Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 III 98



91 III 98

19. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Oktober 1965 i.S. Eggimann
gegen Dick. Regeste

    "Verjährung" der Anfechtungsklage nach Art. 292 SchKG.

    1.  Selbständiger, die "Verjährung" verneinender Vorentscheid. Berufung
nach Art. 50 OG. (Erw. 1).

    2.  Vom Schuldner abgeschlossener und vollzogener Liegenschaftsverkauf.
Anfechtung nach Art. 288 SchKG. Wesentliche Bedeutung der Vollzugshandlung,
also der Anmeldung des Vertrages beim Grundbuchamt (mit der nachfolgenden
Eintragung des Eigentumsüberganges). Dieser Verfügungsakt unterliegt
der Anfechtung binnen der Frist des Art. 292 SchKG auch dann, wenn
das Grundgeschäft als solches wegen Ablaufes dieser Frist nicht mehr
angefochten werden könnte. (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Am 24. Februar 1960 verkaufte Gottfried Eggimann seinem Sohn
Werner eine Liegenschaft in Grossaffoltern. Der Kaufvertrag wurde vom
hiezu beauftragten Notar am 17. Juni 1960 beim Grundbuchamt Aarberg zur
Eintragung angemeldet und die Eintragung am gleichen Tage vollzogen.

    B.- Am 12. März 1965 focht Rudolf Dick, dem in der Betreibung
gegen Gottfried Eggimann ein Verlustschein ausgestellt worden war, jene
Vermögensentäusserung durch Klage gegen den Erwerber gestützt auf Art.
288 SchKG an. Er behauptete, der Kaufpreis liege mindestens um den
Betrag seines Verlustscheins (Fr. 11'589.--) unter dem wahren Werte der
Liegenschaft, und verlangte eine entsprechende Rückleistung im Sinne des
Art. 291 SchKG.

    C.- Während der Gerichtspräsident von Aarberg die Klage am 15. Mai
1965 wegen Verwirkung bzw. Verjährung abwies, verwarf der Appellationshof
des Kantons Bern diese Einrede mit Entscheid vom 10. Juni 1965 und wies
die Angelegenheit zur einlässlichen Behandlung an den erstinstanzlichen
Richter zurück.

    D.- Gegen diesen Entscheid hat der Beklagte die vorliegende Berufung
an das Bundesgericht eingelegt mit dem erneuten Antrag auf Abweisung des
Klage wegen "Verjährung" gemäss Art. 292 SchKG.

    Der Antrag des Klägers geht auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid weist die auf einer bundesrechtlichen
Norm beruhende Verjährungseinrede ab und kennzeichnet sich damit als
selbständiger Vorentscheid im Sinne des Art. 50 OG. Die dort genannten
Voraussetzungen zur gesonderten Berufung gegen diesen Vorentscheid
sind erfüllt: Der Entscheid wurde von einer der in Art. 48 Abs. 1 OG
genannten Behörde gefällt; der Streitwert beträgt, wie sich schon aus dem
Klagebegehren ergibt und übrigens unbestrittenist, Fr. 11'589.--, erreicht
also den nach Art. 46 OG erforderlichen Betrag von Fr. 8'000.--, und
bei abweichender Beurteilung der Vorfrage würden sofort ein Endentscheid
herbeigeführt und ein beträchtlicher Aufwand an Zeit und Kosten erspart.

