Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 II 159



91 II 159

25. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung 13. Mai 1965 i.S. V. gegen
G. Regeste

    Vaterschaftsklage. Positiver und negativer Abstammungsbeweis. Art.
8, 307, 314, 321 ZGB.

    1.  Der positive oder negative Abstammungsbeweis steht ausserhalb
des Rahmens der Beweisregeln des Art. 314 ZGB. Gegenstand und Tragweite
des Abstammungsbeweises. (Erw. 4 und 5).

    2.  Der Beklagte kann von Bundesrechts wegen zur Erbringung
eines negativen Abstammungsbeweises verlangen, dass ein
anthropologisch-erbbiologisches Gutachten eingeholt werde

    -  nach Erschöpfung aller andern Beweismittel, die ihm gegenüber der
Vermutung seiner Vaterschaft zur Verfügung standen;

    - auch wenn er keine sonstigen Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter
in der kritischen Zeit nachzuweisen vermag. (Erw. 6).

    3.  Wann ist der Antrag auf Einholung eines solchen Gutachtens
rechtsmissbräuchlich?

    Zur Frage der Zulässigkeit eines sog. Ausforschungsbeweises. (Erw. 6).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Die Ehe St.-G. wurde am 4. Oktober 1961 vom Bezirksgericht Zürich
geschieden. Das damals von der Ehefrau, geboren 1925, erwartete
(einzige) Kind R., geboren am 3. Dezember 1961, wurde auf Klage des
geschiedenen Mannes als aussereheliches Kind der geschiedenen Ehefrau
erklärt. Hierauf leitete die Amtsvormundschaft der Stadt Zürich im Namen
des Knaben R. rechtzeitig die Vaterschaftsklage gegen J. V., geboren
1924, ein. Das Bezirksgericht Zürich, und ebenso das Obergericht des
Kantons Zürich mit Urteil vom 30. Oktober 1964, haben den Beklagten
als Vater des Klägers zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 80.-
nebst allfälligen Kinderzulagen verurteilt. Sie nehmen als bewiesen
an, dass der Ehemann St. seiner Frau während der kritischen Zeit nicht
beigewohnt hatte, dass dagegen die geschlechtlichen Beziehungen zwischen
der Kindsmutter und V. bis in den März 1961 dauerten. Anhaltspunkte für
einen Drittverkehr der Kindsmutter seien nicht vorhanden. Es könne ihr
auch nicht unzüchtiger Lebenswandel um die Zeit der Empfängnis vorgeworfen
werden. Nach dem Ergebnis der Blutuntersuchung wird der Beklagte nicht
als Vater des Kindes ausgeschlossen. Der wahrscheinliche Konzeptionstermin
fällt nach dem Tragzeitgutachten auf den 8. März 1961.

    Gegen das Urteil des Obergerichts hat der Beklagte Berufung
an das Bundesgericht eingelegt. Er beantragt Abweisung der Klage,
eventuell Rückweisung an das Obergericht zur Anordnung einer
anthropologisch-erbbiologischen Expertise.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    .....

Erwägung 4

    4.- Zu prüfen bleibt, ob das Obergericht die vom Beklagten beantragte
Einholung eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens ("AEG") zu
Unrecht abgelehnt und dadurch Art. 8 ZGB verletzt habe. Das Obergericht
weist auf die neueste Rechtsprechung hin, wonach ein solches Gutachten
jedenfalls dann einzuholen ist, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen,
die einen Mehrverkehr der Kindsmutter als möglich erscheinen lassen
(BGE 90 II 224/25 Erw. 4, c). Diese Voraussetzung sei jedoch hier nicht
erfüllt. "Ob der Beklagte auch ohne solche Anhaltspunkte Anspruch auf jenes
Gutachten habe, hat das Bundesgericht ausdrücklich offen gelassen. Das
Obergericht hat keine Veranlassung, eine solche Ausdehnung des Verfahrens
zu befürworten, wenn von ihr nach menschlichem Ermessen keine Aufklärung
des Sachverhaltes zu erwarten ist."

