Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 I 32



85 I 32

5. Auszug aus dem Urteil vom 18. Februar 1959 i.S. Teno AG und City-Umbau
AG gegen Stadtgemeinde Zürich und Obergericht des Kantons Zürieh. Regeste

    Eigentumsgarantie. Ein Kanton, der im Rahmen von Art. 836 ZGB
für gewisse öffentlich-rechtliche Forderungen (hier: die zürch.
Grundstückgewinnsteuer) ein gesetzliches Grundpfandrecht mit Vorrang vor
allen andern Grundpfandrechten einführt,verletzt keine wohlerworbenen
Rechte der Inhaber der vom Eigentümer errichteten Grundpfandrechte.

Sachverhalt

    A.- Das zürch. EG zum ZGB (hienach kurz EG genannt) sieht unter dem
Titel "Grundpfandrechtliche Bestimmungen" in § 1941it. a-f eine Reihe
von gesetzlichen Pfandrechten zugunsten des Staates und der Gemeinden
vor. Das den Gemeinden in § 1941it. e EG ursprünglich nur für die
"Liegenschaftensteuer" eingeräumte gesetzliche Pfandrecht wurde durch das
am 1. Januar 1952 in Kraft getretene neue Steuergesetz vom 8. Juli 1951
(§ 157 StG) und die gleichzeitige Änderung von § 1941it. e EG (§ 201 StG)
ausgedehnt auf die "Grundsteuern", zu denen ausser der Liegenschaftensteuer
auch die Grundstückgewinn- und die Handänderungssteuer gehören. Die
gesetzlichen Pfandrechte bedürfen zu ihrer Entstehung keiner Eintragung
im Grundbuch, erlöschen jedoch, wenn sie nicht innert 6 Monaten nach
Fälligkeit des Anspruchs eingetragen werden (§ 195 EG). Sie gehen allen
übrigen Pfandrechten vor (§ 196 EG).

    B.- Die Liegenschaft Zehntenhausstrasse 8 in Zürich, die seit dem
15. Dezember 1950 mit einem Schuldbrief im Range 1a über Fr. 200'000.--
und mit einem solchen im 2. Range über Fr. 100'000.-- belastet war, wurde
am 14. November 1953 verkauft. Dabei wurde eine Grundstückgewinnsteuer
von Fr. 22'786.-- fällig, für welche die Stadtgemeinde Zürich am 31. März
1955 gestützt auf § 1941it. e EG eine Grundpfandverschreibung im Grundbuch
eintragen liess.

    In der Folge leitete ein Schuldbriefgläubiger Betreibung auf
Grundpfandverwertung ein. Im Lastenverzeichnis vom 26. Februar 1956 wurde
die Steuerpfandforderung der Stadtgemeinde Zürich unter Hinweis auf §
196 EG allen vertraglichen Pfandrechten vorangestellt. Die Inhaber
der genannten Schuldbriefe über Fr. 200'000.-- und Fr. 100'000.--,
die City-Umbau AG und die Teno AG, fochten das Lastenverzeichnis an
und erhoben gegen die Stadtgemeinde Zürich Klage auf Nachstellung der
Steuerpfandforderung hinter ihre Schuldbriefe.

    Am 14. März 1956 wurde die Liegenschaft für Fr. 330'000.-- versteigert.
Dabei wurde der Schuldbrief von Fr. 200'000.-- voll gedeckt, während sich
für den Schuldbrief von Fr. 100'000.--, sofern ihm die Steuerpfandforderung
vorgeht, ein Ausfall von Fr. 36'709.80 ergibt.

    Der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich wies die auf Nachstellung
der Steuerpfandforderung gerichtete Klage am 21. Dezember 1956 ab. Die
Klägerinnen reichten Berufung beim Obergericht des Kantons Zürich
ein. Dieses hiess die Klage durch Urteil vom 7. Juli 1957 gut, stellte die
Steuerpfandforderung von Fr. 22'786.-- den Schuldbriefen der Klägerinnen
nach und änderte das Lastenverzeichnis in diesem Sinne ab. Es liess die
Frage, ob § 1941it. e EG gegen die Eigentumsgarantie verstosse, offen
und nahm an, dass diese Bestimmung mit dem Bundesrecht (Art. 836 ZGB)
unvereinbar sei.

