Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 II 15



90 II 15

3. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Februar 1964
i.S. Zellweger gegen Abegglen. Regeste

    Haftung für Hilfspersonen, Art. 101 OR.

    1.  Wann handelt die Hilfsperson "in Ausübung ihrer Verrichtungen"?

    2.  Haftet der bauleitende Architekt für den Schaden daraus, dass sein
Angestellter sein Visum auf Zahlungsanweisungen aus dem Baukredit fälscht?

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Buchbinder Zellweger beauftragte den Architekten Abegglen mit
der Erstellung eines Fabrikgebäudes, wofür ihm die Spar- und Leihkasse
Münsingen einen Baukredit gewährte. Gemäss dem von Zellweger, der Bank und
Abegglen unterzeichneten "Treuhandbestellungsvertrag" war der Baukredit
einzig im Interesse des Neubaus zu verwenden, insbesondere zur Deckung
der Ansprüche der daran beteiligten Unternehmer und Handwerker. Die
Kontrolle über die Verwendung oblag dem Architekten als Treuhänder. Zur
Ausübung dieser Kontrolle wurde ihm das "Visarecht" für alle auf Rechnung
des Kredites zur Auszahlung gelangenden Summen eingeräumt und die Bank
angewiesen, nur Anweisungen zu honorieren, die "nebst der Unterschrift des
Kreditnehmers das Visa des Treuhänders tragen". Die Bank übergab Abegglen
ein Heft mit Anweisungsformularen, sowie die Druckschrift "Der Baukredit".

    Abegglen liess seine Obliegenheiten aus dem Vertrag mit Zellweger und
der Bank durch seinen Angestellten Architekt Goetschi besorgen. Dieser
führte die Bauleitung, prüfte die Zwischenrechnungen der Unternehmer und
füllte die Anweisungsformulare aus, die er dann durch Abegglen visieren
lassen musste.

    Goetschi, der stark überschuldet war, stellte fünf Anweisungen an sich
selbst über zusammen Fr. 29'855. - für angebliche Materiallieferungen aus,
fälschte das Visum Abegglens, legte die gefälschten Anweisungen Zellweger
zur Unterzeichnung vor, bezog die Anweisungsbeträge aus dem Baukredit
und behielt sie.

    Von Abegglen auf Bezahlung des Architektenhonorars belangt, machte
Zellweger verrechnungsweise den Schaden von Fr. 29'855. - geltend, der
ihm durch Goetschi als Hilfsperson des Klägers zugefügt worden sei.

    Der Appellationshof des Kantons Bern verneinte einen solchen
Schadenersatzanspruch des Beklagten, da Goetschi seine Handlungen nicht
als Hilfsperson des Klägers begangen habe.

    Das Bundesgericht bejaht grundsätzlich die Haftung des Klägers.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Hauptstandpunkt des Beklagten geht dahin, der Kläger habe
ihm den Schaden von Fr. 29'855. - gemäss Art. 101 OR zu ersetzen, weil
Goetschi als seine Hilfsperson durch die Fälschung der Visa auf den
Anweisungen für Materiallieferungen die Erfüllung der dem Kläger auf
Grund des Treuhandvertrages obliegenden Pflichten beeinträchtigt habe.

    Art. 101 OR trifft zu, wenn jemand die Erfüllung einer Schuldpflicht
oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis durch eine
Hilfsperson vornehmen lässt und diese in Ausübung ihrer Verrichtungen
"dem andern", also dem Gläubiger bzw. Schuldner, Schaden verursacht.

    Unter den Verrichtungen der Hilfsperson sind ihre der Erfüllung
der Schuldpflicht oder der Ausübung des Rechtes aus dem Schuldverhältnis
dienenden Handlungen zu verstehen. "In Ausübung" dieser Handlungen ist der
Schaden nicht schon dann zugefügt, wenn die Hilfsperson die Schadensursache
bei Gelegenheit ihrer Verrichtungen setzt. Es genügt nicht jeder zeitliche
oder räumliche Zusammenhang zwischen der Verrichtung der Hilfsperson und
der Schädigung, sondern es bedarf eines funktionellen Zusammenhanges in
dem Sinn, dass die schädigende Handlung selber eine Nichterfüllung oder
schlechte Erfüllung der Schuldpflicht oder eine unzulässige Ausübung des
Rechtes aus dem Schuldverhältnis darstellt (BGE 85 II 270).

