Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 II 357



89 II 357

47. Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. Oktober 1963 i.S. A. K.-D. und
M. D. gegen J. Sch. Regeste

    Ausschluss der Vaterschaft des Beklagten nach dem Ergebnis einer neuen
Blutuntersuchungsmethode (Gammaglobulingruppen Gma und Gmx; Gc-Gruppen
1 und 2).

    Beweiswert dieser Methode bei korrektem Untersuchungsverfahren,
besonders wenn sich ein kombinierter Gm- und Gc- Ausschluss
ergibt, gemäss einem dem kantonalen Urteil zu Grunde gelegten
Sachverständigenbefund. Art. 314 ZGB.

Sachverhalt

    A.- Die ledige A. D. unterhielt im Herbst 1958 mit J.  Sch. ein
intimes Verhältnis; der letzte Geschlechtsverkehr fand an Weihnachten
1958 statt. Am 16. September 1959 gebar sie das Kind M. D. Mutter und
Kind leiteten gegen J. Sch. Vaterschaftsklage ein.

    B.- Die Beklagtschaft erhob Einreden gemäss Art. 314 Abs. 2 und
Art. 315 ZGB. Es wurde eine Blutgruppenuntersuchung durchgeführt.
Nach deren Ergebnis kann der Beklagte zwar nicht nach den übrigen
Blutgruppensystemen, wohl aber auf Grund der Erbgesetze der
Gammaglobulingruppen a und x und der Gc-Gruppen 1 und 2 als Vater des
Kindes ausgeschlossen werden. Auf Weisung des Obergerichts holte das
Amtsgericht Bucheggberg-Kriegstetten ein ergänzendes Gutachten über den
Grad der Sicherheit der angewandten Untersuchungsmethoden ein. Dieses von
Dr. A. Hässig, Bern, erstattete Gutachten vom 12. Juni 1962 gelangte zu
folgenden Schlüssen:

    - Nach dem heutigen Stand des Wissens über den Erbgang und die
Serologie der Merkmale Gm (a) und Gm (x) des Gm-Serumgruppensystems ist
einem Gm (a)- und einem Gm (x)-Ausschluss - unter der Voraussetzung einer
lege artis durchgeführten Untersuchung und der Bestätigung durch einen
erfahrenen Zweituntersucher - derselbe Beweiswert beizumessen wie einem
Ausschluss auf Grund der Blutgruppenmerkmale K des Kell-Systems oder S
des MNS-Systems. Es scheint als gegeben, Gm (a)- und Gm (x)-Ausschlüssen
das Prädikat der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" ebenfalls
zuzuerkennen.

    - Über den Beweiswert eines Gc-Serumgruppenausschlusses äussert sich
der Experte wie folgt:

    "Wiewohl das erbbiologische Untersuchungsgut u. E. bereits heute
ausreichen würde, um einem Gc-Ausschluss höchste Beweiskraft beizumessen,
scheint es mir angesichts der noch geringen methodischen Erfahrungen
gegeben, einem lege artis untersuchten und von einem Zweituntersucher
bestätigten Gc-Gruppenausschluss vorläufig lediglich das Prädikat der
"sehr erheblichen Wahrscheinlichkeit" zuzuerkennen."

    - Was schliesslich den Beweiswert eines kombinierten Gm- und
Gc-Ausschlusses betrifft, so führt das Gutachten aus:

    "Bei einem kombinierten Gm- und Gc-Ausschluss ist in Betracht zu
ziehen, dass die beiden Systeme hinsichtlich des Erbganges wie auch
hinsichtlich der Bestimmungsmethodik voneinander völlig unabhängig
sind. Aus diesem Grunde muss einem kombinierten Gm- und Gc-Ausschluss
zumindest dasselbe Prädikat wie einem klassischen Blutgruppenausschluss
(ABO-Ausschluss), nämlich dasjenige der "praktischen Sicherheit" zuerkannt
werden. Es besteht in einem solchen Falle kein vernünftiger Grund, an
der Richtigkeit der Aussage irgendwie zu zweifeln."