    Gegen dieses Urteil ergriff die Stadtgemeinde Zürich die Berufung
an das Bundesgericht. Die II. Zivilabteilung erklärte § 1941it. e EG als
nicht bundesrechtswidrig und hiess deshalb die Berufung durch Urteil vom
20. März 1958 (BGE 84 II 91 ff.) dahin gut, dass sie das obergerichtliche
Urteil aufhob und die Sache zur Prüfung des klägerischen Einwands, §
1941it. e in Verbindung mit § 196 EG verstosse gegen die Eigentumsgarantie,
an das Obergericht zurückwies.

    C.- Durch Urteil vom 2. Juli 1958 wies das Obergericht die Klage
der City-Umbau AG und der Teno AG ab. Die Erwägungen dieses Entscheids
lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Rang eines zivilrechtlichen
Grundpfandrechts beruhe auf Art. 813 ZGB und stelle daher ein durch
die Eigentumsgarantie geschütztes vermögenswertes Privatrecht dar. In
dieses Privatrecht greife § 1941it. e in Verbindung mit § 196 EG ein,
wonach das gesetzliche Grundpfandrecht für die Grundstückgewinnsteuer die
zivilrechtlichen Grundpfandrechte aus ihrem bessern Rang verdränge. Da
der Eingriff durch ein Gesetz erfolge und dieses eine Entschädigung
zwar nicht vorsehe, aber auch nicht ausschliesse, könne sich nur
fragen, ob der Eingriff durch ein haltbares öffentliches Interesse
gerechtfertigt werde. Das sei zu bejahen, denn ein allen andern
Grundpfandrechten vorgehendes gesetzliches Pfandrecht zur Sicherung
der Grundstückgewinnsteuer verfolge nicht nur fiskalische Zwecke,
sondern diene, wie die Grundstückgewinnsteuer selber, auch einem
ethischen und volkswirtschaftlichen Zwecke, nämlich der Bekämpfung der
Grundstückspekulation (wird näher ausgeführt). Das führe zur Abweisung der
Klage; denn die Frage, ob die Klägerinnen allenfalls Anspruch auf eine
öffentlich-rechtliche Entschädigung hätten, sei nicht im vorliegenden
Verfahren zu entscheiden.

    D.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragen die Teno AG
und die City-Umbau AG, das Urteil des Obergerichts vom 2. Juli 1958 sei
aufzuheben. Zur Begründung machen sie geltend, § 1941it. e EG (in der
Fassung gemäss § 201 StG) verstosse gegen die Eigentumsgarantie (Art. 4
KV). Die Grundstückgewinnsteuer und ihre Sicherung durch ein gesetzliches
Grundpfandrecht mögen neben fiskalischen auch allgemeinen öffentlichen
Interessen dienen. Dagegen stelle der Vorrang dieses Pfandrechts
einen Eingriff in die Rechte der am Spekulationskauf unbeteiligten
Grundpfandgläubiger dar, der sich nicht auf ernsthafte Gründe des
öffentlichen Interesses stützen lasse.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    1./2. - (Prozessuales.)

Erwägung 3

    3.- Die Eigentumsgarantie nach Art. 4 zürch. KV gewährleistet dem
Bürger den Schutz seiner wohlerworbenen Privatrechte. Eingriffe des Staates
und der Gemeinden in solche Rechte sind mit der Eigentumsgarantie nur
vereinbar, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen, im öffentlichen
Interesse liegen und, sofern sie in der Wirkung einer Enteignung
gleichkommen, gegen Entschädigung erfolgen (BGE 82 I 161 Erw. 2 mit
Verweisungen, 84 I 172 Erw. 3).

