Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 II 43



90 II 43

6. Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Januar 1964 i.S. Farbenfabriken
Bayer AG gegen Fuji Spinning Company Ltd. Regeste

    1.  Berufungsantwort, Anforderungen. Art. 61 Abs. 1, Art. 55 OG
(Erw. 2).

    2.  Internationale Marke, Prioritätsrecht, Fristberechnung.  Madrider
Übereinkunft von 1891/1934, Art. 4 Abs. 1, Pariser Verbandsübereinkunft
von 1891/1934, Art. 4 lit. C. (Erw. 3).

    3.  Verwechselbarkeit von Marken, Art. 6 MSchG. Befugnis des Beklagten
zur Erhebung der Einrede der Nichtigkeit der klägerischen Marke wegen
Verwechselbarkeit mit der älteren Marke eines Dritten (Erw. 4).

    Verwechselbarkeit der Wortmarken "DACRON" und "Dralon". (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Die Farbenfabriken Bayer AG in Leverkusen (Bundesrepublik
Deutschland) stellte am 21. April 1951 beim deutschen Patentamt das
Begehren um Eintragung der Wortmarke "Dralon", die u.a. für Fäden,
Textilfasern, Gewebe, Maschengewebe und textile Halb- und Fertigerzeugnisse
bestimmt war. Die Marke wurde am 20. April 1955 unter der Nr. 674720 in
die deutsche Zeichenrolle eingetragen.

    Am 4. August 1955 wurde diese Marke auf Begehren der Inhaberin u.a. für
die genannten Erzeugnisse unter der Nr. 186730 in das internationale
Markenregister aufgenommen.

    Die Fuji Spinning Company Ltd. in Tokio liess am 24. August 1953 im
japanischen Markenregister die Marke "Fujidragon" für Baumwollerzeugnisse
eintragen. Am 18. Juli 1960 hinterlegte sie beim eidgen. Amt für geistiges
Eigentum die für Textilien bestimmte Marke Nr. 182382, die aus den in
japanischen Schriftzeichen und lateinischen Buchstaben gebildeten Wörtern
"FUJI DRAGON" besteht.

    B.- Die Farbenfabriken Bayer AG erhob beim Handelsgericht Bern gegen
die Fuji Spinning Company Ltd. Klage mit den Begehren, die schweizerische
Marke "FUJI DRAGON" sei nichtig zu erklären und der Beklagten sei zu
untersagen, die Bezeichnung "DRAGON" für Textilien und deren Verpackung,
sowie für Geschäftsdrucksachen, Reklamen oder sonstwie zu gebrauchen.

    Zur Begründung ihrer Begehren machte die Klägerin im wesentlichen
geltend, die Marke der Beklagten sei mit der älteren klägerischen Marke
verwechselbar.

    Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage. Sie bestritt das
Bestehen einer Verwechslungsgefahr zwischen den beiden Zeichen und
erhob weiter die Einrede der Nichtigkeit der klägerischen Marke, weil
diese sich nicht genügend von der Wortmarke "DACRON" unterscheide, die am
18. September 1951 im schweizerischen Markenregister unter der Nr. 140183
auf Begehren der amerikanischen Firma E.I. Du Pont de Nemours and Company
u.a. für synthetische Fasern, Textilien, Stoffe, Gewebe, Strickwaren und
Bekleidungsartikel eingetragen worden war.

    C.- Das Handelsgericht des Kantons Bern verwarf die auf die Marke
"DACRON" gestützte Nichtigkeitseinrede der Beklagten, da die Marke
"Dralon" nicht als eine Nachahmung des genannten Zeichens zu werten sei. Es
verneinte auch eine Verwechselbarkeit der Marken "Dralon" und "FUJI DRAGON"
und wies demgemäss die Klage mit Urteil vom 29. Januar 1963 ab.

    D.- Mit der vorliegenden Berufung hält die Klägerin an ihren im
kantonalen Verfahren gestellten Anträgen fest.

    Die Beklagte beantragt, die Berufung sei abzuweisen und das
angefochtene Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Sowohl für Deutschland als auch für die Schweiz steht seit dem
Jahre 1939 die am 2. Juni 1934 in London revidierte Fassung der Madrider
Übereinkunft von 1891 betreffend die internationale Eintragung der Fabrik-
oder Handelsmarken (MMU) in Kraft. Gemäss Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 4 Abs. 1 MMU geniesst daher die im Ursprungsland Deutschland und
beim internationalen Bureau für den Schutz des gewerblichen Eigentums
registrierte Marke "Dralon" der Klägerin in der Schweiz den gleichen
Schutz, wie wenn sie im schweizerischen Markenregister eingetragen wäre.

