Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 II 477



88 II 477

68. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. November 1962 i.S. A. und
G. gegen A. und G. Regeste

    Anfechtung der Ehelichkeit; Klagerecht des Kindes.

    Das Kind kann jedenfalls dann klagen, wenn der Ehemann der Mutter
die Klage versäumt und die Mutter nach Auflösung der Ehe mit diesem
Manne den Erzeuger des Kindes geheiratet hat (Erw. 1-3; Aenderung der
Rechtsprechung).

    Der Prozess kann von einem gesetzlichen Vertreter des Kindes in dessen
Namen geführt werden (Erw. 4).

    Die Klage ist gegen den in den Zivilstandsregistern als Vater
eingetragenen Mann und gegen die Mutter zu richten (Erw. 5). Das Kind
verwirkt das Klagerecht jedenfalls solange nicht, als es unmündig ist
(Erw. 6).

    Materiell unterliegt die Klage des Kindes den gleichen Voraussetzungen
wie diejenige des Ehemannes (Erw. 7).

Sachverhalt

    A.- Mit Urteil vom 11. Mai 1950, das den Parteien am 21.  August 1950
zugestellt und infolge unbenützten Ablaufs der 14tägigen Berufungsfrist
am 5. September 1950 rechtskräftig wurde, schied das Bezirksgericht
St. Gallen die seit 1941 verheirateten Eheleute A.-B. von Laax (Graubünden)
wegen entehrenden Verbrechens des Mannes und zur Hauptsache von ihm
verschuldeter tiefer Zerrüttung sowie wegen Ehebruchs der Frau. In seinen
Erwägungen stellte es fest, die - unmittelbar vor der Niederkunft stehende
- Ehefrau habe im Laufe des letzten Jahres, während sich der Ehemann in
Strafhaft befunden habe, mit G. ehebrecherische Beziehungen angeknüpft;
ihre Schwangerschaft sei "zweifellos auf dieses Verhältnis zurückzuführen."

    Am 17. Mai 1950 gebar die Ehefrau ein Mädchen. Obwohl sie in ihren
Aussagen vor dem Instruktionsrichter vom 25. April 1950, die dem Ehemann
zur Kenntnis gebracht wurden, erklärt hatte, es sei ihr erwünscht, wenn ihr
Mann "möglichst bald Aberkennungsklage gegen das werdende Kind einleitet",
unterliess es dieser, die Ehelichkeit des in den Zivilstandsregistern
als sein Kind eingetragenen Mädchens anzufechten.

    B.- Nachdem die bisherige Ehe G.s geschieden worden war, verheiratete
sich dieser am 9. November 1956 mit Frau B. gesch. A. Das am 17. Mai 1950
geborene Mädchen, um das A. sich nie gekümmert hatte, wurde wie der
am 18. Mai 1952 geborene, durch diese Heirat legitimierte Knabe in den
ehelichen Haushalt aufgenommen.

    C.- Auf Gesuch der Eheleute G.-B. vom 12. Juli 1961 bestellte das
Waisenamt der Stadt St. Gallen diesem Mädchen am 14. Juli 1961 einen
Beistand mit dem Auftrag, seine Ehelichkeit anzufechten. Der Beistand
leitete am 11. Oktober 1961 beim Vermittleramt des Kreises Ilanz und
am 17. November 1961 beim Bezirksgericht Glenner eine entsprechende
Klage gegen A. und die Mutter des Kindes ein. G. nahm als Intervenient
auf Seiten des Kindes am Prozesse teil. Das Bezirksgericht schützte die
Klage. Das Kantonsgericht von Graubünden hat sie dagegen mit Urteil vom
15. Juni 1962 gemäss Antrag des Beklagten A. abgewiesen, weil dem Kind
kein Klagerecht zustehe.

    D.- Mit der vorliegenden Berufung an das Bundesgericht erneuern der
Beistand des Kindes und der Intervenient das Klagebegehren. Der Beklagte
A. schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Abschnitt des ZGB über "Die eheliche Abstammung", der die Art.
252 bis 257 umfasst, regelt nach den Randtiteln in Art. 252 (A.) die
Vermutung der Ehelichkeit, in Art. 253 bis 256 (B.) die Anfechtung der
Ehelichkeit, und zwar in Art. 253 bis 255 diejenige "durch den Ehemann" und
in Art. 256 diejenige "durch andere Berechtigte", und schliesslich in Art.
257 (C.) die Verwirkung der Anfechtung. Ist ein Kind während der Ehe oder
innerhalb einer Frist von dreihundert Tagen nach Auflösung der Ehe geboren,
so gilt es nach Art. 252 Abs. 1 für ehelich. Art. 253 bestimmt in Abs. 1,
die Ehelichkeit eines Kindes könne vom Ehemann binnen drei Monaten, nachdem
er von der Geburt Kenntnis erhalten hat, beim Richter angefochten werden,
und fügt in Abs. 2 bei, die Anfechtungsklage richte sich gegen das Kind
und die Mutter. Die Art. 254 und 255 ordnen die sachlichen Voraussetzungen
der Anfechtung. Art. 256 lautet:

