Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 III 71



90 III 71

16. Entscheid vom 12. November 1964 i.S. Wild. Regeste

    Gerichtlicher Vergleich und Fortsetzung der Betreibung.

    Führt die vom Gläubiger nach Art. 79 SchKG angehobene Klage zur
gänzlichen oder teilweisen Anerkennung der Forderung, sei es durch
rechtskräftiges Urteil, sei es durch gerichtlichen Vergleich, so kann der
Gläubiger die Betreibung fortsetzen, ohne dass es noch eines besonderen
Rechtsöffnungsentscheides bedarf.

    Legt der Vergleich aber ausserdem eine Verpflichtung des Gläubigers
fest, die nach Behauptung des Schuldners zuerst oder Zug um Zug mit
der seinigen zu erfüllen ist, so ist die Fortsetzung der Betreibung nur
zulässig, wenn der Gläubiger definitive Rechtsöffnung oder ein ergänzendes
materielles Urteil zu seinen Gunsten erwirkt.

Sachverhalt

    A.- In der Betreibung des Otto Rüdisser gegen Max Wild für eine
Forderung von Fr. 440.-- nebst Zins zu 5% seit 1. April 1961 und Fr.
60.50 Verzugszins ("frühere Mietzinsraten und div. Gerichtskosten lt.
Aufstellung an Schuldner") schlug der Schuldner Recht vor. Am 25. Januar
1964 schlossen hierauf die Parteien vor dem Friedensrichter von Dübendorf
einen Vergleich folgenden Inhalts:

    "1. Der Kläger reduziert die Forderung auf einen Saldobetrag von Fr.
502.20 (Zins und Zahlungsbefehlkosten inbegriffen).

    2. Der Beklagte anerkennt eine Schuld im Betrage von Fr. 502.20 und
verpflichtet sich, diesen Betrag in aufeinanderfolgenden monatlichen Raten
von Fr. 40.-, fällig je Mitte Monat, erstmals 15. Februar 1964 zu bezahlen.

    3. Bei Verzug einer Rate von 2 Monaten wird der ganze dannzumal
verbleibende Restbetrag der Schuld sofort zur Zahlung fällig.

    4. Der Kläger verpflichtet sich, dem Beklagten sämtliche noch in seinem
Gewahrsam befindlichen Gegenstände des Beklagten (siehe sep. Liste) innert
Monatsfrist, d.h. bis zum 20. Februar 1964 unbeschwert herauszugeben."

    Auf Grund dieses Vergleiches schrieb der Friedensrichter die
Streitsache als erledigt ab. Der Schuldner hatte die vom Gläubiger
vorgelegte Liste der in dessen Gewahrsam gebliebenen, ihm gemäss Ziff. 4
des Vergleiches herauszugebenden Sachen nicht als vollständig anerkannt.

    B.- Nach Zahlung dreier Monatsraten von Fr. 40.- holte der Schuldner am
21. April 1964 die ihm vom Gläubiger zur Verfügung gestellten Sachen ab. In
der folgenden Zeit machte er geltend, es fehlen verschiedene Gegenstände,
und stellte daher die Abzahlungen ein. Am 22. August 1964 liess ihm der
Gläubiger die Pfändung für den ganzen Restbetrag ankündigen. Nun führte der
Schuldner Beschwerde mit dem Begehren um "Aufhebung der Vollstreckung". Er
berief sich auf Ziff. 4 des Vergleiches; danach hätte ihm der Gläubiger
"sämtliche Ware" bis zum 20. Februar 1964 herausgeben sollen, "worauf ich
dann meine Raten zu leisten hätte". Es sei jedoch "nur ein ganz kleiner
Teil" herausgegeben worden. Der Gläubiger liess sich dahin vernehmen,
der Schuldner habe alle ihm gehörenden Sachen herauserhalten.

    C.- Die untere Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde abgewiesen, ebenso
die obere Aufsichtsbehörde durch Entscheid vom 13. Oktober 1964 den vom
Schuldner eingelegten Rekurs, aus folgenden Gründen: Der gerichtliche
Vergleich ist wie ein rechtskräftiges Urteil vollstreckbar, und zwar
bedarf es dafür keines besondern Rechtsöffnungsentscheides. Der Schuldner
hat, was unbestritten ist, bloss drei Monatsraten geleistet. Daher ist
nach Ziff. 3 des Vergleiches der ganze Restbetrag der Forderung fällig
geworden. Der Einwand des Schuldners, der Gläubiger habe seinerseits die
ihm nach Ziff. 4 des Vergleiches obliegende Verpflichtung nicht erfüllt,
ist abzulehnen. Zwar steht es den Betreibungsbehörden nicht zu, die vom
Schuldner im Rekursverfahren vorgelegte Liste fehlender Gegenstände
(die der Gläubiger ihm noch herauszugeben habe) zu überprüfen. Jener
Einwand ist aber schon dem Grundsatze nach ungerechtfertigt. Denn es ist
nicht anzunehmen, die Zahlungspflicht des Schuldners aus Mietvertrag und
Gerichtskostenauflage sei ursprünglich davon abhängig gewesen, dass er alle
ihm gehörenden Sachen, die im Gewahrsam des Gläubigers blieben, zurück
erhalte. Und ein solches Austausch- und Abhängigkeitsverhältnis ist auch
durch den Vergleich nicht festgelegt worden. Dass es der Vertragsmeinung
entsprochen habe, eine solche gegenseitige Abhängigkeit der beidseitigen
Verpflichtungen zu schaffen, ist nicht zu vermuten. Verschiedene Umstände
sprechen gegen eine dahingehende Auslegung des Vergleiches (was näher
dargelegt wird).