Erwägung 2

    2.- Die Beklagte äussert sich in der Berufungsantwort nicht zu den
Erwägungen, mit denen das Handelsgericht ihre auf die Marke "DACRON"
gestützte Einrede der Nichtigkeit der klägerischen Marke "Dralon" verworfen
hat. Das Bundesgericht hat jedoch entgegen der Ansicht der Klägerin auch
diese Erwägungen auf ihre rechtliche Stichhaltigkeit hin zu prüfen (Art. 63
Abs. 3 OG); denn wie sich aus der Verweisung in Art. 61 Abs. 1 OG auf
Art. 55 Abs. 1 OG ergibt, ist das in lit. c der letzteren Bestimmung für
die Berufungsschrift aufgestellte Erfordernis der Begründung der Anträge
auf die Berufungsantwort nicht entsprechend anwendbar (BGE 79 II 176).

Erwägung 3

    3.- Die Klägerin hält der Einrede der Nichtigkeit ihrer Marke entgegen,
die Marke "DACRON" sei "nicht älteres Recht". Damit will sie offenbar
geltend machen, ihrer Marke komme der zeitliche Vorrang vor jener zu.

    Eine beim internationalen Bureau hinterlegte Marke geniesst
gemäss Art. 4 Abs. 2 MMU (Fassung von 1934) ohne weiteres das in
Art. 4 der Pariser Verbandsübereinkunft von 1883 zum Schutze des
gewerblichen Eigentums (PVU; Londoner Fassung von 1934) vorgesehene
Prioritätsrecht. Aber diese Ordnung gilt nach Art. 4 lit. C Abs. 1 PVU
nur unter der Voraussetzung, dass die internationale Eintragung spätestens
sechs Monate nach der ersten Hinterlegung in einem Verbandslande erfolgt
ist; diesfalls kann dem Markeninhaber eine nach der ersten Hinterlegung
in einem Verbandsland durch einen andern vorgenommene Hinterlegung nicht
entgegengehalten werden (Art. 4 lit. B PVU).

    Die Marke "Dralon" wurde beim internationalen Bureau erst am 4. August
1955 eingetragen. Damals war die Frist von sechs Monaten seit der ersten
Hinterlegung bereits abgelaufen. Sie begann am Tage, an dem die Marke
in Deutschland zur Eintragung angemeldet wurde, nicht erst am Tage der
Eintragung, d.h. am 20. April 1955. Das ergibt sich aus dem Wortlaut
von Art. 4 lit. C Abs. 2 PVU und wird auch im Schrifttum einhellig so
angenommen (TETZNER, Warenzeichengesetz, 1958, Einleitung N. 32, § 6a
N. 8; BAUMBACH/HEFERMEHL, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 8. Aufl.,
1960, S. 1108, PVU Art. 4 N. 4, und S. 1162, MMU Art. 4 N. 2; HÄSLER,
Der internationale Schutz der Fabrik- oder Handelsmarken, Diss. Bern
1937, S. 61).

    Eine Priorität ab 20. April 1955 würde übrigens der Klägerin nichts
nützen, da die Marke "DACRON" nicht erst nach diesem Tage, sondern schon
am 18. September 1951 im schweizerischen Markenregister eingetragen wurde.

    Kann sich die Klägerin somit gegenüber der Marke "DACRON" auf kein
Prioritätsrecht berufen, so kommt es entscheidend darauf an, ob ihre
Marke nach den allgemeinen Grundsätzen des Markenrechtes neben der Marke
"DACRON" Bestand hat.