    "Ist der Ehemann vor Ablauf der Anfechtungsfrist gestorben oder
urteilsunfähig geworden, oder ist er unbekannten Aufenthaltes, oder
ist es aus anderem Grunde nicht möglich, ihm die Geburt mitzuteilen,
so kann jedermann, der neben oder hinter dem Kinde erbberechtigt ist,
binnen drei Monaten, nachdem er von der Geburt Kenntnis erhalten hat,
die Ehelichkeit anfechten.

    Bei Zeugung vor Abschluss der Ehe kann die Ehelichkeit des Kindes,
auch wenn es vom Ehemann anerkannt ist, durch die zuständige Behörde des
Heimatkantons angefochten werden, falls nachgewiesen wird, dass dieser
unmöglich der Vater des Kindes sein kann."

    Aus dieser Regelung hat das Bundesgericht in BGE 44 (1918) II 224
den Schluss gezogen, nach dem ZGB sei unter Vorbehalt der in Art. 256
abschliessend aufgezählten Ausnahmefälle einzig der Ehemann berechtigt, die
Ehelichkeit eines Kindes anzufechten; der Mutter und dem Kinde stehe dieses
Recht nicht zu; das Gesetz weise in diesem Punkte keine Lücke auf. In
BGE 49 II 319 (Nr. 44) hat es an dieser Auffassung festgehalten; ebenso
im ausführlich begründeten Entscheide BGE 73 (1947) II 203 (vgl. auch 78
I 3), obwohl inzwischen mehrere Autoren und kantonale Gerichte dagegen
Stellung genommen und das Anfechtungsrecht des Kindes bejaht hatten
(vgl. hiezu die Hinweise bei HEGNAUER, N. 9 zu Art. 253 ZGB; wenn BGE
73 II 203 als Gegner der bundesgerichtlichen Praxis neben GAUTSCHI, SJZ
18-1921/22 S. 317, LEEMANN, SJZ 29-1932/33 S. 273, COMMENT, ZBJV 71-1935
S. 541, SANDMEIER, Die Ehelichkeitsvermutung und ihre Anfechtung, 1938,
S. 124 ff., und EGGER, 2. Aufl. 1943, N. 3/4 zu Art. 253 ZGB, auch
SILBERNAGEL, 2. Aufl. 1927, N. 3 zu Art. 253 ZGB, und BRIDEL, La règle
"Pater is est...", 1927, S. 63, 123 ff. und 156 ff., nennt, so ist diese
Angabe dahin zu berichtigen, dass die beiden zuletzt genannten Autoren
zwar ein Anfechtungsrecht des Kindes bezw. der Staatsanwaltschaft als
wünschbar bezeichnen, das Bestehen eines solchen aber de lege lata
verneinen). Die Kritik ist indessen seit dem Entscheide BGE 73 II
203 nicht verstummt. Vielmehr mehren sich die Lehrmeinungen und die -
mangels Weiterziehung rechtskräftig gewordenen - Entscheidungen kantonaler
Gerichte, die dem Kind das Klagerecht einräumen (vgl. die bei HEGNAUER
aaO angeführten Literaturstellen und Entscheide aus der Zeit nach 1947;
ferner JACCARD, La représentation des incapables privés de discernement
dans l'exercice de leurs droits strictement personnels, 1955, S. 72/73, und
BAUMANN, Die höchstpersönlichen Rechte des Bevormundeten, in Zeitschrift
für Vormundschaftswesen 1956, S. 6). In neuester Zeit haben sich ausser
einem Urteil des Tribunal civil de l'arrondissement de la Veveyse vom
22. Mai 1959 (SJZ 1960 S. 206) namentlich der Kommentar HEGNAUER (N. 10
zu Art. 253 ZGB; grundsätzlich zustimmend die Besprechung von HINDERLING,
SJZ 1961 S. 309) und ein Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom
27. Mai 1960 (SJZ 1960 S. 329) mit einlässlicher Begründung zur bisherigen
Rechtsprechung des Bundesgerichts in Gegensatz gestellt. Es rechtfertigt
sich daher, diese Rechtsprechung neu zu überprüfen.

