Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 IV 204



89 IV 204

41. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. Oktober 1963
i.S. Kalisch gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    1.  Art. 303 StGB. Die Behörde, bei der die Falschbeschuldigung
erfolgt, kann auch eine ausländische sein.

    2.  Art. 301 Ziff. 1 StGB. Diese Bestimmung setzt nicht voraus, dass
der militärische Nachrichtendienst dem fremden Staat, für den er betrieben
wird, nützlich oder dem andern fremden Staat, gegen den er gerichtet ist,
nachteilig sei.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Kalisch, der in Westberlin für den ostdeutschen Nachrichtendienst
tätig gewesen war, übersiedelte anfangs 1961 nach Zürich. Zwei Monate
später richtete er von dort aus einen Brief an die Staatsanwaltschaft
beim Landgericht Halle (DDR), worin er den in Leipzig wohnhaften Fritz
Müller fälschlicherweise als Agenten des amerikanischen Nachrichtendienstes
bezeichnete, dessen angebliche militärische Spionagetätigkeit im einzelnen
schilderte und weitere Personen nannte, die mit Müller zusammengearbeitet
haben sollen. Ähnliche unwahre Beschuldigungen enthielt ein zweiter in
Zürich aufgegebener Brief, den Kalisch in der Erwartung, er werde in die
Hände der ostdeutschen Strafbehörden gelangen, im Mai 1961 an Müller
persönlich sandte. In der Folge knüpfte Kalisch mit verschiedenen
in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Personen, die westlichen
Streitkräften nahe standen, enge Beziehungen an, um sie dem ostdeutschen
Nachrichtendienst dienstbar zu machen.

    B.- Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte Kalisch wegen dieses
Sachverhalts am 27. November 1962 des wiederholten vollendeten Versuchs
der falschen Anschuldigung (Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB) und des
wiederholten Nachrichtendienstes gegen fremde Staaten (Art. 301 Ziff. 1
StGB) schuldig und verurteilte ihn auf Grund dieser und eines weiteren
Straftatbestandes zu drei Jahren Zuchthaus, zu fünf Jahren Einstellung
in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit und zu zehn Jahren Landesverweisung.

    C.- Kalisch bestreitet mit der Nichtigkeitsbeschwerde, dass er sich
durch die beiden Briefe der falschen Anschuldigung im Sinne des Art. 303
StGB und des Nachrichtendienstes nach Art. 301 StGB schuldig gemacht habe.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB macht sich wegen falscher
Anschuldigung strafbar, wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei
der Behörde eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigt, in der Absicht,
eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen.

    Die Bestimmung schreibt nicht vor, dass die Behörde, bei der die
Falschbeschuldigung erfolgt, nur eine inländische, nicht auch eine
solche des Auslandes sein könne. Insbesondere schliesst die Einreihung
des Tatbestandes der falschen Anschuldigung unter die im 17. Titel
zusammengefassten Verbrechen und Vergehen gegen die Rechtspflege nicht aus,
dass Art. 303 auch die Anzeige bei einer ausländischen Behörde erfasst. Das
Interesse am zuverlässigen Gang der Strafrechtspflege beschränkt sich
nicht nur auf die innerstaatliche, sondern gilt auch der Rechtspflege
des ausländischen Staates. Das schweizerische Recht lässt denn auch
die Auslieferung für Delikte gegen die Rechtspflege, insbesondere
wegen falscher Anschuldigung, ausdrücklich zu (Art. 3 Ziff. VII des
Auslieferungsgesetzes). Es kann deshalb schon unter diesem Gesichtspunkt
nicht gesagt werden, Art. 303 schütze bloss die Rechtspflege des Bundes
und der Kantone, und es fehle ein Angriff gegen die Rechtspflege, wenn
die Strafanzeige bei einer ausländischen Strafbehörde erstattet wird. Dazu
kommt, dass Art. 303 auch dem Schutze des einzelnen dient, der durch die
falsche Anschuldigung und ungerechtfertigte Strafverfolgung in seiner Ehre
(vgl. die französische Bezeichnung "dénonciation calomnieuse") und in
seiner Freiheit gefährdet wird. Dieser weitere Zweck ergibt sich daraus,
dass das Strafgesetz es nicht beim allgemeinen Tatbestand der Irreführung
der Rechtspflege durch eine falsche Strafanzeige (Art. 304 StGB) bewenden
lässt, sondern den Fall, in dem der Täter eine bestimmte Drittperson
falsch beschuldigt, in einer selbständigen Strafbestimmung mit schwererer
Strafdrohung besonders regelt. Dem fälschlich Beschuldigten diesen Schutz
immer dann zu versagen und den in der Schweiz handelnden Täter straflos
zu lassen, wenn die Anzeige bei einer ausländischen Behörde eingereicht
wird, kann nicht der Sinn des Gesetzes sein.

