Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 I 508



89 I 508

72. Urteil vom 13. Dezember 1963 i.S. SESA International gegen
Oberzolldirektion. Regeste

    Rechtsmittel im Zollstrafverfahren. Behandlung einer gegen die
Strafverfügung erhobenen "Beschwerde" als Einsprache, mit der die
Beurteilung durch den Strafrichter verlangt wird.

Sachverhalt

    A.- Mit Strafverfügung vom 7. September 1963 verurteilte die
Oberzolldirektion einen Angestellten der Firma SESA International in
Konstanz, Peter Kaiser, zu einer Busse von Fr. 291.20 nebst Fr. 10.-
Kosten, weil er am 18. April 1963 für den Kombi-Kastenwagen seiner Firma
die Zulassung im formlosen Zwischenabfertigungsverfahren erwirkt habe,
ohne dass die Voraussetzungen hiefür vorhanden gewesen seien. Die Firma
SESA wurde gestützt auf Art. 100 ZG für die genannten Beträge solidarisch
haftbar erklärt.

    Die Strafverfügung wurde am 10. September 1963 dem Gebüssten und der
SESA getrennt eröffnet. Der im vorgedruckten Formular enthaltene Hinweis
auf die Möglichkeiten der Unterziehung und der Einsprache ist in der
Eröffnung an die SESA gestrichen. Dagegen enthalten beide Eröffnungen den
Hinweis auf das Recht, gegen den Betrag der Busse beim eidg. Finanz- und
Zolldepartement und gegen die solidarische Haftbarkeit beim Bundesgericht
Beschwerde zu führen.

    B.- Gegen die Strafverfügung hat die SESA am 20.  September 1963
"als Solidar-Beklagter und namens und im Auftrag von P. Kaiser" beim
Departement Beschwerde ("über die Busse im Gesamtumfange und gegen die
solidarische Haftbarkeit") erhoben.

    Das Departement hat die Akten dem Bundesgericht zum Entscheid über
die solidarische Haftbarkeit überwiesen. Es erklärt, hiefür sei das
Bundesgericht zuständig, während die Beschwerde gegen die Busse von ihm,
dem Departement, zu beurteilen sei. Es scheine zweckmässig, dass zuerst
das Bundesgericht über die subsidiäre Beschwerde gegen die Haftbarkeit
entscheide und das Verwaltungsverfahren nachher seinen Fortgang nehme.

    Die Oberzolldirektion beantragt Abweisung der Beschwerde gegen die
solidarische Haftbarkeit.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 100 Abs. 4 ZG ist die solidarische Haftbarkeit des
Auftraggebers oder Geschäftsherrn für Zollbussen in der Strafverfügung
oder im Gerichtsurteil (Urteil des durch Einsprache angerufenen
Strafrichters, vgl. Art. 95 ZG) festzustellen; gegen ihre Feststellung
in der Strafverfügung ist die Beschwerde gegeben. Das ist heute
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 99 Ziff. VIII OG. Nur im
genannten Umfang, d.h. nur hinsichtlich der solidarischen Haftbarkeit und
nur gegen deren Feststellung in der Strafverfügung, kommt die Beschwerde
an das Bundesgericht als Verwaltungsgericht in Betracht. Wird gegen die
Strafverfügung Einsprache erhoben und damit die Beurteilung durch den
Strafrichter verlangt, so hat dieser auch über die solidarische Haftbarkeit
zu entscheiden (Art. 306 BStP) und ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ausgeschlossen.

Erwägung 2

    2.- Es fragt sich daher, ob die - binnen der 20tägigen Frist des
Art. 95 ZG erhobene - "Beschwerde" der SESA gegen die Strafverfügung
nicht als Einsprache zu behandeln ist. Für die Bestimmung des wirklichen
Charakters der Eingabe ist nicht deren Bezeichnung, sondern ihr Inhalt
massgebend, zumal die Ordnung der Rechtsmittel im Zollstrafverfahren
nicht einfach ist und namentlich von einem Ausländer nicht ohne weiteres
überblickt werden kann.

    Die SESA bestreitet in ihrer Eingabe ausdrücklich die Richtigkeit
des von der Verwaltung festgehaltenen Tatbestandes und behauptet, die
Voraussetzungen der formlosen Zwischenabfertigung seien erfüllt gewesen;
sie ficht die Busse "im Gesamtumfange" und als "vollständig unangebracht"
an. Das von ihr eingelegte Rechtsmittel richtet sich mithin unzweifelhaft
nicht nur gegen die Höhe der Busse und die solidarische Haftbarkeit,
sondern gegen die Büssung überhaupt und ist deshalb als Einsprache,
mit welcher die Beurteilung durch den Strafrichter verlangt wird,
zu betrachten.

    Freilich bezeichnet Art. 95 ZG - im Gegensatz zu Art. 298
BStP, der ausdrücklich auch den "Mitverantwortlichen" (d.h. die
solidarisch haftbare Person) nennt - nur den "Angeschuldigten" als
einspracheberechtigt. Indessen kann im vorliegenden Fall offen gelassen
werden, ob auch der Mitverantwortliche zur Einsprache legitimiert sei;
denn selbst wenn die Frage verneint wird, ist zu beachten, dass die SESA
das Rechtsmittel ausdrücklich auch im Namen und Auftrag des Angeschuldigten
Peter Kaiser ergriffen hat.

    Ist somit die Eingabe als Einsprache zu behandeln, so hat der
Strafrichter auch über die solidarische Haftbarkeit zu urteilen und bleibt
fürdieVerwaltungsgerichtsbeschwerde kein Raum.

Entscheid:

                  Demnach erkennt das Bundesgericht:

    1.- Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

    2.- Die Akten werden an die Oberzolldirektion zur Behandlung der
Beschwerde als Einsprache zurückgewiesen.