Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 IV 104



90 IV 104

22. Urteil des Kassationshofes vom 2. Juli 1964 i.S. Justizdirektion des
Kantons Appenzell A.Rh. gegen Büttel. Regeste

    Art. 102 Ziff. 2 SVG; Veröffentlichung des Strafurteils.

    Art und Umfang der Veröffentlichung haben sich nach dem Zweck der
Massnahme zu richten. Innerhalb der sich daraus ergebenden Schranken sind
sie ins richterliche Ermessen gestellt.

    Das gleiche gilt für den Entscheid über die Frage, wo das Urteil
zu veröffentlichen sei, z.B. am Orte der Widerhandlung oder am Wohnort
des Verurteilten.

Sachverhalt

    A.- Büttel fuhr in der Nacht vom 9. auf den 10. März 1963, angetrunken
und ohne im Besitze eines gültigen Führerausweises zu sein, mit einem
Motorroller von Appenzell Richtung St. Gallen. Zwischen Gais und Bühler
wurde er von der Polizei festgenommen. Die Blutprobe ergab chemisch und
interferometrisch eine Alkoholkonzentration von 2,06 Gewichtspromille.

    Büttel, der in St. Gallen wohnt, war 1961 und 1962 bereits dreimal
wegen Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand bestraft
worden.

    B.- Das Bezirksgericht Mittelland verurteilte Büttel in Anwendung der
Art. 31 Abs. 1, 90 Ziff. 1, 91 Abs. 1 und 95 Ziff. 1 Abs. 1 SVG zu zwei
Monaten Gefängnis und Fr. 200.-- Busse. Zudem verfügte es gestützt auf
Art. 102 Ziff. 2 SVG, dass das Urteil einmal im Amtsblatt des Kantons St.
Gallen zu veröffentlichen sei.

    Das Obergericht von Appenzell A.Rh. änderte diesen Entscheid am
24. März 1964 dahin ab, dass es die Veröffentlichung im Amtsblatt des
Kantons Appenzell A.Rh. anordnete.

    C.- Die Justizdirektion des Kantons Appenzell A.Rh.  führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Obergericht anzuweisen, dass
die Veröffentlichung in erster Linie am Wohnort des Verurteilten zu
erfolgen habe.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Nach Art. 102 Ziff. 2 SVG ordnet der Richter die Veröffentlichung
des Strafurteils gemäss Art. 61 StGB an, wenn der Verurteilte besondere
Rücksichtslosigkeit an den Tag gelegt hat (lit. a), oder wenn er innert
fünf Jahren mehr als einmal wegen Führens eines Motorfahrzeuges in
angetrunkenem Zustand bestraft wird (lit. b).

Erwägung 1

    1.- Der Zweck dieser Bestimmung liegt vor allem in der
Generalprävention. Die Veröffentlichung des Urteils soll nicht
nur den Verurteilten selber in verschärftem Masse an wichtige
Verkehrsverpflichtungen erinnern, sondern Strassenbenützern überhaupt
zur Warnung gereichen. Indem das Gesetz die Veröffentlichung zwingend
vorschreibt, schafft es zugleich eine unwiderlegliche Vermutung, dass die
Öffentlichkeit bei Widerhandlungen, die im Strassenverkehr eine besonders
gefährliche Rolle spielen, stets an der Bekanntmachung des Urteils
interessiert ist. Diese Vermutung hat ihren Grund darin, dass Dritte,
die zu gleichen oder ähnlichen Verfehlungen neigen, erfahrungsgemäss die
öffentliche Blosstellung und deren Folgen mehr fürchten als die Strafe
selber (vgl. BGE 88 IV 12 und dort angeführte Lehre und Rechtsprechung).

Erwägung 2

    2.- Art und Umfang der Veröffentlichung haben sich nach dem Zweck der
Massnahme zu richten. Innerhalb der sich daraus ergebenden Schranken sind
sie ins richterliche Ermessen gestellt (Art. 61 Abs. 4 StGB). Das heisst
insbesondere, dass die Veröffentlichung einerseits nicht weitergehen darf,
als ihr Zweck es erfordert, anderseits aber auch nicht notwendig in einem
kantonalen Amtsblatt zu erfolgen hat, noch sich auf ein solches Blatt zu
beschränken braucht. Der Richter ist in der Wahl des Blattes vielmehr frei.
Erweist sich eine Veröffentlichung in einem kantonalen Amtsblatt als
ungenügend, so kann und soll er sie in künftigen Fällen zur Erhöhung
der Wirkung in andern Zeitschriften, namentlich in Blättern, die von
Motorfahrzeugführern beachtet werden, anordnen (vgl. BGE 78 IV 16; SJZ 51
368, 52 299 Nr. 144). Hinsichtlich des Verurteilten sind dem Richter dabei
nur insofern Schranken gesetzt, als er diesem keine durch die Umstände
nicht gerechtfertigte oder vom Gesetz nicht gewollte Nachteile zufügen
darf und darauf Bedacht nehmen muss, dass die nach Art. 61 Abs. 1 StGB
vom Verurteilten zu tragenden Kosten sich in angemessenen Grenzen halten.

