Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 I 414



89 I 414

60. Urteil vom 4. Oktober 1963 i.S. Keller gegen Schweiz. Bundesbahnen.
Regeste

    Haftung des Beamten gegenüber dem Bund (Verantwortlichkeitsgesetz
vom 14. März 1958).

    1.  Zuständigkeit des Bundesgerichtes; Zulässigkeit von
Feststellungsklagen im verwaltungsrechtlichen Verfahren (Erw. 1).

    2.  Nichtanwendbarkeit des Art. 20 Abs. 3 VG auf die negative
Feststellungsklage des Beamten im Schadenbeteiligungsverfahren (Erw. 2).

    3.  Schaden des Bundes infolge Diebstahls von Geld
aus dem Kassenschrank eines SBB-Stationsgebäudes; Verwahren
derKassenschrankschlüssel in einer Pultschublade als Mitursache des
Schadens (Erw. 3).

    4.  Haftung des Beamten verneint mangels grober Fahrlässigkeit (Erw.
4-6).

Sachverhalt

    A.- 1. In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 1961 wurden aus dem
Kassenschrank des Stationsgebäudes der SBB in Rheinfelden schweizerische
Banknoten und ausländische Devisen im Gesamtwert von mindestens
Fr. 75'662.42 und höchstens Fr. 79'150.88 gestohlen. Der Täter war,
wie die polizeiliche Untersuchung ergab, von einem vor der Bürotüre
aufgestellten Posthandwagen durch das Oberlicht eingedrungen, welches
wegen einer am betreffenden Tage eingerichteten Lautsprecheranlage,
deren Kabel durch das Oberlicht geführt wurde, nicht verschlossen,
sondern lediglich mit einem Draht gesichert war. Im Büro selber hatte er
den Kassenschrank ohne Gewaltanwendung mit einem Schlüssel geöffnet und
sodann zwei der drei Fächer des Tresors bis auf das Hartgeld und einige
wenige Banknoten geleert. Hans Keller, der seit Jahren als Bürochef
der SBB im Bahnhof Rheinfelden arbeitete, pflegte die ihm anvertrauten
Schlüssel während der Dienstzeit auf sich zu tragen, nach Dienstschluss
jedoch in der Schublade seines Pultes einzuschliessen. Diese Schublade
wurde nach dem Diebstahl etwa 15 cm weit herausgezogen vorgefunden,
wobei das Schloss sich in Verschlusstellung befand. Der Schlüssel stak
nicht im Schloss. Auf dem Boden lagen dagegen zwei Schlüsselbünde mit je
zwei Tresorschlüsseln. Da sie nicht bezeichnet waren, liess sich nicht
feststellen, ob sich die Schlüssel Kellers darunter befanden. Von den
insgesamt sechs Kassenschrankschlüsseln der vom Täter geleerten Fächer
blieb je einer unauffindbar. Der Dieb konnte bis heute nicht ermittelt
werden.

    2.- In der Folge leiteten die SBB gegen Hans Keller als Leiter des
innern Dienstes und verantwortlichen Kassenbeamten ein Disziplinarverfahren
ein. Sie warfen ihm vor, den Schaden grobfahrlässig mitverschuldet zu
haben, indem er instruktionswidrig die Kassenschrankschlüssel zur Nachtzeit
statt an einem sicheren Ort, in seinem Pult aufbewahrt habe. Der Kläger
anerkannte eine gewisse Unvorsichtigkeit seinerseits, bestritt jedoch
den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, weil er keine bestimmten Weisungen
über die Verwahrung der Schlüssel erhalten habe, die Pultschublade noch
der sicherste Aufbewahrungsort gewesen sei und seine Vorgesetzten während
zehn Jahren sein Vorgehen nie beanstandet hätten.

    3.- Am 30. Dezember 1961 verfügte die Direktion des Kreises III
der SBB, Keller wegen grobfahrlässiger "Verletzung der Instruktion
betreffend die Verwahrung der Kassenschlüssel" mit Fr. 800. - am Schaden
zu beteiligen. Hiegegen erhob Keller am 8. Februar 1962 Einsprache, die
indessen am 13. März 1962 von der genannten Kreisdirektion abgewiesen
wurde. Es wurde dabei dem Einsprecher bedeutet, dass es ihm freistehe,
den "bestrittenen Besoldungsanspruch durch Klage beim Schweizerischen
Bundesgericht geltend zu machen".