Erwägung 3

    3.- Zunächst ist zu prüfen, ob Goetschi in Ausübung einer dem Kläger
gegenüber dem Beklagten obliegenden Schuldpflicht handelte, als er Visa
fälschte, um sich Beträge für Materiallieferungen anweisen zu lassen,
und als er die entsprechenden Anweisungen dem Beklagten zur Unterzeichnung
vorlegte.

    a) Zur Entscheidung dieser Frage ist vorerst abzuklären, welche
Verpflichtungen der Kläger gegenüber dem Beklagten hatte.

    Verpflichtungen gegenüber dem Beklagten ergaben sich für den
Kläger einmal aus seiner Stellung als bauleitender Architekt. Er
war in dieser Eigenschaft unter anderem gehalten, die Rechnungen der
Unternehmer, Handwerker und Materiallieferanten auf ihre Richtigkeit und
Vertragsmässigkeit hin zu prüfen und dem Beklagten mitzuteilen, wer gegen
ihn für die Erstellung des Baues Forderungen habe und wie hoch sie seien.

    Diese Pflichten wurden durch Unterzeichnung der "Treuhandbestellung"
sinngemäss bestätigt und dahin erweitert, dass der Kläger durch Erteilung
oder Verweigerung der Visa darüber zu befinden hatte, ob die Forderungen
aus dem Baukredit getilgt werden dürften oder aus anderen Mitteln zu
bezahlen seien. Der Kläger verpflichtete sich als Treuhänder nicht nur
gegenüber der kreditgebenden Bank, sondern vor allem auch gegenüber dem
Kreditnehmer, also dem Beklagten. Dieser versprach der Bank in der Urkunde
über die "Treuhandbestellung", die zu lasten des Kredites angewiesenen
Beträge nur im Interesse des Neubaues zu verwenden, sei es zur Zahlung
des Kaufpreises für das Land oder zur Deckung der Ansprüche der am Neubau
beteiligten Unternehmer und Handwerker. Im Hinblick auf dieses Versprechen
hatte der Beklagte ein Interesse daran, zu wissen, ob der Betrag der
einzelnen von ihm unterzeichneten Anweisungen dem Baukredit belastet werden
dürfe. Ob das der Fall sei, hatte ihm der fachkundige Kläger zu sagen, der
durch die ihm übergebene Schrift "Der Baukredit" über seine Pflichten näher
unterrichtet war. Diese Aufgabe war die natürliche Folge der Pflichten,
die er schon als bauleitender Architekt dem Beklagten gegenüber auf sich
genommen hatte. In der "Treuhandbestellung" wurde denn auch ausdrücklich
ausgeführt, der Kreditnehmer übertrage die Kontrolle über die Verwendung
der bezogenen Gelder an Abegglen als Treuhänder, Abegglen nehme diesen
Auftrag an und sei verpflichtet, über die Verwendung der bezogenen Gelder
dem Kreditnehmer, der Bank oder dem beteiligten Handwerker jederzeit
Aufschluss zu erteilen.

    b) Der Kläger zog zur Erfüllung seiner Pflichten als bauleitender
Architekt und als Treuhänder seinen Angestellten Goetschi bei, bediente
sich also seiner als Hilfsperson im Sinne von Art. 101 OR. Zwar betraute
er Goetschi nicht mit der Visierung der Anweisungen; der Beklagte gibt
das in der Berufung zu. Hinsichtlich der Prüfung der Rechnungen, der
Ausstellung der Anweisungsformulare, deren Vorlegung zur Visierung
und der Überbringung der visierten Anweisungen an den Beklagten
war aber Goetschi Erfüllungsgehilfe. Der Auffassung des Klägers,
Goetschi habe nur Vorbereitungen besorgt, ist nicht beizupflichten;
dieser verrichtete Erfüllungshandlungen, als er die fünf Anweisungen über
zusammen Fr. 29'855. - für Material ausfüllte und sie, mit dem gefälschten
Visum des Klägers versehen, dem Beklagten zur Unterzeichnung überbrachte,
statt das Visum des Klägers einzuholen. Übrigens trifft Art. 101 OR auch
zu, wenn eine Hilfsperson vorbereitende Handlungen so mangelhaft besorgt,
dass die Schuldpflicht schlecht oder überhaupt nicht erfüllt wird oder
bei der Ausübung eines Rechtes Schaden entsteht (BECKER, 2. Aufl.,
Art. 101 OR N. 14 a.E.).

