Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 II 359



90 II 359

42. Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. November 1964 i.S. A. und
Th. Zanoni gegen Regierungsrat des Kantons Luzern. Regeste

    Beistandschaft. Berufung an das Bundesgericht.

    1.  Zulässigkeit der Berufung an das Bundesgericht nach Art. 44
lit. c OG auch gegen einen die Entmündigung oder die Anordnung einer
Beistandschaft oder die Aufhebung einer dieser Massnahmen ablehnenden
Entscheid (Erw. 1).

    2.  Tritt der Inhaber der elterlichen Gewalt gemeinsam mit den Kindern
in einem Rechtsstreite als Kläger oder Beklagter auf, so besteht nicht
ohne weiteres Grund zur Ernennung eines Beistandes nach Art. 392 Ziff. 2
ZGB. Wohl aber dann, wenn seine Interessen mit denen der Kinder nicht
parallel laufen, was unter Umständen auch beim Abschluss eines Vergleiches
zutrifft. Prüfung der Interessenlage in einem Anfechtungsprozess nach
Art. 285 ff. SchKG (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Alois Schwegler verkaufte am 9. April 1958 seiner Ehefrau Claire
geb. Zanoni und seinen minderjährigen Kindern Alois und Thomas seine
in Luzern gelegenen Grundstücke zu je einem Drittel Miteigentum. Der
Kaufpreis war gleich den auf den einzelnen Grundstücken lastenden
Grundpfandschulden bzw. dem Betrag der Katasterschätzung. Im Jahre 1960
schied das Bezirksgericht Zürich die Ehe Schwegler-Zanoni und wies
die beiden Kinder der Mutter zu. Es genehmigte die Vereinbarung der
Parteien über die Nebenfolgen. Danach verpflichtete sich Schwegler zu
monatlichen Unterhaltsbeiträgen von je Fr. 250.-- an die beiden Kinder bis
je zum vollendeten 20. Altersjahr. Die Reinerträgnisse aus den erwähnten
Liegenschaften sind an diese Unterhaltsbeiträge anzurechnen. Ausserdem
anerkannte Schwegler die Pflicht zur Leistung monatlicher Zahlungen im
Sinne von Art. 151 und 152 ZGB ohne zahlenmässige Bestimmung; es wurde
erklärt, durch die Übereignung jener Liegenschaften, an denen die Ehefrau
einen Miteigentumsanteil von einem Drittel hatte, seien jene Leistungen
abgegolten und das eingebrachte Gut, Ersatzansprüche und Vorschlag
ausgeglichen.

    B.- Steuerbetreibungen gegen Alois Schwegler führten zur Ausstellung
von Verlustscheinen. Gestützt hierauf erhoben die steuerfordernden
Gemeinwesen gegen Frau Zanoni und die beiden Söhne am 18. Juli 1963 beim
Amtsgericht Luzern-Stadt eine Anfechtungsklage im Sinne der Art. 285
ff. SchKG mit den Begehren, die Kaufverträge betreffend die erwähnten
Liegenschaften seien als anfechtbar bzw. als nichtig zu erklären, und es
seien die Grundstücke, eventuell deren Gegenwert bis zur vollen Deckung
der Forderungen der Kläger "in den Pfandnexus der Betreibungen..."
einzubeziehen; eventuell hätten die Beklagten mit solidarischer
Verpflichtung den entsprechenden Betrag zu zahlen.

    C.- Am 17. Dezember 1963 wurde in Steuerbetreibungen gegen Alois
Schwegler eine neue Pfändung vollzogen, die wiederum ungenügende Deckung
ergab. An diese Pfändung schlossen sich Frau Zanoni und Kinder gemäss
Art. 111 Abs. 3 SchKG mit verschiedenen Forderungen an für den Fall,
dass die gegen sie in Luzern angehobene Anfechtungsklage gutgeheissen
würde. Frau Zanoni macht in diesem Verfahren für sich Unterhalts-
und güterrechtliche Ansprüche und für die beiden Söhne die gemäss
Scheidungsvereinbarung festgesetzten Unterhaltsleistungen von monatlich
je Fr. 250.-- auf ihre gesamte Laufdauer im Betrage von Fr. 36'000.-- für
Alois und Fr. 45'000.-- für Thomas nebst 5% Zins je seit Verfall geltend.

