Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 I 66



85 I 66

11. Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. März 1959 i.S. W. gegen
Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum. Regeste

    Wiedereinsetzung in den früheren Stand, Art. 47 Abs. 1 PatG. Begriff
der unverschuldeten Nichteinhaltung einer Frist.

Sachverhalt

    A.- W. reichte am 15. Dezember 1954 beim eidg. Amt für geistiges
Eigentum ein Hauptpatentgesuch ein, das die Nr. 13 804 erhielt. Dieses
Gesuch wurde mangels Erledigung der ersten Beanstandung am 8. Januar
1958 zurückgewiesen.

    Zum Hauptpatentgesuch Nr. 13 804 hatte W. am 30. August 1955 ein
Zusatzpatentgesuch angemeldet, dem die Nr. 23 708 zugeordnet wurde. Das Amt
beanstandete auch dieses Gesuch, indem es dem Patentbewerber am 13. Januar
1958 mitteilte, wenn die verfügte Zurückweisung des Hauptpatentgesuchs
Nr. 13 804 nicht rückgängig gemacht werde, so müsse das Zusatzpatentgesuch
Nr. 23 708, das als solches für sich allein nicht bestehen könne, entweder
zurückgezogen, in ein Hauptpatentgesuch umgewandelt oder einem andern
Hauptpatent beigeordnet werden. Für den Fall, dass dieser Aufforderung
nicht binnen 3 Monaten, d.h. bis zum 13. April 1958, entsprochen werde,
stellte das Amt die Rückweisung des Zusatzpatentgesuches Nr. 23 708
in Aussicht.

    W. liess die ihm angesetzte Frist unbenützt verstreichen. Das Amt
wies daher das Zusatzpatentgesuch Nr. 23 708 mit Verfügung vom 22. April
1958 zurück. Gleichzeitig machte es den Vertreter des Patentbewerbers auf
die Möglichkeit aufmerksam, dass bis zum 22. Juni 1958 die Zurückweisung
gemäss Art. 32 Abs. 1 VVO I zum PatG rückgängig gemacht werden könne.

    Auch von dieser Möglichkeit machte W. keinen Gebrauch.

    B.- Am 18. Oktober 1958 stellte W. beim Patentamt gestützt auf Art. 47
PatG das Gesuch um "Wiedereinsetzung in die am 13. April 1958 abgelaufene
Frist zur Erledigung der Beanstandung vom 13. Januar 1958, eventuell in
die am 22. Juni 1958 abgelaufene Frist zur Wiederherstellung des Gesuchs
nach Art. 32 VVO I".

    In seiner Begründung wies der Gesuchsteller darauf hin, dass
er am 14. Mai 1954 schon ein anderes Hauptpatentgesuch (Nr. 5766)
eingereicht hatte, das dann zur Erteilung des Patents Nr. 324 488
führte. Zum Hauptpatentgesuch Nr. 5766 habe er am 4. Oktober 1954 das
Zusatzpatentgesuch Nr. 10 939 eingereicht. Diese beiden Patentgesuche
hätten, gleich wie das Patentgesuch Nr. 13 804 und das Zusatzpatentgesuch
Nr. 23 708, Erfindungen auf dem Gebiete der Herstellung und Montage von
Rohrleitungen in Gebäudeteilen betroffen.

    Nach der Einreichung dieser zwei Hauptpatentgesuche und der zwei
Zusatzpatentgesuche habe sich der Gesuchsteller wegen der Vergebung von
Lizenzen für seine Erfindungen mit der F. AG in Verbindung gesetzt. Diese
Firma sei zum Ergebnis gekommen, dass einzig das Zusatzpatentgesuch
Nr. 23 708 von Interesse sei. Infolge eines Versehens habe sie dann
aber in den von ihr ausgearbeiteten Lizenzvertragsentwurf als Gegenstand
der Lizenz nicht das Patentgesuch Nr. 23 708, sondern das Patentgesuch
Nr. 13 804 eingesetzt. Diese unrichtige Angabe sei dem Gesuchsteller
entgangen. Nach Erhalt der Aufforderung vom 13. Januar 1958, das
Zusatzpatentgesuch Nr. 23 708 in ein Hauptpatentgesuch umzuwandeln,
habe er diese Aufforderung mit dem Lizenzvertragsentwurf verglichen,
und da er in diesem die Nr. 23 708 nicht fand, habe er daraus den
unrichtigen Schluss gezogen, dieses Gesuch könne fallen gelassen
werden. Aus diesem Grunde sei eine Umwandlung des Zusatzpatentgesuchs
Nr. 23 708, das in Wirklichkeit Gegenstand des Lizenzvertrags habe bilden
sollen, in ein Hauptpatentgesuch und nachher auch die Wiederherstellung
des zurückgewiesenen Gesuchs Nr. 23 708 unterblieben. Auf den bei der
Aufstellung des Lizenzvertragsentwurfs unterlaufenen Irrtum sei er erst
am 18. September 1958 gestossen. Angesichts der gegebenen Umstände könne
dem Gesuchsteller kein Verschulden zur Last gelegt werden; da er in
Patentsachen wenig erfahren sei, habe er sich darauf verlassen, dass die
sehr gut organisierte und von ersten Fachleuten besetzte Patentabteilung
der Lizenznehmerin einen fehlerlosen Vertrag ausgearbeitet habe.