    C.- Auf Grund dieser Expertenbefunde wiesen die kantonalen Gerichte
die Vaterschaftsklage ab, das Obergericht des Kantons Solothurn mit Urteil
vom 24. Mai 1963. Ob ausserdem die Einrede nach Art. 315 ZGB begründet sei
(was das Amtsgericht bejahte), liess das Obergericht offen.

    D.- Mit vorliegender Berufung hält die Klägerschaft an ihren Begehren
fest, während der Beklagte auf Bestätigung des obergerichtlichen Urteils
anträgt.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Der Beklagte hat der Erstklägerin in der vom 20. November 1958
bis zum 20. März 1959 gehenden kritischen Zeit beigewohnt. Er
ist daher nach Art. 314 Abs. 1 ZGB als Vater der Zweitklägerin zu
vermuten. Diese Vermutung entfällt jedoch, obwohl sich kein bestimmter
Mehrverkehr nachweisen liess, dann, wenn der Beklagte durch das
Ergebnis naturwissenschaftlicher Untersuchungen als Vater dieses
Kindes ausgeschlossen wird. Ein solcher Ausschluss, betreffe er nun
die Schwangerschaftsdauer oder die in bestimmter Weise vererblichen
Blutgruppen und -faktoren, ist nach der schweizerischen Rechtsprechung
beweiskräftig, wenn er nach einem als zuverlässig zu erachtenden
Sachverständigenbefund mit völliger Gewissheit oder doch mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit zu bejahen ist (vgl. statt vieler BGE 82
II 87, 88 II 494). Davon geht das angefochtene Urteil zutreffend aus,
und es stützt sich auf einen den Beklagten im soeben dargelegten Sinne
als Vater der Zweitklägerin ausschliessenden Sachverständigenbefund
betreffend bestimmte Bluteigenschaften, nämlich die Gammaglobulingruppen
(Gm) a und x und die Gc-Gruppen 1 und 2 und die diese Bluteigenschaften
beherrschenden Erbgesetze.

    Die Klägerschaft will es bei diesem Beweisergebnis nicht bewenden
lassen. Wie schon in kantonaler Instanz, verlangt sie die Anordnung
eines Obergutachtens über den Beweiswert der in diesem Rechtsstreit
angewendeten, bisher in der schweizerischen Rechtsprechung noch nicht
anerkannten Untersuchungsmethode. Über den Sicherheitsgrad eines bei
einer solchen Untersuchung sich ergebenden Vaterschaftsausschlusses liegt
indessen das vom Amtsgericht auf Weisung des Obergerichts eingeholte
Spezialgutachten vor, das die kantonalen Gerichte, ohne Bundesrecht zu
verletzen, ihren Entscheidungen zu Grund legen durften. Fachkunde und
Unparteilichkeit des mit dieser Begutachtung betrauten Dr. A. Hässig,
Bern, stehen ausser Zweifel, und diesem in zahlreichen Vaterschafts- und
Ehelichkeitsanfechtungsfällen beigezogenen Experten sind auch die nach
der schweizerischen Rechtsprechung an derartige naturwissenschaftliche
Ausschlussbeweise zu stellenden Anforderungen hinsichtlich des
Sicherheitsgrades wohlbekannt. Der vorliegende Befund lautet nun
eindeutig dahin, dass nach dem heutigen Stande des Wissens einem Gm
(a und x)-Ausschluss (bei kunstgerechter Untersuchung und Bestätigung
durch einen Zweituntersucher) das Prädikat der an Sicherheit grenzenden
Wahrscheinlichkeit beizulegen ist. Es verschlägt nichts, dass die im
Gutachten eingehend begründete Ansicht allenfalls in der Fachwelt nicht
einmütige Zustimmung findet. Den kantonalen Gerichten stand es zu,
das Gutachten auf seine Schlüssigkeit und Überzeugungskraft zu prüfen
(vgl. BGE 53 II 15, 89 II 70). Das auf dieser für das Bundesgericht
verbindlichen Beweiswürdigung und auf zutreffender Rechtsanwendung
beruhende kantonale Urteil wird somit nicht erschüttert durch den Hinweis
der Klägerschaft auf eine am Kongress der Deutschen Gesellschaft der
Fachärzte für Laboratoriumsdiagnostik im Mai 1962 erfolgte Diskussion
über das Haptoglobin- und das Gammaglobulin-Gruppensystem (Das ärztliche
Laboratorium, 1962, S. 332 ff.) und auf eine Abhandlung von P. DAHR,
Wissenswertes über Blutgruppen (Medico, 3, 1963, S. 77 ff.), die sich auf
die Anwendung des deutschen Rechtes bezieht und in die Schlussfolgerung
ausmündet:

