Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 III 1



91 III 1

1. Entscheid vom 4. März 1965 i.S. Bank Henry Ansbacher & Co. Regeste

    Verfrühter oder hinfällig gewordener Rechtsvorschlag? Art. 74 SchKG.

    Beschwerde des Gläubigers wegen ungerechtfertigter Berücksichtigung
des Rechtsvorschlages; Frist. (Erw. 1).

    Unter welchen Voraussetzungen ist ein vor der förmlichen Zustellung
des Zahlungsbefehls erhobener Rechtsvorschlag zulässig? (Erw. 2).

    Ein gültiger Rechtsvorschlag bleibt wirksam, wenn sich die Zustellung
des Zahlungsbefehls nachträglich als fehlerhaft erweist und es deshalb
zu einem neuen Zustellungsakte kommt. (Erw. 3).

    Eine Fristverlängerung nach Art. 66 Abs. 5 SchKG kann auch
stillschweigend gewährt werden. (Erw. 4).

    Wirkung der Betreibungsferien (Erw. 4).

Sachverhalt

    A. - Für Forderungen von Fr. 1'659,049.50 und Fr. 2'277.60, je
nebst Zins, gegen die in Mülheim an der Ruhr domizilierte Schuldnerin
erwirkte die Rekurrentin am 13. März 1964 in Zug einen Arrestbefehl und
hob hierauf Betreibung an. Das Betreibungsamt Zug stellte am 23. März
den Zahlungsbefehl Nr. 3540 aus und liess ihn samt der Arresturkunde
am 30. März zur Zustellung in das Ausland durch die Gerichtskanzlei
Zug versenden. Am 26. Mai, als das Gläubigerdoppel des Zahlungsbefehls
noch nicht zurückgekommen war, erhob der Zuger Anwalt der Schuldnerin
Rechtsvorschlag mit Hinweis auf die Betreibungsnummer, und am 5. Juni
reichte die Schuldnerin eine Arrestaufhebungsklage ein.

    B.- Im August 1964 forschte das Betreibungsamt dem immer noch
nicht eingelangten Gläubigerdoppel des Zahlungsbefehls nach, jedoch
ohne Erfolg. Daher erstellte es ein neues Exemplar und übermittelte
es dem Anwalt der Gläubigerin am 7. September mit dem Vermerk, der
Zahlungsbefehl sei am 3. Juni durch das Amtsgericht Mülheim an der Ruhr
an die Schuldnerin zugestellt worden. (Im Arrestaufhebungsprozess war der
3. Juni als Tag der Zustellung der Arresturkunde angegeben worden; daher
nahm das Betreibungsamt an, dies sei auch das Datum der Zustellung des
Zahlungsbefehls.) In der Rubrik "Rechtsvorschlag" brachte es den Vermerk
an: "Schuldner erhebt Rechtsvorschlag ohne nähere Begründung durch Herrn
Rechtsanwalt Dr. E. Keusch, Zug".

    C.- Am 30. September 1964 traf dann das Gläubigerdoppel des seinerzeit
nach Mülheim versandten Zahlungsbefehls auf dem Betreibungsamt Zug
ein. Beigefügt war eine Zustellungsbescheinigung des Inhaltes, die
Zustellung sei am 24. September erfolgt, und zwar durch Zurücklassen
der zuzustellenden Schriftstücke im Geschäftslokal der Schuldnerin,
"weil die Annahme ohne gesetzlichen Grund verweigert wurde".

    Dieses Original-Gläubigerdoppel samt Zustellungszeugnis
übermittelte das Betreibungsamt anfangs Oktober ebenfalls dem Anwalt der
Gläubigerin. Hiebei war die Rubrik "Rechtsvorschlag" leer gelassen. Es
ging denn auch kein neuer Rechtsvorschlag ein.

    D.- Am 18. November 1964 stellte die Gläubigerin das
Fortsetzungsbegehren, mit der Bemerkung: "Auf die erst am 24. September
1964 richtig erfolgte Zustellung des Zahlungsbefehls ist innert der
gesetzlichen Frist von 10 Tagen kein Rechtsvorschlag erhoben worden". Das
Betreibungsamt wies dieses Begehren zurück, indem es erklärte: "Der
Rechtsvorschlag ist rechtsgültig - auf keinen Fall verspätet - erfolgt,
so dass die Betreibung vor dessen Beseitigung nicht fortgesetzt werden
kann".Auf Anfrage teilte es dem Anwalt der Gläubigerin am 20. November
auch das Datum des Rechtsvorschlages, 26. Mai 1964, mit.

