Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 IV 168



90 IV 168

36. Urteil des Kassationshofes vom 9. Juli 1964 i.S. Letter gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden. Regeste

    1.  Art. 28, 29 StGB, Art. 2 ZGB. Durch blosses Zuwarten wird auf
den Strafantrag nicht verzichtet. Frist zur Stellung des Strafantrages
bei fortgesetztem unlauteren Wettbewerb. Rechtsmissbräuchliche Ausübung
des Strafantragsrechts verneint.

    2.  Art. 13 lit. d UWG. Verwechselbarkeit der Waren durch Nachahmung
des Bildzeichens eines Mitbewerbers.

Sachverhalt

    A.- Die Nahrin AG, Sarnen, vertreibt neben anderen Nährmitteln
einen von ihr hergestellten Berg-Wacholderhonig, der vornehmlich als
Latwerge-Brotaufstrich Verwendung findet. Sie liefert den Honig in
zylinderförmigen Metallbüchsen von 11,5 cm Höhe und 10 cm Durchmesser,
deren Mantelfläche von einer farbigen, in vier verschiedene Felder
aufgeteilten Etikette ganz umschlossen wird. Während auf deren Rückseite
und auf den schmäleren seitlichen Feldern Weiss und Grün vorherrschen,
zeichnet sich die Vorderseite, deren Grund rot ist, dadurch aus, dass
sich auf der oberen Hälfte ein weisses, durch einen blauen Streifen
umrahmtes Oval von ca. 5 cm Höhe und 8 cm Länge hervorhebt, in dem ein
grüner Bergwacholderzweig mit blauen Beeren abgebildet ist. Unter diesem
Signet stehen in weisser Schrift die Worte "Berg-Wacholder" ("Genièvre
de montagne"/"Ginepro di montagna") und darunter der Firmaname ("Nahrin
AG./SA., Sarnen/OW"). Die Etikette ist seit dem 31. Oktober 1959 beim
Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum als gewerbliches Muster für
Verpackungen hinterlegt.

    Karl Letter eröffnete nach zweijähriger Tätigkeit als Chefvertreter
der Nahrin AG im August 1959 in Sarnen ein eigenes Nährmittelgeschäft
und nahm auch den Vertrieb von Bergwacholder-Honig auf. Er benützte
dazu zylinderförmige Gläser von rund 15 cm Höhe und 8 cm Durchmesser
mit weissem Plastikverschluss und versah sie mit einer 11 cm hohen und
10 cm breiten Etikette von weisser Farbe, auf deren unterer Hälfte in
Schwarzdruck die Bezeichnung "Mythen Berg-Wachholder", darunter eine Skizze
der Mythenspitzen sowie die Firma "Mythen-Nährmittel K. Letter, Sarnen
(OW)" angebracht sind. Auf der oberen Hälfte der Etikette ist das von der
Nahrin AG verwendete Signet nachgeahmt; es unterscheidet sich vom Vorbild
einzig dadurch, dass die Umrandungslinie des Ovals orangefarbig statt
blau und der Bergwacholderzweig in etwas matteren Farben gehalten ist.

    B.- Am 14. Mai 1963 erhob die Nahrin AG gegen Letter Strafklage wegen
unlauteren Wettbewerbes, den sie darin erblickt, dass durch die Verwendung
ihres Signets eine Verwechslung mit ihrer Ware und ihrem Geschäftsbetrieb
herbeigeführt werde.

    Die Untersuchungs- und Überweisungsbehörde des Kantons Obwalden
erklärte am 28. November 1963 Letter des unlauteren Wettbewerbes im
Sinne des Art. 13 lit. d UWG schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse
von Fr. 60. -. Der Gerichtsausschuss des Kantonsgerichts von Obwalden,
an den der Gebüsste rekurrierte, bestätigte am 20. Februar 1964 den
erstinstanzlichen Strafentscheid.

    C.- Letter führt gegen das Urteil des Gerichtsausschusses
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei freizusprechen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer bestreitet, dass die Nahrin AG berechtigt
sei, gegen ihn Strafantrag zu stellen. Denn die Klägerin habe sich durch
jahrelange Duldung stillschweigend damit einverstanden erklärt, dass er
ihr Signet verwende. Ihre Ansprüche aus dem UWG seien deshalb verwirkt,
und ihr Strafantrag sei rechtsmissbräuchlich.

