler) "mindestens achtmal übersetzten"
Preis bezahlt hätte. (Selbst wenn das Grundstück entsprechend den
Angaben des Beklagten vor Obergericht etwa 60 Aren umfassen sollte,
läge der bezahlte Preis über den in der betreffenden Gegend für
landwirtschaftliche Grundstücke üblichen Preisen). Auf die vom Beklagten
angerufenen Zeugenaussagen, wonach der Ehemann der Klägerin erklärt
hätte, er wolle nicht bauen, sondern wünsche nur ein schönes Stück Land
zu besitzen, hat die Vorinstanz nicht abgestellt. Sie betrachtet nur
als erwiesen, dass die Klägerin einstweilen nicht zu bauen gedachte. Im
übrigen wäre selbst dann, wenn die Eheleute Schenker auch für später nicht
beabsichtigt haben sollten, das Land selber zu überbauen, nicht anzunehmen,
es sei ihnen gleichgültig gewesen, ob eine Überbauung möglich sei; denn
von der Überbaubarkeit hing ab, ob und zu welchem Preis das Land später
weiterveräussert werden könne.

    b) Angesichts des vereinbarten Preises durfte die Klägerin die
Überbaubarkeit des Grundstücks nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr
als notwendige Grundlage des Vertrages betrachten, sofern ihr nicht
besondere Umstände diese Annahme verboten.

    Es fragt sich, ob ein solcher Umstand darin liege, dass der Kaufvertrag
in Ziffer 2 der Besondern Bestimmungen vorsieht:

    "Das Kaufsobjekt wird der Käuferin in dem Zustande übergeben, in
dem es sich zur Zeit befindet. Für irgend welche Mängel wird seitens des
Verkäufers keinerlei Währschaft geleistet."

    In BGE 53 II 153 hat das Bundesgericht ausgeführt, ein Grundlagenirrtum
könne dann nicht angenommen werden, "wenn die irrtümliche Vorstellung auf
Eigenschaften der Kaufsache Bezug hat, welche Gegenstand einer Garantie
hätten bilden können, die seitens des Verkäufers förmlich wegbedungen oder
abgelehnt wurde, und der Käufer trotzdem den Vertrag abgeschlossen hat;
die Berufung auf den Irrtum ist in solchen Fällen, weil Treu und Glauben
widersprechend, nach Art. 25 Abs. 1 OR unstatthaft." In BGE 79 II 161
erklärte es, eine Irrtumsanfechtung wäre ausgeschlossen, wenn und soweit
durch die vom damaligen Beklagten (Verkäufer) angerufene Vertragsbestimmung
"die Gewährleistung bezw. Garantie als abgelehnt zu gelten hätte."

    Diese Rechtsprechung ist im Ergebnis zu bestätigen. Wird mit Bezug
auf bestimmte Eigenschaften der Kaufsache die Gewährleistung eindeutig
und in nach Art. 199 OR zulässiger Weise wegbedungen oder die Abgabe
einer Zusicherung abgelehnt, so nimmt der Käufer, der den Vertrag
gleichwohl abschliesst, die Gefahr in Kauf, dass die betreffenden
Eigenschaften fehlen. Er darf deshalb ihr Vorhandensein nach Treu
und Glauben im Geschäftsverkehr nicht als notwendige Grundlage
des Kaufvertrags betrachten, so dass ein Irrtum über diesen Punkt
nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR nicht als wesentlich gelten kann. -
Vertragsbestimmungen, welche die Gewährspflicht weder allgemein noch
hinsichtlich bestimmter Eigenschaften der Kaufsache aufheben, sondern sie
nur zeitlich oder inhaltlich (mit Bezug auf die Ansprüche des Käufers)
beschränken, verbieten dem Käufer dagegen nicht, das Vorliegen gewisser
Eigenschaften als Vertragsgrundlage anzusehen und sich, wenn er mit der
Annahme ihres Bestehens irrte, innert der Jahresfrist von Art. 31 OR wegen
Grundlagenirrtums vom Vertrage loszusagen. Solche Vertragsbestimmungen
fallen gegebenenfalls mit dem ganzen Vertrag dahin (BGE 83 II 21 f. Erw.
2).