Erwägung 2

    2.- Ob das ZGB die Frage, wer die Ehelichkeit eines Kindes anfechten
könne, in Art. 253 ff. abschliessend geordnet habe oder ob im Fehlen
einer Bestimmung über das Anfechtungsrecht des Kindes eine Lücke des
Gesetzes zu erblicken sei, ist auf dem Wege der Gesetzesauslegung zu
ermitteln (MEIER-HAYOZ N. 255 ff. zu Art. 1 ZGB; LARENZ, Methodenlehre
der Rechtswissenschaft, S. 285/86).

    Der Wortlaut und die Systematik des Gesetzes lassen nicht sicher
erkennen, wie es in diesem Punkte zu verstehen sei. Keine der genannten
Bestimmungen sagt ausdrücklich, dass die Ehelichkeit allein vom Ehemann und
gegebenenfalls (wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hiefür zutreffen)
von den "andern Berechtigten" im Sinne von Art. 256 angefochten werden
könne. Die Vorschrift von Art. 253 Abs. 2, die in BGE 73 II 204 dahin
ausgelegt wurde, dass sie das Kind "schlechthin" in die Beklagtenrolle
verweise, bedeutet nach Wortlaut und Zusammenhang in Wirklichkeit nur, dass
die in Art. 253 Abs. 1 vorgesehene Klage des Ehemanns gegen das Kind und
die Mutter zu richten sei. Mit der Frage, ob auch das Kind auf Anfechtung
der Ehelichkeit klagen könne oder nicht, befasst sich diese Vorschrift
nicht. Das Klagerecht des Kindes wird auch dadurch nicht ohne weiteres
ausgeschlossen, dass das Kind in Art. 256 unter den "andern Berechtigten"
nicht genannt wird. Wortlaut und Zusammenhang lassen die Auslegung zu,
diese Bestimmung wolle nur sagen, in welchen Fällen andere Personen als
der Ehemann gegen das Kind und die Mutter klagen können. Umgekehrt kann
aus Wortlaut und System des Gesetzes aber auch nicht gefolgert werden,
dass ausser den darin ausdrücklich als berechtigt bezeichneten Personen
noch andere, insbesondere das Kind, die Ehelichkeit anfechten können.

    Auch die Erforschung der Umstände, unter denen die Art. 253 ff. ZGB
entstanden sind, liefert, wie das zürcherische Obergericht im angeführten
Urteil (SJZ 1960 S. 329/30) zutreffend dargelegt hat, keine schlüssigen
Anhaltspunkte für die Entscheidung der massgebenden Frage. Was über diese
Umstände feststellbar ist, schliesst insbesondere entgegen der in BGE 73 II
204/05 vertretenen Ansicht die Möglichkeit nicht aus, dass bei Erlass des
ZGB das Problem der Klageberechtigung des Kindes übersehen wurde. Richtig
ist zwar, dass diese Frage bei der Ausarbeitung des deutschen BGB
geprüft und negativ beantwortet worden war (Motive zu dem Entwurfe
eines BGB für das Deutsche Reich, IV, 1888, S. 658 ff.). Auch waren in
der Schweiz schon vor dem Erlass des ZGB vereinzelt Klagen eingeleitet
worden, mit denen das Kind oder die Mutter die Ehelichkeit anzufechten
versuchten (vgl. die Hinweise bei SANDMEIER aaO S. 121/22). Daraus folgt
aber keineswegs mit Sicherheit, dass bei der Schaffung des ZGB die - in
EUGEN HUBERS System und Geschichte des schweiz. Privatrechts (I, 1886,
S. 393 ff.) und in den Erläuterungen zum Vorentwurf des Eidg. Justiz-
und Polizeidepartements (1. Ausg., 1. Heft S. 235 f.; 2. Ausg., I S. 253
f.) nicht berührte - Frage, ob das Kind klageberechtigt sein solle,
bedacht worden sei. Die Bemerkung in der bundesrätlichen Botschaft,
zur Anfechtung sei regelmässig nur der Ehemann berechtigt, "jedenfalls
niemand neben ihm" (BBl 1904 IV S. 34), dürfte darauf zurückgehen, dass
in der Expertenkommission die Frage gestellt und verneint worden war,
ob die Mutter die Ehelichkeit anfechten könne (vgl. die näheren Angaben
im zit. Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich). Auf jeden Fall aber
lässt sich nicht sagen, bei Erlass des ZGB habe die klare und bestimmte,
auch für die Adressaten des Gesetzes erkennbare Vorstellung gewaltet,
dass das Kind kein Klagerecht besitze. Selbst wenn es sich aber noch so
verhielte, wäre dies für die Auslegung des Gesetzes nicht schlechthin
massgebend, sondern bliebe zu prüfen, ob triftige Gründe ein Abweichen
von der damals herrschenden Auffassung gebieten (vgl. MEIER-HAYOZ N. 217
zu Art. 1 ZGB).

