Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 III 52



91 III 52

11. Entscheid vom 19. November 1965 i.S. Fischer. Regeste

    Unpfändbarkeit. Art. 92 SchKG.

    1.  Wann ist die Ehefrau des Schuldners zur Geltendmachung der
Unpfändbarkeit nach Art. 92 Ziff. 3 SchKG legitimiert? (Erw. 1).

    2.  Eine Giesserei ist in der Regel nicht als Beruf, sondern als
Unternehmen zu betrachten und untersteht alsdann dem Schutz des Art. 92
Ziff. 3 SchKG nicht. (Erw. 2).

    3.  Im Einzelfall "notwendige" Berufswerkzeuge: für das Bundesgericht
verbindliche Feststellungen der kantonalen Behörde über tatsächliche
Verhältnisse. Art. 81/63 Abs. 2 OG. (Erw. 3).

    4.  Kann die Ehefrau des Schuldners verlangen, dass Lohn desselben
statt des ihm gehörenden, jedoch von ihr selbst zu geschäftlichen Fahrten
verwendeten Personenwagens gepfändet werde? Art. 95 SchKG. (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Eheleute Fischer-Deppeler stehen im Scheidungsprozess und
leben getrennt. Der Ehemann, "Fabrikant und Fabrikarbeiter", steht in einem
Dienstverhältnis, während sein im Jahre 1954 eröffneter Giessereibetrieb
in Oberflachs auf Grund einer gerichtlichen Anordnung nach Art. 145 ZGB von
der Ehefrau geführt wird. Sie hat dem Ehemann einen monatlichen Teilbetrag
von Fr. 500.-- des Geschäftsertrages abzuliefern. Im Jahre 1959 schaffte
der Ehemann einen Personenwagen Peugeot 403 an, der in Oberflachs blieb
und von der Ehefrau zu privaten und geschäftlichen Fahrten verwendet wird.

    B.- In mehreren von dritter Seite gegen den Ehemann angehobenen
Betreibungen pfändete das Betreibungsamt Oberflachs am 2. April 1965
auf Ersuchen des Betreibungsamtes Schinznach-Dorf unter anderem den
erwähnten Peugeotwagen. Über diese Pfändung beschwerte sich die Ehefrau,
indem sie den Wagen als unentbehrlichen Bestandteil des Geschäftsvermögens
bezeichnete. Die untere Aufsichtsbehörde (der Gerichtspräsident von Brugg)
schützte die Beschwerde und hob die Pfändung des Wagens in Anwendung
von Art. 92 Ziff. 3 SchKG auf. Die obere kantonale Aufsichtsbehörde hiess
dagegen am 15. Oktober 1965 einen Rekurs des Schuldners gut und erklärte
das Personenauto Peugeot 403 als pfändbar. Der Begründung ist zu entnehmen:

    "Beim fraglichen Personenwagen handelt es sich um ein neueres
Modell, das betreibungsamtlich auf Fr. 5'000.-- geschätzt worden
ist. In der Befragung durch den Gerichtspräsidenten von Brugg sagte der
Beschwerdeführer aus, dass grössere Giessereien, wie die Firma Müller
in Brugg und die Firma Suter in Wildegg, ohne Auto auskämen. Er habe das
Auto seinerzeit nicht für den Giessereibetrieb, sondern für private Zwecke
gekauft. Die Ehefrau deponierte dagegen, sie brauche den Personenwagen für
Kundenbesuche in Basel, Pratteln, Hergiswil und Frick. Gussprodukte müssten
damit nach Basel, Pratteln, Zürich, Ebikon und (in) andere kleinere Orte
geführt werden. Nach Wil werde das Material indessen meistens per Bahn
geschickt, aber häufig per Auto an die Abgangsstation gebracht. In andern
Fällen werde es mit der Bahncamionnage geholt. Gegen die Darstellung des
Beschwerdeführers, wonach die Firmen Refonda und Rotschild das Material
selber zulieferten, und zwar teilweise gratis, erhob Frau Fischer an sich
keine Einwendungen. Sie erklärte lediglich, bisweilen müsse man plötzlich
Material haben; per Bahn transportiert dauere es jedoch bis zum Eintreffen
der Sendung drei bis fünf Tage."