Erwägung 3

    3.- In das freie Ermessen des Sachrichters fällt auch der Entscheid
über die Frage, wo das Strafurteil zu veröffentlichen sei. Dies kann sowohl
am Orte der Widerhandlung wie am Wohnort des Verurteilten geschehen. Weder
Art. 102 Ziff. 2 SVG noch Art. 61 StGB schliesst die eine oder andere
Möglichkeit aus.

    a) Für die Veröffentlichung am Wohnort spricht vor allem, dass sie den
Verurteilten dort, namentlich wenn er in ländlichen Verhältnissen wohnt,
empfindlicher zu treffen vermag als z.B. an einem Tatort, wo er völlig
unbekannt ist. Ginge es allein darum, den Verurteilten von künftigen
Straftaten abzuhalten, so müsste die Massnahme meistens am Wohnort
angeordnet werden, was nicht heissen will, dass ihre generalpräventive
Wirkung diesfalls geringer wäre als bei einer Veröffentlichung am Orte
der Widerhandlung. Dass die Massnahme schon wegen der Vielfalt kantonaler
Amtsblätter zwangsläufig zu Ungleichheiten führe, wenn sie am Wohnort des
Verurteilten angeordnet wird, ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz
nicht zu ersehen. Die Kantone sind gemäss Art. 352 Abs. 1 StGB unter sich
zur Rechtshilfe verpflichtet. Das gilt auch für die Veröffentlichung
eines Urteils in einem ausserkantonalen Amtsblatt. Die Berufung auf
Sprachverschiedenheiten geht vorliegend jedenfalls fehl, da so oder anders
ein deutschschweizerischer Kanton in Frage stände. Dagegen trifft zu,
dass eine Anordnung der Massnahme am Wohnort des Verurteilten ausser
Betracht fällt, wenn dieser Ort im Ausland liegt.

    b) Die Veröffentlichung des Urteils am Orte der Widerhandlung hat
ebenfalls ihre Vorzüge. Sie dürfte dem Urteilskanton ihre Durchsetzung
meistens erleichtern und auch sonst normalerweise näher liegen als die
Anrufung einer ausserkantonalen Stelle. Dazu kommt, dass die Öffentlichkeit
am Orte der Widerhandlung, wo in der Regel auch das Strafverfahren
durchzuführen ist, an der Bekanntgabe des Urteils besonders interessiert
ist. Solches Interesse bietet Gewähr für eine erhöhte präventive Wirkung
der Massnahme. Die Veröffentlichung am Orte der Widerhandlung hat zudem
den Vorzug, dass sie auch gegenüber einem im Ausland wohnenden Verurteilten
angeordnet werden kann.

    c) Lassen sich somit für die Wahl dieses wie jenes Ortes gute Gründe
anführen, so könnte vorliegend von einer Ermessensüberschreitung,
die allein den Kassationshof zum Einschreiten berechtigen würde (BGE
78 IV 15), nur die Rede sein, wenn besondere Umstände die Anordnung
der Massnahme am Wohnort des Verurteilten derart aufdrängten, dass
demgegenüber die Wahl des Tatortes als offensichtlich verfehlt
zu bezeichnen wäre. Solche Umstände sind nicht dargetan. Dass die
Blosstellung vor der Öffentlichkeit den Verurteilten härter trifft,
wenn sein Wohnort mit dem Orte der Widerhandlung zusammenfällt, ändert
nichts. Diese Folge ist dem Gesetzgeber nicht entgangen (vgl. Botschaft
des Bundesrates zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den Strassenverkehr
vom 24. Juni 1955, BBl 1955 II S. 66); er hat die Veröffentlichung des
Strafurteils in Fällen, wie dem vorliegenden, nichtsdestoweniger zwingend
vorgeschrieben, ihre Wirkungen für den Verurteilten somit bewusst gewollt
oder doch zumindest im öffentlichen Interesse in Kauf genommen. Gegen
die Auffassung der Vorinstanz, dass kein Anlass zu einer zusätzlichen
Urteilsveröffentlichung am Wohnort des Verurteilten bestehe, wird in der
Beschwerde nichts Besonderes vorgebracht.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.