    Eine Gesetzesrevision, bei welcher die Gelegenheit zur Regelung
der streitigen Frage bestanden hätte, aber trotz den in Lehre und
Rechtsprechung darüber entstandenen Diskussionen nicht ergriffen worden
wäre, was allenfalls als negative Stellungnahme des Gesetzgebers gedeutet
werden könnte (vgl. BGE 76 II 62), hat nicht stattgefunden.

    Unter diesen Umständen ist allein auf Grund der ratio legis und der
Würdigung der im Spiel stehenden Interessen zu entscheiden, ob die in Art.
253 ff. ZGB enthaltenen Vorschriften darüber, wer die Ehelichkeit anfechten
könne, als erschöpfend zu gelten haben oder ob das Gesetz in diesem Punkt
eine Lücke aufweise. Dabei ist zu beachten, dass die Annahme einer Lücke
nicht schon dann gerechtfertigt ist, wenn der Richter das Fehlen einer
gewissen Vorschrift als unbefriedigend empfindet. Eine Lücke darf dagegen
nach der wohlbegründeten neuern Lehre angenommen werden, wenn keine
schlüssigen Argumente dafür vorliegen, dass das Gesetz die betreffende
Frage abschliessend ordne, sondern wenn sich im Gegenteil ergibt, dass
die gesetzliche Regelung "nach den dem Gesetz selbst zugrunde liegenden
Wertungen und Zwecksetzungen", "gemessen an seiner (des Gesetzes) eigenen
Absicht und Teleologie" als unvollständig und damit ergänzungsbedürftig
erscheint, m.a.W. wenn eine "planwidrige Unvollständigkeit" besteht
(MEIER-HAYOZ N. 276 zu Art. 1 ZGB, LARENZ S. 286).

Erwägung 3

    3.- Das ZGB ist, wie in BGE 44 II 225 und 73 II 205/06 angenommen,
zweifellos bestrebt, den familienrechtlichen Beziehungen, insbesondere auch
dem ehelichen Kindesverhältnis, im Interesse der Allgemeinheit Festigkeit
zu verleihen. Dieses Bestreben war aber bei der Regelung der ehelichen
Abstammung nicht allein wegleitend. Die in Art. 252 ZGB aufgestellte
Vermutung der Ehelichkeit ist nicht unwiderlegbar. Vielmehr können
nach Art. 253 ff. der Ehemann und unter Umständen weitere Berechtigte
beim Zutreffen bestimmter Voraussetzungen die Ehelichkeit anfechten. In
diesen Fällen räumt also das Gesetz dem individuellen Interesse der
Klageberechtigten daran, dass die Rechtslage mit der wahren Abstammung
in Einklang gebracht wird, gegenüber dem erwähnten öffentlichen Interesse
den Vorrang ein.

    Ein Kind, das nicht vom Ehemann seiner Mutter gezeugt wurde, dürfte
in der Regel daran interessiert sein, den ehelichen Stand, den es kraft
Art. 252 ZGB erlangt hat, beizubehalten. Auch es kann jedoch in gewissen
Fällen ein Interesse daran haben, die wahre Abstammung zur Geltung zu
bringen. So kann es sich namentlich dann verhalten, wenn die Ehe der
Mutter mit dem Manne, der nach Art. 252 ZGB als sein Vater gilt, aufgelöst
worden ist und die Mutter seinen Erzeuger geheiratet hat. In diesem
Falle verschafft ihm die Beseitigung der Vermutung, dass es vom frühern
Ehemann seiner Mutter abstamme, gemäss Art. 258 ZGB die Stellung eines
ehelichen Kindes seines wirklichen Vaters. Diese Stellung zu erhalten,
kann für das Kind nicht nur in wirtschaftlicher, sondern vor allem auch
in persönlicher Beziehung von grosser Bedeutung sein; dies zum mindesten
dann, wenn es, wie das in solchen Fällen wohl meistens zutrifft, bei der
Mutter und seinem wirklichen Vater lebt. Als Kind eines andern Mannes
als des wirklichen Vaters gelten zu müssen, kann bei dieser Sachlage die
Stellung des Kindes in der Umwelt erschweren und sein seelisches Wohl,
namentlich seine innere Sicherheit, ernstlich beeinträchtigen. Das Kind
kann also ein ebenso gewichtiges Interesse haben wie der Ehemann, die
Ehelichkeit anfechten zu können.

