Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 III 67



90 III 67

15. Entscheid vom 26. November 1964 i.S. Müller. Regeste

    1.  Auslegung eines Beschwerdeantrages (Erw. 1 und 4).

    2.  Hinterlegung der Betreibungssumme durch einen Dritten zur Abwendung
einer bevorstehenden Pfändung. Ist dieser Zweck gegenstandslos geworden, so
ist der hinterlegte Betrag zurückzugeben. Das Betreibungsamt darf ihn nicht
einem andern als dem vom Hinterleger verfolgten Zwecke widmen. (Erw. 2
und 3).

Sachverhalt

    A.- In der Betreibung Nr. 39271 des Betreibungsamtes Bern 2
gegen B. Brühwiler (Zahlungsbefehl vom 6. September 1962) für Fr.
295.35 nebst Zins schlug der Schuldner Recht vor. Doch erwirkte der
Gläubiger am 6. Dezember 1962 ein die Forderung zusprechendes Urteil des
Gerichtspräsidenten IV von Bern und verlangte, gestützt darauf, am 13.
Dezember 1962 die Fortsetzung der Betreibung. Um die Pfändung abzuwenden,
hinterlegte am 7. Januar 1963 die Haushälterin des Schuldners, Lisa Müller,
beim Betreibungsamte den Betrag von Fr. 299.--. Der Schuldner seinerseits
focht jenes Urteil durch Nichtigkeitsklage an, der am 9. Januar 1963
aufschiebende Wirkung erteilt wurde. Am 7. November 1963 hiess alsdann
der Appellationshof des Kantons Bern die Nichtigkeitsklage dahin gut, dass
das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an
den Gerichtspräsidenten IV von Bern zurückgewiesen wurde. Dieser sprach
die Forderungsklage am 24. September 1964 neuerdings zu; indessen hat
der Schuldner auch dieses Urteil durch Nichtigkeitsklage angefochten, die
noch hängig ist, und der wiederum aufschiebende Wirkung beigelegt wurde.

    B.- Der Schuldner verlangte beim Betreibungsamte die Aushändigung des
seinerzeit hinterlegten Betrages. Gegen die Ablehnung dieses Begehrens
führten er und Lisa Müller gemeinsam Beschwerde mit dem Antrag "es sei mir
der Betrag von Fr. 295.35, den ich im Januar 1963 als Deckung für obige
Betreibung dem Betreibungsamt übermacht habe, mit Zins zu 5% seit 8.
Januar 1963 sofort zurückzuzahlen". Der Begründung ist zu entnehmen:
"Mit Urteil vom 7. November 1963 wurde das erstinstanzliche Urteil
wegen Nichtigkeit aufgehoben. Damit war der Rechtsvorschlag wieder in
Kraft. Das Betreibungsamt hätte mir daher sofort den gepfändeten Betrag
wieder zurückerstatten müssen, da L. keinen Rechtstitel mehr für die
Pfändung hatte."

    C.- Mit Entscheid vom 30. Oktober 1964 hat die kantonale
Aufsichtsbehörde die Beschwerde abgewiesen, im wesentlichen aus folgenden
Gründen: Die von einer Drittperson, Lisa Müller, geleistete Hinterlage
könnte dem Schuldner nur zurückgegeben werden, wenn er zum Empfang
des Geldes bevollmächtigt wäre. Im übrigen muss sie bestehen bleiben,
solange der Rechtsstreit nicht endgültig zu Gunsten des Schuldners
entschieden ist. Die zur Abwendung der Pfändung geleistete Hinterlage
bedeutet Einzahlung eines streitigen Betrages auf Recht hin. "Bis
endgültig feststeht, was Rechtens ist, kann der deponierte Betrag von
Fr. 299.-- nicht zurückgefordert werden, weder von Brühwiler noch von Lisa
Müller". Ein endgültiges Urteil über die Forderung liegt noch nicht vor.