    Diese Einwände sind unbegründet. Verwirkt wäre das Strafantragsrecht
nur, wenn die Klägerin auf es verzichtet oder den Antrag nicht innert der
gesetzlichen Frist gestellt hätte. Ein Verzicht wäre aber nur beachtlich,
wenn er ausdrücklich geäussert worden wäre (Art. 28 Abs. 5 StGB). Dazu
genügt nicht, dass die Klägerin, wie der Beschwerdeführer behauptet,
in Kenntnis der Verletzung mit der Stellung des Strafantrages jahrelang
zugewartet hat. Ein Verzicht läge übrigens selbst dann nicht vor, wenn
sich die Klägerin nicht aufein passivesVerhalten beschränkt hätte,
sondern Umstände festgestellt wären, die als Äusserung ihres Willens,
keinen Strafantrag zu stellen, zu deuten wären. Eine bloss indirekte
Kundgabe des Willens, von der Strafverfolgung abzusehen, gilt nur beim
Rückzug eines bereits gestellten Antrages als ausreichende Willensäusserung
(BGE 86 IV 149, 89 IV 58). Beim Verzicht dagegen, der nur gültig ist,
wenn er ausdrücklich erklärt wird, muss der darauf gerichtete Wille
des Berechtigten eindeutig und vorbehaltlos aus der Erklärung selber
hervorgehen (BGE 74 IV 87, 75 IV 19 Erw. 4). Dass die Klägerin eine
Erklärung solcher Art abgegeben habe, wird auch in der Beschwerde nicht
behauptet. Wie die Vorinstanz anderseits feststellt und unbestritten ist,
hat der Beschwerdeführer den eingeklagten unlauteren Wettbewerb seit dem
Herbst 1959 bis zur Einreichung der Klage, d.h. bis Mai 1963, fortgesetzt
begangen. Bei fortgesetzten Vergehen kann der Strafantrag noch binnen drei
Monaten gestellt werden, nachdem der Verletzte von der letzten strafbaren
Tätigkeit des Beschuldigten Kenntnis erhalten hat (BGE 80 IV 8/9). Von
einer Verwirkung des Antragsrechtes kann somit keine Rede sein.

    Es kann aber auch nicht gesagt werden, die Ausübung des Antragsrechtes
stelle einen offenbaren Rechtsmissbrauch (Art. 2 ZGB) dar. Angenommen,
die Klägerin habe tatsächlich bereits im Herbst 1959 die Nachahmung
und Verwendung ihres Signets festgestellt und sie habe erst durch
ihre Strafklage vom Mai 1963 ausdrücklich Einspruch erhoben, so
wäre ihr Stillschweigen noch nicht Anlass genug, im Beschwerdeführer
die begründete Erwartung zu erwecken, die Nahrin AG sei mit seinem
Vorgehen einverstanden. Die Klägerin konnte Gründe haben, vorerst einmal
abzuwarten, ob der Gebrauch ihres Kennzeichens im neu eröffneten Betrieb
des Beschwerdeführers als dauernde Massnahme gedacht war und welche
Auswirkungen eine solche allenfalls haben werde. Drei bis vier Jahre,
die sie dazu und zur Sammlung von Beweismitteln aufgewendet haben mag,
können nicht als ungewöhnlich lange Zeitdauer gelten. Ausser diesem
blossen Zuwarten wird aber der Klägerin kein Verhalten vorgeworfen,
das nach Treu und Glauben als Billigung der Verletzung ihrer Interessen
ausgelegt werden kÖnnte.

Erwägung 2

    2.- Der vom Beschwerdeführer sklavisch nachgeahmte Wacholderzweig ist
Bestandteilder Ausstattung der Gefässe, in denen er und die Nahrin AG den
Wacholderhonig auf den Markt bringen. Die äussere Form, die Aufmachung
der Ware oder der Verpackung geniesst den Schutz des UWG nur, wenn die
Ausstattung Kennzeichnungskraft besitzt (BGE 88 IV 83, 87 II 56), sei
es, dass sie dank ihrer Originalität von Anfang an aufeinen bestimmten
Hersteller oder auf eine bestimmte Qualität der Ware hinweist, sei es, dass
eine nicht originelle Ausstattung diese individualisierende Eigenschaft
infolge ihrer Durchsetzung im Verkehr, kraft ihrer Verkehrsgeltung,
erworben hat (BGE 79 II 323).

