Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 I 53



88 I 53

10. Auszug aus dem Urteil vom 13. April 1962 i.S. Zwyssig gegen
Schweiz. Eidgenossenschaft. Regeste

    Gehalt des Angestellten des Bundes: Teilweise Anrechnung einer von
der Militärversicherung ausgerichteten Invalidenpension im Falle, wo der
Angestellte trotz des Unfalles nach wie vor seine Stelle uneingeschränkt
versehen kann. Klage des Angestellten auf ungekürzte Zahlung des Gehaltes
wegen besonderer Verhältnisse. Anwendbares Recht. Zuständigkeit und
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Art. 64 der Verordnung des Bundesrates vom 10. November 1959 über
das Dienstverhältnis der Angestellten der allgemeinen Bundesverwaltung
(Angestelltenordnung, AO) bestimmt in

    Abs. 1: "Hat der Angestellte Anspruch auf Leistungen der
Militärversicherung oder der SUVA oder auf Fürsorgeleistungen des Bundes
gemäss Artikel 73, so sind sie gemäss den Absätzen 2 bis 6 auf sein
Gehalt anzurechnen."

    Abs. 2: "Ist der Angestellte trotz des schädigenden Ereignisses, für
das er Leistungen nach Absatz 1 bezieht, nach wie vor in der Lage, seine
bisherige oder eine andere mindestens gleichwertige Stelle uneingeschränkt
zu versehen und übersteigt seine Invalidität nicht 15 Prozent, so werden
ihm diese Leistungen in keinem Fall auf dem Gehalt angerechnet. Bei einer
Invalidität von mehr als 15 Prozent wird dem Angestellten zusätzlich die
Hälfte desjenigen Betrages überlasscn, welcher der Leistung für die 15
Prozent übersteigende Invalidität entspricht. In Ausnahmefällen kann,
wo ganz besondere Verhältnisse vorliegen, die Anrechnung der Leistungen
auf das Gehalt ermässigt oder erhöht werden."

    Abs. 3: "Ist der Angestellte nicht in der Lage, die von ihm besetzte
oder ihm neu zugewiesene Stelle uneingeschränkt zu versehen, so sind die
Leistungen nach Absatz 1 unter Berücksichtigung aller die Arbeitsfähigkeit
beeinträchtigenden Faktoren im Ausmass der Verminderung der Arbeitsleistung
auf dem Gehalt anzurechnen. Die Anrechnung unterbleibt, soweit infolge
des schädigenden Ereignisses das Gehalt herabgesetzt wurde oder
Gehaltserhöhungen ausbleiben, die in sicherer Aussicht gestanden haben."

    Abs. 4: "Erwachsen dem Angestellten infolge des schädigenden
Ereignisses persönliche Nachteile oder Mehrauslagen, die durch emen
allfällig überlassenen Anteil an den Leistungen nach Absatz 1 nicht
bereits abgegolten sind, so ist ganz oder teilweise auf die Anrechnung
nach Absatz 3 zu verzichten."

    a) Die gegenüber dem Kläger verfügte und von ihm angefochtene
Anrechnung der Militärversicherungsrente auf das Gehalt stützt sich auf
die Ordnung, die in den zwei ersten Sätzen des Art. 64 Abs. 2 AO getroffen
ist, und steht im Einklang mit ihr. Die Wahlbehörde hat der Anrechnung die
Annahme zugrunde gelegt, dass der Kläger trotz der Unfallfolgen nach wie
vor in der Lage ist, seine bisherige Stelle uneingeschränkt zu versehen.

    Zwar äussert die Beklagte in der Klageantwort Zweifel daran,
ob er wirklich dazu imstande sei. Damit will sie aber nicht etwa die
Anwendbarkeit des Abs. 2 verneinen; vielmehr erklärt sie im Folgenden
mit Bestimmtheit, dieser und nicht der Abs. 3 sei massgebend. Sie will
damit nur sagen, bei der Berechnung des Abzuges nach Abs. 2 sei zu
berücksichtigen, dass der Kläger besonderer Schonung bedürfe und dass
seine Weiterbeschäftigung in der nämlichen Stellung für die Verwaltung
ein erhöhtes Invaliditäts- und Morbiditätsrisiko bedeute. Es ist davon
auszugehen, dass hier Abs. 2 und nicht Abs. 3 des Art. 64 AO Anwendung
findet.

    b) Der Kläger stützt seinen Anspruch auf ungekürzte Ausrichtung des
Gehalts in erster Linie auf Art. 64 Abs. 4 AO und nur eventuell auf den
Schlusssatz des Abs. 2.