    Diese Schlussbemerkung verkennt die im AEG liegenden
Beweismöglichkeiten. Das AEG kann einen genügend sicheren Ausschluss
der Vaterschaft des Beklagten ergeben, auch wenn alle serologischen
Untersuchungen nicht zum Ausschluss führten. Dem Obergericht kann daher
nicht beigestimmt werden, wenn es erklärt, nach menschlichem Ermessen
lasse das AEG keine Aufklärung des Sachverhaltes erwarten. Allerdings
kommt dieser Untersuchungsmethode eine geringere Beweiskraft zu als der
Blutgruppen-Untersuchung. Deshalb und wegen der bei Einholung eines AEG
mitunter sich ergebenden beträchtlichen Verlängerung der Prozessdauer hat
sich die Frage erhoben, ob dieses Beweismittel bloss beim Vorliegen von
Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter zuzulassen sei (vgl. BGE 90 II
224 unten). Da hier solche Indizien gänzlich fehlen, ist die Frage, unter
welchen Voraussetzungen der Beklagte die Einholung eines AEG verlangen
könne, neu zu überprüfen.

Erwägung 5

    5.- In erster Linie ist zu beachten, dass die naturwissenschaftlichen
Methoden zur Abklärung von Abstammungsfragen den Rahmen der in Art. 314
ZGB aufgestellten Beweisregeln überschreiten.

    Abs. 1 dieser Norm lässt den Beklagten als Vater des Kindes
vermuten, wenn er dessen Mutter nachweisbar in der kritischen Zeit
beigewohnt hat. Diese Vermutung fällt nach Abs. 2 weg, wenn gegenüber
seiner Vaterschaft erhebliche Zweifelsgründe (namentlich Mehrverkehr der
Kindsmutter in der kritischen Zeit) nachgewiesen werden. Alsdann ist die
Klage abzuweisen, sofern die Klägerschaft nicht ihrerseits nachzuweisen
vermag, dass das Kind nicht vom dritten Beischläfer stammt, oder (positiv)
dass es vom Beklagten stammt.

    Statt Zweifelsgründe nach Art. 314 Abs. 2 ZGB geltend zu machen,
und ebenso beim Scheitern einer dahingehenden Einrede, kann der Beklagte
aber auch den Beweis führen, dass das Kind nicht von ihm stamme. Dies ist
zwar im Gesetze nicht vorgesehen, weil beim Erlass des ZGB niemand damit
rechnete, dass ein positiver oder negativer Abstammungsbeweis auch beim
Fehlen typischer Rassenmerkmale oder ausgesprochener Anomalien erbracht
werden könnte. Jedoch ergibt sich das Beweisthema des Vaterschaftsprozesses
vorweg aus Art. 307 ZGB: Die Klägerschaft hat zu beweisen, dass der
Beklagte der Vater des Kindes ist. Wegen der diesem Beweis anhaftenden
Schwierigkeiten hat der Gesetzgeber die Rechtsvermutung des Art. 314 Abs. 1
aufgestellt (BGE 87 II 69 Erw. 1). Zu deren Widerlegung ist nun aber,
ganz abgesehen von Tatsachen im Sinne des Abs. 2 dieser Bestimmung, auch
der Nachweis geeignet, dass das Kind nicht vom Beklagten abstammen kann.