    E.- Am 27. November 1964 führte die Gläubigerin Beschwerde mit dem
Antrag, das Betreibungsamt sei anzuweisen, ihrem Fortsetzungsbegehren
Folge zu geben und die arrestierten Forderungen zu pfänden. Sie nahm
den Standpunkt ein, der am 24. September zugestellte Zahlungsbefehl
sei unbestritten geblieben und daher vollstreckbar geworden. Die
Rechtsvorschlagserklärung vom 26. Mai 1964 sei nicht zu berücksichtigen,
weil der Rechtsvorschlag nicht zum voraus, vor der Zustellung des
Zahlungsbefehls, erklärt werden dürfe. Darauf erwiderte die Schuldnerin,
der in Mülheim mit der Zustellung beauftragte Beamte habe schon am
20. Mai 1964 bei ihr vorgesprochen und "den zuständigen Organen" den
Zahlungsbefehl zur Kenntnisnahme vorgelegt. So sei ihr dessen Inhalt
genau bekannt geworden und sie habe deshalb Rechtsvorschlag erhoben. Dies,
obwohl sie die Annahme der Urkunde verweigert habe, worauf das Amtsgericht
Mülheim sie ihr am 3. Juni 1964 durch die Post und schliesslich am
24. September 1964 nochmals in aller Form habe zustellen lassen. Die
Beschwerde der Gläubigerin erscheine übrigens als verspätet, weil sie
schon am 7. September 1964 vom Rechtsvorschlag Kenntnis erhalten habe,
ohne hierauf etwas vorzukehren.

    F.- Mit Entscheid vom 11. Januar 1965 hat die kantonale
Aufsichtsbehörde die Beschwerde der Gläubigerin abgewiesen.

    G.- Gegen diesen Entscheid richtet sich der vorliegende Rekurs der
Gläubigerin, die am Begehren der Beschwerde festhält.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Laut Art. 76 SchKG ist der Inhalt des Rechtsvorschlages dem
Betreibenden auf der für ihn bestimmten Ausfertigung des Zahlungsbefehls
mitzuteilen, gleichviel ob das Betreibungsamt den Rechtsvorschlag als
gültig anerkennt oder nicht (vgl. JAEGER, N. 1 zu Art. 76). Hält das
Amt den Rechtsvorschlag für ungültig, so hat es jedoch zugleich mit
der Mitteilung seines Inhaltes an den Betreibenden zu erklären, dass
es die Betreibung nicht als dadurch gehemmt betrachte (vgl. JAEGER,
N. 4 zu Art. 74 und N. 5 zu Art. 76; FRITZSCHE SchK I 110 oben). Die
Frist zur Beschwerdeführung betreffend die von den Aufsichtsbehörden zu
beurteilende Gültigkeit des Rechtsvorschlages läuft von dem Tage an,
an dem die Beteiligten Kenntnis erhalten, dass das Betreibungsamt den
Rechtsvorschlag als gültig oder als ungültig befunden hat (JAEGER, N. 4
zu Art. 74).

