Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 II 150



88 II 150

24. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Mai 1962
i.S. Katholischer Gesellenverein Luzern gegen Achermann. Regeste

    Verlegung eines Wegrechts auf ein anderes Grundstück, das an das
belastete angrenzt und dem gleichen Eigentümer gehört. Zulässigkeit und
Voraussetzungen einer solchen Verlegung (analoge Anwendung von Art. 742
ZGB).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Der Katholische Gesellenverein Luzern ist Eigentümer
der aneinandergrenzenden Grundstücke Nr. 577 (Weystrasse 17, Ecke
Weystrasse/Friedenstrasse) und Nr. 579 (Friedenstrasse 8) in Luzern. Er
steht im Begriff, auf dem Grundstück Nr. 577 anstelle eines abgebrochenen
Hauses zur Erweiterung des Vereinshauses auf Grundstück Nr. 579 einen
Neubau zu errichten, und beabsichtigt, nach dessen Fertigstellung auch
das Haus auf Grundstück Nr. 579 umzubauen.

    Anton Achermann ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 578 (Weystrasse 15,
Ecke Weystrasse/Hofstrasse), das südlich an das Grundstück Nr. 577 grenzt
und auf dem ein Wohn- und Geschäftshaus steht.

    Die Gebäude des Gesellenvereins und Achermanns bilden zusammen mit
weitern Gebäuden ein Baugeviert, das einen Hofraum umschliesst, dessen
Längsaxe von Ost nach West verläuft.

    Gestützt auf Grunddienstbarkeiten sind sämtliche Anstösser dieses Hofes
berechtigt, über einen 3 m breiten Weg in dessen Längsaxe frei zu verkehren
und den über das Grundstück Nr. 579 führenden, das Haus Friedenstrasse 8
querenden Durchgang von 3,5 m Breite nach der Friedenstrasse als Zugang
und Zufahrt zur Hofseite ihrer Häuser zu benützen. Dieses Durchfahrtsrecht
besteht insbesondere auch zugunsten des Grundstücks Nr. 578 (Achermann).
Ausserdem ist jeder Anstösser berechtigt, seinen Hofanteil gegen den in
der Längsaxe des Hofs verlaufenden Weg einzufriedigen.

    B.- Mit Klage vom 28. April 1961 stellte der Gesellenverein unter
Berufung auf Art. 742 ZGB das Begehren, er sei für berechtigt zu erklären,
das zugunsten Achermanns eingetragene Durchfahrtsrecht auf seine Kosten
vom Grundstück Nr. 579 hinweg auf das Grundstück Nr. 577 zu verlegen,
so dass die Durchfahrt nicht mehr in die Friedenstrasse, sondern nahe dem
Hause Achermanns in die Weystrasse ausmünden würde. Achermann widersetzte
sich diesem Begehren und forderte für den Fall, dass es geschützt werden
sollte, eine Entschädigung von Fr. 35'000.--.

    In Übereinstimmung mit dem Amtsgericht Luzern-Stadt hat das Obergericht
des Kantons Luzern am 22. November 1961 die Klage abgewiesen, und zwar
in erster Linie mit der Begründung, die Verlegung einer Dienstbarkeit
auf ein anderes Grundstück könne nach dem Gesetz nicht verlangt werden.

    Auf Berufung des Gesellenvereins hin weist das Bundesgericht die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Wird durch die Ausübung einer Grunddienstbarkeit nur ein Teil des
Grundstücks in Anspruch genommen, so kann der Eigentümer nach Art. 742
Abs. 1 ZGB, wenn er ein Interesse nachweist und die Kosten übernimmt,
die Verlegung auf eine andere, für den Berechtigten nicht weniger
geeignete Stelle verlangen (exiger qu'elle - d.h. die Dienstbarkeit -
soit transportée dans un autre endroit où elle ne s'exercerait pas moins
commodément, chiederne il trasporto ... sopra un'altra parte non meno
adatta per il fondo dominante). Art. 742 Abs. 2 fügt bei, dass diese
Befugnis dem Eigentümer auch dann zusteht, wenn die Dienstbarkeit im
Grundbuch auf eine bestimmte Stelle gelegt worden ist.

    Durch die Ausübung des hier streitigen Wegrechts wird nur ein
Teil des belasteten Grundstücks Nr. 579 in Anspruch genommen. Die erste
Voraussetzung für die Anwendung von Art. 742 ZGB ist im vorliegenden Fall
also erfüllt.