    Das Obergericht hat daher auf den Versuch des Beschwerdeführers,
bestimmte Personen Ostdeutschlands vermittelst zweier in Zürich abgefasster
und aufgegebener Briefe bei den Strafbehörden der DDR wider besseres
Wissen der Spionage zugunsten westlicher Staaten zu beschuldigen, zu
Recht Art. 303 StGB angewendet.

Erwägung 2

    2.- ...

    b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er könne wegen der beiden
Briefe, auf die sich seine Verurteilung wegen falscher Anschuldigung
(Art. 303 StGB) stütze, nicht zugleich des Nachrichtendienstes gegen
fremde Staaten im Sinne von Art. 301 StGB schuldig erklärt werden. Der
erste Vorsatz schliesse den zweiten aus. Denn es sei unmöglich, dass er mit
den falschen Anzeigen, die gegen Ostdeutschland gerichtet gewesen seien,
gleichzeitig für die DDR und gegen den Westen habe Nachrichtendienst
treiben wollen, wie Art. 301 voraussetze.

    Art. 301 StGB dient dem Schutze der Beziehungen der Schweiz zum
Ausland. Unter diesem Gesichtspunkt kommt es nicht darauf an, ob die
militärische Nachricht, die vom Gebiet der Schweiz aus dem fremden
Staat übermittelt wird, richtig oder falsch ist und wie sie sich für
den anderen fremden Staat, gegen den sie gerichtet ist, ausgewirkt
hat. Auch eine Falschmeldung, die für den betroffenen fremden Staat ohne
Nachteil geblieben ist, kann die Beziehungen der Schweiz zu diesem Staate
beeinträchtigen. "Zum Nachteil eines andern fremden Staates" im Sinne des
Art. 301 heisst denn auch bloss, dass sich der Nachrichtendienst gegen
einen fremden Staat gerichtet haben müsse (Urteil des Bundesstrafgerichtes
vom 2. November 1953 i.S. Roessler und Schnieper). Ebenso legt die
Rechtsprechung Art. 274 StGB aus. Der Ausdruck "zum Nachteile der Schweiz"
deutet lediglich den Gegensatz zu der vorausgegangenen Wendung "für einen
fremden Staat" an. Wie der Nachrichtendienst für einen fremden Staat
betrieben wird, so muss er sich auch bloss gegen die Schweiz richten,
d.h. sich auf schweizerische Verhältnisse beziehen; dass daraus der
Eidgenossenschaft ein Schaden erwachse oder drohe, ist nicht nötig (Urteile
des Bundesstrafgerichtes vom 20. Dezember 1947 i.S. Riedweg und des
Kassationshofes vom 2. Juli 1954 i.S. Kupferschmid). Diese Rechtsprechung
führt, folgerichtig angewendet, zu einem weiteren Schluss. Genügt nach Art.
274 StGB, dass der Nachrichtendienst gegen die Schweiz gerichtet ist,
ohne dass er ihr nachteilig sein muss, so ist auch nicht notwendig, dass
er dem fremden Staat, für den er betrieben wird, von Nutzen sei. Das
Wort "für" sagt so wenig wie das Wort "gegen" über die Auswirkungen der
nachrichtendienstlichen Tätigkeit etwas aus; auch könnte der Nutzen,
den der fremde Staat daraus ziehen kann, nicht festgestellt werden. so
wenig es möglich wäre, den nach Art. 301 StGB betroffenen fremden Staat
nach einem Schaden zu fragen. "Für einen fremden Staat" bedeutet demnach
nur, dass der Empfänger der Nachrichten ein fremder Staat sein müsse,
nicht auch, dass ihm der Nachrichtendienst nützlich zu sein brauche. In
gleicher Weise ist auch Art. 301 StGB, der in Anlehnung an Art. 274
dieselbe Wendung gebraucht, auszulegen.

    Der Einwand des Beschwerdeführers, seine Angaben über die militärische
Spionagetätigkeit westlicher Agenten hätten, weil sie falsch gewesen seien,
der DDR nichts genützt, ist daher unerheblich. Es genügt, dass er über
Tatsachen berichtet hat, die andere Staaten als die DDR und die Schweiz
betroffen haben. Der auf falsche Anschuldigung gerichtete Vorsatz des
Beschwerdeführers schloss übrigens nicht aus, dass er mit den Anzeigen
zugleich der DDR nützen wollte. Er konnte die Anzeigen in der Meinung
erstatten, dass sich die Angeschuldigten unter dem Drucke der falschen
Anschuldigung dem ostdeutschen Nachrichtendienst zur Verfügung stellen
würden, also den Willen gehabt haben, einer solchen Tätigkeit zum Nachteil
anderer fremder Staaten Vorschub zu leisten (Art. 301 Ziff. 1 Abs. 2).