    Dass die Befugnis hiezu gleichwohl unter allen Umständen dem Ehemann
und den "andern Berechtigten" im Sinne von Art. 256 ZGB vorbehalten bleiben
müsse, wird entgegen der Auffassung, die in den erwähnten Präjudizien
vertreten wurde, nicht durch ein öffentliches Interesse gefordert. Wenn
zur Ermöglichung der Legitimation durch den wirklichen Vater auch dem Kind
erlaubt wird, die Ehelichkeit anzufechten, so schafft dies keine Gefahr für
die Stabilität der Familie im allgemeinen. Die Ehelichkeitsvermutung behält
ihre grundlegende Bedeutung für die Familienrechtsordnung, sofern dem
Kind die Anfechtung der Ehelichkeit nicht unter leichtern Voraussetzungen
gestattet wird als den übrigen Berechtigten (vgl. Erw. 7 hienach). Dass
wenigstens im einzelnen Fall eine Gefährdung der Familie zu befürchten
sei, wenn dem Kinde bei Auflösung der frühern Ehe und Wiederverheiratung
der Mutter das Anfechtungsrecht zugestanden wird, kann ebenfalls nicht
anerkannt werden. Im übrigen darf normalerweise erwartet werden, dass
die Vormundschaftsbehörden, ohne deren Mitwirkung ein solcher Prozess im
Namen eines minderjährigen Kindes nicht eingeleitet werden kann (Art. 392
Ziff. 2 und Art. 421 Ziff. 8 ZGB), leichtfertige oder missbräuchliche
Klagen verhindern. Dass die Beschränkung des Klagerechts auf die im ZGB
ausdrücklich als berechtigt bezeichneten Personen als "starke Hemmung vor
ehelicher Untreue" wirke (BGE 73 II 206), ist nach der Lebenserfahrung
nicht anzunehmen.

    Das Argument, das "grundsätzlich ausschliessliche Anfechtungsrecht"
des Ehemanns folge notwendigerweise aus der Treuepflicht der Frau und
aus der gesetzlichen Ehelichkeitsvermutung, deren Gegenstück es bilde
(BGE 73 II 205), vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Der betrogene
Ehemann ist zwar allein befugt, darüber zu befinden, ob und allenfalls
welche Folgerungen rechtlicher Natur er gegenüber der untreuen Ehefrau
aus ihrem Fehltritt ziehen, insbesondere ob er deswegen die Scheidung
verlangen will oder nicht. Dagegen lässt sich aus der Treuepflicht
der Ehefrau und aus der Tatsache, dass der Ehemann die Kinder seiner
Frau trotz allen Verdachtsgründen als die seinen gelten lassen muss,
wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anfechtung der Ehelichkeit
nicht gegeben sind, keineswegs ableiten, dass es beim Zutreffen dieser
Voraussetzungen ausschliesslich von seinem Belieben abhängen müsse, ob
die Kinder rechtlich seine ehelichen Kinder bleiben sollen, selbst wenn
sie bei Aberkennung der Ehelichkeit sogleich von ihrem wirklichen Vater
legitimiert würden. Es widerspricht den dem ZGB zugrunde liegenden,
dem Wohl der Kinder grösste Bedeutung beimessenden Anschauungen über
die Familie, in einer derart wichtigen Angelegenheit, die nicht nur den
Ehemann, die schuldige Frau und ihren Partner, sondern vor allem auch die
Kinder angeht, den Willen des Ehemannes als allein massgebend zu betrachten
und den Kindern bezw. den zu ihrem Schutz berufenen vormundschaftlichen
Organen die Möglichkeit vorzuenthalten, ihre Interessen selbständig zu
wahren. Eine solche streng patriarchalische Auffassung ist auf jeden Fall
heute nicht mehr zeitgemäss.

