Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 II 362



88 II 362

49. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Oktober 1962
i.S. Einwohnergemeinde Liestal gegen Stutz. Regeste

    Art. 44 Abs. 1OR,Art. 37 Abs. 6 MFG. Der Schadenersatzanspruch des
Eigentümers eines Motorfahrzeuges gegen den Eigentümer einer mangelhaft
angelegten Strasse kann nicht wegen Verschuldens des Führers herabgesetzt
oder abgewiesen werden.

Sachverhalt

    Der von Colonello geführte Lastwagen des Stutz fuhr über den
Rand einer der Einwohnergemeinde Liestal gehörenden Strasse hinaus
aufangeschütteten Humus, sank ein und stürzte ab. Das Obergericht des
Kantons Basel-Landschaft sprach Stutz gegenüber der Strasseneigentümerin
Fr. 20'000.-- Schadenersatz zu. Die Einwohnergemeinde Liestal erklärte
die Berufung mit dem Antrag auf Abweisung der Klage. Das Bundesgericht
wies die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die Beklagte macht geltend, Art. 44 Abs. 1 OR sei auch deshalb
anzuwenden, weil der Kläger gemäss Art. 37 Abs. 6 MFG das Verschulden
des Lastwagenführers Colonello wie eigenes Verschulden zu vertreten habe.

    Art. 37 MFG regelt die Haftpflicht des Halters eines Motorfahrzeuges,
durch dessen Betrieb Schaden verursacht wird. Sie kann entfallen
oder gemildert werden, wenn ein Dritter den Schaden verschuldet oder
mitverschuldet. Art. 37 Abs. 6 MFG bestimmt: "Als Dritte im Sinne dieses
Artikels gelten nicht die Personen, deren sich der Halter zum Betrieb
des Motorfahrzeugs bedient oder die es mit seiner Einwilligung führen."

    Diese Norm dient nur der Einschränkung des Begriffs des Dritten "im
Sinne dieses Artikels". Sie gilt also nur für Fälle, die von Art. 37 MFG
erfasst werden. Wenn der Halter eines Motorfahrzeuges geschädigt wird und
sich die Frage seiner Mitverantwortung für den von ihm selbst erlittenen
Schaden stellt, trifft sie nicht zu. Art. 44 Abs. 1 OR, dem dieser Fall
untersteht, verwendet denn auch den Begriff des "Dritten" nicht, sondern
umschreibt einfach die Gründe, aus denen der Richter die Ersatzpflicht
ermässigen oder gänzlich verneinen kann.

    Solche Gründe bestehen, wenn der Geschädigte in die schädigende
Handlung eingewilligt hat oder wenn Umstände, für die er einstehen muss,
auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder
die Stellung des Ersatzpflichtigen sonstwie erschwert haben. Zu diesen
Umständen gehört das Verschulden des Geschädigten selbst, dagegen nicht
auch das Verschulden anderer. So dürfen z.B. die Schadenersatzansprüche
eines geschädigten Kindes nicht wegen Mitverschuldens des Inhabers der
elterlichen Gewalt gemindert werden (BGE 71 I 55 f., 81 II 165). Ob der
Ansprecher für das Verhalten dessen, der den Schaden mitverschuldet hat,
einstehen müsste, wenn nicht er selbst, sondern ein anderer geschädigt
wäre, ist unerheblich. Namentlich hat der Halter eines Motorfahrzeuges
den Schaden, den ihm ein Dritter und der Führer zufügen, nicht deshalb
ganz oder teilweise selber zu tragen, weil ihn gemäss Art. 37 Abs. 6
MFG das Verschulden des Führers nicht entlastet, wenn der Betrieb des
Fahrzeuges einen Dritten schädigt. Der geschädigte Dritte soll nach seiner
Wahl Ersatz des Schadens vom Halter des Fahrzeuges oder vom schuldhaft
handelnden Führer verlangen können. Belangt er den Halter, so kann dieser
gemäss Art. 51 OR in der Regel auf den Führer Rückgriff nehmen (Art.
41 Abs. 2 MFG). Wer den Schaden endgültig zu tragen hat, ist erst in der
Auseinandersetzung zwischen dem Halter und dem Führer zu entscheiden. In
gleicher Weise kann der geschädigte Halter des Motorfahrzeuges nach
seiner Wahl vollen Schadenersatz von dem ihn schädigenden Dritten oder
vom schuldhaft handelnden Führer verlangen, und es bleibt gemäss Art. 51
OR der Auseinandersetzung zwischen diesen beiden überlassen, wer den
Schaden endgültig zu tragen hat. Der Dritte, der vom Halter belangt wird,
kann nicht einwenden, den Führer treffe ein Mitverschulden. Der Halter
hat für dieses nicht gemäss Art. 37 MFG einzustehen. Er hat durch den
Betrieb des Fahrzeuges niemanden geschädigt.

    Die Frage, ob Colonello den Unfall schuldhaft mitverursacht habe,
stellt sich daher nicht.