    Dem von der Nahrin AG zur Kennzeichnung ihres Wacholderhonigs
verwendeten Wacholderzweig kann die Wirkung der Originalität nicht
abgesprochen werden. Originell ist nicht nur die Darstellung des Zweiges
in einem durch eine Umrandungslinie abgesteckten Oval, sondern ebensosehr
die zeichnerische Gestaltung des leicht stilisierten Zweiges und die
Farbwirkung der roten Verästelung, des satten Grüns der Blätter und
der tiefblauen Beeren. Alle diese Elemente zusammengenommen geben dem
Gesamtbild eine besondere ästhetische Form, die einprägsam und darum
unterscheidungskräftig ist.

    Dass der auf der Verpackung abgebildete Wacholderzweig auf die
Beschaffenheit oder Eigenschaft der darin eingeschlossenen Ware
hinweist, macht das Bildzeichen der Klägerin nicht zum Freizeichen,
das von jedem anderen Konkurrenten nachgeahmt und frei benützt werden
könnte. Ebensowenig ist der wettbewerbsrechtliche Schutz deshalb zu
versagen, weil die bildliche Darstellung eines Wacholderzweiges an sich
Gemeingut ist und daher dem allgemeinen Verkehr freigehalten werden
muss. Ob auf das Bildzeichen der Klägerin die Merkmale einer blossen
Beschaffenheitsangabe zutreffen oder nicht (vgl. BGE 80 II 173, 83 II
218), d.h. ob es unmittelbar auf die Natur und Art des Erzeugnisses
anspiele oder ob der Inhalt des Gefässes erst auf dem Wege besonderer
Überlegung oder unter Zuhilfenahme der Phantasie erkennbar werde, weil
die Verpackung keinen reinen Wacholder, sondern einen daraus gewonnen
Honig enthält, braucht übrigens nicht entschieden zu werden, da es
darauf nicht ankommt. Entscheidend ist einzig, dass der von der Klägerin
verwendete Wacholderzweig durch seine eigenartige Gestaltung und besondere
ästhetische Form sich von einer gewöhnlichen Sachbezeichnung deutlich
abhebt und infolge seiner charakteristischen, individualisierenden Wirkung
geeignet ist, die dazu gehörende Ware von Erzeugnissen anderer Herkunft
zu unterscheiden. Auf die Unterschei. dungskraft eines Zeichens allein
stellt auch das Markenrecht ab, wo die Verwendung freier und deshalb
an sich schutzunfähiger Bestandteile kein Hindernis bildet, einer in
ihrer Gesamtheit unterscheidungskräftigen Marke den Schutz zu gewähren
(BGE 56 II 411, 78 II 383 Erw. 4). Die im Markenrecht hinsichtlich der
Kennzeichnungskraft eines Zeichens geltenden Grundsätze sind in gleicher
Weise auch im Wettbewerbsrecht anwendbar (BGE 80 II 174 lit. b).

Erwägung 3

    3.- Das Bildzeichen des Wacholderzweiges ist weder unentbehrliches
Merkmal der Ausstattung noch Bestandteil der Ware selbst, denn es könnte
weggelassen werden, ohne dass sich dadurch an der Beschaffenheit und
Brauchbarkeit des Wacholderhonigs etwas ändern würde. Obschon es möglich
gewesen wäre, einen Wacholderzweig anderer Gestaltung zu wählen, hat der
Beschwerdeführer nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz das
Kennzeichen der Klägerin sklavisch nachgeahmt, um daraus für seinen eigenen
Geschäftsbetrieb Nutzen zu ziehen. Er hat sich daher gegen Art. 13 lit. d
UWG vergangen, wenn seine Massnahme objektiv geeignet war, Verwechslungen
mit dem Wacholderhonig der Nahrin AG herbeizuführen.