    B.- Am 6. Mai 1963 erhob Keller beim Bundegericht verwaltungsrechtliche
Klage mit dem Begehren:
      "1.  Es sei die von den Beklagten am 30. Dezember 1961 erlassene

    Verfügung,

    gemäss welcher der Kläger an einem im Bahnhof Rheinfelden eingetretenen

    Schaden mit Fr. 800. beteiligt wird, aufzuheben.
      "2.  Es sei zu erkennen, dass der Kläger am Schaden nicht zu
      beteiligen

    sei.

    U.K.u.E.F."

    Der Kläger macht geltend, der Kausalzusammenhang zwischen der
Aufbewahrung der Schlüssel in der Pultschublade und dem eingetretenen
Schaden sei nicht gegeben und zudem könne die Art der Verwahrung der
Schlüssel nicht als grobfahrlässige erachtet werden.

    In der Klageschrift wird schliesslich festgestellt, dass dem Kläger
bisher keine Abzüge vom Lohn gemacht worden sind.

    C.- Die SBB beantragen, auf die Klage wegen Verwirkung nicht
einzutreten, eventuell sie abzuweisen, subeventuell eine angemessene
Beteiligung am Schaden festzusetzen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Schadenersatzanspruch, den die SBB gegenüber dem Kläger
erhoben, stützt sich auf Art. 8 VG, wonach der Beamte dem Bund für
den Schaden haftet, den er ihm durch vorsätzliche oder grobfahrlässige
Verletzung seiner Dienstpflicht zugefügt hat. Gegenstand des vorliegenden
Rechtsstreites bildet demnach ein in der Bundesgesetzgebung begründeter
vermögensrechtlicher Anspruch des Bundes aus öffentlichem Recht, zu
dessen Beurteilung das Bundesgericht als einzige Instanz zuständig ist
(Art. 110 OG, Art. 10 VG). Dem steht nicht entgegen, dass nicht der Bund
als Kläger auftritt, sondern der Beamte gerichtliche Feststellung verlangt,
dass jener keinen Schadenersatzanspruch gegen ihn habe. Das ist eine Folge
der der Verwaltung zustehenden Befugnis, ihre Schadenersatzansprüche
gegen den Beamten mit dessen Lohnguthaben zu verrechnen und diesen
damit in die Klägerrolle zu verweisen (BGE 86 I 179). Dabei ist es dem
Beamten unbenommen, schon der bloss drohenden Verrechnung durch eine
negative Feststellungsklage entgegenzutreten. Diese Klage ist im freien
Verwaltungsverfahren wie im Zivilprozess zulässig, wenn der Kläger ein
rechtliches Interesse an der gerichtlichen Feststellung hat (BGE 74 I 442
E. 3, 87 I 149). Ein solches Interesse des Klägers steht im vorliegenden
Fall ausser Zweifel. Nachdem die SBB eine Beteiligung Kellers am Schaden
verfügt und diesem mit dem Hinweis darauf, dass es ihm freistehe, "seinen
bestrittenen Besoldungsanspruch" klageweise geltend zu machen, die sonst
eintretende Verrechnung mit seinem Lohnguthaben angekündigt hatten,
war es dem Kläger nicht zuzumuten, erst eine Kürzung seines Lohnes zu
dulden und bis dahin den seines Erachtens ungerechtfertigten Vorwurf der
grobfahrlässigen Dienstpflichtverletzung auf sich lasten zu lassen.

    Die Zulässigkeit der Klage steht daher ausser Frage und kann auch nicht
mit dem Hinweis auf Art. 10 Abs. 2 VG bestritten werden. Nach Wortlaut
und Sinn ist diese Bestimmung (s. ergänzend auch Art. 20 VG und Art. 2
und 3 der Vollziehungsverordnung), die ausdrücklich von der Geltendmachung
eines Anspruchs durch Klage gegen den Bund spricht, auf den vorliegenden
Fall nicht anwendbar. Hier geht es, trotz umgekehrter Parteirollen,
nicht um den Lohnanspruch des Beamten gegen den Bund, sondern um eine
Schadenersatzforderung desselben gegen seinen Beamten. In solchen Fällen
aber bedarf es ausser der verfügungsmässigen Geltendmachung des Anspruchs
durch die zuständige Amtsstelle keiner weiteren Stellungnahme von ihrer
Seite, damit der Beamte den Weg der verwaltungsrechtlichen Klage an das
Bundesgericht mit dem Begehren um Feststellung des Nichtbestehens jenes
Anspruchs beschreiten kann.

