Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 II 30



89 II 30

8. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Januar 1963
i.S. Kuster & Co. gegen Intreko K. G. Regeste

    Alleinvertretungsvertrag; Auflösung durch einseitige
Erklärung. Anwendung der einschlägigen Vorschriften über den Agenturvertrag
(Art. 418 q und r). Rücktritt gemäss Art. 107 Abs. 2 und Art. 109 OR
oder fristlose Kündigung aus wichtigen Gründen im Sinne von Art. 418 r
und Art. 352 OR? Zwingender Charakter der Vorschriften über die fristlose
Kündigung. Bedeutung von Vertragsbestimmungen, wonach bestimmte Tatbestände
nur eine Kündigung auf Termin, nicht die fristlose Kündigung rechtfertigen.
Fall, dass der Lieferant dem Alleinvertreterkeine Zusicherungen
hinsichtlich weiterer Lieferungen zu geben vermag.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Die Firma A. Kuster & Co. in Zürich, die mit Werkzeugmaschinen
handelt und u.a. eine Maschine zum Zerschneiden von Metall und andern
Materialien, den sogenannten Kuster-Trenner, vertreibt, schloss am
22./27. Oktober 1960 mit der Firma Intreko K. G. in Konstanz einen
"Generalvertretungs-Vertrag über Kuster-Trenner für die Bundesrepublik
Deutschland". Nach diesem Vertrag erhielt die Firma Intreko das
ausschliessliche Recht zur Lieferung von Kuster-Trennern an die Händler-
und Verbraucherkundschaft im Vertragsgebiet. Sie hatte die Maschinen bei
der Firma Kuster zu kaufen und auf eigene Rechnung weiterzuverkaufen. Als
Entschädigung sollte sie einzig den dabei erzielten Mehrpreis erhalten. Sie
verpflichtete sich u.a., im Vertragsgebiet eine Verkaufsorganisation
aufzubauen und einen Reparaturdienst einzurichten und monatlich mindestens
300 Maschinen zu beziehen. In Art. 7 des Vertrages steht, für die Lieferung
seien die Lieferbedingungen des Schweiz. Verbandes der Maschinenfabrikanten
(VSM) massgebend, "soweit nicht in diesem Vertrag Änderungen oder
Abweichungen vorgesehen sind". Art. 8 bestimmt über die Vertragsdauer:

    "Dieser Vertrag hat Gültigkeit von einem Jahr und wird automatisch
von Jahr zu Jahr erneuert, sofern der Generalvertreter die vereinbarte
Mindestabnahme von monatlich 300 Stuck Maschinen ab Januar 61 eingehalten
hat. Bei Nichteinhaltung des Vertrages und Abnahmeverpflichtung kann
der Vertrag von einer der beiden Parteien mittels eingeschriebenem
Brief auf das Ende eines Kalendermonats unter Einhaltung einer
dreimonatigen Kündigungsfrist gekündet werden. Die Parteien machen vom
Kündigungsrecht auch dann Gebrauch, wenn grobe Verletzungen einer oder
mehrerer Bestimmungen dieses Vertrages hierzu vorkommen oder wenn trotz
wiederholter Mahnung Mängel nicht abgestellt werden."

    In Art. 10 einigten sich die Parteien auf die Anwendung des
schweizerischen Rechts und auf den Gerichtsstand Zürich.

    Zusammen mit dem Generalvertretungsvertrag schlossen die beiden
Firmen einen Kaufvertrag über 3900 Kuster-Trenner. Sie vereinbarten
darin, 200 Maschinen seien sofort zu liefern, 100 im Dezember 1960, die
restlichen 3600 vom Januar bis zum Dezember 1961 in monatlichen Posten
von 300 Stück. Die Firma Kuster bezog die Maschinen zur Hauptsache von
einer Lizenznehmerin in Wien. Insgesamt lieferte sie der Firma Intreko
bis zum Mai 1961 517 Maschinen.