    Indessen ist Abs. 4, wie die Beklagte mit Recht bemerkt, im
vorliegenden Fall nicht anwendbar. Er bezieht sich nach seinem Wortlaut
einzig auf die Anrechnung nach Abs. 3, nicht auch auf diejenige nach
Abs. 2. Die Beschränkung seiner Anwendbarkeit auf den Fall des Abs. 3
ist gewollt; sie entspricht dem System des Art. 64 AO. Abs. 2 stellt
hinsichtlich des Angestellten, der trotz des Unfalls nach wie vor
zur gleichen Dienstleistung imstande ist, in den beiden ersten Sätzen
bestimmte Grundsätze für die Anrechnung auf und sieht im Schlusssatz vor,
dass davon ausnahmsweise, beim Vorliegen ganz besonderer Verhältnisse,
zu Gunsten oder Ungunsten des Angestellten abgewichen werden kann. Er
enthält eine in sich geschlossene, erschöpfende Ordnung. Insbesondere
erfasst sein Schlusssatz, der ganz allgemein gehalten ist, sämtliche in
Betracht kommende Ausnahmefälle. Er lässt keinen Raum für die Anwendung
des Abs. 4. Dieser sieht zusammen mit Abs. 3, auf den er sich einzig
bezieht, wiederum eine einheitliche Ordnung vor, welche ausschliesslich
den Fall des in der bisherigen Stellung nur noch beschränkt verwendbaren
Angestellten regelt.

    c) Die Beklagte wendet sodann ein, die Anwendung des Schlusssatzes
des Art. 64 Abs. 2 AO könne vom Bundesgericht nicht überprüft werden,
weil sie in das Ermessen der Verwaltung gestellt sei; der Streit darüber,
ob nach dieser Bestimmung die Anrechnung einer Versicherungsleistung auf
das Gehalt zu ermässigen sei, betreffe nicht einen (Rechts-)Anspruch im
Sinne des Art. 110 OG.

    Dieser Einwand dringt indessen nicht durch. Die Verwaltung
kann von dem in den beiden ersten Sätzen des Art. 64 Abs. 2 AO in
bestimmter Weise festgelegten Mass der Anrechnung nicht nach Belieben
abweichen, sondern nur, wenn "ganz besondere Verhältnisse vorliegen"
(Schlusssatz), welche eine Ermässigung oder Erhöhung der Anrechnung als
sachlich richtig erscheinen lassen. Ob solche Verhältnisse bestehen, ist
mindestens zum Teil Rechtsfrage. Wenn auch der Schlusssatz des Abs. 2
als Kann-Vorschrift gefasst ist, so muss seine Anwendung sich doch nach
Rechtsgrundsätzen richten. Sie muss daher vom Bundesgericht als einziger
Instanz nach Art. 110 OG überprüft werden können. Es wäre stossend, wenn
die Verwaltung gestützt auf jenen Schlusssatz die Anrechnung erhöhen
oder eine Ermässigung ablehnen könnte, ohne dass der Betroffene die
Möglichkeit hätte, den Schutz des Richters anzurufen. Dann wäre die
richterliche Kontrolle der Anwendung des Art. 64 Abs. 2 AO gerade in
Fällen ausgeschlossen, in denen ein Bedürfnis danach in besonderem Masse
besteht. Das kann nicht der Sinn der gesetzlichen Ordnung sein. Soweit
neben Rechtsfragen auch Ermessensfragen eine Rolle spielen, können sie vom
Bundesgericht als einziger Instanz ebenfalls geprüft werden (KIRCHHOFER,
Verwaltungsrechtspflege beim Bundesgericht, S. 90).