Erwägung 2

    2.- Die Beklagten stellen sich auf den Standpunkt, dass Art. 20
Abs. 3 VG, der die Verwirkung der Klage gegen den Bund regle, auch auf
die Klage von Beamten im Schadenbeteiligungsverfahren anwendbar sei; da
im vorliegenden Falle die Klage nicht innert sechs Monaten seit Erlass
der Verfügung über die Schadenbeteiligung des Klägers erhoben worden sei,
habe sie als verwirkt zu gelten.

    Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Art. 20 Abs. 3
VG hat eindeutig bloss auf dic Haftung des Bundes gegenüber Geschädigten
Bezug, nicht aber auf die Haftung des Beamten gegenüber dem Bund. Für den
letzteren Fall enthält das Gesetz eine besondere Regelung in Art. 23. Diese
Bestimmung sieht vor, dass Schadenersatzansprüche des Bundes gegen
Beamte aus Amtspflichtverletzung innert eines Jahres, beginnend mit
der Kenntnisnahme vom Schaden durch die zuständige Dienststelle oder
Behörde, verjähren. Der Bund hat somit solche Ansprüche innert der
genannten Frist geltend zu machen. Dass der Beamte, der sich mit
einer negativen Feststellungsklage gegen seine Inanspruchnahme durch
den Bund wenden will, dies seinerseits innert einer bestimmten Frist
tun müsse, sagt dagegen das Gesetz nicht, und es besteht auch kein
sachlicher Grund, darin eine Lücke zu sehen, die vom Richter im Sinne
einer analogen Anwendung von Art. 20 Abs. 3 VG auszufüllen wäre. So
trifft es insbesondere nicht zu, dass ein "unbefristetes" Klagerecht
des Beamten zu einer jahrelangen Rechtsunsicherheit führen würde. Da
es sich um ihren eigenen Schadenersatzanspruch handelt, haben es die
Beklagten jederzeit in der Hand, dieser Rechtsunsicherheit ein Ende zu
bcreiten, indem sie entweder selber den Klageweg beschreiten oder ihre
Schadenersatzforderung mit dem Lohnguthaben des Beamten verrechnen und
diesen solcherweise zur Einreichung einer Leistungsklage zwingen, wenn er
nicht seinen Besoldungsanspruch verlieren will. Im übrigen wäre es höchst
fraglich, ob eine allfällige Lücke sich durch analoge Anwendung von Art. 20
Abs. 3 VG schliessen liesse. Da das Gesetz die Haftung des Bundes für den
einem Dritten widerrechtlich zugefügten Schaden bewusst anders behandelt
(Art. 3 VG; Haftung für jedes Verschulden des Beamten) als die Haftung
des Beamten gegen den Bund (Art. 8 VG; Haftung bloss bei vorsätzlicher
oder grobfahrlässiger Verletzung von Dienstpflichten), erschiene es
jedenfalls nicht ohne weiteres als zulässig, die Bestimmungen über das
Verhältnis des Bundes zu geschädigten Dritten auf dasjenige des Beamten
zum Bunde zu übertragen. Dazu kommt, dass der Kläger allgemein dort, wo es
an einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung fehlt, nicht mit so kurzen
Fristen rechnen muss, wie es die Verwirkungsfrist des Art. 20 Abs. 3 VG ist
(vgl. BGE 78 I 90 oben). Die Einrede der Verwirkung ist daher unbegründet.

Erwägung 3

    3.- In der Sache selbst ist davon auszugehen, dass der den Beklagten
erwiesenermassen erwachsene Schaden durch das Verhalten des Klägers
mitverursacht wurde, wenn der Kassenschrank vom Dieb mit den Schlüsseln
Kellers geöffnet worden ist. Dass dies der Fall ist, kann nach den
Ergebnissen der polizeilichen Untersuchung nicht zweifelhaft sein. Denn
danach steht fest, dass der Täter die Schublade des Klägers geöffnet und
ihr die dort verwahrten Schlüssel entnommen hat, während er alle übrigen
Behältnisse ausser dem Kassenschrank unberührt liess. Diese Tatsache
spricht nicht nur dafür, dass er offenbar mit den örtlichen Verhältnissen
und den Gepflogenheiten des Klägers vertraut war, sondern auch, dass er
dessen Schlüssel gebraucht hat, um den Tresor zu öffnen. Dafür, dass
er andere Schlüssel verwendet hätte, liegt nicht das Geringste vor;
insbesondere ist es völlig unwahrscheinlich, dass er die Schlüssel des
Klägers bloss zur Mystifikation verwendet habe. Wozu er ein derartiges
Manöver hätte ausführen sollen, wenn er schon im Besitze von Schlüsseln
war, ist schlechterdings nicht zu sehen, zumal ein solches Vorgehen das
Risiko für ihn nur erhöht hätte (Zeitverlust, Fingerabdrücke usw.).