    B.- Mit Schreiben vom 10. Mai 1961 warf die Firma Intreko der Firma
Kuster vor, sie habe Bestellungen nicht ausgeführt, und setzte ihr für die
Lieferung eine Nachfrist bis zum 25. Mai 1961 mit dem Bemerken, dass sie
sich bei Nichteinhaltung dieser Frist an den Vertrag nicht mehr gebunden
fühlen und Ersatz des bereits entstandenen und des weiterhin entstehenden
Schadens verlangen werde. Am 26. Mai 1961 schrieb sie der Firma Kuster,
sie habe von den ausstehenden 500 Maschinen inzwischen 100 erhalten,
die restlichen 400, die teils am 15. April, teils am 1. und 15. Mai 1961
hätten geliefert werden sollen, dagegen nicht. Sie setzte ihr für diese
Lieferung eine letzte Nachfrist bis zum 31. Mai 1961. Die Firma Kuster
wies diese Fristansetzung mit Schreiben vom 29. Mai 1961 zurück.

    Eine weitere Lieferung erfolgte bis zum 31. Mai 1961 nicht. Bei einer
Aussprache mit der Firma Kuster ergab sich, dass diese nicht anzugeben
vermochte, wann eine Lieferung möglich wäre, ja nicht einmal, ob überhaupt
noch geliefert werden könne. Daraufhin erklärte die Firma Intreko mit
Schreiben vom 2. Juni 1961 den Rücktritt von dem mit der Firma Kuster im
Oktober 1960 geschlossenen Vertrage.

    C.- Am 27. Oktober 1961 reichte die Firma Kuster beim Handelsgericht
des Kantons Zürich gegen die Firma Intreko Klage ein, mit der sie
u.a. das (heute allein noch streitige) Begehren stellte, die Beklagte
sei zu verurteilen, ihr als Ersatz entgangenen Gewinns DM 139'000.--
oder Fr. 150'000.-- nebst Zins zu bezahlen. Am 28. August 1962 hat das
Handelsgericht dieses Klagebegehren abgewiesen. Das Bundesgericht weist
die Berufung der Klägerin ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Für den Entscheid über die streitige Schadenersatzforderung
ist in erster Linie massgebend, ob und auf welchen Zeitpunkt das
Vertragsverhältnis zwischen den Parteien durch die Schreiben der Beklagten
vom 10. und 26. Mai und 2. Juni 1961 aufgelöst worden ist. Bei diesem
Vertragsverhältnis handelt es sich um einen Alleinvertretungsvertrag (BGE
78 II 33). Für die Beendigung eines solchen Vertrags durch einseitige
Erklärung gelten nach der Rechtsprechung die gleichen Vorschriften wie
für den Agenturvertrag (BGE 60 II 336, 78 II 37, 88 II 170/171).

    Für den Agenturvertrag regelt das OR in Art. 418 q nach dem Randtitel
die Kündigung im allgemeinen. Damit ist nach dem Inhalt dieser Vorschrift
die im Belieben der Parteien stehende, aber an eine Frist gebundene
Kündigung eines nicht auf bestimmte Zeit abgeschlossenen Vertrags
gemeint. Der vorliegende Vertrag wurde nicht auf unbestimmte Zeit,
sondern zunächst auf ein Jahr abgeschlossen, so dass Art. 418 q darauf
nicht unmittelbar zur Anwendung kommt. Die Parteien behielten sich jedoch
in Art. 8 für bestimmte Fälle eine vorzeitige Kündigung auf das Ende des
dritten der Kündigungserklärung folgenden Monats vor, was ihnen freistand.

    Art. 418 r OR, der gemäss Randtitel von der Kündigung aus wichtigen
Gründen handelt, bestimmt in Abs. 1, aus wichtigen Gründen könne sowohl
der Auftraggeber als auch der Agent jederzeit den Vertrag sofort auflösen,
und fügt in Abs. 2 bei, die Bestimmungen über den Dienstvertrag (Art. 352
OR) seien entsprechend anwendbar. Beim vorliegenden Vertrag kommt daher
neben der Kündigung auf Termin gemäss Art. 8 des Vertrags die fristlose
Kündigung aus wichtigen Gründen gemäss Art. 418 r und Art. 352 OR in
Frage. Der Rücktritt im Sinne von Art. 107 Abs. 2 und Art. 109 OR, der
im Gegensatz zur Kündigung aus wichtigen Gründen ex tunc wirkt, fällt
dagegen beim Alleinvertretungsvertrag als einem Dauerschuldverhältnis
praktisch ausser Betracht (vgl. BGE 78 II 36/37).

