Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 I 65



89 I 65

11. Urteil vom 30. Januar 1963 i.S. Goebel gegen Diethrich und Obergericht
des Kantons Appenzell A.Rh. Regeste

    Gerichtsstandsklausel.

    Die Annahme, die Vereinbarung eines Gerichtsstandes schliesse die
Klage am ordentlichen Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten nicht aus

    -  verstösst nicht gegen die Art. 58 und 59 BV (Erw. 1).

    - ist in casu mit dem Wortlaut und Sinn der Klausel vereinbar und
nicht willkürlich (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Die in Frankreich wohnhafte Louise Diethrich stand nach dem
ersten Weltkrieg mit dem bis 1959 in Frankfurt a.M. wohnenden Arnold
Goebel in Geschäftsbeziehung und übergab ihm gewisse Geldbeträge. Um
1930 führte sie verschiedene Prozesse gegen Goebel und erwirkte, dass
dieser vom Landgericht Frankfurt in den Jahren 1933/35 verurteilt wurde,
ihr 20'000. - RM zu bezahlen und über den gemeinschaftlichen An- und
Verkauf von Grundstücken Rechnung abzulegen. Auf Grund dieser Urteile nahm
sie an der Pfändung und Zwangsverwaltung der in Frankfurt befindlichen
Liegenschaften Goebels teil. Da ein Teil dieser Liegenschaften während des
zweiten Weltkrieges beschädigt wurden und ihr Wiederaufbau die Aufhebung
der Zwangsverwaltung erforderte, schlossen Louise Diethrich und Goebel am
16. August/20. September 1951 einen Vergleich, in welchem Louise Diethrich
auf ihre Recht aus den genannten Urteilen verzichtete, während Goebel
sich zur Zahlung von 15'000.-- DM verpflichtete und ausserdem versprach,
ihr frühestens ab 1. Januar 1953 eine monatliche lebenslängliche Rente
von höchstens 300.-- DM zu bezahlen, "sofern und soweit die (näher
bezeichneten) Grundstücke entsprechenden Ertrag abwerfen". Die letzte
Bestimmung des Vergleichs lautete: "Erfüllungsort und Gerichtsstand für
beide Teile ist Frankfurt a.M.".

    Goebel zahlte die 15'000. - DM, nicht dagegen die vereinbarte Rente. In
den Jahren 1956/58 verkaufte er seine Liegenschaften in Frankfurt für
610'000.-- DM und zog dann nach Teufen (Kt. Appenzell A.Rh.), wo er seit
anfangs 1959 wohnt.

    B.- Am 8. Februar 1961 reichte Louise Diethrich beim Bezirksgericht
Mittelland Klage ein gegen Goebel mit dem Begehren, es sei festzustellen,
dass der Beklagte verpflichtet sei, ihr rückwirkend seit 1. Januar 1953
eine lebenslängliche Leibrente von monatlich 300.-- DM zu bezahlen, und
es sei der Beklagte zu verpflichten, ihr die seit 1. Januar 1953 bis zur
Urteilsfällung verfallenen Rentenbetreffnisse zum Tageskurse zu bezahlen.