Erwägung 4

    4.- Nach Art. 6 Abs. 1 MSchG muss sich jede zur Hinterlegung gelangende
Marke durch wesentliche Merkmale von den bereits eingetragenen Marken
unterscheiden. Eine Marke, die diesem Erfordernis nicht genügt, ist
gemäss ständiger Rechtsprechung absolut nichtig. Auf diese Nichtigkeit
können sich nicht nur der Inhaber der älteren Marke und der getäuschte
Käufer berufen, sondern auch alle andern Personen, die daran ein Interesse
haben; ein solches besitzt insbesondere, wer wegen angeblicher Verletzung
der nichtigen Marke belangt wird (BGE 30 II 584, 35 II 338, 47 II 355,
53 II 515, 73 II 190). Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum (MATTER,
MSchG Art. 6 Anm. I 5, S. 98) angefochten worden. Das Bundesgericht
hat sie jedoch nach erneuter Überprüfung bestätigt (BGE 76 II 173,
82 II 543; vgl. auch BGE 83 II 219 Erw. 2). Es besteht kein Grund,
darauf zurückzukommen.

    Die Klägerin selber ficht in der Berufungsschrift diese Rechtsprechung
nicht an, sondern sieht nur in deren Anrufung durch die Beklagte einen
Verstoss gegen Art. 2 ZGB, weil, wenn sich ihr Zeichen "Dralon" nicht mit
der Marke "DACRON" vertrüge, dies auch für die Marke der Beklagten zuträfe.

    Daraus vermag die Klägerin jedoch nichts für sich abzuleiten. Wenn ihre
Marke sich mit dem früher eingetragenen Zeichen "DACRON" nicht verträgt,
ist sie absolut nichtig und würde nicht dadurch gültig, dass auch die Marke
der Beklagten sich allenfalls nicht genügend von "DACRON" unterscheidet. Es
bliebe dabei, dass der Klägerin das Klagerecht fehlen würde, weil eben
ihre Marke nichtig wäre und sie folglich kein schutzwürdiges Interesse
hätte, jene der Beklagten nichtig erklären zu lassen.

    Der Einwand der Klägerin, auch die Marke der Beklagten unterscheide
sich nicht hinreichend von der Marke "DACRON", wäre allenfalls zu
hören, wenn die Beklagte sich nicht auf die Einrede der Nichtigkeit
der klägerischen Marke beschränken, sondern widerklageweise deren
Nichtigerklärung und Löschung verlangen würde. Eine solche Widerklage
müsste, bei Nichtigkeit der beklagtischen Marke, gleichfalls mangels
eines schutzwürdigen Interesses abgewiesen werden (BGE 52 II 405 ff.). Der
blossen Einrede der Nichtigkeit, die den Eintrag der klägerischen Marke
im Register unberührt lässt, kann sich die Klägerin dagegen nicht mit
dem Einwand erwehren, auch die Marke der Beklagten sei nichtig.

Erwägung 5

    5.- Die Klägerin macht geltend, "DACRON" sei nicht identisch mit
"Dralon". Damit will sie offenbar sagen, diese Marke unterscheide sich
von jener durch wesentliche Merkmale, weshalb die Einrede der Nichtigkeit
zu verwerfen sei.

    a) Ob zwei Marken sich hinlänglich voneinander unterscheiden, ist
gemäss ständiger Rechtsprechung nach dem Gesamteindruck zu beurteilen, den
jede als Ganzes hinterlässt; man darf sie daher nicht in ihre Bestandteile
zerlegen und diese gesondert miteinander vergleichen. Bei Wortmarken,
wie sie hier in Frage stehen, hängt der Gesamteindruck vom Klang und
Schriftbild ab (BGE 78 II 380 ff., 82 II 233 f., 84 II 446 ff., 87 II
36 f.).

    b) Nach diesen Grundsätzen unterscheiden sich die beiden Marken nicht
ausreichend. Die Marke "Dralon" besteht gleich wie die Marke "DACRON"
aus sechs Buchstaben, von denen fünf bei beiden Zeichen übereinstimmen, so
namentlich der erste (D) und die beiden letzten (on). Übereinstimmung im
Anfang und Ende ist aber besonders geeignet, so kurze Wörter einander
ähnlich zu machen. Beide Zeichen haben auch gleichviele Silben; in
beiden ist die erste betont, und zwar liegt der Ton hier wie dort auf
dem Vokal a. Dadurch wird die Gefahr einer Verwechslung erhöht. Dass
die erste Silbe bei "Dralon" aus drei, bei "DACRON" dagegen nur aus
zwei Buchstaben besteht, mindert sie nicht wesentlich, ebensowenig der
Umstand, dass im einen Wort das r dem a vorangeht, im andern dagegen
nachfolgt. Auch dass "Dralon" an Stelle des C in "DACRON" ein L enthält,
welche Buchstaben, für sich allein betrachtet oder gehört, leicht von
einander unterschieden werden können, vermag den Gesamteindruck nicht
wesentlich zu beeinflussen. Im Gesamten gewürdigt, liegen die beiden Marken
einander nach Schriftbild und Klang so nahe, dass sie leicht verwechselt
werden können. Diese Gefahr ist um so grösser, als "Dralon" und "DACRON"
Phantasiebezeichnungen sind, weshalb sie beim Leser oder Hörer nicht kraft
eines bestimmten Sinngehaltes, sondern nur auf Grund des Schriftbildes
oder Klanges haften bleiben. Aus diesem Grunde ist nach der Rechtsprechung
bei der Vergleichung von Phantasiebezeichnungen besondere Strenge geboten
(BGE 50 II 77, 52 II 166).