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz hat die Frage, ob die Beklagte zur sofortigen
Auflösung des Vertrags berechtigt gewesen sei, nicht entschieden, weil sie
fand, dass die Beklagte auf jeden Fall das Recht gehabt habe, den Vertrag
gemäss seinem Art. 8 zu kündigen, und dass der Vertrag angesichts der
Schreiben vom 10. Mai und 2. Juni 1961 als auf Ende August 1961 gekündigt
zu gelten habe. Fasst man die betreffenden Erwägungen der Vorinstanz
so auf, wie sie formuliert sind, so erwecken sie Bedenken. Wäre die
sofortige Auflösung des Vertrages, die von der Beklagten unzweifelhaft
beabsichtigt wurde, wirksam erfolgt - welche Möglichkeit die Vorinstanz
offen lässt -, so könnte von einer Auflösung des Vertrages durch Kündigung
auf einen spätern Termin nicht mehr die Rede sein. Die Schlussfolgerung der
Vorinstanz, der Vertrag habe als auf Ende August 1961 gekündigt zu gelten,
dürfte denn auch trotz ihrer vorbehaltlosen Fassung nur den Sinn haben, der
Vertrag sei infolge der Erklärungen der Beklagten vom 10. Mai und 2. Juni
1961, wenn nicht mit sofortiger Wirkung (2. Juni 1961), so doch spätestens
mit Wirkung auf Ende August 1961 zu Ende gegangen. Wie dem aber auch sei,
so erscheint es bei den gegebenen Verhältnissen auf jeden Fall als richtig,
in erster Linie die Frage der sofortigen Vertragsauflösung zu prüfen.

Erwägung 4

    4.- Aus der Art, wie die Beklagte vorgegangen ist (Berufung auf einen
Lieferungsverzug der Klägerin, Ansetzung einer Frist zur nachträglichen
Erfüllung, Rücktrittserklärung), sowie aus den Rechtserörterungen in der
Klageantwort ist zu schliessen, dass die Beklagte von den Rechtsbehelfen
der Art. 107 ff. OR Gebrauch machen wollte. Auf Art. 418 r oder Art. 352 OR
hat weder sie noch die Klägerin jemals Bezug genommen. Auch die Vorinstanz
hat diese Bestimmungen nicht erwähnt. Dies hindert jedoch das Bundesgericht
nicht, die Rechtsfrage zu prüfen, ob die Rücktrittserklärung der Beklagten
als fristlose Kündigung aus wichtigen Gründen wirksam sei. Die blosse
Tatsache, dass die Beklagte nicht daran dachte, sich auf Art. 418 r und
Art. 352 OR zu berufen, sondern nach Art. 107 ff. OR vorgehen wollte,
verbietet nicht etwa schon von vornherein die Annahme, dass eine gültige
Kündigung aus wichtigen Gründen vorliege.

Erwägung 5

    5.- Die Klägerin ist der Ansicht, eine sofortige Auflösung des Vertrags
aus den von der Beklagten geltend gemachten Gründen sei ausgeschlossen,
weil Art. 8 des Vertrages bei Nichteinhaltung der vertraglichen Pflichten
(insbesondere der Abnahme- und der Lieferpflicht) nur eine Kündigung auf
Termin zulasse und weil Ziff. 3 der Lieferbedingungen des VSM für den
Fall einer unverschuldeten Verzögerung der Lieferung eine Erstreckung
der Lieferfrist vorsehe und zudem bestimme, dass eine Überschreitung
der vereinbarten Lieferzeit dem Besteller nicht erlaube, "vom Geschäft
zurückzutreten oder den Auftrag zu widerrufen". Dabei übersieht die
Klägerin jedoch entscheidende Umstände.