Erwägung 2

    2.- Die Entscheidung darüber, ob "Verjährung" im Sinne des Art. 292
SchKG eingetreten sei, hängt davon ab, ob die fünfjährige Frist vom
Abschluss des Kaufvertrages an (24. Februar 1960) oder erst von der
Anmeldung und Eintragung des Eigentumsüberganges an (17. Juni 1960) zu
berechnen ist. Im ersten Fall ist die Einrede (gemäss dem erstinstanzlichen
Entscheide) zu schützen, und zwar gleichgültig, ob man Verjährung oder
Verwirkung annimmt oder der gesetzlichen Frist einen doppelten Charakter
zuschreibt (vgl. BGE 41 III 319; FRITZSCHE, SchK Band II S. 276/77); denn
der Kläger hat vor der Klageanhebung nichts unternommen, was als Grund zur
Unterbrechung einer Verjährung nach Art. 135 Ziff. 2 OR gelten könnte. Im
zweiten Fall, bei Fristbeginn am 17. Juni 1960, ist die Einrede dagegen
(in Übereinstimmung mit dem Entscheid des Appellationshofes) zu verwerfen;
denn die Klage ist binnen fünf Jahren seit jenem Datum angehoben worden.

    Nach Art. 292 SchKG tritt "Verjährung" ein, wenn fünf Jahre
"seit der anfechtbaren Rechtshandlung", "à partir de l'acte vicieux",
"dall'atto rivocabile", abgelaufen sind. Der erstinstanzliche Entscheid
betrachtet als anfechtbare Rechtshandlung den nach den Vorbringen
des Klägers auf Gläubigerbenachteiligung angelegten Abschluss des
Kaufvertrages. Demgegenüber weist der Appellationshof auf den Zweck der
Anfechtungsklage hin. Diese solle zur Rückerstattung dessen führen,
was dem Beschlagsrecht des Anfechtungsklägers entzogen wurde. Den
Grund der Anfechtungsklage bilde die durch eine Rechtshandlung des
Schuldners direkt oder indirekt herbeigeführte Verschlechterung der
Exekutionsrechte der Gläubiger, sei es durch Belastung oder gänzliche
Entziehung eines Exekutionsobjektes oder durch Vergrösserung der auf
die Aktiven angewiesenen Passivmasse (JAEGER, N 3 zu Art. 288 SchKG).
Im Fall der Anfechtung eines Liegenschaftsverkaufes zu untersetztem
Preis nach Art. 286 SchKG habe das Bundesgericht daher denjenigen
Rechtsakt als für die Fristbemessung massgebend bezeichnet, der den
Entzug zukünftiger Exekutionsobjekte zum Abschluss bringt, also die
Eintragung des Eigentumsüberganges im Grundbuch oder allenfalls die
Anmeldung zur Eintragung (BGE 45 III 182/83). Entsprechendes müsse
für den Beginn der allgemeinen Verjährungs- oder Verwirkungsfrist des
Art. 292 SchKG gelten. Es sei belanglos, dass das Gesetz im einen Fall (in
Art. 286) von Rechtsgeschäften, im andern Fall (in Art. 288, und ebenso
in Art. 285 und 292) von Rechtshandlungen spreche. "In beiden Fällen
kommt es nach Sinn und Zweck der Anfechtungsklage für den Fristbeginn
auf die Entzugshandlung an, bei Veräusserungen demnach auf den Vollzug
des Verfügungsgeschäftes." Daher spiele es auch keine Rolle, dass der
Schuldner (Verkäufer) die Einwilligung zur Eigentumsübertragung bereits
im Kaufvertrag erteilt und den beurkundenden Notar mit der Anmeldung
beauftragt habe. Denn die Sache sei dem Zugriff der Gläubiger erst durch
die Eintragung des Eigentumsüberganges im Grundbuch entzogen worden.