    Bezüglich der "andern Stelle", auf die der Eigentümer des belasteten
Grundstücks die Dienstbarkeit gegebenenfalls verlegen lassen kann, stellt
das Gesetz in ausdrücklicher Form nur das Erfordernis auf, dass sie für
den Berechtigten nicht weniger geeignet sein dürfe. Eine ausdrückliche
Vorschrift darüber, auf welchem Grundstück diese Stelle sich befinden
müsse, enthält das Gesetz nicht. Da Art. 742 ZGB die Verlegung einer
Dienstbarkeit einzig für den Fall vorsieht, dass ihre Ausübung nur
einen Teil des Grundstücks (fonds servant) in Anspruch nimmt, muss
jedoch angenommen werden, dass mit der andern Stelle ein anderer Teil
desselben Grundstücks gemeint sei. Dies ist auch daraus zu schliessen,
dass die Verlegung einer Dienstbarkeit auf ein anderes Grundstück auf
die Löschung der bisherigen und die Errichtung einer neuen Dienstbarkeit
hinausläuft und dass Art. 742 ZGB (entgegen einem Vorschlag von HITZIG,
ZSR 1900 S. 385) auf die Fragen nicht eingeht, die sich bei einer solchen
Verlegung aus der verschiedenen Belastung der beiden Grundstücke mit der
Dienstbarkeit vorgehenden Grundpfandrechten ergeben können. In seinem
nicht veröffentlichten Urteil vom 16. Februar 1950 i.S. Renfer gegen
Zesiger hat das Bundesgericht deshalb erklärt, Art. 742 ZGB ziehe die
Verlegung auf ein anderes Grundstück nicht in Betracht.

    Dies bedeutet aber nur, dass der Eigentümer des belasteten Grundstücks
ein Gesuch um Verlegung einer Dienstbarkeit auf ein anderes Grundstück
nicht unmittelbar auf Art. 742 ZGB stützen kann. Dagegen bleibt die Frage
offen, ob eine solche Verlegung unter Umständen in analoger Anwendung
von Art. 742 ZGB erfolgen könne. Diese Möglichkeit lässt sich entgegen
der Auffassung des Beklagten nicht mit der Begründung ausschliessen, dass
Art. 742 ZGB eine Ausnahmevorschrift sei und daher nicht extensiv ausgelegt
und nicht analog angewendet werden dürfe. Die neuere Methodenlehre lehnt
dieses formalistische Argument, das in der Praxis gelegentlich verwendet
wird, mit Recht ab (vgl. EGGER, 2. Aufl., N. 19, und MEIER-HAYOZ N. 191
zu Art. 1 ZGB; die an der zuletzt genannten Stelle zit. Entscheide BGE
80 II 327 und 84 II 112 bilden indes keine Beispiele für die Verwendung
dieses Arguments). Bei der Beurteilung der Frage, ob und allenfalls
unter welchen Voraussetzungen die Verlegung einer Grunddienstbarkeit
auf ein anderes Grundstück angeordnet werden dürfe, können nur in der
Sache liegende Gründe massgebend sein. Das Bundesgericht hat denn auch
im erwähnten Entscheide i.S. Renfer gegen Zesiger eine analoge Anwendung
von Art. 742 ZGB nicht von vornherein als unstatthaft abgelehnt, sondern
ausgeführt, es liessen sich ernsthafte Gründe dafür finden, dass unter
Umständen die Verlegung auf ein anderes Grundstück sollte verlangt werden
können. Die Klage Zesigers hat es nur deshalb abgewiesen, weil die damit
verlangte Übertragung der Dienstbarkeitslast auf das Land eines Dritten
ohne Zustimmung des Berechtigten dem Art. 742 ZGB durchaus fremd und
nicht durchsetzbar sei. Mit dieser Frage braucht sich das Bundesgericht
im vorliegenden Falle nicht zu befassen, da hier nicht die Verlegung auf
das Land eines Dritten, sondern auf ein anderes Grundstück des Belasteten
verlangt wird.

