Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 II 207



90 II 207

24. Beschluss der I. Zivilabteilung vom 27. Juni 1964 i.S. VEB Carl Zeiss
Jena gegen Firma Carl Zeiss Heidenheim Regeste

    Berufung, Anforderung an das kantonale Urteil.

    Der angefochtene Entscheid muss alle massgeblichen tatsächlichen
und rechtlichen Entscheidungsgründe enthalten; Art. 51 Abs. 1 lit. d OG
(Erw. 1-3).

    Erfordernis der Angabe des angewendeten Rechts; Art. 51 Abs. 1 lit. c
OG (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Das Handelsgericht des Kantons Zürich hat auf Klage der Firma Carl
Zeiss in Heidenheim gegen den VEB Carl Zeiss Jena am 14. Oktober 1963
das folgende Urteil gefällt:

    "1.  Dem Beklagten wird - unter Androhung der Überweisung seiner
verantwortlichen Organe an den Strafrichter zur Bestrafung mit Haft oder
Busse gemäss Art. 292 StGB im Widerhandlungsfalle - verboten, in seinem
Geschäftsverkehr im Gebiet der Schweiz und im Verkehr mit der Schweiz den
Namen "Zeiss" oder "Carl Zeiss" zu benutzen und insbesondere die Firma
"VEB Carl Zeiss" oder "VEB Carl Zeiss Jena" zu führen.

    2.  Die Klägerin ist ermächtigt, das Urteil je einmal in der Grösse
einer Achtelsseite in acht von ihr zu bestimmenden schweizerischen
Tageszeitungen und im schweizerischen Handelsamtsblatt auf Kosten des
Beklagten zu veröffentlichen."

    B.- Der Beklagte hat gegen dieses Urteil die Berufung an das
Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage, eventuell
auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung.

    Die Klägerin beantragt, die Berufung sei abzuweisen, soweit aufsie
eingetreten werden könne, und das angefochtene Urteil sei zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    1. - Das Handelsgericht leitet die rechtlichen Erwägungen des
angefochtenen Entscheides mit folgenden Ausführungen ein:

    "Die Probleme des vorliegenden Rechtsstreites sind im wesentlichen
die nämlichen, wie sie im Prozess der Firma Jenaer Glaswerk Schott &
Gen. gegen Beier zur Entscheidung standen. Vorab ist daher auf das Urteil
des Handelsgerichtes vom 24. Juni 1960 zu verweisen".

    Es erklärt sodann weiter, die im genannten Urteil angestellten
Erwägungen seien "grundsätzlich zu bestätigen".

    Das Handelsgericht hat es also unterlassen, sein Urteil mit einer
Begründung zu versehen, welche alle massgeblichen tatbeständlichen und
rechtlichen Entscheidungsgründe enthält. Es hat sich vielmehr damit
begnügt, nur einen Teil der Motive seines am 14. Oktober 1963 gefällten
Entscheides in diesem selber darzulegen. Im übrigen verweist es auf ein
Urteil, das es am 24. Juni 1960 in einem Prozess der Firma Jenaer Glaswerk
Schott & Gen., Mainz, gegen Alfred Beier, Zürich 1, betreffend Markenrecht
und unlauteren Wettbewerb gefällt hat.

    2. - Dieses Vorgehen der Vorinstanz ist unstatthaft.  Zunächst ist
darauf hinzuweisen, dass am vorliegenden Prozess und am Schott-Prozess
nicht die gleichen Parteien beteiligt waren. Klägerin im letzteren
Verfahren war die Firma Jenaer Glaswerk Schott & Gen. in Mainz, während im
vorliegenden Prozess als Klägerin die Firma Carl Zeiss, Heidenheim an der
Brenz, auftritt. Von Bedeutung ist aber vor allem, dass im Schott-Prozess
als Beklagter Alfred Beier, Berlin, ins Recht gefasst wurde, der sich in
Zürich als Vertreter des VEB Glaswerk Schott & Gen. betätigte, während
die vorliegende Klage gegen den VEB Carl Zeiss in Jena gerichtet ist.