    Im vorliegenden Fall erhebt sich daher in der Tat die von der
Schuldnerin aufgeworfene Frage, ob es der Gläubigerin zugestanden habe,
die Ungültigkeit des Rechtsvorschlages erst gegen Ende November gegenüber
der Ablehnung ihres Fortsetzungsbegehrens geltend zu machen, obwohl ihr
der Rechtsvorschlag schon am 7. September mitgeteilt worden war. Nun
hatte aber diese Mitteilung, wonach der Zahlungsbefehl am 3. Juni
in Mülheim zugestellt worden war, keine Veranlassung geboten, an der
Gültigkeit des ohne Angabe eines Datums vermerkten Rechtsvorschlages
zu zweifeln. Der Gläubigerin kann es in dieser Hinsicht nicht schaden,
dass sie sich nicht näher auf dem Betreibungsamt erkundigt hat, wobei
ihr allenfalls irgendwelche wirkliche oder vermeintliche Verfahrensmängel
bekannt geworden wären. Auffallen musste ihr freilich die anfangs Oktober
erfolgte neue Übermittlung eines Zahlungsbefehldoppels nebst einer
amtlichen Bescheinigung über die erst am 24. September vorgenommene
(förmliche) Zustellung des Zahlungsbefehls. Allein, da in diesem
Zahlungsbefehldoppel kein Rechtsvorschlag vermerkt war, blieb offen, ob
das Betreibungsamt den früher erhobenen Rechtsvorschlag noch gelten liess
oder nicht. Im übrigen blieb abzuwarten, ob gegenüber der "förmlichen"
Zustellung vom 24. September etwa nochmals Rechtsvorschlag erhoben
werde. Unter diesen Umständen versäumte die Gläubigerin nichts, wenn sie
ihrer Auffassung, es hätte eines neuen Rechtsvorschlages bedurft, durch
Stellung des Fortsetzungsbegehrens Ausdruck gab und erst nach Ablehnung
dieses Begehrens Beschwerde erhob.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerde stützt sich auf Art. 74 SchKG, wonach
der Rechtsvorschlag innerhalb zehn Tagen nach der Zustellung des
Zahlungsbefehls zu erklären ist. Somit sei ein vor dieser Zustellung,
zum voraus, auf Vorrat, erklärter Rechtsvorschlag unzulässig, also
ungültig. Dem ist grundsätzlich beizustimmen. Der Rechtsvorschlag bedeutet
einen Widerspruch des Betriebenen gegenüber dem Zahlungsbefehl. Er
ist deshalb an die von der Zustellung des Zahlungsbefehls an laufende
gesetzliche Frist gebunden und setzt normalerweise voraus, dass
diese Zustellung erfolgt ist (BLUMENSTEIN, Handbuch S. 246/47 mit
Hinweis auf BGE 26 I 373 Erw. 2 [= Sep. Ausg. 3 S. 185]). Indessen
ist ein Rechtsvorschlag nicht auf Vorrat erhoben worden, wenn er sich
auf eine bestimmte Betreibung bezieht, die bereits eingeleitet und
vom Betreibungsamt durch Ausstellung eines Zahlungsbefehls mit einer
bestimmten Betreibungsnummer anhand genommen wurde. Erhebt der Schuldner
Rechtsvorschlag gegenüber einer solchen ihm genau zur Kenntnis gelangten
Betreibung, sei es auch, bevor es zu der vom Amte beabsichtigten oder
schon ins Werk gesetzten Zustellung des Zahlungsbefehls kam, so ist der
Rechtsvorschlag weder "auf Vorrat" (im Hinblick auf eine allenfalls
noch unbestimmte Anzahl künftiger Betreibungen), noch auch nur in
einem zu verpönenden Sinne "zum voraus" (vor dem Bestehen eines zur
Zustellung bestimmten Zahlungsbefehls) erklärt worden. Dieses Vorgehen
der Schuldnerin ist weder rechtsmissbräuchlich, noch stört es den Gang
der Betreibung. Das Betreibungsamt kann von einem solchen Rechtsvorschlag
Vormerk nehmen und ihn zu gegebener Zeit dem Gläubiger mitteilen. Gegen
die hier vorliegende Rechtsvorschlagserklärung vom 26. Mai 1964 ist
umso weniger etwas einzuwenden, als der betreffende Zahlungsbefehl
bereits zur Zustellung versandt worden und es auch bereits zum Versuch
einer Zustellung am Domizil der Schuldnerin gekommen war, und zwar nach
ihrer eigenen Angabe am 20. Mai. Da ein an der Annahmeverweigerung des
Adressaten gescheiterter Zustellungsversuch unter Umständen die Fiktion
einer effektiv vollzogenen Zustellung rechtfertigt (vgl. BGE 90 III
8), hatte die Schuldnerin ein rechtsschutzwürdiges Interesse, binnen
gesetzlicher Frist seit jenem Zustellungsversuche Recht vorzuschlagen,
um im Falle der Zustellungsfiktion die Frist nicht zu versäumen.