    D.- Diesen Entscheid hat der Schuldner an das Bundesgericht
weitergezogen. Er widersetzt sich der Fortsetzung der Betreibung nach
wie vor.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    Die Vorinstanz geht zutreffend davon aus, dass ein gerichtlicher
Vergleich einem rechtskräftigen gerichtlichen Urteil gleichzuachten
ist. Für das Rechtsöffnungsverfahren ist dies in Art. 80 Abs. 2
SchKG vorgeschrieben. Der gerichtliche Vergleich bildet aber auch
(immer vorausgesetzt, dass er Ansprüche betrifft, die Gegenstand von
Verträgen bilden können; vgl. BGE 71 I 458 Erw. 3) einen vollwertigen
Urteilsersatz ausserhalb des Rechtsöffnungsverfahrens. Das äussert sich
insbesondere darin, dass er als Abschluss eines nach Art. 79 SchKG zur
Beseitigung des Rechtsvorschlages angehobenen ordentlichen Prozesses,
sofern er die Forderung anerkennt, wie ein Urteil gleichen Inhaltes
die Fortsetzung der Betreibung erlaubt, ohne dass es hiefür noch eines
besondern Rechtsöffnungsentscheides bedürfte (vgl. BGE 75 III 45/46,
77 III 149, 85 III 124 ff.; FRITZSCHE, SchK I 114/15 mit Fussnote 196).

    Der vorliegende Vergleich sieht nun zwar eine in bestimmter Weise zu
erfüllende Zahlungspflicht des Schuldners vor. daneben aber auch eine
Pflicht des Gläubigers zur Herausgabe von Sachen, und es ist streitig,
ob diese beidseitigen Pflichten voneinander abhängig seien. Der Schuldner
nimmt den Standpunkt ein, nachdem er am Aussöhnungsversuche Fr. 20.-
angezahlt und dann drei Monatsraten von je Fr. 40.- entrichtet hat, sei
nun der Gläubiger vorleistungspflichtig (oder es seien die beidseitigen
Leistungen allenfalls Zug um Zug zu erfüllen). Wie es sich damit verhält,
können die Betreibungsbehörden nicht entscheiden. Nur wenn der Wortlaut
des Vergleiches ausser jedem Zweifel die Zahlungspflicht des Schuldners als
eine unbedingte erscheinen liesse oder die Parteien hierüber einig wären,
läge ein "liquider", einwandfreier Vollstreckungstitel vor. Dass dies
hier nicht zutrifft, ist der Vorinstanz selbst nicht entgangen. Deshalb
hat sie eben sorgfältige Erwägungen über den wahren Sinn des Vergleiches
angestellt und sich auch nach der Auffassung des Friedensrichters
über die beim Vergleichsabschluss bestehende Meinung der Parteien
erkundigt. All dies liegt indessen ausserhalb der Zuständigkeit der
Betreibungsbehörden. Nachdem der Vergleich beidseitige Verpflichtungen der
Parteien umfasst, deren Erfüllung nicht zweifellos unabhängig voneinander
verlangt werden kann, ist der Gläubiger auf erneute Anrufung des Richters
angewiesen. Die Betreibung wird erst fortgesetzt werden können, wenn er
definitive Rechtsöffnung erwirkt, sei es im eigentlichen Sinne, gemäss Art.
80/81 SchKG, sei es in Gestalt eines den Vergleich ergänzenden materiellen
Urteils, das entweder die im Vergleich festgesetzte Zahlungspflicht
des Schuldners als eine unbedingte erklärt (und allenfalls den Verfall
der ganzen Restforderung gemäss Ziff. 3 des Vergleiches bejaht) oder,
bei Annahme einer gegenseitigen Verpflichtung Zug um Zug oder einer
Vorleistungspflicht des Gläubigers, die gehörige Erfüllung der diesem
obliegenden Pflicht feststellt und damit der Fortsetzung der Betreibung
gleichfalls Raum gibt (vgl. BGE 67 III 116 ff.).

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass das Betreibungsamt Dübendorf
angewiesen wird, die Betreibung Nr. 9819 nicht fortzusetzen, bevor der
Gläubiger definitive Rechtsöffnung erwirkt hat.