    Dass der Ehemann unter Umständen den begreiflichen Wunsch haben kann,
den Schein der Ehelichkeit der von einem Dritten gezeugten Kinder seiner
Frau aufrechtzuerhalten, lässt sich freilich nicht leugnen (vgl. AUBERT,
Les actions de la filiation en droit civil suisse, 1955, S. 171). Dieser
Wunsch pflegt jedoch nach Auflösung der Ehe (zumal nach Scheidung wegen
Ehebruchs) nicht mehr so stark empfunden zu werden wie bei fortdauernder
Ehe. Wenn der Ehemann trotz Auflösung der Ehe die Ehelichkeit der von
seiner Frau im Ehebruch empfangenen Kinder nicht anficht, so beruht dies
häufig auf blosser Gleichgültigkeit (hie und da sogar auf der Absicht, der
geschiedenen Frau und ihrem Partner Unannehmlichkeiten zu bereiten). Wie
dem aber auch sei, so verdient auf alle Fälle das Interesse des Kindes
daran, seine wahre Ehelichkeit zu erlangen, mehr Schutz als das Interesse
des früheren Ehemannes daran, weiterhin als Vater des betreffenden Kindes
zu gelten und nicht als betrogener Ehemann dazustehen.

    Wenn Art. 256 ZGB für gewisse Fälle die Anfechtung der Ehelichkeit
durch andere Personen als den Ehemann zulässt, so macht dies ein eigenes
Anfechtungsrecht des Kindes nicht etwa überflüssig. Aus Art. 256 ZGB lässt
sich im Gegenteil ein Argument zugunsten dieses Rechts gewinnen. Indem
diese Bestimmung für den Fall der Verhinderung des Ehemanns jeder neben
oder hinter dem Kinde erbberechtigten Person die Anfechtung der Ehelichkeit
gestattet, lässt sie die Anfechtungsklage zur Wahrung vorwiegend oder rein
materieller Interessen zu. Für ein Kind, das im Falle der Aberkennung der
Ehelichkeit auf die Legitimation durch seinen wirklichen Vater rechnen
kann, stehen dagegen, wie dargetan, oft nicht nur wirtschaftliche, sondern
auch starke persönliche Interessen auf dem Spiele. Unter der Herrschaft
eines Gesetzes, das sich wie das ZGB den Schutz der Persönlichkeit
besonders angelegen sein lässt, wäre es ungereimt, diesen Interessen den
Schutz durch das Mittel der Anfechtungsklage grundsätzlich zu versagen,
während dieser Rechtsbehelf andern Personen zu Gebote steht, selbst wenn
sie damit nur materielle Vorteile verfolgen.

    Bei der Klage auf Anfechtung der Ehelicherklärung (Art. 262 ZGB),
die eine ähnliche Funktion erfüllt wie die Anfechtungsklage im Sinne von
Art. 253 ff., hat denn auch die Rechtsprechung das Klagerecht des Kindes
schon längst bejaht, obwohl Art. 262 nur die erbberechtigten Verwandten
der Eltern sowie die zuständige Behörde des Heimatkantons des Vaters,
nicht auch das Kind selber als klageberechtigt bezeichnet (BGE 40 II 299).

    Eine Klage des Kindes nur bei "eigentlich missbräuchlicher
Nichtausübung" des Anfechtungsrechts durch den Ehemann "in Anwendung von
Art. 2 ZGB" zuzulassen, welche Möglichkeit das Bundesgericht in BGE 73
II 207/08 angedeutet hat, ohne dazu näher Stellung zu nehmen, würde nicht
genügen, um die legitimen Interessen des Kindes hinlänglich zu schützen. Im
übrigen ist zweifelhaft, ob es möglich wäre, in der Unterlassung einer
Klage durch den Ehemann einen Rechtsmissbrauch im Sinne von Art. 2 ZGB zu
erblicken und diesem dadurch zu begegnen, dass ausnahmsweise eine Klage
des Kindes zugelassen würde (vgl. HEGNAUER N. 10 a.E. zu Art. 253 ZGB
mit Hinweisen). Dagegen können auf Grund von Art. 2 ZGB missbräuchliche
Klagen des Kindes abgewehrt werden, falls solche trotz der Kontrolle,
welche die Vormundschaftsbehörden während der Minderjährigkeit des Kindes
auszuüben vermögen, vorkommen sollten. Wenn die Gefahr missbräuchlicher
Anfechtung der Ehelichkeit durch das Kind sehr erheblich wäre, so hätten
solche Missbräuche übrigens in der schon recht reichhaltigen kantonalen
Praxis zutage treten müssen, was nicht der Fall zu sein scheint.