    C.- Das eidgenössische Amt für geistiges Eigentum wies das
Wiedereinsetzungsgesuch durch Entscheid vom 24. Dezember 1958 mit der
Begründung zurück, der Gesuchsteller habe diejenige Sorgfalt ausser acht
gelassen, die ein Verschulden auszuschliessen vermöchte.

    D.- Gegen diese Verfügung hat W. beim Bundesgericht
verwaltungsgerichtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, die Verfügung
sei aufzuheben und das Amt anzuweisen, dem Wiedereinsetzungsgesuch zu
entsprechen.

    Das beschwerdebeklagte Amt beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Auf Grund des früheren Patentgesetzes konnte nach Ablauf der
Wiederherstellungsfrist (aPatG Art. 17 Abs. 2) ein erloschenes Patent
auch dann nicht wieder in Kraft gesetzt werden, wenn den Patentinhaber
keinerlei Verschulden an der Versäumnis traf. Diese Ordnung hatte wegen
ihrer Härte nicht selten Anstoss erregt (vgl. Botschaft zum revPatG,
BBl 1950 I S. 1032 f.). Um diesen Beanstandungen Rechnung zu tragen,
wurde in Art. 47 Abs. 1 revPatG bestimmt: "Vermag der Patentbewerber
oder Patentinhaber glaubhaft zu machen, dass er ohne sein Verschulden an
der Einhaltung einer durch das Gesetz oder die Vollziehungsverordnung
vorgeschriebenen oder vom Amt für geistiges Eigentum angesetzten Frist
verhindert wurde, so ist ihm auf sein Gesuch hin Wiedereinsetzung in den
früheren Stand zu gewähren".

Erwägung 2

    2.- a) Der angefochtene Entscheid geht davon aus, nach Art. 47
Abs. 1 PatG sei ein Verschulden nur dann zu verneinen, wenn die säumige
Partei diejenige Sorgfalt beobachtet habe, die bei gleicher Sachlage
allgemein von einem sorgsamen Geschäftsmann nach den Regeln vernünftiger
Interessenwahrung angewendet worden wäre. Das beschwerdebeklagte Amt
legt also an den Begriff der Sorgfalt grundsätzlich einen objektiven
Massstab an. Im Anschluss daran prüft es dann, ob nach dem so ermittelten
Sorgfaltsbegriff angesichts der Umstände des vorliegenden Falles ein
Verschulden des Gesuchstellers fehle.

    Der Beschwerdeführer vertritt demgegenüber die Auffassung, der Begriff
des Verschuldens im Sinne des Art. 47 PatG könne nicht ein für allemal
feststehen; vielmehr habe er sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles
zu richten. Es müsse genügen, dass der Patentbewerber das vorgekehrt habe,
was nach seiner ernsthaften Beurteilung eine unbeabsichtigte Zurückweisung
des Gesuches vermeiden würde, und nicht das, was solche Zurückweisungen
normalerweise ausschliessen würde. Demzufolge fehle ein Verschulden,
wenn der Patentinhaber die im gegebenen Fall von seiner subjektiven
Beurteilung der Verhältnisse aus gebotenen Massnahmen zur Verhinderung
der Zurückweisung ins Werk gesetzt habe, solange nur diese subjektive
Beurteilung als ernsthaft angesprochen werden könne.

    b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers muss jedoch
grundsätzlich von einer objektiven Grundlage ausgegangen, d.h. in
allgemeingültiger Weise geprüft werden, welcher Grad von Sorgfalt
erforderlich ist, um ein Verschulden auszuschliessen. Das erheischt
schon das Gebot der rechtsgleichen Behandlung aller Rechtssubjekte. Wer
Wiederherstellung anbegehrt, hat dann allerdings Anspruch darauf, dass auch
die Umstände seines Falles gebührend mitberücksichtigt werden; das billigt
denn auch das Amt dem Beschwerdeführer zu. Aber auch in diesem Rahmen
ist schliesslich wiederum entscheidend, was unter Berücksichtigung dieser
besonderen Umstände allgemein, d.h. objektiviert, an Sorgfaltspflichten
von einem sorgsamen Geschäftsmann verlangt werden darf. Wollte man gemäss
der Auffassung des Beschwerdeführers von der subjektiven Beurteilung der
Sachlage durch denjenigen ausgehen, dem ein Versäumnis unterlaufen ist,
so würde der Boden der Rechtsgleichheit verlassen und willkürrlicher
Beurteilung Tür und Tor geöffnet. Der Beschwerdeführer anerkennt übrigens
in Wirklichkeit selber die Notwendigkeit eines objektiven Massstabes, wenn
er ausführt, natürrlich müsse jene subjektive Beurteilung als "ernsthaft"
angesprochen werden können. Denn ob eine solche "Ernsthaftigkeit" gegeben
sei, lässt sich nur unabhängig von der subjektiven Beurteilung durch den
Säumigen nach objektiven Gesichtspunkten beurteilen. Damit kommt man aber
wiederum zu einer Objektivierung in dem Sinne, dass bei gleicher Sachlage
für jeden Handelnden die gleichen Anforderungen an die Sorgfalt gestellt
werden müssen; das Mass dieser Sorgfalt bestimmt sich aber eben danach,
was jedem sorgfältigen Geschäftsmann in gleicher Lage zumutbar ist.