    D.- Am 27. Januar 1964 stellten die durch ihre Mutter vertretenen Söhne
Alois und Thomas Zanoni beim Stadtrat von Luzern das Gesuch, es sei ihnen
in der Anschlusspfändung gegen den Vater Alois Schwegler und in dem gegen
sie von Staat und Gemeinden angehobenen Anfechtungsprozess ein Beistand zu
ernennen. Sie beriefen sich auf Art. 392 Ziff. 2 ZGB und machten geltend,
es bestehe zwischen der Inhaberin der elterlichen Gewalt und ihnen eine
Interessenkollision, so dass sie in den zwei Verfahren einer besondern
Vertretung durch einen Beistand bedürften.

    E.- Der Regierungsstatthalter des Amtes Luzern hat das Gesuch
abgewiesen, ebenso durch Entscheid vom 13. Juli 1964 der Regierungsrat
des Kantons Luzern den von den Gesuchstellern eingereichten Rekurs.

    F. - Mit vorliegender Berufung halten die Gesuchsteller am Begehren
um Beistandsernennung fest.

    Der Antrag des Regierungsrates geht auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 44 ist die Berufung zulässig... "in folgenden
Fällen:... c) Entmündigung und Anordnung einer Beistandschaft
(Art. 369-372, 392-395 ZGB) sowie Aufhebung dieser Verfügungen". Das
will nicht besagen, der Berufung unterliege nur ein diese Massnahmen
oder deren Aufhebung (gemäss einem dahingehenden Gesuch) aussprechender
Entscheid. Vielmehr ist, wie die Berufungskläger in zutreffender Weise
geltend machen, gleichermassen ein das Gesuch abweisender Entscheid
anfechtbar, wie bereits unter der Herrschaft des alten OG (zu dessen
Art. 86 Ziff. 3) ausgesprochen worden ist (BGE 50 II 97 für die Ablehnung
einer Entmündigung, BGE 59 I 159 ausserdem für die Ablehnung einer
Beistandschaft). So ist auch Art. 44 lit. c des geltenden OG auszulegen
(vgl. BIRCHMEIER, N. 10, b zu Art. 44 OG).

Erwägung 2

    2.- In der Sache selbst sind die beiden Verfahren ins Auge zu fassen,
in denen nach Ansicht der Berufungskläger eine die Beistandsernennung
rechtfertigende Interessenkollision besteht:

    a) Betreibungsverfahren gegen den Vater Alois Schwegler.  In dieser
Betreibung haben die Gesuchsteller und deren Mutter den Pfändungsanschluss
erklärt für familienrechtliche Forderungen, die ihnen gegen den Schuldner
zustehen würden, wenn sie im Anfechtungsprozess unterliegen sollten. Zur
Wahrung der Klagefrist hat der Vertreter der Gesuchsteller und ihrer Mutter
Klage um Anschluss an die Pfändung erhoben für den Fall, dass letzteres
geschehen sollte. Angesichts der Abhängigkeit dieser Klage vom Ausgang
des Anfechtungsprozesses hat der zuständige Einzelrichter das Verfahren
sistiert bis zur rechtskräftigen Erledigung der Anfechtungsklage. Bezüglich
des Pfändungsanschlusses ist somit einstweilen nichts vorzukehren und wird
je nach dem Ausgang des Anfechtungsprozesses auch in Zukunft nie etwas
zu unternehmen sein. Somit erweist sich das Gesuch in dieser Hinsicht
jedenfalls als verfrüht. Es wäre sinnlos, einen Beistand zu ernennen in
einer Angelegenheit, von der man nicht einmal weiss, ob sie überhaupt
jemals in einer praktisch bedeutsamen Weise in Gang kommen wird. Schon
deshalb ist der angefochtene Entscheid in diesem Punkte zu bestätigen,
so dass sich die Prüfung der vom Regierungsrat verneinten Frage erübrigt,
ob gegebenenfalls eine Interessenkollision bestehen wird.

    b) Anfechtungsprozess.  In diesem Prozesse haben die Gesuchsteller
und ihre Mutter dasselbe Interesse, die Abweisung der Klage zu erwirken,
also den Zugriff auf die ihnen im Jahre 1958 vom Schuldner übertragenen
Grundstücke abzuwehren. Indessen soll nach Ansicht der Gesuchsteller bei
Gutheissung der Anfechtungsklage ein Konflikt zwischen ihren Interessen
und denjenigen ihrer Mutter entstehen, weil im Anfechtungsprozesse sie
sowohl wie auch ihre Mutter für den Fall eines solchen Prozessausganges
einredeweise die nämlichen Ansprüche aus Elternrecht bzw. Ehescheidungs-
und Ehegüterrecht geltend gemacht hätten, die anderseits den Gegenstand
ihres Pfändungsanschlusses bilden. Mit Bezug auf diese Forderungen bestehe
somit in beiden Verfahren die gleiche Interessenkollision.