Erwägung 4

    4.- In Art. 742 ZGB liegt, wie HITZIG (ZSR 1900 S. 383 ff.) und
LEEMANN (N. 2 zu Art. 742 ZGB) zutreffend hervorgehoben haben, eine
besondere Anwendung des althergebrachten, vom ZGB in Art. 737 Abs. 2
ausgesprochenen Grundsatzes, dass der Berechtigte verpflichtet ist,
sein Recht in möglichst schonender Weise (civiliter) auszuüben. Der
gesetzgeberische Grund des Art. 742 besteht "in dem öffentlichen
(volkswirtschaftlichen) Interesse der Verhinderung jeder unnötigen
Beschränkung des Eigentümers in der wirtschaftlich zweckmässigen Benutzung
seines Eigentums" (LEEMANN aaO). Das Bedürfnis nach einer zweckmässigen,
sinnvollen Ordnung der Bodennutzung hat sich seit dem Erlass des ZGB mit
der Zunahme der Bevölkerung noch wesentlich verstärkt. Eine engherzige
Anwendung von Art. 742 ZGB ist daher, wie der Beklagte)dies mit Recht
geltend macht, nicht am Platz. Vielmehr entspricht es der ratio legis,
in analoger Anwendung dieser Bestimmung grundsätzlich auch die Verlegung
auf ein an das belastete Grundstück angrenzendes, dem gleichen Eigentümer
gehörendes Grundstück zuzulassen, wie sie im vorliegenden Falle verlangt
wird. Dies ist denn auch die einhellige Auffassung der schweizerischen
Rechtsliteratur (vgl. HITZIG aaO S. 384; WIELAND N. 3 und LEEMANN N. 10
zu Art. 742 ZGB; HOMBERGER/MARTI, Schweiz. Jur. Kartothek Nr. 564, 1942,
S. 8 oben; TUOR, Das schweiz. ZGB, 6. Aufl. 1953, S. 553). Es besteht
kein Grund, das Verlegungsrecht davon abhängig zu machen, dass das
Grundstück, auf welches die Dienstbarkeit verlegt werden soll, mit dem
bisher belasteten Grundstück vereinigt wird (in welchem Falle Art. 742
nicht bloss analog, sondern unmittelbar anwendbar wäre), sondern die
Verlegung kann auch dann in Frage kommen, wenn die Vereinigung der beiden
Grundstücke aus grundbuchtechnischen Gründen (weil z.B. die Regelung der
Grundpfandrechte Schwierigkeiten bereiten würde) unterbleibt.

    Die Erwägungen, mit denen die Vorinstanz, vom Hinweis auf den bereits
besprochenen Gesetzeswortlaut abgesehen, ihre abweichende Auffassung
zu begründen sucht, sind nicht stichhaltig. Es trifft keineswegs zu,
dass dann, wenn die Verlegung einer nur auf einem Teil des belasteten
Grundstücks ausgeübten Dienstbarkeit auf ein anderes Grundstück zugelassen
wird, notwendigerweise auch die Verlegung einer Dienstbarkeit gestattet
werden müsse, die "auf dem ganzen Grundstück ausgeübt wird". Richtig ist
dagegen, dass die Verlegung auf ein anderes Grundstück unter Umständen
die Sicherheit der Dienstbarkeit gefährden kann, wenn dieses andere
Grundstück mit Hypotheken stark belastet ist. Dies ist aber kein Grund
dafür, die Verlegung auf ein anderes Grundstück überhaupt auszuschliessen,
sondern kann nur dazu führen, die Verlegung in Fällen zu verweigern,
wo eine solche Gefährdung zu befürchten ist. Endlich kann für die
Anwendung von Art. 742 ZGB nicht massgebend sein, dass in Deutschland,
wo eine dem Art. 742 ZGB entsprechende Vorschrift besteht (§ 1023
BGB), die überwiegende Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung eine
Verlegung der Dienstbarkeit auf ein anderes Grundstück ablehnt (vgl. die
Hinweise bei STAUDINGER/RING, 11. Aufl. 1956, N. 2 c zu § 1023 BGB,
und bei WOLFF/RAISER, Sachenrecht, 10. Bearbeitung 1957, S. 441 Anm. 9).
Im übrigen mehren sich in Deutschland die Stimmen für die Zulassung einer
solchen Verlegung (vgl. die eben genannten Autoren). - Es mag beigefügt
werden, dass die Verlegung auf ein anderes Grundstück, das ebenfalls dem
Eigentümer des belasteten Grundstücks gehört, und sogar die Verlegung
auf das Grundstück eines Dritten mit dessen Zustimmung auf Grund von
Art. 701 des französischen Code civil von HUC, Commentaire théorique
et pratique du Code civil, IV, 1893, No. 441 S. 545, für zulässig
gehalten wird, während andere französische Autoren (in neuester Zeit
z.B. PLANIOL/RIPERT/PICARD, Traité pratique de droit civil français,
III, 1952, No. 989, RIPERT/BOULANGER, Traité de droit civil, II, 1957,
No. 3171, und COLIN/CAPITANT/JULLIOT DE LA MORANDIÈRE, Traité de droit
civil, II, 1959, No. 350 4o) diese Möglichkeit zwar nicht besonders
erwähnen, aber auch nicht ausschliessen, und dass der italienische Codice
civile dem Richter in Art. 1068 Abs. 4 eine solche Verlegung ausdrücklich
gestattet (vgl. dazu PESCATORE/ALBANO/GRECO, Della proprietà, 1958,
N. 5 zu Art. 1068, S. 541).

