Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 IV 178



89 IV 178

36. Entscheid der Anklagekammer vom 11. September 1963 i.S. Düringer und
Jetzer gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich. Regeste

    1.  Art. 29 Abs. 2 OG. Ein Redaktor ist nicht befugt, einen
Mitbeschuldigten vor der Anklagekammer zu vertreten (Erw. 1).

    2.  Art. 351 StGB, Art. 264 BStP. Bei Antragsdelikten tritt die
Anklagekammer auf das Gerichtsstandsgesuch des Beschuldigten ein, selbst
wenn im Kanton, den er für zuständig hält, nicht ein dem dort geltenden
Prozessrecht entsprechender Strafantrag gestellt worden ist. Es steht
ihr jedoch nicht zu, diesen Kanton trotz Fehlens des Strafantrages zur
Verfolgung zu verpflichten (Erw. 2).

    3.  Art. 347 Abs. 1 StGB. Gerichtsstand der Presse. Wo wirwird die
Druckschrift herausgegeben (Erw. 3)?

Sachverhalt

    A.- Am 6. März 1963 übergab der Neue Gotthardbund der Poststelle
Zürich 1930 Ausfertigungen eines Flugblattes, das als "Extrablatt, Neuer
Gotthardbund, Organ des Neuen Gotthardbundes" überschrieben ist und am
Kopfe den Vermerk trägt "Redaktion: Walter Düringer, Friedensgasse 3,
Zürich 2. Druck: Adolf Fehr, Oberleimbach ZH". Das Flugblatt enthält
einen einzigen, mit "Hütet Euch am Morgarten!" überschriebenen Aufruf,
der mit "Der Drachentöter" unterzeichnet ist. Die Post wurde beauftragt,
dieses Blatt in Zurzach (Aargau) allen Haushaltungen zuzustellen.

    Am Morgen des 8. März 1963 fand Gemeindeammann Dr. Edelmann, Zurzach,
eine Ausfertigung des Flugblattes in seinem Postfach. Da es Äusserungen
über ihn enthält, die er als ehrverletzend erachtete, liess er durch die
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau alle Ausfertigungen, soweit sie
noch auf der Poststelle Zurzach lagen, beschlagnahmen und erstattete am
gleichen Tage, den 8. März 1963, bei der erwähnten Behörde gegen unbekannte
Täter Strafanzeige wegen Amtsehrverletzung.

    Der Neue Gotthardbund liess hierauf das gleiche Flugblatt in
etwa tausend Ausfertigungen nochmals drucken. Düringer und Jetzer,
die beide im Kanton Zürich wohnen, begaben sich damit am 9. März 1963
nach Zurzach und verteilten es, indem sie es in Briefkästen einwarfen
und Leuten auf der Strasse überreichten. Ein Dritter war ihnen dabei
behilflich. Dieses Vorgehen wurde von Jetzer am 12. März 1963 vor der
aargauischen Kantonspolizei zugegeben. Düringer anerkannte seine Tat am
3. Juli 1963 vor dem Präsidium des Bezirrksgerichts Horgen, das ihn auf
Veranlassung der aargauischen Staatsanwaltschaft einvernahm.

    B.- Am 25. Juli 1963 erliess die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau
nach vorgängiger Fühlungnahme mit der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich eine Verfügung, in der sie die aargauischen Behörden als zuständig
erklärte, die Strafverfolgung gegen Düringer und Jetzer durchzuführen.

    C.- Mit Eingabe vom 6. August 1963 beantragt Düringer der Anklagekammer
des Bundesgerichts im eigenen Namen und im Namen des Jetzer, von dem er
Vollmacht einreicht, Zürich als einzigen Gerichtsstand zu bezeichnen.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau hält die aargauischen
Behörden für zuständig, weil Zurzach Herausgabeort sei. Sie erklärt aber,
nichts dagegen einzuwenden, wenn die zürcherischen Behörden zuständig
erklärt würden.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich weist darauf hin, dass
im Kanton Zürich kein Privatstrafklageverfahren anhängig gemacht worden
sei. Für den Fall, dass auf das Gesuch eingetreten werde, beantragt sie,
die Behörden des Kantons Aargau zuständig zu erklären.