    Dieser negative Abstammungsbeweis ist Beweis des Gegenteils dessen,
was nach Art. 314 Abs. 1 ZGB zu vermuten ist. Es handelt sich also um
einen Hauptbeweis (vgl. KUMMER, N. 108 zu Art. 8 ZGB). Auf Führung eines
solchen Beweises hat nach Art. 8 ZGB von Bundesrechts wegen jede Partei
Anspruch, die mit der Beweisführung belastet ist und daher gegebenenfalls
die Nachteile der Beweislosigkeit zu tragen hat. Und zwar kann sie die
Abnahme der dazu tauglichen Beweismittel, also bei Abstammungsfragen
die Durchführung der hiefür zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden
verlangen, soweit diese beim heutigen Stande der Wissenschaft die streitige
Abstammung mit genügender Sicherheit abzuklären vermögen. Nachdem bereits
das Tragzeitgutachten als Beweismittel für den Ausschluss der Vaterschaft
anerkannt worden war (BGE 51 II 112, 53 II 14, 58 II 193), wurde in BGE 61
II 72 ff. auch die Blutgruppenuntersuchung als wissenschaftlich gesichertes
Beweismittel zum Ausschluss der Vaterschaft befunden und (dort S. 76)
ausgeführt, jeder Vaterschaftsbeklagte, "der behauptet, die Blutgruppe
des Kindes sei ihm weder von der Mutter noch von ihm vererbt", habe "von
Bundesrechts wegen Anspruch auf Vornahme der bezüglichen Feststellungen".
Jenes Urteil bedarf insofern der Klarstellung, als es sich nicht, wie
dort ausgeführt wird, bloss um "erhebliche Zweifel" an der Vaterschaft
des Beklagten handelt, sondern um den vollen Beweis, dass das Kind nicht
von ihm stamme, also um den sicheren Ausschluss seiner Vaterschaft.

    Dass es zur Entkräftung der Vermutung des Art. 314 Abs. 1 ZGB
nach Abs. 2 daselbst genügt, Zweifelsgründe (namentlich Mehrverkehr)
nachzuweisen, erklärt sich aus dem Inhalt der Vermutungsbasis: Wenn die
Vermutung, der Beklagte und kein anderer Mann sei der Vater des Kindes,
schon an eine ihm nachgewiesene, in die kritische Zeit fallende Beiwohnung
geknüpft wird, so lässt sich diese der Natur der Sache nach ausschliesslich
für einen Mann geltende Vermutung nicht aufrecht erhalten, sobald ein
zweiter Mann dieselbe Voraussetzung gleichfalls erfüllen würde. Ist aber
Mehrverkehr nicht nachgewiesen, so lassen sich nicht etwa "erhebliche
Zweifel" an der Vaterschaft des Beklagten auch auf Grund einer die
Abstammung des Kindes betreffenden Untersuchung rechtfertigen, falls
diese bloss ergibt, dass das Kind mit "beträchtlicher" oder "grosser",
nicht aber an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht vom Beklagten
abstammt. Denn bei einem so unsicheren Ergebnis bleibt die Zeugung durch
den Beklagten im Rahmen des praktisch Möglichen, und es muss daher in einem
solchen Falle, sofern kein Mehrverkehr nachgewiesen ist, die Vermutung des
Art. 314 Abs. 1 ZGB aufrecht bleiben (BGE 86 II 318 Erw. 3). Man hat es
alsdann mit einer der zwar vom Regelfall abweichenden, aussergewöhnlichen
Tragzeit- oder Blutgruppenkonstellationen zu tun, die jedoch noch durch
die gesetzliche Vermutung gedeckt sind.

    Ist dagegen die Abstammung des Kindes vom Beklagten mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit durch serologischen Befund ausgeschlossen,
so ersetzt dieser Gegenbeweis nicht bloss die Einrede des Art. 314
Abs. 2 ZGB, welcher die Klägerschaft ihrerseits durch positiven
Nachweis der Vaterschaft des Beklagten auf dem Weg eines AEG begegnen
könnte. Dies ist gegenüber einem mit hinreichender Sicherheit erbrachten
serologischen Ausschlussbeweis nicht zulässig. Denn der Blutgruppen-Beweis
hat durchschlagende Beweiskraft, die sich auch gegenüber einem AEG
durchzusetzen vermag. Deshalb lässt sich ein positiver AEG-befund,
wie es schon etwa geschehen ist, durch gegenteiligen Blutgruppenbefund
widerlegen, während ein rechtsgenüglicher serologischer Ausschlussbefund
einem die Vaterschaft bejahenden AEG-befund standzuhalten vermöchte
(vgl. BGE 88 II 398/99 und 90 II 273/74; ferner G. BEITZKE, Rechtsfragen
der Vaterschaftsbegutachtung, in "Vaterschaftsgutachten..." 1956,
S. 20). Eine andere, hier nicht zu prüfende Frage ist es, ob man einem auf
praktische Unmöglichkeit der Vaterschaft des betreffenden Mannes lautenden
Tragzeitgutachten einen positiven AEG-befund entgegenhalten könnte (vgl.
BEITZKE, aaO S. 15).