    Aus diesen Gründen hat das Bundesgericht in seinem Urteil vom
18. Oktober 1962 in Sachen R., dem ein dem vorliegenden entsprechender
Tatbestand zugrunde lag, eine Gesetzeslücke angenommen und das Recht
des Kindes zur Anfechtung seiner Ehelichkeit wenigstens für den Fall
bejaht, dass die Ehe zwischen der Mutter und dem gemäss Art. 252 ZGB
als Vater eingetragenen Manne aufgelöst worden ist und dass die Mutter
den Erzeuger des Kindes geheiratet und der frühere Ehemann die Klage
versäumt hat. Hieran ist festzuhalten und der Klägerin folglich beim
Zutreffen der eben genannten Voraussetzungen das ihr von der Vorinstanz
abgesprochene Klagerecht zuzuerkennen. - Zu prüfen, ob allenfalls
noch weitere Personen (namentlich die Mutter) als klageberechtigt zu
betrachten seien und ob das Kind auch dann klagen könne, wenn es nicht
auf die nachfolgende Legitimation durch denwirklichen Vater rechnen kann,
sondern bei Gutheissung seiner Anfechtungsklage unehelich bliebe, ist
heute so wenig wie in Falle R. notwendig.

Erwägung 4

    4.- Ist dem Kind das Anfechtungsrecht in Fällen wie dem vorliegenden
um seiner Persönlichkeit willen zuzugestehen, so stellt sich die Frage,
ob dieses Recht nur durch das Kind selber, nachdem es urteilsfähig
geworden ist (vgl. Art. 19 Abs. 2 ZGB), oder schon vorher durch einen
gesetzlichen Vertreter in seinem Namen ausgeübt werden könne. In BGE 73
II 207 vertrat das Bundesgericht die Auffassung, letzteres müsste wohl
verneint werden. Wäre die Ausübung durch einen gesetzlichen Vertreter
ausgeschlossen, so vermöchte jedoch das Anfechtungsrecht des Kindes den
Interessen, zu deren Schutz es bestimmt ist, in vielen Fällen nicht oder
nur mangelhaft zu dienen. Für ein im Ehebruch gezeugtes Kind, das durch
den wirklichen Vater legitimiert werden soll, ist es am besten, wenn
die Anfechtung der Ehelichkeit und die Legitimation so früh wie möglich
erfolgen. Auch liegt es in seinem Interesse, wenn ihm die Vorgänge, die
zur Klage Anlass geben, möglichst lange verborgen bleiben. Sollen die
Vorteile, welche die Anfechtung dem Kinde bieten soll, nicht weitgehend
illusorisch werden, so muss also die Anfechtung durch einen gesetzlichen
Vertreter, wie sie im vorliegenden Fall erfolgt ist, zugelassen werden
(SANDMEIER aaO S. 183; HEGNAUER, N. 11 zu Art. 253 ZGB; HINDERLING aaO).

    Diese Lösung steht nicht etwa mit sonst ausnahmslos geltenden
Grundsätzen im Widerspruch. Der Beistand eines ausserehelichen Kindes kann
unzweifelhaft in dessen Namen auf Zusprechung mit Standesfolge klagen,
obwohl es sich hier wie bei der Anfechtung der Ehelichkeit um eine
Angelegenheit handelt, die höchstpersönliche Belange des Kindes berührt,
und auch sonst sind zum Schutze der Kinder Eingriffe der Behörden in
ihre höchstpersönlichen Angelegenheiten oft unvermeidlich (Art. 157,
Art. 283 ff. ZGB).

    Die Frage, ob bei Urteilsunfähigkeit des Ehemannes eine
Anfechtungsklage gegen das Kind und die Mutter nicht von einem gesetzlichen
Vertreter des Mannes, sondern nur von den in Art. 256 Abs. 1 ZGB genannten
Personen im eigenen Namen angehoben werden könne, wie dies in BGE 73 II
207 angenommen wurde, ist für den Entscheid darüber, ob im Namen des Kindes
ein gesetzlicher Vertreter klagen könne, nicht ohne weiteres präjudiziell
und kann daher dahingestellt bleiben (vgl. zu dieser umstrittenen Frage
HEGNAUER, N. 6 zu Art. 253 ZGB mit Hinweisen, HINDERLING, aaO und JACCARD,
aaO S. 73 ff.).

Erwägung 5

    5.- Die Klage des Kindes hat sich in erster Linie gegen den Ehemann
der Mutter zu richten, dem die Rechtsstellung eines ehelichen Vaters
aberkannt werden soll. Aber auch die Mutter hat ein schutzwürdiges
Interesse daran, zu einer solchen Klage Stellung nehmen zu können,
obschon ihre Interessen in Fällen der in Frage stehenden Art meist mit
denen des Kindes übereinstimmen dürften. Mit Recht ist daher im Falle
R. und im vorliegenden Falle neben dem als Vater eingetragenen Ehemann
auch die Mutter eingeklagt worden.