    Die kantonale Aufsichtsbehörde würdigte dieses Ergebnis der
Einvernahme dahin, dass sich das in Frage stehende Personenauto
für den Giessereibetrieb nicht als unentbehrlich erweise, weshalb
seine Kompetenzqualität zu verneinen sei. "Die Kundenbesuche und
Materialtransporte können offensichtlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln
und per Bahncamionnage bewältigt werden, wobei die Kosten bestimmt nicht
höher, sondern niedriger ausfallen, und wobei die Konkurrenzfähigkeit des
Giessereibetriebes nicht in Frage gestellt wird. Das fragliche Personenauto
ist überdies zum Transport grösserer Warenmengen gar nicht eingerichtet
und daher hiefür schlecht geeignet."

    C.- Mit vorliegendem Rekurs an das Bundesgericht beharrt Frau
Fischer auf ihrer Beschwerde und namentlich auf ihrem Standpunkt, es
könne füglich eine Lohnpfändung angeordnet werden, da der Schuldner (mit
Einschluss des ihm allmonatlich zufliessenden Anteils am Geschäftsertrag)
ein Monatseinkommen von etwa Fr. 1300.-- habe. Im übrigen sei die Annahme,
die Unkosten werden beim Verzicht auf das Auto "bestimmt" nicht höher
ausfallen, eine blosse Mutmassung. Und die Feststellung, das Personenauto
sei zum Transport grösserer Warenmengen gar nicht eingerichtet, sei
aktenwidrig, denn die Rekurrentin habe bei ihrer Einvernahme erklärt,
dass sich die hinteren Sitze herausnehmen lassen, so dass 350 kg Guss
transportiert werden können. Eventuell wäre es als Rechtsverweigerung zu
betrachten, dass ihr Antrag, es sei vorerst das Einkommen des Schuldners
mit Beschlag zu belegen, von der Vorinstanz nicht berücksichtigt wurde.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Zur Geltendmachung der Unpfändbarkeit nach Art. 92 SchKG ist
in erster Linie der Schuldner befugt, der jedoch im vorliegenden Falle
gegenteils für die Pfändung des Peugeot-Wagens eintritt, um den Zugriff auf
andere Vermögensstücke und insbesondere eine Lohnpfändung zu vermeiden. Zur
Beschwerde wegen Verletzung des Art. 92, insbesondere Ziff. 3, SchKG ist
aber unabhängig von der Stellungnahme des Schuldners auch seine Ehefrau
befugt, wenn sie die Unentbehrlichkeit eines Gegenstandes für die ganze
Familie oder speziell für sie selbst zur Geltung bringen will (vgl. BGE
82 III 54 und 85 III 66 mit Hinweisen). So verhält es sich hier. Da der
Ehefrau durch gerichtliche Anordnung im Scheidungsverfahren die Führung des
Giessereibetriebes des Ehemannes überlassen wurde, steht es ihr zu, einen
Verstoss gegen Art. 92 Ziff. 3 SchKG durch Pfändung von Vermögensstücken
des Geschäfts(Betriebs-) vermögens auf dem Beschwerdewege zu rügen.

Erwägung 2

    2.- Um sich auf Art. 92 Ziff. 3 SchKG berufen zu können, hätte die
Rekurrentin indessen vor allem dartun müssen, dass es sich bei ihre
gewerblichen Tätigkeit um die Ausübung eines "Berufes" ("profession",
"professione") handelt. Darunter ist nach ständiger Rechtsprechung
die Betätigung persönlicher Fähigkeiten (eben des erlernten Berufes)
zu verstehen. Von einem Beruf im Sinne des Gesetzes lässt sich nur
sprechen, wenn die zur Erzielung des Einkommens aufgewendete persönliche
Arbeit gegenüber den in Art. 92 Ziff. 3 SchKG angeführten Hilfsmitteln
als Erwerbsfaktor überwiegt und keine der Familie nicht angehörenden
Arbeitskräfte verwendet werden oder doch nur in geringem, durch die
Eigenart einzelner Berufe bedingtem Masse (vgl. insbesondere BGE 88
III 51 ff. mit zahlreichen Hinweisen). Einem solchen "Berufe" steht das
(industrielle oder gewerbliche) "Unternehmen" gegenüber, das einen nicht
überwiegend als Entgelt der persönlichen Tätigkeit des Inhabers oder
Leiters zu betrachtenden, sondern wesentlich jenen andern Erwerbsfaktoren
zuzuschreibenden Unternehmergewinn abwirft. Ein solches Unternehmen
geniesst den Schutz des Art. 92 Ziff. 3 SchKG nicht. Nun weist eine
Giesserei in der Regel eine beträchtliche technische Ausrüstung auf und
kennzeichnet sich daher als Unternehmen. Wer einen solchen Betrieb als
Inhaber auf eigene Rechnung führt, sei es als Eigentümer oder als Pächter
der Geschäftsräume und -einrichtungen, ist nicht Berufsmann im Sinne des
Art. 92 Ziff. 3 SchKG, sondern Unternehmer und kann daher den Schutz
dieser Gesetzesnorm selbst für unentbehrliche Geräte seines Betriebes
nicht anrufen.

