Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 II 205



88 II 205

33. Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Juli 1962 i.S. Schnydrig AG
gegen Sidler und Bruchez. Regeste

    Anforderungen an den Berufungsantrag, Art. 55. Abs. 1 lit. b OG.

    Erfordernis der genauen Angabe der verlangten Änderung (Erw. 2).

    Voraussetzungen, unter denen ein blosser Eventualantrag auf Rückweisung
genügt (Erw. 3).

Sachverhalt

    Die Beklagte ficht das vorinstanzliche Urteil in bezug auf die
Abweisung des Rechtsbegehrens 2 der Widerklage an; sie stellt die folgenden
Berufungsbegehren:

    "Hauptbegehren:

    Die Herren Ernest Sidler und Marcel Bruchez bezahlen der Firma
Schnydrig AG solidarisch eine Schadenersatzsumme nach richterlichem
Ermessen.

    Eventualbegehren:

    Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Festsetzung der
angemessenen Entschädigung."

    Das Bundesgericht tritt auf die Berufung nicht ein auf Grund der
folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beklagte hat sich damit abgefunden, dass ihre mit Ziff. 1
der Widerklage erhobenen Gegenforderungen nur zum Teil geschützt worden
sind. Sie erklärt ausdrücklich, dass sich ihre Berufung lediglich
gegen die Abweisung der mit Ziff. 2 der Widerklage geltend gemachten
Schadenersatzansprüche richte.

Erwägung 2

    2.- Auf die so eingeschränkte Berufung kann jedoch nicht eingetreten
werden, weil sie den Vorschriften von Art. 55 Abs. 1 lit. b OG nicht
genügt.

    Nach dieser Bestimmung hat die Berufungsschrift u.a. zu enthalten
"die genaue Angabe, welche Punkte des Entscheides angefochten und welche
Abänderungen beantragt werden". Gemäss der Rechtsprechung ist nun zwar
nicht erforderlich, dass die begehrten Änderungen im Berufungsantrag
ausdrücklich genannt sind; es genügt, wenn aus diesem in Verbindung mit
der Berufungsbegründung oder mit dem angefochtenen Urteil ohne weiteres
ersichtlich ist, in welchem Sinne das angefochtene Urteil nach dem
Willen des Berufungsklägers abgeändert werden soll (BGE 86 II 193 und
dort erwähnte Entscheide).

    a) Aus dem angefochtenen Urteil geht die Höhe des Betrages nicht
hervor, den die Beklagte mit Ziff. 2 ihrer Widerklage geltend machen
wollte. Sie hat sich auch im kantonalen Verfahren darauf beschränkt,
eine nach richterlichem Ermessen zu bestimmende Schadenersatzsumme zu
verlangen. Die Vorinstanz hat dazu erklärt, ein Schaden im Sinne von
Ziff. 2 der Widerklage sei nicht nachgewiesen und könne wegen mangelnder
Substanzierung nicht zugesprochen werden; über die Höhe des Betrages,
auf den sich dieser Schaden nach der Auffassung der Beklagten allenfalls
belaufen könnte, hat sich die Vorinstanz in den Erwägungen ihres Urteils
nicht ausgesprochen.

    b) Auch der Berufungsschrift lässt sich nicht mit Sicherheit entnehmen,
auf welchen Schadenersatzbetrag die Beklagte Anspruch erheben will.

    Der Antrag auf Zusprechung einer Schadenersatzsumme nach richterlichem
Ermessen ist gemäss der Rechtsprechung unzureichend, und zwar selbst
dann, wenn das kantonale Prozessrecht so gefasste Klagebegehren zulässt;
denn nach dem massgebenden Bundesrecht ist eine genaue ziffernmässige
Umschreibung des geforderten Schadenersatzbetrages unerlässlich (BGE 86
II 193 und dort erwähnte Entscheide).

    Aber auch die Berufungsbegründung enthält die erforderlichen Angaben
über die Höhe des von der Beklagten beanspruchten Schadenersatzbetrages
nicht. In der Berufungsschrift legt die Beklagte zwar zunächst
dar, inwiefern sich die Kläger durch ihr Verhalten grundsätzlich
schadenersatzpflichtig gemacht hätten, und im Anschluss daran wird dann
erklärt, die Beklagte beziffere ihren hier in Frage stehenden Schaden
auf ca. Fr. 40'000.--. Eine solche "Circaklausel" hat nach allgemeiner
Ansicht die Bedeutung, dass gewisse Abweichungen nach oben oder unten
zulässig sein sollen; danach läge also der Schaden nach der eigenen
Darstellung der Beklagten irgendwo über oder unter Fr. 40'000.--. Eine
derart unbestimmte Umschreibung genügt aber den Erfordernissen des Art. 55
Abs. 1 lit. b OG nicht, der eine "genaue Angabe" dessen verlangt, was
mit der Berufung beansprucht wird.

    Abgesehen hievon bringt die Beklagte in der Berufungsschrift nirgends
zum Ausdruck, dass sie die Zusprechung des von ihr auf ca. Fr. 40'000.--
bezifferten Schadens begehre; sie äussert sich insbesondere mit keinem
Wort darüber, ob sie Ersatz des ganzen Schadens von ca. Fr. 40'000.--
oder nur eines Teils desselben beanspruche. Hiezu hätte sie sich aber
aussprechen müssen, damit dem Erfordernis der "genauen Angabe" im Sinne
von Art. 55 Abs. 1 lit. b OG genügt wäre. Der blosse Hinweis darauf,
dass die genaue Bestimmung des Schadenersatzbetrages dem richterlichen
Ermessen anheimgestellt werde, vermag auch in diesem Zusammenhang den
bestehenden Mangel des Berufungsantrages nicht zu heilen.

Erwägung 3

    3.- Ein blosser Eventualantrag auf Rückweisung der Sache an die
Vorinstanz, wie ihn die Beklagte weiter stellt, könnte gemäss ständiger
Rechtsprechung einen fehlenden materiellen Berufungsantrag nur ersetzen,
wenn das Bundesgericht selbst bei grundsätzlicher Gutheissung kein
abschliessenden Urteil fällen könnte, sondern die Sache unter allen
Umständen zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückweisen müsste
(BGE 83 II 55, 82

II 565 Erw. 6 und dort erwähnte Entscheide). Diese Voraussetzung
ist hier nicht erfüllt. Es besteht vielmehr die, wenn auch geringe,
theoretische Möglichkeit, dass beim Vorliegen eines genügenden materiellen
Berufungsantrags das Bundesgericht in teilweiser Gutheissung der Berufung
dazu hätte gelangen können, einen gewissen Schadenersatzbetrag nach
richterlichem Ermessen zuzusprechen.

    Aber selbst wenn man die Rückweisung als unerlässlich ansehen wollte,
müsste im vorliegenden Fall von ihr abgesehen werden, weil schon heute ihre
völlige Nutzlosigkeit feststünde angesichts der Erklärung der Vorinstanz,
dass der angebliche weitere Schaden nicht nachgewiesen sei und dass ein
weiterer Schadenersatz wegen mangelnder Substanzierung nicht zugesprochen
werden könne. Die Rückweisung würde somit einen blossen Leerlauf bedeuten,
der aus Gründen der Prozessökonomie vermieden werden muss.