    "Während ein Ausschluss mit den Haptoglobingruppen heute schon die
Feststellung der offenbaren Unmöglichkeit einer Vaterschaft bedeutet,
sind andere erbliche Eiweissgruppensysteme, nämlich die Gm-Gruppen noch
in der Erforschung. Es ist aber in absehbarer Zeit damit zu rechnen, dass
auch bei einem Ausschluss mit den Gm-Gruppen das Erfordernis der offenbaren
Unmöglichkeit einer Vaterschaft im Sinne des Gesetzes gegeben ist."

    Dr. Hässig (der an jenem Kongress ebenfalls teilnahm) stützt
seinen Befund auf das zur Verfügung stehende, von ihm als ausreichend
erachtete Untersuchungsmaterial. Er gelangt zu einem differenzierten
Ergebnis. Danach ist der dominante Erbgang der Faktoren Gm (a) und Gm
(x) erwiesen, die "erste Erbregel" hier also anwendbar, während für den
Faktor Gm (b) noch kein gleichwertiges Untersuchungsgut vorliegt. Der
Experte äussert sich auch zur "methodischen Bestimmungssicherheit" und
zu den Voraussetzungen eines zuverlässigen Untersuchungsverfahrens. Diese
Sicherheit ist bei den Gc-Gruppen zur Zeit noch geringer. Im vorliegenden
Falle wurde kunstgerecht vorgegangen und eine Überprüfung durch das
Gerichtlich-Medizinische Institut der Universität Oslo veranlasst,
mit eindeutig gleichem Ergebnis. Bei dieser Sachlage muss es bei dem
vom Obergericht als zuverlässig erachteten Schlussbefund des Gutachtens
bleiben und besteht für das Bundesgericht keine Veranlassung, ein weiteres,
sog. Ober-Gutachten anzuordnen. Nach der auf den Expertenbefund gestützten
kantonalen Entscheidung ist der Beklagte auf Grund der Bestimmung der
Faktoren Gma und Gmx mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als
Vater der Zweitklägerin auszuschliessen. Während anderseits der hievon
unabhängige Ausschluss auf Grund der Bestimmung der Gc-Gruppen für sich
allein vorläufig nur das Prädikat der "sehr erheblichen Wahrscheinlichkeit"
erhält, was zum Ausschluss der Vaterschaft nicht genügen würde, begründet
dann aber der hier gegebene kombinierte Gm- und Gc-Ausschluss eine
noch grössere als an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, nämlich
"praktische Sicherheit", wie sie einem klassischen Blutgruppenausschluss
(ABO-Ausschluss) zukommt (eine dem Experten geläufige Benennung der
Sicherheitsgrade; vgl. die Abstufung dieser Grade in dem in BGE 84 II
672/673 angeführten Zusatzbericht).

    Angesichts der festgestellten Gewissheit des Ausschlusses ist
die zunächst nach Art. 314 Abs. 1 ZGB begründete Vaterschaftsvermutung
entkräftet, die Klage also abzuweisen, ohne dass die im Sinne von Art. 315
ZGB erhobene Einrede beurteilt zu werden braucht.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Solothurn vom 24. Mai 1963 bestätigt.