    a) Die Vorschriften über die fristlose Kündigung aus wichtigen
Gründen sind zwingender Natur (BECKER N. 47, OSER/SCHÖNENBERGER N.
38/39 zu Art. 352 OR; vgl. § 89 a des deutschen Handelsgesetzbuchs in der
Fassung gemäss Gesetz vom 6. August 1953, wo mit Bezug auf das Recht zur
Kündigung des Handelsvertretervertrags aus wichtigem Grunde ausdrücklich
bestimmt wird: "Dieses Recht kann nicht ausgeschlossen oder beschränkt
werden"). Die Befugnis zur fristlosen Kündigung aus wichtigen Gründen
konnte daher von den Parteien nicht wegbedungen werden. Vereinbarungen,
die vorsehen, dass nur bestimmte Tatbestände die fristlose Kündigung
des Vertrags rechtfertigen, andere dagegen nicht, können rechtlich nur
insofern von Bedeutung sein, als sich daraus unter Umständen ergeben kann,
dass der Partei, welche den Vertrag unter Berufung auf eine darnach
nicht als wichtiger Grund geltende Tatsache sofort auflösen will,
im Sinne von Art. 352 Abs. 2 OR die Fortsetzung des Vertrages bis zum
Ablauf der vereinbarten Dauer oder der gesetzlichen oder vertraglichen
Kündigungsfrist zuzumuten ist (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER N. 39 zu Art. 352
OR, wonach solche Vereinbarungen das Mass des nach Art. 352 Abs. 2
Zuzumutenden erhöhen). Derartigen Vereinbarungen eine weitergehende
Tragweite beizumessen oder die Klauseln, die eine Einschränkung des
unentziehbaren Rechts zur Kündigung aus wichtigen Gründen bezwecken,
ausdehnend auszulegen, ist dagegen unstatthaft.

    b) Der "Rücktritt" der Beklagten stützt sich nicht bloss auf Tatsachen,
die unter die von der Klägerin genannten Vertragsbestimmungen fallen. Für
den Entschluss der Beklagten gab nach dem Schreiben vom 2. Juni 1961
den Ausschlag, dass die Klägerin bei der telephonischen Besprechung, die
nach dem unbenützten Ablauf der zweiten Nachfrist für die ausstehenden
Lieferungen stattfand, nicht nur ausserstande war, ihr anzugeben,
wann eine Lieferung möglich sei, sondern nicht einmal sagen konnte,
ob sie überhaupt noch werde liefern können. Es handelte sich also nicht
bloss darum, dass die Lieferungen der Klägerin hinter der vereinbarten
Menge zurückblieben und sich über die vertraglich festgesetzte Zeit
hinaus verzögerten, was nach der Auffassung der Klägerin gemäss Art. 8
Satz 2 des Vertrags höchstens ein Grund zur Kündigung auf das Ende des
drittfolgenden Monats hätte sein können. (Dass der in Art. 8 des Vertrags
genannten Abnahmepflicht der Beklagten eine entsprechende Lieferpflicht
der Klägerin gegenüberstand und dass deren Nichteinhaltung gemäss Vertrag
wenigstens im Falle eines Verschuldens grundsätzlich die gleichen Folgen
haben sollte wie die Nichterfüllung der Abnahmepflicht, ist unbestritten.)
Auch hatte man es anfangs Juni 1961 nicht bloss mit einer Verletzung
anderer Vertragsbestimmungen oder mit der Nichtbehebung von Mängeln im
Sinne des 3. Satzes von Art. 8 des Vertrags zu tun. Vielmehr wurde durch
den Bescheid, den die Beklagte bei der erwähnten telephonischen Besprechung
erhielt, die Weiterführung der Geschäftsbeziehungen der Parteien überhaupt
in Frage gestellt. Der Klägerin hilft es also nichts, wenn man gemäss
lit. a hievor annimmt, im Hinblick auf Art. 8 des Vertrages und Ziff. 3
der Lieferbedingungen des VSM sei nach einem strengen Massstab zu prüfen,
ob mengenmässig ungenügende und verspätete Lieferungen oder andere unter
diese Bestimmungen fallende Unregelmässigkeiten die Fortsetzung des
Vertragsverhältnisses als unzumutbar erscheinen lassen und somit einen
wichtigen Grund zur sofortigen Vertragsauflösung bilden. Der entscheidende
Sachverhalt wird von diesen Bestimmungen nicht erfasst. Daher ist lediglich
anhand des Gesetzes zu prüfen, ob die Beklagte zur sofortigen Beendigung
des Vertrags berechtigt gewesen sei oder nicht.