    Von den Fällen widersprechender Ergebnisse der Blutgruppenuntersuchung
einerseits und des AEG anderseits abgesehen (wie sie sich bei fachkundiger
Untersuchung und Begutachtung selten ereignen dürften) kommt dem AEG
nach dem heutigen Stande der Wissenschaft der Rang eines vollwertigen
Beweismittels zur Abklärung von Abstammungsfragen zu. Es ist geeignet,
in Einzelfällen "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit", also
mit einem rechtsgenüglichen Grade der Sicherheit, den negativen Beweis der
Nichtabstammung oder auch den positiven Beweis der Abstammung des Kindes
vom betreffenden Manne zu erbringen. Aus diesem Grunde wird insbesondere
der Klägerschaft zugestanden, den Beweis der Abstammung des Kindes vom
Beklagten auf dem Wege des AEG zu führen, wenn sie eine Beiwohnung nicht
gemäss Art. 314 Abs. 1 ZGB nachzuweisen vermochte, oder wenn die aus
einer solchen Beiwohnung sich ergebende Rechtsvermutung durch Nachweis
von Mehrverkehr nach Abs. 2 daselbst entkräftet wurde; ebenso gegenüber
einer allenfalls an sich hinreichend begründeten Einrede des unzüchtigen
Lebenswandels nach Art. 315 ZGB (BGE 90 II 272 mit Hinweisen). 6. - Im
vorliegenden Falle besteht indessen die Vermutung aus Art. 314 Abs. 1
ZGB zugunsten der Klägerschaft, und nach dem Scheitern der Einreden aus
Abs. 2 daselbst wie auch aus Art. 315 ZGB will der Beklagte seinerseits
einen negativen Abstammungsbeweis führen, wozu nach erfolglos gebliebenem
Blutgruppen- und Tragzeitbefund eben nur noch das AEG als taugliches
Beweismittel übrig bleibt. Der Beklagte hat den dahingehenden Beweisantrag
nach vorinstanzlicher Feststellung in prozessual gültiger Weise gestellt,
und in materiell-rechtlicher Hinsicht besteht - anders als bei der
Anfechtung der Ehelichkeit, wobei auf die Ehre einer unbescholtenen Ehefrau
Rücksicht zu nehmen ist (BGE 71 II 60, 79 II 25, 82 II 504, 87 II 15) - im
Vaterschaftsprozesse keine Veranlassung, die Einholung eines vom Beklagten
beantragten Abstammungsbefundes (also vorweg eines serologischen Befundes
und ebenso eines AEG) um der Schonung der Kindsmutter willen nur dann
anzuordnen, wenn Anhaltspunkte für Mehrverkehr nachgewiesen sind. Vielmehr
kann es sich im Vaterschaftsprozesse nur fragen, ob sich speziell für den
AEG-beweis um seiner Besonderheiten willen die Aufstellung einer solchen
Voraussetzung rechtfertige, wie es die Vorinstanz annimmt.

    Trotz den im AEG liegenden Beweismöglickeiten hat die schweizerische
Rechtsprechung bisher in der Tat gezögert, dem Beklagten dieses Mittel zur
Erbringung eines negativen Abstammungsbeweises auch dann zuzugestehen, wenn
er keine Anzeichen für Mehrverkehr der Kindsmutter nachzuweisen vermag.
Dieses Bedenken gründet sich namentlich auf die Überlegung, dass der
Beklagte den dahingehenden Beweisantrag leichthin stellen könnte, um den
Prozess in die Länge zu ziehen (da sich die betreffenden Untersuchungen
in der Regel erst dann vornehmen lassen, wenn das Kind mindestens drei
Jahre alt ist). Das bildet jedoch keinen durchschlagenden Grund zur
Einschränkung des dem Beklagten zustehenden Beweisrechtes.

