Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 IV 177



90 IV 177

37. Urteil des Kassationshofes vom 10. November 1964 i.S. Wettstein gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 und 2 StGB. Widerruf des bedingten
Strafvollzuges infolge erheblicher Täuschung des richterlichen Vertrauens,
herbeigeführt durch die Begehung zahlreicher Übertretungen.

Sachverhalt

    A.- Wettstein hatte beim Verkauf eines Occasionswagens den Käufer
arglistig getäuscht und war deshalb am 1. Juli 1960 vom Obergericht des
Kantons Zürich wegen Betruges zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten
verurteilt worden, deren Vollzug auf drei Jahre bedingt aufgeschoben wurde.

    Während der Probezeit wurde Wettstein vom Polizeirichter der Stadt
Zürich zehnmal zu Bussen von Fr. 10.- bis Fr. 50.- verurteilt. Zwei von
diesen betrafen unentschuldigtes Nichteinrücken zu Ausbildungskursen des
Zivilschutzes, eine wurde wegen Widerhandlung gegen das Tierseuchengesetz
ausgefällt und die übrigen sieben Bussen entfallen auf Widerhandlungen
gegen Strassenverkehrsvorschriften, hauptsächlich begangen durch
Stehenlassen von Motorfahrzeugen an verbotenen Stellen oder zu unerlaubten
Zwecken und durch Parkieren über die erlaubte Zeit hinaus. Ferner wurden
in einem von vier eingestellten Strafverfahren, die wegen Betruges bei
Autoverkäufen während der Probezeit gegen Wettstein angehoben worden
waren, diesem Untersuchungskosten mit der Begründung auferlegt, dass er
durch seine falschen Angaben eine bedenkliche Geschäftsmoral und damit
ein leichtfertiges, ja verwerfliches Verhalten an den Tag gelegt habe.

    B.- Das Obergericht des Kantons Zürich ordnete am 28.  April 1964
wegen Täuschung des richterlichen Vertrauens (Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB)
den Vollzug der am 1. Juli 1960 bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe an.

    C.- Wettstein führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, den
Widerrufsentscheid des Obergerichtes aufzuheben und die Sache zur
Löschung des früheren Strafurteils, eventuell zu seiner Verwarnung oder
zur Anordnung einer anderen Ersatzmassnahme an die Vorinstanz zurück.

    zuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Soweit der Beschwerdeführer anstelle einer eigenen
Beschwerdebegründung bloss auf kantonale Eingaben verweist, kann auf sie
nicht eingetreten werden (BGE 88 IV 122 und dort erwähnte Rechtsprechung).

Erwägung 2

    2.- Indem das Gesetz in Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB allgemein
ein das Vertrauen des Richters enttäuschendes Verhalten als Grund zum
Vollzug der Strafe erklärt, verlangt es, dass der unter Bewährungsprobe
stehende Verurteilte sich überhaupt keines Verhaltens schuldig mache, in
dessen Voraussicht der Strafvollzug nicht aufgeschoben worden wäre. Dazu
zählt jedes Verhalten, gleichgültig, ob es strafbar ist oder nicht,
vorausgesetzt, dass sich der Verurteilte der Pflichtwidrigkeit seines
Handelns auch ohne besondere Mahnung bewusst sein musste und dass
seine Verfehlung von einer Schwäche zeugt, die er mit Rücksicht auf die
Bewährungsprobe hätte meistern können und sollen (BGE 72 IV 148, 75 IV 158,
77 IV 3, 83 IV 137, 85 IV 121, 89 IV 126).

    Das Obergericht hat durch die Annahme einer Vertrauenstäuschung
weder die Voraussetzungen dieses Widerrufsgrundes verkannt oder
das Verhalten des Beschwerdeführers unrichtig gewürdigt, noch ist
es von einem unzutreffenden Begriff der Bewährung ausgegangen. Zum
Wohlverhalten, das vom Verurteilten erwartet wird, gehört, dass er sich
auf allen Lebensgebieten an die Rechtsordnung halte und Anstrengungen
unternehme, um einen Rückfall in bereits aufgetretene Schwächen zu
verhüten. Der Beschwerdeführer hat in der einen wie in der andern
Richtung das in ihn gesetzte Vertrauen erheblich getäuscht. Entgegen
seiner Auffassung kann keine Rede davon sein, dass es sich bei den zehn
Bussenfällen ausschliesslich um Bagatellübertretungen handle, denen blosse
Nachlässigkeit zugrunde liege. Das Gegenteil ergibt sich sowohl aus der
Vielzahl und Gleichartigkeit der auf einen Zeitraum von 2 1/2 Jahren
entfallenden Widerhandlungen als auch aus der Art ihrer Begehung, so aus
dem stunden- und tagelangen, in einem Falle sogar 2-3 Wochen dauernden
Parkieren von zum Teil keine Kontrollschilder aufweisenden Fahrzeugen
auf öffentlichen Strassen und Plätzen, wo es einer Sonderbewilligung
bedurft hätte oder wo nach der ausdrücklichen Signalisierung die
Parkzeit beschränkt oder jedes Anhalten verboten war. Die in diesen
Fällen immer wieder gezeigte bedenkenlose Gleichgültigkeit gegenüber
der Rechtsordnung ist umso schwerwiegender, als der Beschwerdeführer
sich auch noch um polizeiliche Vorladungen nicht gekümmert hat, nähere
Auskünfte verweigerte, über die einschreitende Polizei abschätzige
Bemerkungen machte und sie sogar einmal grob beschimpfte. Nicht weniger
verwerflich ist die rücksichtslose und egoistische Haltung, die darin
zum Ausdruck kommt, dass der Beschwerdeführer den Zivilschutzkurs,
zu dem er aufgeboten war, trotz mehrmaliger Verschiebung und Androhung
strafrechtlicher Massnahmen versäumte und dass er das zweite Mal ungeachtet
der Verurteilung zu einer Busse und Zustellung zweier neuer Aufgebote
wiederum nicht einrückte. Solche hartnäckige Widersetzlichkeit zeugt von
Hemmungslosigkeit und mangelndem Besserungswillen, was eine ausgeprägte
Charakterschwäche erkennen lässt. Zum gleichen Schluss führt auch die
unlautere Geschäftsmoral, die der Beschwerdeführer im eingestellten
Strafverfahren erneut an den Tag gelegt hat, ebenso der Umstand, dass
er den vielen Verwarnungen zum Trotz noch zu behaupten wagt, er habe
keine Ahnung gehabt, dass die strafbaren Übertretungen den Widerruf des
bedingten Strafaufschubes nach sich ziehen könnten.

    Die neuen Verfehlungen sind, gesamthaft betrachtet, weder objektiv
noch subjektiv als so geringfügig zu bewerten, dass ein besonders leichter
Fall im Sinne des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB angenommen werden könnte
(BGE 86 IV 7). Die erwähnten Charaktermängel und die Einsichtslosigkeit
des Beschwerdeführers, deretwegen ihm schon der bedingte Strafaufschub
nur mit Bedenken gewährt worden ist, machen vielmehr deutlich, dass er
dringend der Nacherziehung bedarf.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten
werden kann.