Erwägung 6

    6.- Nach Art. 253 Abs. 1 ZGB gilt für die Klage des Ehemanns eine Frist
von drei Monaten seit Kenntnis der Geburt. In Anlehnung an diese Vorschrift
will HEGNAUER die Klage des Kindes auf drei Monate von dem Zeitpunkt an
befristen, in welchem die zuständige Vormundschaftsbehörde davon Kenntnis
erhalten hat, dass der Ehemann bezw. die Erben keine Klage erhoben haben
(N. 21/22 zu Art. 253 ZGB). Andere Autoren sowie verschiedene kantonale
Gerichtsurteile betrachten die Klage des Kindes dagegen als unbefristet
(vgl. die Hinweise an der eben angeführten Kommentarstelle). SANDMEIER
nimmt an, das Anfechtungsrecht des Kindes erlösche unter Vorbehalt der
analogen Anwendung von Art. 257 Abs. 3 ZGB sechs Monate nach erreichter
Mündigkeit des Kindes (S. 190).

    Im vorliegenden Fall braucht die Frage der Befristung nicht allseitig
geprüft zu werden. Sicher ist auf jeden Fall, dass die Lösung Hegnauers
schwere Unzukömmlichkeiten mit sich brächte und die Möglichkeit einer
Anfechtung der Ehelichkeit durch das Kind in vielen Fällen vereiteln würde.
Wann die Vormundschaftsbehörde von der Untätigkeit des Ehemanns und der
andern Berechtigten im Sinne von Art. 256 ZGB Kenntnis erhalten hat,
ist meist nur schwer festzustellen. Ferner genügt diese Kenntnis für die
Vormundschaftsbehörde nicht, um entscheiden zu können, ob im Namen des
Kindes eine Klage einzuleiten sei. Ein solcher Entscheid ist der Behörde
erst möglich, wenn ihr Tatsachen bekannt sind, die zur Begründung der
Anfechtung dienen können. Ausserdem kann es vorkommen, dass die Auflösung
der Ehe zwischen der Mutter und dem als Vater eingetragenen Manne und die
Wiederverheiratung der Mutter mit dem wirklichen Vater, die das Interesse
des Kindes an der Anfechtung der Ehelichkeit offenbar werden oder überhaupt
erst entstehen lassen, erst nach Ablauf der von Hegnauer befürworteten
Frist erfolgen. Die Auffassung Hegnauers ist daher abzulehnen. Da
das Bedürfnis nach einer Befristung bei der Klage des Kindes weniger
ausgeprägt ist als bei der Klage des Ehemanns und da für eine Befristung
der Klage des Kindes ein vor dem Eintritt der Mündigkeit liegender,
sachlich befriedigender und im einzelnen Falle leicht und zuverlässig
feststellbarer Ausgangspunkt nicht zu finden ist, rechtfertigt sich die
Annahme, dass die Klage des Kindes jedenfalls solange keiner Verwirkung
unterliegt, als es noch nicht mündig ist (so auch schon das Urteil vom
18. Oktober 1962 i.S. R.). Die vorliegende Klage ist somit rechtzeitig.

Erwägung 7

    7.- Materiell müssen für die Anfechtung der Ehelichkeit durch das
Kind die gleichen Voraussetzungen gelten wie für die Anfechtung durch
den Ehemann. Ist das Kind wie hier wenigstens 300 Tage nach Abschluss
der Ehe geboren, so vermag also auch das Kind die Klage nur durch
den Nachweis zu begründen, dass der Ehemann der Mutter unmöglich sein
Vater sein könne (Art. 254 ZGB). Die in der Literatur und in kantonalen
Urteilen anzutreffende Auffassung, dass die Anforderungen an den Beweis
zu mildern seien, wenn das Kind im Falle der Aberkennung der Ehelichkeit
auf die Legitimation durch den nunmehrigen Ehemann der Mutter rechnen
kann (HEGNAUER, N. 10 zu Art. 254 ZGB mit Hinweisen), ist mit SANDMEIER
(S. 194) zu verwerfen.

    Ob der Beklagte A. unmöglich der Vater der Klägerin sein könne und ob
der heutige Ehemann der Mutter der Erzeuger dieses Kindes sei, so dass
es bei Gutheissung seiner Klage gemäss Art. 258 ZGB legitimiert würde,
ist von der Vorinstanz nicht geprüft worden, weil sie dem Kinde die
Klagelegitimation von vornherein absprach. Da ihr Entscheid in diesem
Punkte dem Bundesrecht widerspricht, ist die Sache zur Prüfung der
erwähnten Fragen und zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und
die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.