    Die Aufbewahrung der Schlüssel des Klägers in seiner Pultschublade
stellt demnach eine Mitursache des Schadens dar.

Erwägung 4

    4.- Die SBB haben über die Aufbewahrungspflicht für Kassenschlüssel
folgende interne Weisungen erlassen:

    a) Zirkular Z 19/53 der Betriebsabteilung des Kreises III vom 12. Mai
1953 Ziff. 4:

    "Über Nacht dürfen keine Schlüssel an den Kassentüren, Billets-Kasten
etc. belassen werden. Sie sind nach dem Abschluss mit allfälligen
Reserveschlüsseln an einem sichern, abschliessbaren Ort zu versorgen."

    b) Reglement 174.4, 2. Teil vom Oktober 1955 Ziff. 231/4 Abs. 2:

    "Über Nacht sind die Billetschränke, Kasten und Schubladen mit
Billetwerten abzuschliessen und ihre Schlüssel zusammen mit den
Reserveschlüsseln an einem sicheren Ort zu versorgen."

    c) Nach dem fraglichen Diebstahl wurde das Zirkular 19/53 am 14. Juli
1961 durch das Zirkular 34/61 ersetzt, dessen Ziffer 7 folgendermassen
lautet:

    "Persönlich zugeteilte Kassenschlüssel dürfen nicht im Abläutekasten
versteckt oder in Pultschubladen aufbewahrt werden. An Ablöser sind die
Schlüssel wenn immer möglich persönlich zu übergeben."

    d) Zirkular der Generaldirektion AZ 20/62 vom 23. Juli 1962 Ziff. 2:

    "Mit dem neuen Reglement wird im übrigen namentlich angestrebt,
Massnahmen für den Schutz des Personals bei Raubüberfällen zu fördern und
ein einheitliches Vorgehen in Fragen der Sicherung der Geldwerte gegen
Raub und Diebstahl zu ermöglichen ...".

    Dieses Zirkular bezieht sich auf das Reglement vom 1. August 1962,
in welchem es unter Ziff. 12 heisst:

    "Der verantwortliche Beamte hat sie (die Kassenschrankschlüssel) im
Dienst stets auf sich zu tragen und bei Büroschluss mitzunehmen. Über Nacht
und in Dienstpausen dürfen unter keinen Umständen, weder Kassenschrank- und
Schalterkassenschlüssel noch Bargeld und andere Zahlungsmittel, Wertzeichen
und dergl. in Schubladen oder sonstwo in Diensträumen gelassen werden,
es sei denn, es handle sich um einbruchsichere Kassenschubladen, in denen
kleinere Werte (Münz) versorgt werden dürfen." Aus dieser Aufstellung
erhellt, dass vor dem Diebstahl im Stationsgebäude in Rheinfelden
keine bestimmte Vorschrift bestand, die es den Beamten verboten hätte,
Kassenschlüssel nachts in der Pultschublade zu verwahren. Die Beklagten
haben denn auch dem Kläger mit Recht nie vorgeworfen, gegen eine solche
Vorschrift verstossen zu haben. Dagegen machten sie zunächst geltend,
Keller habe die Instruktionen über die Aufbewahrung von Kassenschlüsseln
verletzt. Sollten die Beklagten damit behaupten wollen, jener habe in
Ergänzung der schriftlichen Reglemente mündliche Weisungen erhalten und
diese nicht befolgt, so hätte das näher dargetan und bewiesen werden
müssen, was nicht geschehen ist. Da zudem der Vorwurf der Verletzung von
Instruktionen in der Klageantwort nicht mehr ausdrücklich erhoben wird,
ist davon auszugehen, dass solche zusätzlichen Weisungen nicht erteilt
worden sind. Zu prüfen bleibt demzufolge bloss noch, ob das Vorgehen des
Klägers eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne von Art. 8 VG darstelle.