    Mit der Verweisung auf das Urteil im Schott-Prozess mutet also das
Handelsgericht dem Beklagten des vorliegenden Prozesses zu, sich die
Begründung für das gegen ihn gefällte Urteil zu einem guten Teil bei
einem Dritten, einer Partei eines früher durchgeführten Prozesses, zu
beschaffen. Das ist nicht zulässig. Es ist ein selbstverständliches Gebot
des Rechtsstaates, dass ein zu bestimmten Verpflichtungen verurteilter
Beklagter in dem Prozess, in welchem er belangt wird, einen Entscheid
erhält, der alle massgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen
enthält. Das ist der tiefere Sinn der Vorschrift von Art. 51 Abs. 1
lit. d OG, wonach die kantonale Instanz die an das Bundesgericht
weiterziehbaren Entscheide den Parteien von Amtes wegen schriftlich
mitzuteilen hat. Die durch diese Bestimmung vorgeschriebene Mitteilung
soll der Partei ermöglichen, sich darüber schlüssig zu machen, ob sie
die Berufung ergreifen will. Das setzt voraus, dass die Entscheidung die
massgeblichen Entscheidungsgründe enthält, und zwar, wie bereits bemerkt,
vollständig. Verweisungen auf andere Urteile sind nur insoweit zulässig,
als sie sich auf die Beantwortung einer bestimmten, einzelnen Rechtsfrage
beziehen und die Bedeutung von ergänzenden, insbesondere bestätigenden
Belegen haben. Im vorliegenden Fall verweist jedoch die Vorinstanz auf
die gesamten Erwägungen des Urteils im Schott-Prozess, wobei nicht klar
ersichtlich ist, ob und inwieweit die Verweisung auch für die in jenem
Prozess getroffenen Feststellungen tatsächlicher Natur gelten soll. Eine
Verweisung dieses Umfanges wäre allenfalls statthaft, wenn das angerufene
Urteil gegen den gleichen Beklagten ergangen und ihm deshalb ohnehin
bekannt wäre. Diese Voraussetzung trifft hier nicht zu. Dass zwischen
dem Beklagten des vorliegenden Verfahrens und demjenigen des angerufenen
Entscheides geschäftliche oder anderweitige Beziehungen bestehen und sie
durch den nämlichen Anwalt verbeiständet sind, genügt nicht.

    3. - Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang sodann, dass der heute
zu beurteilende Streitgegenstand und derjenige des Schott-Prozesses
verschieden geartet sind. Im Schott-Prozess war zu entscheiden, ob
die Rechte aus einigen in Deutschland und international hinterlegten
Marken für Glaserzeugnisse der Carl Zeiss-Stiftung in Heidenheim oder
der Carl Zeiss-Stiftung in Jena, bzw. dem VEB Schott & Gen. in Jena
zustehen. Im vorliegenden Prozess dagegen geht es darum, ob bestimmte
Wettbewerbshandlungen des VEB Carl Zeiss Jena für optische Produkte den
Tatbestand des unlauteren Wettbewerbes gegenüber der Klägerin, einem
Fabrikationsunternehmen für optische Artikel in Heidenheim, erfüllten.

    Die beiden Streitigkeiten beruhen also sowohl in tatsächlicher wie
in rechtlicher Hinsicht auf verschiedenen Grundlagen und bedürfen einer
hieraufabgestimmten prozessualen Behandlung. Die Vorinstanz glaubt,
diesem Erfordernis Rechnung tragen zu können mit der Bemerkung,
es handle sich in den beiden Prozessen "im wesentlichen" um die
nämlichen Probleme, und die Erwägungen des Schott-Urteils seien daher
"grundsätzlich" zu bestätigen. Sie schweigt sich jedoch darüber aus, was
sie als wesentlich und was als unwesentlich betrachtet; ebenso bleibt
unklar, welche Schlussfolgerungen aus der Feststellung zu ziehen sind,
dass die im Schott-Urteil angestellten Erwägungen nur "grundsätzlich"
zu bestätigen seien.

    Das Bundesgericht kann als Rechtsmittelinstanz diese Lücken des
Urteils nicht etwa durch Auslegung oder Ergänzung ausfüllen. Ein solches
Vorgehen würde die Gefahr von Missverständnissen in wesentlichen Punkten
in sich bergen und wäre nicht geeignet, eine zuverlässige Grundlage
für die Überprüfung des angefochtenen Erkenntnisses abzugeben. Das
Bundesgericht kann seine Aufgabe nur erfüllen, wenn der kantonale Richter
seine tatsächlichen und rechtlichen Entscheidungsgründe abschliessend
und eindeutig bekannt gibt.

    4. - Das angefochtene Urteil leidet auch noch in anderer Hinsicht an
einem formellen Mangel. Nach Art. 51 Abs. 1 lit. c OG ist in einer durch
Berufung an das Bundesgericht weiterziehbaren Entscheidung anzugeben,
"inwieweit sie auf der Anwendung eidgenössischer, kantonaler oder
ausländischer Gesetzesbestimmungen beruht." Das Urteil des Handelsgerichts
entbehrt klarer und ausdrücklicher Feststellungen hierüber, obwohl der
internationale Charakter des Rechtsstreites offensichtlich war.

    5. - Da die dargelegten Mängel des angefochtenen Entscheides auf
andere Weise nicht behoben werden können, ist dieser gemäss Art. 52
OG von Amtes wegen aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zu neuer
Beurteilung zurückzuweisen, der nötigenfalls eine Ergänzung des Verfahrens
vorauszugehen hat.

Entscheid:

Demnach beschliesst das Bundesgericht:

    Das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 14. Oktober
1963 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

    Vgl. auch Nr. 20. - Voir aussi no 20.