    D.- Gegen diesen Entscheid hat Lisa Müller an das Bundesgericht
rekurriert mit dem erneuten Antrag, es sei ihr das Depot von Fr. 295.35
mit Zins zu 5% seit 8. Januar 1963 sofort zurückzuzahlen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Als Beschwerdeführer bezeichnet die Vorinstanz nur den Schuldner,
obwohl die Beschwerde von der Hinterlegerin mitunterzeichnet war. In
Wahrheit hat diese gemeinsam mit dem Schuldner Beschwerde geführt, und es
ist das freilich nicht ganz eindeutig gefasste Beschwerdebegehren gerade
mit Rücksicht auf die zwei Unterschriften dahin zu verstehen, es werde die
Rückerstattung der Hinterlage an Lisa Müller, sei es unmittelbar oder durch
Vermittlung des Schuldners, verlangt. Durch den die Beschwerde abweisenden
Entscheid ist die Hinterlegerin somit beschwert und daher zur Weiterziehung
an das Bundesgericht legitimiert. Da sie nunmehr allein als Rekurrentin
auftritt, ist das im wesentlichen gleich wie in der Beschwerde lautende
Begehren vollends als auf Rückerstattung an sie gehend aufzufassen.

Erwägung 2

    2.- Zweck der Hinterlage war die Abwendung der Pfändung, die dem
Schuldner nach Gutheissung der Forderungsklage durch das Urteil vom 6.
Dezember 1962 infolge des vom Gläubiger gestellten Fortsetzungsbegehrens
drohte. Die Hinterlegung erfolgte, bevor der gegen jenes Urteil
eingereichten Nichtigkeitsklage aufschiebende Wirkung beigelegt worden
war. Sie hatte ihren Zweck erfüllt, als der Appellationshof das Urteil des
Gerichtspräsidenten am 7. November 1963 aufhob. Nun war der Rechtsvorschlag
wieder wirksam und eine Fortsetzung der Betreibung unzulässig. Die
seinerzeit geleistete Hinterlage war damit gegenstandslos geworden und
der Rekurrentin zurückzugeben.

    Es geht nicht an, einer solchen freiwillig geleisteten Hinterlage über
die ihr vom Hinterleger gegebene Zweckbestimmung hinaus den Charakter einer
"Zahlung auf Recht hin" zuzuschreiben, die nun auch gegen dessen Willen
fortbestehen müsste, bis die Klage des Gläubigers allenfalls endgültig
abgewiesen wird. Es handelte sich im vorliegenden Fall um eine blosse
Sicherheitsleistung. Die Umstände, die dazu Veranlassung geboten hatten,
lagen nach der Aufhebung des gerichtlichen Urteils vom 6. Dezember 1962
nicht mehr vor.

Erwägung 3

    3.- Daran ändert der im September 1964 ergangene zweite Entscheid
des Gerichtspräsidenten IV von Bern nichts. Es stand im Belieben der
Rekurrentin, ob sie, um nochmals einer Pfändung vorzubeugen, die Hinterlage
erneuern (bestehen lassen) oder aber zurückziehen wolle. Übrigens drohte
diesmal einstweilen keine Pfändung. Denn bevor der Gläubiger gestützt
auf das neue Urteil im Forderungsprozesse nochmals die Fortsetzung der
Betreibung verlangte, reichte der Schuldner wiederum eine Nichtigkeitsklage
ein, und dieser wurde aufschiebende Wirkung beigelegt, die zur Zeit
der Ausfällung des hier angefochtenen Beschwerdeentscheides noch zu
Recht bestand. - Aber auch abgesehen davon, dass das neue Urteil des
Gerichtspräsidenten IV von Bern für den Schuldner keine so bedrohliche
Sachlage mit sich gebracht hat wie das erste, kann die Rekurrentin,
wie dargetan, nicht gegen ihren Willen dazu angehalten werden, die mit
dem Hinfall des ersten Zivilurteils gegenstandslos gewordene Sicherheit
einem neuen Zwecke dienstbar zu machen und daher aufrecht zu erhalten.

Erwägung 4

    4.- Zweifellos aus Irrtum beziffert der Rekurs (wie bereits die an
die Vorinstanz gerichtete Beschwerde) den Betrag der Hinterlage, der sich
auf Fr. 299.-- beläuft, bloss auf Fr. 295.35 (gleich dem Hauptbetrag
der Betreibungssumme). Dem wahren Sinn des Begehrens entsprechend hat
das Betreibungsamt den ganzen Betrag der Hinterlage zurückzugeben. Ob
ausserdem ein Depotzins zu vergüten ist, muss offen bleiben, da hiefür
keine Unterlagen beigebracht wurden.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen und das Betreibungsamt Bern 2 angewiesen,
der Rekurrentin den von ihr am 7. Januar 1963 in der Betreibung Nr. 39271
hinterlegten Betrag zurückzuerstatten.