Auszug aus den Erwägungen:

              Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Düringer gibt sich als Redaktor aus. Er behauptet nicht,
patentierter Anwalt zu sein. Gemäss Art. 29 Abs. 2 OG ist er daher nicht
befugt, Jetzer vor der Anklagekammer zu vertreten. Zwar ist nicht zu
entscheiden, ob Jetzer sich strafbar gemacht habe. Dennoch liegt eine
"Strafsache" im Sinne der erwähnten Bestimmung vor; denn Jetzer als
Mitbeschuldigter beschwert sich gegen die Strafverfolgung durch die
Behörden des Kantons Aargau, die er für unzuständig hält. Wenn die
Anklagekammer auf Begehren eines Beschuldigten den Gerichtsstand bestimmt,
trifft sie einen Vor- oder Zwischenentscheid in einer Strafsache. Ob das
auch zutrifft, wenn Kantone untereinander über den Gerichtsstand streiten,
kann offen bleiben.

    Soweit das Gesuch Jetzer betrifft, ist daher nicht darauf einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die Anklagekammer pflegt in Fällen, in denen die strafbare Handlung
nur auf Antrag verfolgt wird, auf das Gerichtsstandsgesuch eines Kantons
nicht einzutreten, wenn im Kanton, gegen den es sich richtet, nicht ein dem
dort geltenden Prozessrecht entsprechender Strafantrag gestellt worden ist.
Die Beantragung der Strafverfolgung im gesuchstellenden Kanton genügt
nicht von Bundesrechts wegen, um auch den andern Kanton zur Verfolgung
zu verpflichten (BGE 73 IV 207 sowie 89 IV 176).

    Diese Rechtsprechung lässt sich nicht auch auf den Fall anwenden, wo
der Beschuldigte die Anklagekammer anruft. Das hätte zur Folge, dass er
sich gegen die Verfolgung in einem nicht zuständigen Kanton nicht wehren
könnte, bloss weil der Verletzte es unterlassen hat, auch im zuständigen
Kanton Strafantrag zu stellen. Immerhin steht der Anklagekammer in einem
solchen Falle nicht zu, diesen Kanton trotz Fehlens des Strafantrages
zur Verfolgung zu verpflichten. Sie hat sich darauf zu beschränken, den
Kanton, dessen Gerichtsbarkeit der Beschuldigte bestreitet, unzuständig zu
erklären und es im übrigen dem Verletzten zu überlassen, das Strafverfahren
im zuständigen Kanton nach den Vorschriften des dortigen Prozessrechts
anhängig zu machen.

    Soweit das Gesuch Düringer betrifft, ist daher auf dasselbe
einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Bei strafbaren Handlungen, die im Inland durch das Mittel der
Druckerpresse begangen wurden, sind, soweit für sie die Verantwortlichkeit
besonders geordnet ist, ausschliesslich die Behörden des Ortes zuständig,
wo die Druckschrift herausgegeben wurde (Art. 347 Abs. 1 Satz 1 StGB). Eine
Ausnahme besteht, wenn der Verfasser der Druckschrift bekannt ist und er
seinen Wohnort in der Schweiz hat. Diesfalls sind ausser den Behörden
des Herausgabeortes auch jene dieses Wohnortes zuständig und ist das
Verfahren dort durchzuführen, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde
(Art. 347 Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB).