Erwägung 3

    3.- a) Das beschwerdebeklagte Amt erhebt gegenüber dem Beschwerdeführer
einen doppelten Vorwurf. Es legt ihm einmal zur Last, er habe es schuldhaft
unterlassen, den von der Lizenznehmerin aufgesetzten Vertragstext auf
die Richtigkeit der Nummer des darin als Vertragsgegenstand genannten
Patentgesuches hin zu überprüfen. Im weiteren habe er nach Erhalt der
Mitteilungen seines Vertreters vom 31. Januar und 29. April 1958 über die
bevorstehende bzw. erfolgte Zurückweisung des Zusatzpatentgesuchs Nr. 23
708 sich damit begnügt, diese Nummer mit der im Lizenzvertrag angegebenen,
seinerzeit nicht nachgeprüften zu vergleichen, um allein gestützt darauf
den weittragenden Beschluss über die Aufgabe eines Rechtes zu fassen.

    b) Es ist klar, dass einem Patentanmelder oder Patentinhaber,
wenn es um die Verwirkung einer Anmeldung oder eines Patentes geht,
eine weitgehende Sorgfaltspflicht überbunden werden muss. Denn eine
Wiedereinsetzung in den früheren Stand stellt einen ganz ausnahmsweisen
Rechtsbehelf dar und darf nur dem zur Verfügung gestellt werden, der den
ordnungsgemässen Ablauf der Dinge aus wirklich entschuldbaren Gründen
gestört hat. Dem entspricht auch der Wortlaut des Art. 47 Abs. 1 PatG,
wonach den Patentbewerber bzw. Patentinhaber kein Verschulden treffen darf.
Schuldlosigkeit im Sinne dieser Bestimmung lässt sich zur Not allenfalls
noch annehmen, wenn der Erfinder die Besorgung seiner Patentangelegenheiten
einem Patentanwalt übertragen hat und dieser die Fristenkontrolle durch
einen zuverlässig und gewissenhaft befundenen Angestellten vornehmen
lässt, dem dann ein Versehen unterläuft. Im vorliegenden Falle hatte
aber die F. AG vom Beschwerdeführer nicht die Aufgabe übernommen,
gleich einem Patentanwalt die Kontrolle über die Fristeinhaltungen der
Patentanmeldungen und Patente zu führen. Der Beschwerdeführer hat vielmehr
- etwas leichthin - angenommen, dass er sich in der Frage, welche Patente
bzw. Patentanmeldungen noch aufrecht zu erhalten seien, auf das verlassen
dürfe, was jene Firma in den von ihr aufgesetzten Lizenzvertrag aufgenommen
hatte. Das ist aber kein pflichtgemässes Verhalten in einem Fall, in dem
unter zwei Malen einem Erfinder vom Amt den Bestand einer Patentanmeldung
betreffende Fristen angesetzt worden sind. Hier hatte der Beschwerdeführer
selber zu handeln und selber über seine Patentanmeldungen eine Kontrolle
zu führen, die ihm den Entscheid darüber erlaubte, welche Patentgesuche er
aufrechterhalten und welche er fallen lassen wolle. Dem Beschwerdeführer
war daher zuzumuten, bevor er einen Entschluss fasste, seine Unterlagen
beizuziehen; dabei wäre er dann ohne weiteres darauf gestossen, dass das
in der Mitteilung des Amtes erwähnte Zusatzpatentgesuch Nr. 23 708 sich
gerade auf die Erfindung bezog, die Gegenstand des Lizenzvertrages bildete,
in diesem aber versehentlich unter der nicht zutreffenden Nummer 13 804
aufgeführt war.

    Hat somit der Beschwerdeführer zumutbare Sorgfaltspflichten missachtet,
so kann ihm nicht Schuldlosigkeit im Sinne des Art. 47 Abs. 1 PatG
zugebilligt werden.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.