Erwägung 5

    5.- Die Verlegung einer Dienstbarkeit auf ein benachbartes Grundstück
desselben Eigentümers hat wie die Verlegung innerhalb des belasteten
Grundstücks zur Voraussetzung, dass der Eigentümer im Sinne von Art. 742
ZGB ein Interesse nachweist (vgl. hiezu BGE 57 II 156) und die Kosten der
Verlegung übernimmt, und dass die neue Stelle für den Berechtigten nicht
weniger geeignet, also auf jeden Fall (vgl. den französischen Text) für
die Ausübung der Dienstbarkeit nicht weniger bequem ist. (Die Frage, ob
der Belastete die Verlegung gegen Entschädigung unter Umständen auch dann
verlangen könne, wenn die neue Stelle für den Berechtigten etwas weniger
gut geeignet ist, stellt sich im vorliegenden Falle wenigstens einstweilen
nicht, da der Kläger ein Begehren auf Verlegung gegen Entschädigung bisher
nicht gestellt hat; vgl. zu dieser Frage im übrigen BGE 43 II 37 ff. - Zum
Entschädigungsbegehren, das der Beklagte in der Klageantwort gestellt hat,
siehe BGE 57 II 159 Erw. 2.) Dazu kommt nach Erwägung 4 Abs. 2 hievor die
weitere Voraussetzung, dass durch die Verlegung auf das Nachbargrundstück
der Bestand der Dienstbarkeit nicht gefährdet oder jedenfalls die Gefahr,
dass sie bei einer Grundpfandverwertung gemäss Art. 812 Abs. 2 ZGB und
Art. 142 SchKG gelöscht werden könnte, nicht vergrössert werden darf
(vgl. HITZIG aaO S. 384/385, LEEMANN N. 11 zu Art. 742 ZGB, WOLFF/RAISER
und STAUDINGER/RING aaO). Dies gehört in einem weitern Sinn auch zur
"Eignung" der neuen Stelle. Ob diese Voraussetzung in Anbetracht der
Pfandlasten, welche der Dienstbarkeit bisher vorgingen und welche ihr
bei Verlegung auf das Nachbargrundstück vorgehen würden, im einzelnen
Fall erfüllt sei oder nicht, ist nach vernünftigem Ermessen zu entscheiden.

    Von der Frage, ob die neue Stelle für den Berechtigten als solchen
gleich oder weniger gut geeignet sei, ist die Frage zu unterscheiden,
ob sich der Berechtigte der Verlegung eines Wegrechts gegebenenfalls mit
der Begründung widersetzen könne, dass der Weg nicht nur ihm, sondern auch
dem Belasteten und weitern Anstössern zur Verfügung stehe und dass sich
aus der Benützung des verlegten Wegs durch alle diese Personen unzulässige
Einwirkungen auf sein eigenes Grundstück ergäben. Die Befürchtung solcher
Einwirkungen ist praktisch der Hauptgrund, weshalb der Beklagte sich
der vom Kläger verlangten Verlegung der streitigen Durchfahrt in die
Nähe seines Hauses widersetzt. Daneben hat er für den Fall, dass die
Verlegung einer Dienstbarkeit auf ein Nachbargrundstück als an sich
zulässig erachtet ... werden sollte, abgesehen vom Einwand, dass die
erwähnten Voraussetzungen für eine solche Verlegung im vorliegenden Falle
fehlen würden, auch noch geltend gemacht, durch diese Verlegung würden
sein Einfriedigungsrecht verletzt und die Belastung seines Bodens durch
das allgemeine Wegrecht in der Längsaxe des Hofraums vermehrt.

    Angesichts aller dieser noch offenen Fragen lässt sich die Sache auf
Grund der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht abschliessend
beurteilen. Insbesondere hat die Vorinstanz keine für das Bundesgericht
verbindliche Feststellung getroffen, indem sie der Erwägung, bei der
von ihr angenommenen Rechtslage brauche nicht näher geprüft zu werden,
ob die neue Stelle weniger geeignet sei, die Bemerkung beifügte, "es wäre
dies aber wohl der Fall". Die Sache muss daher zur Vervollständigung des
Tatbestandes und zu neuer Entscheidung an sie zurückgewiesen werden.