    Im vorliegenden Falle wurde vereinbart, der Verkäufer leiste
"für irgend welche Mängel... keinerlei Währschaft". Diese Bestimmung
ist im Hinblick auf den unmittelbar vorausgehenden Satz, wonach der
Kaufgegenstand der Käuferin "in dem Zustand" übergeben wird, "in dem er
sich zur Zeit befindet", nur auf körperliche Mängel des Kaufgrundstückes
zu beziehen. Auf jeden Fall hat der Beklagte, indem er diese Bestimmung
in den Vertrag aufnehmen liess, der Klägerin nicht eindeutig zu erkennen
gegeben, dass er für die Überbaubarkeit des Grundstücks nicht einstehen
wolle. Daher durfte die Klägerin die Überbaubarkeit trotz der erwähnten
Vertragsbestimmung als notwendige Grundlage des Kaufvertrages betrachten.

Erwägung 3

    3.- Für den Fall, dass ein Grundlagenirrtum angenommen wird, macht
der Beklagte geltend, die Berufung darauf widerspreche Treu und Glauben
(Art. 25 Abs. 1 OR), weil die Klägerin und ihr Ehemann den Irrtum der
eigenen groben Fahrlässigkeit zuzuschreiben und einfach falsch spekuliert
hätten.

    Richtig ist, dass die Eheleute Schenker die Frage, ob das
Kaufgrundstück überbaubar sei, nicht sorgfältig abgeklärt haben. Die
Tatsache, dass der Irrende den Irrtum der eigenen Fahrlässigkeit
zuzuschreiben hat, genügt jedoch nicht, um den Schluss zu rechtfertigen,
die Berufung auf den Irrtum verstosse im Sinne von Art. 25 OR gegen
Treu und Glauben; denn sonst verlöre Art. 26 OR, der den fahrlässig
Irrenden grundsätzlich zum Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages
erwachsenen Schadens verpflichtet, seine Bedeutung. Im übrigen schickt
es sich für den Beklagten wenig, der Klägerin vorzuwerfen, sie habe
fahrlässig geirrt. Die erste Ursache ihres Irrtums war nämlich das von
ihm veranlasste Zeitungsinserat, das den Eindruck erweckte, er habe
überbaubares Land zu verkaufen.

    Ob die Klägerin das Land zu Spekulationszwecken kaufte und sich
dabei falsche Vorstellungen über seinen künftigen Wert machte, ist
unerheblich. Sie macht nicht einen Irrtum dieser Art geltend (der nicht
wesentlich wäre, da die künftige Preisentwicklung keinen "bestimmten
Sachverhalt" im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR darstellt), sondern
einen Irrtum über die Überbaubarkeit des Grundstücks. - Dass sie die
Berufung auf diesen Irrtum in spekulativer Absicht verzögert habe, was die
Anwendung von Art. 25 OR rechtfertigen könnte (OSER/SCHÖNENBERGER N. 7 und
BECKER, 2. Aufl., N. 5 zu Art. 25 OR), wirft ihr der Beklagte mit Recht
nicht vor. Sie hat ihren Irrtum erst nach der am 28. August 1962 erfolgten
Anmeldung eines Baugesuches entdeckt und dem Beklagten schon mit Schreiben
vom 25. September 1962 eröffnet, dass sie den Vertrag nicht halten wolle.

    Auch sonst liegt nichts vor, was die Berufung auf den Irrtum als
Verstoss gegen Treu und Glauben erscheinen liesse. Insbesondere werden
durch die Aufhebung des Kaufvertrages nicht überwiegende Interessen des
Beklagten verletzt (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER N. 5 und BECKER, 2. Aufl.,
N. 3 zu Art. 25 OR). Dem Beklagten entsteht dadurch kein besonderer
Nachteil, sondern es wird einfach der frühere Zustand wiederhergestellt.

    Die - rechtzeitig erfolgte - Berufung auf den Irrtum über die
Überbaubarkeit des Kaufgrundstücks ist daher statthaft.

Erwägung 4

    4.- Hinsichtlich der Folgen der Unverbindlichkeit des Kaufvertrages
hat der Beklagte das Urteil der Vorinstanz mit Recht nicht angefochten.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Aargau, 2. Zivilabteilung, vom 11. Dezember 1964 bestätigt.