    a) Einmal steht die wissenschaftliche Tauglichkeit der AEG-Methode
heute fest, obwohl sich der Sicherheitsgrad des Ergebnisses nicht genau
mathematisch fixieren und das subjektive Moment bei der Gesamtbewertung
der zahlreichen Merkmale nicht ganz ausschalten lässt. Das subjektive
Moment liegt (wie HARRASSER, Das anthropologisch-erbbiologische
Vaterschaftsgutachten, 1957, S. 37 bemerkt) "nicht etwa in einer
unbegrenzten Ermessensfreiheit des Gutachters, sondern ebenso wie bei jeder
Sachverständigentätigkeit, die sich nicht auf routinemässig technische
Arbeiten mit einer Anwendung weniger zwingender Regeln beschränken kann,
im Spielraum der Kenntnisse, der Erfahrungen, der Sorgfalt und des
Verantwortungsbewusstseins der Sachverständigen...". Die Anerkennung
dieses Beweismittels hat sich denn auch in der deutschen Rechtsprechung
durchgesetzt (vgl. die Entscheidungen des deutschen Bundesgerichtshofes
vom 16. Juni 1953, Neue Juristische Wochenschrift 1954 I S. 83/84, und
vom 13. November 1963, Entscheidungen des BGH in Zivilsachen 40 S. 375
ff. Erw. b; aus der neueren Literatur: HARRASSER, Der gegenwärtige Stand
des erbbiologischen Vaterschaftsgutachtens, NJW 1962 I S. 659 ff.; BAITSCH,
Mathematischstatistische Verfahren im anthropologisch-erbbiologischen
Gutachten, in "Die medizinische Vaterschaftsbegutachtung mit biostatischem
Beweis", herausgegeben von K. Hummel, 1961, S. 53 ff.; HUMMEL, Zum Problem
des positiven Vaterschaftsbeweises, NJW 1964 II S. 2191 ff.; P. GOEPFERT,
Das anthropologisch-erbbiologische Gutachten im Vaterschaftsprozess,
Basler Juristische Mitteilungen 1965 S. 1 ff., TEPLITZKY, Das
Vaterschaftsgutachten in der neueren Rechtsprechung, NJW 1965 I S. 334
ff.). Eine Diskriminierung des AEG in dem Sinne, dass es nicht für sich
allein, sondern nur als Bestandteil eines sog. Additionsbeweises zu
berücksichtigen wäre, ist nicht gerechtfertigt. Sache des Experten und
des Richters ist es, Fehlentscheidungen zu vermeiden, die sich etwa als
Folge einer zu allgemeinen Formulierung des Untersuchungsergebnisses
ergeben könnten (vgl. HUMMEL, aaO S. 2192 linke Spalte, und O. FRANZ,
Über die forensische Anwendbarkeit von Vaterschaftsalgorithmen, 1960,
S. 33, wonach der Experte darauf bedacht sein soll, "nie dem Richter
durch Abgabe von Wahrscheinlichkeitsgutachten ohne diesbezüglichen
Kommentar... das Gefühl unberechtigter Sicherheit zu verschaffen").

    b) Bei dieser Sachlage darf die Einholung eines AEG insbesondere
nicht an die Voraussetzung geknüpft werden, dass gewisse wenn auch
schwache Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter nachgewiesen seien.
Vielmehr ist der Ansicht beizutreten, wonach "weder der Umstand, dass die
beweisfällige Partei einen konkreten Mehrverkehrszeugen nicht namentlich
benennen oder in sonstiger Weise ausfindig machen kann, noch das Fehlen
anderer Anhaltspunkte für Mehrverkehr" dem Antrag auf Einholung eines
AEG entgegensteht (TEPLITZKY aaO III, 2, b mit Hinweis auf ein Urteil
des Bundesgerichtshofes vom 12. Februar 1964, NJW 1964 I S. 1179/80;
ebenso für das schweizerische Recht: SCYBOZ, Jurisprudence actuelle du
Tribunal fédéral en matière de preuves scientifiques de la paternité,
Journal des Tribunaux 1962 I 201-202; GOEPFERT, aaO S. 8). Gegenstand
des negativen AEG ist ja nicht der Mehrverkehr der Kindsmutter,
sondern die Unmöglichkeit der Abstammung des Kindes vom Beklagten, wie
bereits dargelegt (Erw. 5; im gleichen Sinne HIENDL, Das Blutgruppen-
und erbbiologische Gutachten im Alimentenprozess des unehelichen Kindes,
NJW 1963 II 1662/63 Ziff. 2). Seinem Wesen nach beruht das AEG ebenso wie
die Blutgruppenuntersuchung und das Tragzeitgutachten auf biologischen
Gesetzen und Gegebenheiten, die zur Geltung zu kommen verdienen, ohne
dass irgendwelche auf Mehrverkehr hindeutende Vorkommnisse aus dem Leben
der Kindsmutter bekannt zu sein brauchen.