    Dieser Betrachtungsweise ist nicht beizustimmen. Im Anfechtungsprozesse
kann über die in Frage stehenden, für den Fall der Gutheissung der
Anfechtungsklage geltend gemachten Forderungen nicht entschieden
werden. Eine Einrede im wahren Sinn des Wortes lässt sich aus den bei
Gutheissung der Anfechtungsklage wieder auflebenden Forderungen der
Anfechtungsbeklagten unmöglich herleiten. Es kann sich bloss um die
Geltendmachung eines Vorbehaltes handeln, wie er nach Art. 291 Abs. 2
SchKG ohnehin gilt: des Vorbehaltes der ausserhalb des Anfechtungsprozesses
erfolgenden Beurteilung der in Frage stehenden Forderungen und der
Berücksichtigung des darauf entfallenden Anteils am Erlös der Verwertung
der Grundstücke gestützt auf Anschlusspfändung. Freilich kann unter
Umständen im Anfechtungsprozesse die eventuell wieder auflebende
Forderung zur Verrechnung gebracht werden (so im Konkurse, wenn sie
bereits rechtskräftig kolloziert ist, vgl. das Kreisschreiben Nr. 10 des
Bundesgerichts vom 9. Juli 1915, BGE 41 III 240 ff.; ferner BGE 79 III 31
ff. und 83 III 43 ff.; jedoch nicht, wenn die Kollokationsverfügung noch
nachgeholt werden muss, vgl. BGE 89 III 21 ff. Erw. 5). Ob unter Umständen
auch bei einer Anfechtung ausserhalb des Konkursverfahrens der auf die
eventuell wieder auflebende Forderung entfallende Verwertungsanteil im
Urteil über die Anfechtungsklage zur Verrechnung gebracht werden könne,
ist hier nicht näher zu prüfen. Im vorliegenden Falle fehlt es an der
ersten Voraussetzung dafür: Gegenstand der Anfechtung und demgemäss
auch der bei Gutheissung der Klage Platz greifenden Rückgewähr ist die
Veräusserung von Grundstücken, die, wie nicht bestritten ist, noch im
Eigentum der Anfechtungsbeklagten, also der heutigen Gesuchsteller und
ihrer Mutter, stehen. Bei dieser Sachlage fällt das auf Ersatzleistung
gehende Eventualbegehren der Anfechtungsklage ausser Betracht, und
daher ist eine Verrechnungseinrede von vornherein ausgeschlossen. Im
Falle der Gutheissung der Anfechtungsklage bleibt den Beklagten aber das
Recht gewahrt, sich der Pfändung der Grundstücke mit ihren Forderungen
anzuschliessen und, soweit diese anerkannt werden oder sich in einem
Pfändungsanschlussprozess als begründet erweisen, zu gegebener Zeit am
Erlöse teilzunehmen (vgl. BGE 67 III 174).

    Endlich nehmen die Gesuchsteller den Standpunkt ein, es sollte ihnen,
wenn nicht aus andern Gründen, so doch im Hinblick auf einen allfälligen
Vergleichsabschluss im Anfechtungsprozess ein Beistand als besonderer
Vertreter beigegeben werden. Es ist jedoch nicht die Rede von bereits
angebahnten oder bevorstehenden Vergleichsverhandlungen. Das Gesuch um
Beistandsernennung ist also auch in dieser Hinsicht verfrüht. Sollte es
zu Vergleichsverhandlungen im Anfechtungsprozesse kommen und dabei auch
über die in Frage stehenden Forderungen der Gesuchsteller eine Einigung
angestrebt werden, so wäre dann allerdings zu prüfen, ob die Gesuchsteller
zur Wahrung ihrer Interessen (insbesondere zur Sicherung der ihnen im
Scheidungsprozesse zuerkannten Unterhaltsbeiträge) eines behördlich zu
ernennenden Beistandes bedürfen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und der Entscheid des Regierungsrates
des Kantons Luzern vom 13. Juli 1964 bestätigt.