Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 II 65



89 II 65

12. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Mai 1963
i.S. M. gegen H. Regeste

    Ehescheidung. Bemessung der Bedürftigkeitsrente.

    Die Berücksichtigung eines für die Zerrüttung und Scheidung nicht
kausalen Verschuldens des Vermögensleistungen fordernden Ehegatten ist
bei der Anwendung von Art. 152 ZGB nicht statthaft.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt schied am 16. November
1962 die Ehe der Parteien. Es nahm auf Grund eines amtsärztlichen Berichtes
an, dass der Kläger an psychosomatischen Störungen leide, die sich bei
Abweisung der Klage möglicherweise verschärfen würden. Der Ehefrau sprach
das Gericht eine Bedürftigkeitsrente zu, deren Betrag es mit Rücksicht
auf ein ehebrecherisches Verhältnis, das jene im Jahre 1948 unterhalten
hatte, auf monatlich Fr. 100.-- beschränkte.

    Die Beklagte ficht dieses Urteil insoweit an, als ihr damit statt
einer Bedürftigkeitsrente von Fr. 250. - bloss eine solche von Fr. 100. -
zugesprochen wurde. Sie macht geltend, die Vorinstanz habe bei der
Bemessung der Rente zu Unrecht ihr weit zurückliegendes, einmaliges und
für die Scheidung nicht kausales Verschulden (Ehebruch) mit berücksichtigt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    In der Sache ist davon auszugehen, dass die Beklagte an der Scheidung
schuldlos ist. Das Appellationsgericht hat diese aus dem einzigen Grunde
ausgesprochen, dass der Kläger an psychischen Störungen leidet, von denen
zu befürchten ist, dass sie sich bei Abweisung der Klage verschlimmern
könnten. Es hat demgemäss der durch die Scheidung in grosse Bedürftigkeit
geratenden Beklagten grundsätzlich einen Anspruch aus Art. 152 ZGB
zuerkannt, dagegen gefunden, der von ihr im Jahre 1948 begangene Ehebruch
rechtfertige eine Ermässigung des Unterhaltsbeitrages. Dabei hat jedoch
die Vorinstanz übersehen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes
die Berücksichtigung eines für die Scheidung nicht kausalen Verschuldens
des Vermögensleistungen fordernden Ehegatten nur bei der Anwendung von
Art. 151 ZGB, nicht aber auch bei derjenigen des Art. 152 ZGB geboten und
statthaft ist (BGE 60 II 392, insbes. 396 und das nicht publizierte Urteil
vom 1. Februar 1963 i.S. Huber c. Schneider). An dieser Rechtsprechung
ist festzuhalten. Wenn ein für die Scheidung nicht kausales Verschulden
der durch sie geschädigten Partei als unter Umständen genügend erachtet
wird, um dieser einen Anspruch aus Art. 151 ZGB zu versagen oder nur in
beschränktem Umfang zuzusprechen, so geschieht das, wie das Bundesgericht
in BGE 87 II 212 auseinandergesetzt hat, aus der Überlegung heraus, dass
ein Ehegatte, der sich selber grob ehewidrig verhalten hat, das (kausale)
Verschulden des andern nach Treu und Glauben nicht soll zum Anlass nehmen
dürfen, sich von diesem eine Entschädigung zahlen zu lassen. Bei der
Anwendung des Art. 152 ZGB kann diese Überlegung nicht Platz greifen,
weil der aus der genannten Bestimmung hergeleitete Anspruch sich nicht
auf ein Verschulden des andern Ehegatten, sondern einzig auf die drohende
eigene Notlage des Ansprechers stützt. Dem Art. 152 ZGB liegt im Gegensatz
zum Art. 151 ZGB ein sozialer Zweckgedanke zugrunde, dem es widersprechen
würde, den an der Scheidung unschuldigen Ehegatten um eines mit dieser
in keinem ursächlichen Zusammenhang stehenden Verschuldens willen der
Not auszusetzen.