    Der Beklagte beantragte unter Berufung auf die im Vergleich
von 1951 enthaltene Gerichtsstandsklausel, auf die Klage sei wegen
örtlicher Unzuständigkeit nicht einzutreten; eventuell beantragte er
Abweisung der Klage. Das Bezirksgericht Mittelland betrachtete die
Einrede der Unzuständigkeit als begründet. Das Obergericht des Kantons
Appenzell A.Rh. dagegen wies sie mit Urteil vom 24. September 1962 ab
und die Streitsache zur materiellen Beurteilung an das Bezirksgericht
zurück. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Ob ein vereinbarter
Gerichtsstand ausschliesslich sei oder mit dem gesetzlichen Gerichtsstand
konkurriere, sei eine Frage der Auslegung der Vereinbarung. Im Zweifel
schliesse die Vereinbarung eines Gerichtsstandes die Klage am ordentlichen
Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten nicht aus, liege es doch im
allgemeinen in seinem Interesse, am Wohnsitz eingeklagt zu werden. Dem
Wortlaut der vorliegenden Gerichtsstandsklausel sei nicht zu entnehmen,
dass die Parteien in Frankfurt a.M. einen ausschliesslichen Gerichtsstand
begründen wollten. Viel näher liege die Annahme, dass der Beklagte damit
den ordentlichen Gerichtsstand seines Wohnsitzes wählte. Wohl sei es
möglich, dass die Parteien den Gerichtsstand in Frankfurt auch im Hinblick
auf den sachlichen Zusammenhang zwischen der von der Klägerin verlangten
Rente und den Erträgnissen der in Frankfurt liegenden Grundstücke
wählten. Daraus folge aber nicht zwingend, dass sie damit am damaligen
Wohnsitz des Beklagten einen ausschliesslichen Gerichtsstand begründen
wollten. Es könne auch nicht gesagt werden, die Frankfurter Gerichte seien
wegen jenes sachlichen Zusammenhangs besser zur Entscheidung über die
streitigen Rentenansprüche geeignet als die appenzellischen Gerichte. Der
Beklagte habe kein schutzwürdiges Interesse am vereinbarten Gerichtstand
in Frankfurt, weil er seit 1959 in der Schweiz wohne und seine Grundstücke
in Frankfurt verkauft habe, und weil der für die Bemessung der streitigen
Rente allenfalls massgebende Ertrag der Grundstücke ohne Schwierigkeiten
auf dem Wege der Rechtshilfe zu ermitteln sei. Die Berufung des Beklagten
auf die im Jahre 1959 unter ganz andern tatsächlichen Voraussetzungen
(Wohnsitz und Grundbesitz des Beklagten in Frankfurt) vereinbarte
Gerichtsstandsklausel sei rechtsmissbräuchlich.

    C.- Gegen dieses Urteil des Obergerichts hat Arnold Goebel
staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er macht Verletzung der Art. 58 und
59 BV geltend. Ferner rügt er, dass die Annahme, die Gerichtsstandsklausel
sei nicht ausschliesslich, willkürlich sei und gegen Art. 4 BV verstosse,
da aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Vergleichs von
1951 klar hervorgehe, dass der vereinbarte Gerichtsstand aus Rücksicht
auf den Sachzusammenhang, die gelegene Sache, die Prozessökonomie und das
anwendbare Recht gewählt worden sei. Die nähere Begründung der Beschwerde
ist, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.

    D.- Das Obergericht des Kantons Appenzell A.Rh. und die
Beschwerdegegnerin Louise Diethrich beantragen Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Berufung des Beschwerdeführers auf die Art. 58 und 59 BV geht
offensichtlich fehl.

    Art. 59 BV schützt den Schuldner unter gewissen Voraussetzungen davor,
an einem andern Orte als an seinem schweizerischen Wohnsitz belangt
zu werden. Diese Garantie kann vorliegend nicht verletzt sein, da der
Beschwerdeführer ja seinen Wohnsitz unbestrittenermassen in Teufen hat und
dort vor Gericht gezogen wird. Aus Art. 59 BV kann der Schuldner nicht
ableiten, dass er gegebenenfalls nicht an seinem Wohnsitz, sondern an
einem andern Orte in der Schweiz oder gar im Ausland belangt werden müsse.

    Art. 58 BV schützt zunächst gegen die Unterstellung unter
Ausnahmegerichte und ist sodann verletzt, wenn ein ordentliches Gericht in
Missachtung einer Verfassungs- oder Gesetzesvorschrift seine Zuständigkeit
bejaht oder verneint (BGE 48 I 148 Erw. 1, 83 I 85 Erw. 3). Es ist klar,
dass von einer solchen Verletzung vorliegend nicht die Rede sein kann,
denn der Beschwerdeführer wird für eine persönliche Ansprache an seinem
Wohnsitz belangt, wo sich nach Art. 24 appenzell. ZPO der allgemeine
und für Forderungsklagen durch Art. 59 BV noch besonders geschützte
Gerichtsstand der natürlichen Person befindet.

    Fraglich ist einzig, ob die Parteien mit der im Vergleich von 1951
enthaltenen Gerichtsstandsklausel den verfassungs- und gesetzmässigen
Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten wegbedungen und für
die vorliegende Streitigkeit die Gerichte von Frankfurt a.M. als
ausschliesslich zuständig erklärt haben. Das Obergericht hat die Frage
verneint. Diese Auslegung der Gerichtsstandsklausel kann vom Bundesgericht
nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel des Art. 4 BV, d.h. daraufhin
überprüft werden, ob sie mit dem Wortlaut und Sinn der Klausel unvereinbar,
geradezu willkürlich sei.