    Davon ist hier auszugehen. Dass man es ausnahmsweise mit Berufsausübung
zu tun habe, die vorliegende Giesserei also nur mit geringen technischen
Einrichtungen und ohne oder nur nebensächlich mit angestelltem Personal
betrieben werde, hätte - als Ausnahmefall - dargetan werden müssen, was
die Rekurrentin gar nicht versucht hat. Es ist übrigens unwahrscheinlich,
dass derart aussergewöhnliche Verhältnisse bestehen bei einer Giesserei mit
so ausgedehntem Kundenkreis, wie er sich aus den Aussagen der Rekurrentin
ergibt.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz ist aus einem andern Grund ebenfalls dazu gelangt,
dem Peugeotwagen die Eigenschaft eines Kompetenzstückes abzusprechen:
weil er für den Giessereibetrieb gar nicht notwendig sei. Auch diese
Urteilsgrundlage ist rechtlich einwandfrei, denn sie stützt sich auf
eine für das Bundesgericht verbindliche Feststellung tatsächlicher
Verhältnisse (Art. 81 in Verbindung mit Art. 63 Abs. 2 OG). Ein eigenes
Transportfahrzeug gehört nicht zur üblichen Ausrüstung einer Giesserei
(so wenig wie etwa zu einem landwirtschaftlichen Kleinbetriebe; vgl. BGE 85
III 21). Ob aber ein (nach Angaben der Rekurrentin zu Fuhrungen von 350 kg
verwendbares) Automobil mit Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse des
vorliegenden Giessereibetriebes unentbehrlich sei, hing von der Würdigung
der einander in diesem Punkte widersprechenden Aussagen der Eheleute ab -
einer Würdigung, die das Bundesgericht nach dem Gesagten nicht nachprüfen
kann (vgl. BGE 87 III 62).

Erwägung 4

    4.- Den Standpunkt der Rekurrentin, es sei von der Pfändung des
Peugeotwagens namentlich auch deshalb abzusehen, weil statt dessen ein
Teil des reichlichen Lohneinkommens des Schuldners gepfändet werden könne,
lehnt die Vorinstanz stillschweigend ab, was keine Rechtsverweigerung im
Sinne von Art. 17 ff. SchKG bedeutet. Rechtlich ist diese Entscheidung
nicht zu beanstanden. Sie entspricht der von der Praxis anerkannten Regel,
dass auf das laufende und künftige Lohneinkommen des Schuldners erst in
letzter Linie zu greifen ist, nämlich nur wenn sich anderes Vermögen nicht
oder nur in ungenügendem Wertbetrage vorfindet (BGE 82 III 53). Selbst
wenn man diese Regel nicht als starren Rechtssatz, sondern bloss als
Richtlinie betrachtet, wovon bei wichtigen Gründen abgewichen werden darf,
hält der vorinstanzliche Entscheid vor dem Rekurse stand. Denn Fragen
der Angemessenheit können dem Bundesgericht nach Art. 19 SchKG nicht
unterbreitet werden, und von Ermessensüberschreitung lässt sich keineswegs
sprechen, wenn die Vorinstanz es bei Pfändung des Peugeotwagens bewenden
lässt, den sie als für den Giessereibetrieb entbehrlich betrachtet.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.