    Dazu kommt, dass die Silben cron, ron und lon schwache Bestandteile
sind, da sie in zahlreichen andern für Textilfasern, Gewebe und ähnliche
Waren bestimmten Marken vorkommen, wie den von der Beklagten in grosser
Zahl eingereichten Auszügen aus dem internationalen Markenregister aus der
Zeit vor wie auch nach der Eintragung der klägerischen Marke zu entnehmen
ist. Die Silben cron und lon tragen daher zur Unterscheidbarkeit der
Marken "Dralon" und "DACRON" nur wenig bei. Der Leser oder Hörer, der
die beiden Marken unterscheiden will, muss mehr auf die Silben "Da" und
"Dra" achten; gerade diese sind aber besonders leicht zu verwechseln.

    Dass "DACRON" mit grossen, "Dralon" dagegen mit kleinen Buchstaben
geschrieben ist, gewährleistet keine genügende Unterscheidbarkeit; denn
nicht jeder Abnehmer der Ware vermag sich des Schriftbildes zu erinnern,
wenn er es überhaupt jemals gesehen, d.h. das Wort nicht bloss aussprechen
gehört hat.

    Freilich liegen "Dralon" und "DACRON" nicht so nahe beieinander wie die
Marken "Jora" einerseits und "Cora", "Hora", "Nora" und "Jura" anderseits
in dem in BGE 76 II 173 ff. veröffentlichtlichten Falle. Darauf kommt aber
entgegen der Ansicht des Handelsgerichts nichts an. Der genannte Entscheid
hat nicht den Sinn, dass eine Nachahmung, die etwas weniger klar zu Tage
liegt als bei den dort einander gegenüberstehenden Zeichen, erlaubt sei.

    c) Dem Handelsgericht kann auch nicht beigepflichtet werden, wenn es
die Nachahmung von "DACRON" verneint, weil die Firma Du Pont de Nemours and
Company die Marke "Dralon" nie angefochten hat. Ob eine Marke sich durch
wesentliche Merkmale von einer andern unterscheide, beurteilt sich auch im
Streite mit einem Dritten nach objektiven Gesichtspunkten, nicht danach,
wie der Inhaber der andern Marke sich verhalten hat. Massgebend ist,
ob nach der Lebenserfahrung befürchtet werden muss, die Ähnlichkeit der
beiden Marken vermöge den letzten Abnehmer bei der von ihm zu erwartenden
Aufmerksamkeit über die Herkunft der Ware irrezuführen (BGE 61 II 57,
77 II 334, 78 II 382, 83 II 220, 84 II 445, 87 II 37). Im vorliegenden
Fall trifft das zu. Beide Marken sind für Textilien, Stoffe, Gewebe,
Strickwaren und Erzeugnisse der Bekleidungsindustrie vorgesehen, also
für Waren, die auch von Verbrauchern ohne besondere Fachkenntnisse und
Erfahrung und oft auch ohne besondere Aufmerksamkeit erworden werden. Von
diesen Kreisen kann "Dralon" leicht mit "DACRON" verwechselt werden.

Erwägung 6

    6.- Ist die Marke der Klägerin somit nichtig, so ist deren Klage
auf Nichtigerklärung der beklagtischen Marke mangels eines rechtlich
geschützten Interesses abzuweisen. Ob die Marke "FUJI DRAGON" der Beklagten
mit der Marke "Dralon" der Klägerin verwechselbar sei, ist unter diesen
Umständen unerheblich und kann dahingestellt bleiben.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des
Kantons Bern vom 29. Januar 1963 bestätigt.