    c) Dass Goetschi die soeben umschriebenen Aufgaben, sehe man in ihnen
Erfüllungshandlungen oder blosse Vorbereitungshandlungen, als Hilfsperson
schlecht versah, also die dem Kläger gegenüber dem Beklagten obliegenden
Verpflichtungen mangelhaft erfüllte, liegt auf der Hand. Er durfte dem
Beklagten nur Anweisungen mit echtem Visum des Klägers überbringen,
nicht auch solche mit gefälschtem. Er verhinderte durch unerlaubte
Handlungen die vollständige und richtige Erfüllung der vertraglichen
Pflichten seines Dienstherrn (vgl. BGE 85 II 270 f.), und zwar sowohl der
Pflichten, die dieser als bauleitender Architekt, als auch derjenigen,
die er als Treuhänder auf sich genommen hatte. Der von der Rechtsprechung
geforderte funktionelle Zusammenhang zwischen der schädigenden Handlung
(Überbringung von Anweisungen mit gefälschtem Visum) und der Schuldpflicht
des Geschäftsherrn (hier des Klägers) liegt also vor. Die schädigenden
Handlungen wurden von Goetschi in Ausübung seiner ihm zur Erfüllung
der Schuldpflicht des Klägers obliegenden Verrichtungen begangen, nicht
lediglich bei Gelegenheit derselben.

    d) Unerheblich ist der Einwand des Klägers, Goetschi habe die Visa
aus eigenem Antrieb gefälscht. Art. 101 OR setzt nicht voraus, dass
der Geschäftsherr die Hilfsperson zu dem die Schuldpflicht verletzenden
Verhalten aufgefordert habe (BGE 85 II 271).

    Auch auf den Einwand des Klägers, er habe in den Fällen, in denen ihm
Anweisungen zum Visum vorgelegt wurden, seine Pflicht immer gewissenhaft
erfüllt und sich von Goetschi nie täuschen lassen, kommt nichts an.

    Wer die vom Beklagten unterzeichneten Anweisungen auf die Bank trug,
ist ebenfalls belanglos, desgleichen der Umstand, dass Goetschi das
Geld von der Bank auf eigene Rechnung und im eigenen Namen, nicht als
Hilfsperson des Klägers verlangte. Die schädigende Handlung lag nicht erst
im Vorgehen gegenüber der Bank, sondern schon in der Erschwindelung der
Unterschrift des Beklagten durch Vorlegung von ausgefüllten Anweisungen
mit gefälschten Visa. Daher vermag der Kläger aus BGE 40 II 150 f. nichts
zu seinen Gunsten abzuleiten, weshalb dahingestellt bleiben kann, ob an
jenem Entscheid festgehalten werden könnte.

    Unbehelflich sind auch die Behauptungen des Klägers, Goetschi habe
die Materiallieferungen, die den fünf Anweisungen zugrunde lagen, mit
dem Beklagten oder dessen Sohn unter Umgehung des Klägers vereinbart und
die Bank habe aus den Anweisungen ersehen können, dass die Beträge als
Entgelt für Material an Goetschi, also nicht an einen am Bau arbeitenden
Unternehmer oder Handwerker, ausbezahlt werden sollten. Zu den Pflichten
des Klägers als Bauleiter und Treuhänder gegenüber dem Beklagten gehörte es
eben, in einem zuverlässigen Verfahren zu prüfen und zu befinden, ob solche
Lieferungen trotz der behaupteten Umstände überhaupt zu vergüten seien,
an wen die Vergütung zu erfolgen habe und ob sie dem Baukredit belastet
werden dürfe oder andern Mitteln zu entnehmen sei. Dieses Prüfungsverfahren
hat wegen der Beiziehung des Goetschi als Hilfsperson versagt.

    Schliesslich kommt auch nichts darauf an, ob den Kläger ein Verschulden
trifft. Der Schuldner hat für das Verhalten seiner Hilfsperson einzustehen,
als ob es sein eigenes wäre, selbst wenn er es bei der Auswahl und
Überwachung der Hilfsperson nicht an Sorgfalt hat fehlen lassen (BGE 53 II
240, 70 II 221, 82 II 534, 85 II 271). So muss sich der Kläger z.B. alle
Vorgänge, die Goetschi kannte, anrechnen lassen, wie wenn er sie selber
gekannt hätte.