    a) Soweit die am 8. März 1963 in geringem Umfange durch die Post
verteilte erste Auflage des "Extrablattes" in Frage steht, lässt sich die
Zuständigkeit der aargauischen Behörden nicht damit begründen, Zurzach
sei Herausgabeort. Der Herausgabeort darf nicht dem Ort der Verbreitung
gleichgesetzt werden. Die beiden Begriffe sind, wie sich aus Art. 347
Abs. 3 im Gegensatz zu Art. 347 Abs. 1 StGB ergibt, auseinanderzuhalten.
BGE 66 I 225 ff., auf den sich die beiden Staatsanwaltschaften berufen,
betrifft einen Fall, in dem die Druckschrift von Zürich aus in 2000
Exemplaren an einen Journalisten in St. Gallen gesandt wurde, der sie
dort absetzen liess. Sie wurde also von einem besonderen Herausgabeort
aus, der im Kanton der Verteilung lag, an die Öffentlichkeit gebracht. Im
vorliegenden Falle übergaben dagegen die Hersteller des "Extrablattes" -
nach den Angaben Düringers soll der Drucker das getan haben - die Schrift
in Zürich der Post, mit dem Auftrag, sie in Zurzach zu verteilen. Die für
die Herausgabe verantwortlichen Personen haben also alle ausschliesslich
in Zürich gehandelt. Dort gaben sie das Blatt aus den Händen und entglitt
es ihrer Verfügungsmacht. Herausgabeort war somit Zürich. Dass alle
Ausfertigungen gemeinsam nach Zurzach versandt wurden und erst dort von
der Post verteilt werden sollten, ändert nichts. Da die Beamten der Post
als Herausgeber zum vornherein ausser Betracht fallen, kann die Herausgabe
nicht in Handlungen der Post, sondern nur in solchen der Absender gesehen
werden. Es verhält sich nicht grundlegend anders, als wenn diese selber
alle Ausfertigungen an die Empfänger adressiert und sie in Zürich einzeln
aufgegeben hätten. Würde anders entschieden, so käme man in Fällen, wo
die Verteilung durch die Post "in alle Haushaltungen" an verschiedenen
Orten erfolgt, zu einem "fliegenden Gerichtsstand", den Art. 347 StGB
durch Festsetzung des Gerichtsstandes des Herausgabeortes vermeiden will.

    In BGE 83 IV 115 ff., den die beiden Staatsanwaltschaften ferner
anführen, stellte die Anklagekammer auf den Herausgabeort Zürich ebenfalls
nicht deshalb ab, weil die Druckschrift in Zürich verteilt, sondern weil
sie dort der Post übergeben wurde, nachdem sie im Kanton St. Gallen
verfasst und in Bern gedruckt worden war. Die Anklagekammer sagte,
der Gerichtsstand des Art. 347 Abs. 1 StGB sei der Ort, "von dem aus"
(also nicht etwa an dem) die Druckschrift an die Öffentlichkeit gelangte.

    b) Es erübrigt sich aber, zu dieser Frage abschliessend Stellung zu
nehmen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau legt den Beschuldigten
in der Verfügung vom 25. Juli 1963 auch die am 9. März 1963 erfolgte
Verteilung der zweiten Auflage zur Last. Diese Handlung ist deshalb für
die Bestimmung des Gerichtsstandes ebenfalls zu berücksichtigen.

    Sie hat unbestrittenermassen durch Düringer, Jetzer und einen weiteren
Gehilfen in Zurzach stattgefunden. Diese Personen haben die zweite Auflage
somit nicht wie die erste in Zürich, sondern in Zurzach herausgegeben. Erst
dort gaben sie das Blatt aus der Hand. Gemäss Art. 347 Abs. 1 StGB sind
daher für die Verfolgung dieser Tat die Behörden des Kantons Aargau
zuständig. Dass Düringer im Kanton Zürich wohnt, ändert nichts, da eine
Untersuchung nur im Aargau angehoben wurde. Seine Behauptung, er sei
Verfasser des Extrablattes, hilft ihm daher nicht.

    c) Sind die Behörden des Kantons Aargau zuständig, Düringer wegen
der Verteilung der zweiten Auflage zu verfolgen, so steht ihnen die
Gerichtsbarkeit auch hinsichtlich der ersten zu. Das folgt aus Art.
350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB, wonach die Behörden des Ortes zuständig sind,
wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde.

    In bezug auf Jetzer käme man übrigens zum gleichen Ergebnis, wenn auf
sein Gesuch einzutreten wäre. Der Gerichtsstand zur Verfolgung Jetzers
befindet sich schon deshalb im Aargau, weil er als Mittäter oder Gehilfe
belangt wird (Art. 349 StGB) und seine Handlung - Mitwirkung bei der
Verteilung vom 9. März 1963 - im Aargau ausgeführt hat (Art. 346 StGB).

Entscheid:

                 Demnach erkennt die Anklagekammer:

    1.- Auf das Gesuch Jetzers wird nicht eingetreten.

    2.- Das Gesuch Düringers wird abgewiesen, und es werden demnach die
Behörden des Kantons Aargau zuständig erklärt, die dem Gesuchsteller zur
Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.