    c) In der deutschen Rechtsprechung wurde dem Antrag auf Anordnung
eines AEG (oder einer andern die Abstammung des Kindes betreffenden
Untersuchung) gelegentlich entgegengehalten, es handle sich um einen
nach prozessrechtlichen Grundsätzen unzulässigen "Ausforschungsbeweis",
wenn sich dieser Beweisantrag auf eine "aus der Luft gegriffene, jeder
tatsächlichen Grundlage entbehrende Prozessbehauptung" stützt (vgl. das
Urteil des Bundesgerichtshofes vom 3. April 1952, Entscheidungen des BGH
5 S. 306/7; BAUMBACH/LAUTERBACH, Komm., 26. Auflage, Bem. 2 zu § 282 und
Bem. 2 zu § 373 DZPO). In neuerer Zeit wird aber der Eigenart des in Frage
stehenden Beweisthemas in zunehmendem Masse Rechnung getragen, und es
setzt sich in Abstammungsfragen eine abweichende Betrachtungsweise durch
(vgl. ROSENBERG, Lehrbuch des deutschen ZPR, 8. A. 1960, Bem. I 3 d zu §
115 "Die Beweisaufnahme", S. 562; BAUMBACH/LAUTERBACH, aaO und Bem. 2
zu § 640 der deutschen ZPO, Unterrubrik "622 I"; SAUTER, Die Pflicht
zur Duldung von Körperuntersuchungen nach § 372a ZPO, im Archiv für die
civilistische Praxis Bd. 161/1962, S. 215 ff., bes. 222/23; ferner ein
Urteil des Bundesgerichtshofes vom 13. November 1963, Entscheidungen des
BGH in Zivilsachen 40 S. 367 ff., wo das AEG zum Beweis dafür angerufen
war, dass der als Vater in Anspruch genommene Mann in der kritischen Zeit
nicht mit der Kindsmutter verkehrt habe). Jedenfalls für das schweizerische
Recht lässt sich der Anrufung des AEG-beweises so wenig wie dem Antrag auf
Ei nholung eines Blutgruppen- oder eines Tragzeitgutachtens entgegenhalten,
es handle sich dabei um einen ohne tatbeständliche Grundlage versuchten
Ausforschungsbeweis. Dieser nicht klar umschriebene und auch im Ausland
umstrittene Begriff (vgl. DUNZ, Der unzulässige Ausforschungsbeweis, NJW
9/1956 I S. 769 ff.; BÜTTNER, Vaterschaftsprozess und Ausforschungsbeweis,
Zeitschrift für Zivilprozess Bd. 67/1954 S. 73 ff.) hat keine
selbständige Bedeutung; er wird aus dem Grundsatz abgeleitet, dass die
unter Beweis gestellten Parteivorbringen genügend substanziert sein,
d.h. bestimmte tatbeständliche Angaben enthalten müssen, und anderseits
aus der Regel, wonach die Abnahme von Beweisen auch gestützt auf eine
Vorauswürdigung, sog. antizipierte Beweiswürdigung, abgelehnt werden
darf. Aus diesen Gesichtspunkten lässt sich aber gegen das in Frage
stehende wissenschaftliche Beweismittel nichts einwenden. Wie bereits
dargetan, dienen die zur Abklärung von Abstammungsfragen geeigneten
wissenschaftlichen Methoden nicht als Beweismittel für Tatsachen und
Vorkommnisse im Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB, die der Beklagte in
bestimmter Weise vorzubringen hätte, sondern sie betreffen unmittelbar die
Frage der Abstammung oder Nichtabstammung des Kindes, worüber eben erst die
Untersuchung Klarheit schaffen soll. Als Grundlage für diese Beweisführung
genügt daher die Behauptung, das Kind stamme vom betreffenden Manne ab,
oder es könne nicht von ihm abstammen. Einer weitern Substanzierung bedarf
es nicht, da es nur gerade um die streitige Abstammungsfrage geht. Das
AEG ist somit auf Grund eines solchen Vorbringens anzuordnen, was der
durch BGE 61 II 76 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung betreffend den
Blutgruppenbeweis entspricht. Schon BGE 87 II 288 nimmt denn auch gegen den
Einwand, es handle sich um ein unzulässiges Ausforschungsmittel, Stellung.