    Dieser Auffassung ist beizustimmen. Die Anfechtung nach Art. 285
ff. SchKG richtet sich in den meisten Fällen gegen Handlungen des
Schuldners, durch welche sein Aktivvermögen vermindert worden ist. Dass das
Gesetz in erster Linie solche Fälle ins Auge fasst, ergibt sich namentlich
aus Art. 291. Danach ist, wer durch eine anfechtbare Rechtshandlung
"Vermögen des Schuldners erworben hat", zur "Rückgabe" verpflichtet. Von
Vermögenserwerb und Rückgabe kann jedenfalls grundsätzlich nur gesprochen
werden, wenn ein Vermögensübergang stattgefunden hat. Sodann kennzeichnen
sich die nach Art. 287 anfechtbaren Rechtshandlungen eindeutig als
Verfügungsakte (Pfandbestellung und Tilgungshandlungen). Auch Art. 286
Abs 1 bezieht sich auf Leistungen, die nicht bloss versprochen, sondern
vollzogen sind. Ist es beim blossen Schenkungsversprechen geblieben,
so bedarf es nach Ausstellung eines Verlustscheines oder Eröffnung des
Konkurses gar keiner Anfechtung. Das Versprechen ist alsdann von Gesetzes
wegen ungültig (Art. 250 Abs. 2 OR). Bei den auch den Gegenkontrahenten
des Schuldners zu einer Leistung verpflichtenden "Rechtsgeschäften"
des Art. 286 Abs. 2 SchKG verhält es sich nicht grundsätzlich
anders. Ziff. 1 daselbst betrifft die gemischten Schenkungen; diese
sind gewöhnlich, wenn es zur Anfechtung kommt, seitens des Schuldners
vollzogen (so war es auch im Falle von BGE 45 III 182/83). Bei den
Rechtsgeschäften der Ziff. 2 daselbst geht es in der Regel ebenfalls
um eine vollzogene Leistung; denn bei derartigen Geschäften ist der
Schuldner meistens vorleistungspflichtig. Sehr umfassend lautet dann
allerdings die Umschreibung des Gegenstandes der Anfechtung in Art. 288
SchKG. Darunter fallen "alle Rechtshandlungen", die der Schuldner in
der vom Gesetz verpönten Absicht vorgenommen hat, sofern diese Absicht
dem andern Teil erkennbar war. Unter Umständen werden von dieser Norm
bloss obligatorische Rechte betroffen (vgl. BGE 31 II 351/52, sowie 37 II
680 ff.; HANGARTNER, Die Gläubigeranfechtung im schweizerischen Recht,
Diss. Zürich 1929, S. 85). Art. 288 ermöglicht sogar die Anfechtung
prozessualer Erklärungen wie auch gewisser Unterlassungen des Schuldners
(vgl. JAEGER, N 3 A zu Art. 288; FRITZSCHE, SchK Band II, S. 269;
GAUGLER, Die paulianische Anfechtung, Band I S. 102/3). Indessen kommt
der Anfechtung einer Übertragungsverpflichtung des Schuldners eine
geringe Bedeutung zu. Sofern eine solche Verpflichtung nicht überhaupt
durch Verzicht (Rücktritt vom Vertrag, Art. 83 OR; vgl. auch Art. 211
SchKG) dahinfällt, besteht die "Rückgewähr" einfach in der Duldung der
Nichtbeachtung des Anspruches (vgl. JAEGER, N 2 B zu Art. 291 SchKG,
S. 405). Ist die Übertragung vollzogen, so ist dann aber hauptsächlich sie
anzufechten. Denn die Erfüllungshandlung stellt eine zur Verpflichtung
hinzutretende Rechtshandlung dar, welche um ihrer dinglichen Wirkung
willen nun erst in eigentlichem Sinn in die Beschlagsrechte der
Gläubiger eingreift. Dass der Vollzugshandlung eine entscheidende
Bedeutung zukommt, ergibt sich auch daraus, dass ihre Anfechtbarkeit
keineswegs von der Anfechtbarkeit des Grundgeschäftes abhängt. Das
gilt nicht nur für Handlungen nach Art. 287 SchKG, sondern auch für
Tilgungshandlungen, die unter Art. 288 SchKG fallen (vgl. JAEGER, N
3 A Schlussabsatz zu Art. 288). Gleich verhält es sich nun aber auch,
wenn das Grundgeschäft ebenfalls bereits die sonstigen Merkmale einer
anfechtbaren Rechtshandlung aufwies, jedoch wegen Ablaufes der Klagefrist
des Art. 292 SchKG seinerseits der Anfechtung entrückt ist. Bildet somit
das Verfügungsgeschäft eine besondere Rechtshandlung, die um ihrer
über die obligatorische Verpflichtung hinausgehenden Rechtswirkungen
willen der Anfechtung unterliegt - und sei es auch wegen der schon mit
dem Abschluss des Grundgeschäftes verfolgten Absichten, die eben nun
verwirklicht wurden - so muss für den Beginn der Klagefrist des Art. 292
der Zeitpunkt der Vollzugshandlung massgebend sein. Die Überlegungen,
die in BGE 45 III 182/83 zur Frage des Beginnes der sechsmonatigen Frist
des Art. 286 SchKG angestellt wurden, gelten somit in der Tat auch für den
Beginn der Klagefrist des Art. 292 SchKG. Ob der Schuldner die Anmeldung
an das Grundbuchamt selbst vornahm oder einen anderen, insbesondere wie
hier den beurkundenden Notar damit beauftragte, bleibt sich gleich; denn
für die Handlung seines Vertreters hat der Schuldner einzustehen, und
sie gilt auch dem Dritten, also dem Beklagten gegenüber wie eine eigene
Handlung des Schuldners (vgl. BGE 39 II 397; JAEGER, N 4 zu Art. 288).