Erwägung 5

    5.- Dass der Kläger mit der Verwahrung des Tresorschlüssels in der
Schublade seines Pultes, das im gleichen Raum stand wie der Kassenschrank,
nicht die Vorsicht beobachtet hat, zu der er nach den Umständen und seinen
persönlichen Verhältnissen verpflichtet war, liegt auf der Hand. Bei
einiger Überlegung hätte er sich sagen müssen, dass die Pultschublade
nicht sicher genug sei, ansonst die Einrichtung eines Kassenschrankes nicht
notwendig gewesen wäre. Wo Geld und andere Werte weisungsgemäss in einem
gegen Einbruch und Feuer besonders gesicherten Behältnis untergebracht
werden, darf nicht der solcherweise bewirkte Schutz dadurch illusorisch
gemacht werden, dass ein Dieb ohne besondere Mühe eine Pultschublade
öffnen und die dort verwahrten Schlüssel behändigen kann. Das jedoch hat
der Kläger der Täterschaft im vorliegenden Fall ermöglicht, weswegen ihm
Fahrlässigkeit zur Last fällt.

Erwägung 6

    6.- Damit ist allerdings über seine Haftung noch nichts
entschieden. Denn haftbar für den Schaden wird der Beamte nur bei grober
Fahlässigkeit (Art. 8 VG), und das setzt eine gewisse Schwere seines
Verschuldens voraus, wie sie in der Regel bei Verletzung eines elementaren
Vorsichtsgebotes gegeben ist (BGE 86 I 181 oben und dortige Zitate). Ein
so grober Verstoss gegen seine Sorgfaltspflicht könnte im vorliegenden
Falle dem Kläger nur vorgeworfen werden, wenn sich die Verwahrung der
Tresorschlüssel an einem andern, sicherern Ort für jeden vernünftigen
Menschen unter denselben Umständen ohne weiteres aufgedrängt hätte. Davon
kann hier nicht die Rede sein. Schon der Umstand, dass die Beklagten selber
nicht genau anzugeben vermögen, wo denn sonst der Kläger die Schlüssel
hätte verwahren sollen, erweist die Schwierigkeit einer andern Lösung. Ein
Mittragen der Schlüssel in der Tasche wäre mit einem erhöhten Verlustrisiko
verbunden gewesen und hätte übrigens nach Wortlaut und Sinn der Weisung
Ziff. 4 des Zirkulars 19/53 widersprochen. Zuhause aber verfügte Keller
nach seiner unwiderlegt gebliebenen Behauptung über keinen sicheren Ort
zur Aufbewahrung der Schlüssel, während die Schublade seines Pultes in der
Bahnstation wenigstens mit einem Sicherheitsschloss versehen war. Wenn er
am Abend des 7. Juli 1961 die Schlüssel in dieser Schublade verwahrte, so
war das nach den Umständen wohl eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit, aber
nicht grobfahrlässig. Wie die Erfahrung lehrt, kommt es in öffentlichen und
privaten Betrieben immer wieder vor, dass sonst durchaus pflichtbewusste
Beamte und Angestellte Kassenschrankschlüssel in wenig sicheren Schubladen
und Behältnissen unterbringen, in der irrtümlichen Annahme, ein Dieb werde
sie dort nicht finden oder jedenfalls nicht erkennen können, zu welchem
Schloss sie gehören. Dass es sich bei den SBB, und zwar auch bei andern
Beamten als dem Kläger, ebenso verhielt, indem das Gebot, Schlüssel über
Nacht an einem sicheren Ort zu versorgen, nicht allgemein und ohne weiteres
als Verbot der Aufbewahrung in Schubladen oder Fächern auf der Station
selber verstanden wurde, geht aus der Klageantwort deutlich hervor. Dort
führen die Beklagten selber aus, es habe sich als notwendig erwiesen,
die Aufbewahrungsorte der Schlüssel mindestens in negativem Sinne zu
umschreiben, wie dies dann in Ziff. 7 des Reglementes vom 14. Juli 1961
geschehen ist. Tatsächlich hatten denn auch im vorliegenden Falle nach der
eigenen Annahme der Beklagten der Bahnhofvorstand und sein Stellvertreter
um die vom Kläger während ca. zehn Jahren geübte Aufbewahrung der Schlüssel
in der Pultschublade gewusst und sie geduldet.

    In Würdigung all dieser Umstände kann nicht gesagt werden, der Kläger
habe grobfahrlässig gehandelt.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Klage des Hans Keller wird gutgeheissen, und es wird festgestellt,
dass der Kläger für den den Schweiz. Bundesbahnen entstandenen Schaden
nicht haftbar ist.