Erwägung 3

    3.- Eine Frage für sich ist, ob der Rechtsvorschlag vom 26. Mai
1964 nachträglich unwirksam geworden sei, als sich ergab, dass laut
Bescheinigung des Amtsgerichts Mülheim an der Ruhr eine förmliche
Zustellung des Zahlungsbefehls erst am 24. September 1964 erfolgt
war. Der Vorinstanz ist jedoch darin beizustimmen, dass es bei der
Rechtswirksamkeit des früher erklärten Rechtsvorschlages zu bleiben
hat. Es ist bereits entschieden worden, dass, wenn die Zustellung eines
Zahlungsbefehls ungültig und daher nochmals vorzunehmen war, ein auf
die erste Zustellung hin erklärter Rechtsvorschlag beachtlich bleibt
(BGE 78 III 155 ff.). Dementsprechend brauchte auch im vorliegenden
Falle - gesetzt auch, vor dem 24. September 1964 sei keine gültige oder
als gültig zu fingierende Zustellung erfolgt - die im Mai abgegebene
Rechtsvorschlagserklärung nicht wiederholt zu werden.

Erwägung 4

    4.- Obwohl die Gläubigerin den Rechtsvorschlag als verfrüht
beanstandet hatte, wirft die Vorinstanz auch noch die Frage auf, ob er
nicht vielleicht verspätet war. Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass ein
- rechtswirksamer - Zustellungsversuch schon vor dem von der Schuldnerin
angegebenen Tage des 20. Mai 1964 erfolgt sei. Nun gebühre ihr aber wegen
ihres ausländischen Domizils eine Verlängerung der Rechtsvorschlagsfrist
um etwa zehn Tage, also auf 20 Tage, und diese verlängerte Frist habe
sie sicher eingehalten, da der Zahlungsbefehl erst am 30. April in Zug
zur Zustellung auf dem Weg der Rechtshilfe abgesandt worden sei.

    Es erweckt Bedenken, dass die Vorinstanz von sich aus der
Schuldnerin eine Fristverlängerung gewähren zu dürfen glaubt. Nach
Art. 66 Abs. 5 SchKG ist die Gewährung dieser Rechtswohltat Sache des
Betreibungsamtes. Allerdings kann auch die Aufsichtsbehörde in den Fall
kommen, auf Beschwerde eines Beteiligten über die Anwendung der erwähnten
Gesetzesnorm zu befinden, namentlich wenn der Schuldner die Validierung
einer verspäteten Handlung anbegehrt (vgl. JAEGER, N. 21 zu Art 66 SchKG;
BGE 43 III 12, 73 III 29/30).

    Im vorliegenden Falle hatte indessen das Betreibungsamt durch
die Entgegennahme des Rechtsvorschlages vom 26. Mai 1964 bereits
stillschweigend eine dessen Rechtzeitigkeit begründende Fristverlängerung
gewährt für den Fall, dass eine rechtswirksame Zustellung des
Zahlungsbefehls (entgegen der unverdächtigen, wenn auch auf kein Beleg
gestützten Angabe der Schuldnerin) mehr als zehn Tage zuvor erfolgt
sein sollte (vgl. BGE 47 III 195 ff.). Diese Fristverlängerung liegt
entgegen der Ansicht der Rekurrentin durchaus im Sinne des Art. 66
Abs. 5 SchKG. Denn diese Norm hat gerade die dem Schuldner obliegenden,
an gesetzliche Fristen gebundenen Handlungen im Auge. Dem im Auslande
wohnenden Schuldner ist vorweg für den Rechtsvorschlag, aber auch für
andere Handlungen wie etwa die Beschwerdeführung, eine den Umständen
entsprechende Verlängerung der gesetzlichen Fristen zuzubilligen. In
diesem Sinne wurde z.B. in dem von der Vorinstanz angeführten, von der
Rekurrentin ebenfalls besprochenen Fall ent schieden (BGE 73 III 154 unten:
"Mindestens eine ebenso lange Frist musste für den Rechtsvorschlag gewährt
werden"; vgl. ferner BGE 50 III 81, 52 III 14, 70 III 77; JAEGER, N. 19
zu Art. 66 SchKG; FRITZSCHE SchK I 95/96).

    Übrigens liessen schon die vom 10. bis 24. Mai 1964 laufenden
Pfingst-Betreibungsferien den Rechtsvorschlag als auf alle Fälle
rechtzeitig erscheinen. Denn eine während der Ferien erfolgte Zustellung
entfaltete ihre Wirkungen erst am ersten Tage nach Ablauf der Ferien,
so dass sich die Frist für den Rechtsvorschlag bis zum 4. Juni erstreckte
(BGE 82 III 52 Erw. 1). Sollte aber eine Zustellung schon zwischen dem
1. und dem 9. Mai erfolgt sein, so lief jene Frist immerhin bis zum 27. Mai
(Art. 63 SchKG).

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.