    Die Frage der Verwechselbarkeit beider Waren beurteilt sich
nach dem Gesamteindruck, den ihre äussere Aufmachung auf die breite
Käuferschicht macht, namentlich die Hausfrauen, die in erster Linie als
Abnehmer in Betracht kommen. Dabei ist zu beachten, dass beide Firmen
die Haushaltungen durch Vertreter aufsuchen, so dass die Hausfrauen die
beiden Produkte meistens nicht nebeneinander vor sich haben und häufig
auf das bei vorausgegangenen Käufen oder aus der Reklame gewonnene
Erinnerungsbild abstellen, weshalb dem Gedächtniseindruck, den die
Aufmachung zurücklässt, besondere Bedeutung zukommt. Es geht daher nicht
an, die zu vergleichenden Aufmachungen in ihre einzelnen Bestandteile zu
zergliedern und diese gesondert zu betrachten (BGE 87 II 37, 78 II 381). Im
vorliegenden Falle kann deshalb nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein,
dass die beiden Gefässe in der Mehrheit ihrer Einzelheiten voneinander
abweichen und bloss in dem von der Nahrin AG verwendeten Kennzeichen,
dem in einem Oval abgebildeten Wacholderzweig, übereinstimmen. Die
Unterschiede zwischen der Metallbüchse der Klägerin und dem Glasgefäss
des Beschwerdeführers, namentlich was ihr Material und ihre Grösse
sowie die Form und Farbgestaltung der Etiketten betrifft, sind zwar bei
gleichzeitiger und genauerer Betrachtung nicht unerheblich. Hausfrauen,
die täglich mit den verschiedenartigsten Markenartikeln zu tun haben,
wissen aber, dass bei solchen die Formen und Farben und nicht selten auch
das Material der Verpackung wechseln, die Hersteller und ihre Produkte
aber die gleichen bleiben. Sie sind daher aus Erfahrung gewohnt, mehr
auf die auf allen Verpackungen wiederkehrenden Wort- oder Bildzeichen
eines bestimmten Herstellers zu achten als auf die übrigen Merkmale der
Verpackung, die Änderungen unterliegen, was zur Folge hat, dass die Formen
und Farben der Ausstattung sich weniger im Gedächtnis einprägen und keinen
bleibenden Eindruck hinterlassen. Ähnliches ist im vorliegenden Falle
von der Beschriftung zu sagen. Ihr Vergleich zeigt zwar Unterschiede,
die insbesondere in der Verschiedenheit der Warenbezeichnung ("Berg-
Wacholder" bzw. "Mythen Berg-Wachholder") und im abweichenden Firmanamen
("Nahrin AG, Sarnen" bzw. "Mythen-Nährmittel K. Letter, Sarnen")
zum Ausdruck kommen. Sie fallen aber schon deswegen nicht stark ins
Gewicht, weil auf beiden Etiketten die Schrift aus zum grössten Teil
gleichen oder ähnlich klingenden Worten besteht und zudem der Ausdruck
"Berg-Wacholder" bzw. "Berg-Wachholder" alle anderen Worte an Grösse
übertrifft, also am stärksten in Erscheinung tritt, so dass die andern
unterscheidenden Schriftteile wie übrigens auch die auf der Etikette
des Beschwerdeführers eher schwach angedeutete Skizze der Mythenspitzen
kaum im Erinnerungsbild haften bleiben, jedenfalls beim oberflächlichen
Betrachter nicht. Diese Wirkung wird noch dadurch verstärkt, dass die
Beschriftung auf beiden Gefässen auf der unteren Hälfte der Etikette
angebracht ist und dass die ganze obere Hälfte vom zeichnerisch völlig
übereinstimmenden Bildzeichen des Wacholderzweiges eingenommen wird. Dieses
aber ist nicht bloss ein untergeordneter Bestandteil der Aufmachung,
wie der Beschwerdeführer glauben machen will, sondern es beherrscht im
Gegenteil infolge seiner einprägsamen Gestaltung und seiner Farbtöne die
ganze Vorderseite des Gefässes und drängt damit die Beschriftung in den
Hintergrund. Das trifft sowohl für die Büchse der Klägerin wie für die
Etikette des Beschwerdeführers zu; dass auf dieser der Wacholderzweig
und die Umrandungslinie des weissen Ovals in matteren Farben erscheint
als auf der Büchse der Klägerin, ändert am Gesamteindruck, der durch das
Bildzeichen bestimmt wird, nichts, zumal der untere Teil der Etikette
des Beschwerdeführers ohnehin farblos und unscheinbar wirkt. Wird noch
berücksichtigt, dass Bildzeichen im allgemeinen an sich leichter als
Wortzeichen im Gedächtnis behalten werden (BGE 83 II 222), so ist der
vom Beschwerdeführer nachgeahmte Wacholderzweig umso eher geeignet, beim
Durchschnittskäufer den Eindruck zu erwecken, dass der im Glasgefäss
angebotene Wacholderhonig ebenfalls von der Nahrin AG stamme, deren
Bildzeichen beim Publikum seit Jahren eingeführt war. Die Verwechselbarkeit
ist daher zu bejahen.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.