    d) Wenn, wie im vorliegenden Falle, das Ergebnis des AEG gänzlich
ungewiss ist, kommt nicht in Frage, den vom Beklagten angetretenen Beweis
durch antizipierte Beweiswürdigung als aussichtslos zu erklären. Anders
könnte es sich allenfalls beim Vorliegen übereinstimmender auffälliger
Merkmale des Kindes und des Beklagten verhalten. Selbst in einem solchen
Falle dürfte sich übrigens gewöhnlich die Befragung eines erbbiologischen
Experten empfehlen, sofern nicht auszuschliessen ist, dass das Kind von
einem Rassen- oder Familiengenossen des Beklagten stammt (vgl. HARRASSER,
AE-Vaterschaftsgutachten S. 41 ff.).

    Der in Frage stehende Beweisantrag ist ferner nicht
rechtsmissbräuchlich. Der Umstand, dass der Beklagte keine Indizien
für Mehrverkehr der Kindsmutter nachzuweisen vermag, schliesst
nach dem Gesagten den negativen Abstammungsbeweis nicht aus. Von
Rechtsmissbrauch könnte nur gesprochen werden, wenn ein Mehrverkehr
geradezu ausgeschlossen wäre oder dem Beklagten nicht verborgen geblieben
sein könnte (vgl. GOEPFERT, aaO S. 9). So verhält es sich hier indessen
nicht. Die Kindsmutter lebte nicht so zurückgezogen, dass ein Mehrverkehr
mit Sicherheit ausgeschlossen wäre, und sie lebte auch nicht unter
ständiger Obhut des Beklagten, so dass diesem ein Mehrverkehr hätte
bekannt werden müssen.

    e) Da der im Dezember 1961 geborene Kläger im vierten Lebensjahre
steht, wird die Durchführung des AEG-beweises keine erhebliche Verzögerung
des Endurteils mit sich bringen. Die an sich freilich unerwünschte und
in manchen Fällen für die Klägerschaft nachteilige Verlängerung der
Prozessdauer wäre übrigens kein zureichender Grund zur Verweigerung
eines dem Beklagten von Bundesrechts wegen zustehenden Beweismittels
(BGE 90 II 223/24). Die Begrenzung der Ansprüche auf Sicherstellung
des Unterhaltes während des Prozesses (Art. 321 ZGB) muss einstweilen
hingenommen werden; gegen die Zulassung des AEG-beweises lässt sich daraus
nichts herleiten. Zum Postulat einer Revision des Art. 321 ZGB ist hier
nicht Stellung zu nehmen (vgl. dazu ABRAVANEL, La preuve anthropologique
dans la recherche de la paternité, Hommage du Journal des Tribunaux à la
Société suisse des juristes 1958, p. 97).

    Endlich dürfen die beträchtlichen Kosten der Begutachtung den Entscheid
über die Zulassung eines Beweismittels nicht beeinflussen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Soweit auf die Berufung einzutreten ist, wird sie gutgeheissen,
das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 30. Oktober 1964
aufgehoben und die Sache zur Ergänzung und Neubeurteilung im Sinne der
Erwägungen an das Obergericht zurückgewiesen.