    Soweit sich in der Literatur über die streitige Frage Äusserungen
vorfinden, lauten sie im gleichen Sinne (vgl. GAUGLER, Die paulianische
Anfechtung, Bd. I S. 108 und 189, mit Ausführungen darüber, dass
eine Anfechtbarkeit des Grundgeschäftes, die das Erfüllungsgeschäft
nicht mitergreift, nicht möglich sei, wohl aber eine Anfechtbarkeit
des Vollzugsgeschäftes ohne gleichzeitige Anfechtbarkeit des
Verpflichtungsgeschäftes; "für die Frage der zeitlichen Schranken
der Anfechtbarkeit ergeben sich hieraus beachtliche Konsequenzen";
H.P. BERZ, Der paulianische Rückerstattungsanspruch, Diss. Zürich 1960,
welcher auf S. 43/44 mit Fussnote 18 die entscheidende Bedeutung des
Erfüllungsgeschäftes für die Berechnung der Fristen, namentlich auch der
Verjährungs- bzw. Verwirkungsfrist des Art. 292 SchKG, hervorhebt. Damit
stehen die Ausführungen von BLUMENSTEIN, Handbuch S. 888, und JAEGER,
N 3 zu Art. 288 und N 1 zu Art. 291 SchKG, im Einklang).

    Nichts Abweichendes ergibt sich aus dem Inhalt der "Rückgabepflicht"
des Anfechtungsgegners nach Art. 291 SchKG. Die erfolgreiche Anfechtung
macht den Grundbucheintrag allerdings nicht ungerechtfertigt, noch
verpflichtet sie den Erwerber zur Rückübertragung des Eigentums auf den
Schuldner. Es lässt sich somit trotz dem Wortlaut des Art. 285 SchKG
nicht von Ungültigkeit der Rechtshandlung (im zivilrechtlichen Sinne)
sprechen. Vielmehr soll dem Gläubiger lediglich das Beschlagsrecht
gesichert werden, das ihm durch die angefochtene Rechtshandlung entzogen
wurde (BGE 47 III 92, 81 III 102). Auch unter diesem Gesichtspunkt
kommt aber der Vollzugshandlung entscheidende Bedeutung zu, so dass sie
den wesentlichen oder einzigen Gegenstand der Anfechtung bildet und
die Klagefrist des Art. 292 SchKG vom Zeitpunkt ihrer Vornahme an zu
berechnen ist.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes
des Kantons Bern vom 10. Juni 1965 bestätigt.