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht geht davon aus, dass die Ausschliesslichkeit einer
Gerichtsstandsklausel nicht zu vermuten sei und dass die Vereinbarung
eines Gerichtsstandes im Zweifel die Klage am ordentlichen Gerichtsstand
des Wohnsitzes des Beklagten nicht ausschliesse. Diese Betrachtungsweise
wird vom Beschwerdeführer mit Recht nicht beanstandet, denn sie wird von
GULDENER (Schweiz. Zivilprozessrecht 2. Aufl. S. 94 Anm. 88) vertreten und
das Bundesgericht hat sich ihr in BGE 87 I 72 Erw. 5 a angeschlossen,
sodass sie jedenfalls nicht als schlechthin unhaltbar, willkürlich
bezeichnet werden kann. Der Beschwerdeführer ist jedoch der Auffassung,
vorliegend könne kein Zweifel an der Ausschliesslichkeit des vereinbarten
Gerichtsstandes bestehen.

    Die letzte Bestimmung des Vergleichs von 1951 hat den üblichen Inhalt
der einem Vertrag beigefügten Gerichtsstandsklausel (vgl. z.B. BGE 87 I
74 und 131). Sie enthält nach ihrem Wortlaut keinen Anhaltspunkt dafür,
dass damit im Falle von Streitigkeiten der ordentliche Gerichtsstand
des jeweiligen Wohnsitzes des Beklagten ausgeschlossen werden sollte. Es
liegen auch keine dem Vergleichsabschluss vorausgegangenen schriftlichen
Äusserungen der Parteien oder ihrer damaligen Anwälte vor, die Aufschluss
über den Sinn und Zweck der Gerichtsstandsklausel geben würden. Es
kann sich somit nur fragen, ob die Umstände, unter denen die Klausel
vereinbart wurde, zwingend dafür sprechen, dass die Parteien damit einen
ausschliesslichen Gerichtsstand in Frankfurt a.M. begründen wollten.

    Im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses lag der vereinbarte
Gerichtsstand vor allem deshalb im Interesse des Beschwerdeführers,
weil er damals in Frankfurt a.M. wohnte. Daneben rechtfertigte sich
dieser Gerichtsstand aus sachlichen Gründen, da für die Frage, ob und
gegebenenfalls in welcher Höhe der Beschwerdeführer der Beschwerdegegnerin
auf Grund des Vergleichs eine Rente zu bezahlen verpflichtet sei,
der Ertrag einiger in Frankfurt befindlicher Liegenschaften massgebend
ist. Unter diesen Umständen kann es sehr wohl sein, dass die Parteien
den im Vergleich vereinbarten Gerichtsstand Frankfurt a.M. als
ausschliesslich verstanden haben. Indessen ist dies nicht die einzig
mögliche Betrachtungsweise. Die genannten Umstände, die den vereinbarten
Gerichtsstand zu rechtfertigen vermögen, sprechen nicht zwingend dafür,
dass ihm die Parteien ausschliesslichen Charakter beilegen wollten,
und noch weniger, dass sie dies selbst für den Fall wollten, dass der
Beschwerdeführer in der Folge seinen Wohnsitz von Frankfurt an einen andern
Ort verlegen und seine dortigen Liegenschaften veräussern sollte. Die
Annahme des Obergerichts, dass die Parteien für diesen nun eingetretenen
Fall den Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten für auf Grund des
Vergleichs zu erhebende Forderungsklagen gegen ihn nicht ausschliessen
wollten, lässt sich mit guten Gründen vertreten und hält jedenfalls dem
Vorwurfe der Willkür stand; denn es liegt nach den genannten Umständen
nahe und ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Gerichtsstand
Frankfurt allein oder doch hauptsächlich im Hinblick auf den damaligen
Wohnsitz des Beschwerdeführers in dieser Stadt vereinbart wurde.

    Ob die Berufung des Beschwerdeführers auf diesen Gerichtsstand, wie
das Obergericht angenommen hat, geradezu missbräuchlich sei, d.h. gegen
Treu und Glauben verstosse und auch deshalb keinen Schutz verdiene,
kann dahingestellt bleiben. Für die Abweisung der Beschwerde genügt,
dass die vom Obergericht vertretene Annahme, die Klausel schliesse den
ordentlichen Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten nicht aus, dem
Vorwurfe der Willkür standhält.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.