    Das Obergericht hat angenommen, dass diese Voraussetzungen im
vorliegenden Falle erfüllt seien und der dem gesetzlichen Grundpfandrecht
für die Grundstückgewinnsteuer in § 1941it. e in Verbindung mit § 196
EG eingeräumte Vorrang vor den übrigen Grundpfandrechten daher einen
zulässigen Eingriff in diese Rechte darstelle. Die Beschwerdeführerinnen
machen demgegenüber geltend, das Obergericht habe das Vorliegen einer der
genannten Voraussetzungen, nämlich eines haltbaren öffentlichen Interesses
für den Eingriff in ihre Rechte, zu Unrecht, ja willkürlich bejaht. Dabei
gehen sie, wie schon das Obergericht, ohne weiteres davon aus, dass nicht
nur ihre Schuldbriefforderungen und die diese sichernden Pfandrechte
wohlerworbene Rechte seien, sondern auch der diesen Pfandrechten gemäss
der Grundbucheintragung zukommende Rang. Das versteht sich indessen
keineswegs von selbst, sondern ist zu prüfen, und zwar von Amtes wegen,
da davon abhängt, ob sich die Beschwerdeführerinnen überhaupt auf die
Eigentumsgarantie berufen können.

    Die subjektiven Rechte, die sie geltend machen, gehören dem Privatrecht
an; es handelt sich um Pfandrechte, d.h. beschränkte dingliche Rechte,
deren Gehalt vor allem durch die Privatrechtsordnung bestimmt wird. Die
Eigentumsgarantie schützt solche Rechte nur mit dem Inhalt und Umfang,
den sie nach der jeweiligen objektiven Rechtsordnung, auf der sie beruhen,
haben (vgl. KIRCHHOFER, Eigentumsgarantie, ZSR 1939 S. 140; GYGI, Über die
Eigentumsgarantie, MBVR 1959 S. 258 c). Dass der Rang der Grundpfandrechte
ein wohlerworbenes Recht darstelle, wird im angefochtenen Entscheid aus
Art. 813 ZGB abgeleitet. Der Grundsatz der festen Pfandstellen, den diese
Bestimmung aufstellt, und das sich hieraus ergebende Rangverhältnis unter
verschiedenen Grundpfandrechten am gleichen Grundstück gelten jedoch nur
für die durch den Eigentümer begründeten vertraglichen, nicht dagegen für
die gesetzlichen Grundpfandrechte. Das ZGB selber kennt solche gesetzlichen
Pfandrechte und gibt ihnen den Vorrang vor allen andern im Grundbuch
eingetragenen Grundpfändern und sonstigen Belastungen (Art. 808 Abs. 3,
810 Abs. 2, 820/21 ZGB). Ferner behält Art. 836 ZGB ausdrücklich die
gesetzlichen Pfandrechte des kantonalen Rechtes aus öffentlich-rechtlichen
Verhältnissen vor, und zwar in der Meinung, dass das kantonale Recht ihnen
den Rang zuweise und damit auch den Vorrang vor andern Grundpfandrechten
einräumen könne (LEEMANN N. 9 zu Art. 813 und N. 15 zu Art. 836 ZGB;
HOMBERGER N. 24 zu Art. 972 ZGB). Der Rang, den ein Grundpfandrecht
bei der Errichtung durch den Grundeigentümer erhält, wird ihm somit
nach den Vorschriften des ZGB selber nicht unbedingt verliehen, sondern
nur unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der gesetzlichen Pfandrechte,
insbesondere auch derjenigen des kantonalen öffentlichen Rechts. Dieser
Vorbehalt gilt nicht nur für die gesetzlichen Pfandrechte, die in einem
im Zeitpunkt der Errichtung vertraglicher Pfandrechte schon in Kraft
stehenden kantonalen Gesetz vorgesehen sind, sondern auch für solche,
die das kantonale Recht erst später einführt. Das ZGB beschränkt die
Befugnisse der Kantone in dieser Beziehung nicht. Art. 836 ZGB lässt
lediglich für die gesetzlichen Pfandrechte des kantonalen Rechts nur
die Form der Grundpfandverschreibung zu und fordert eine Beziehung der
pfandgesicherten Forderung zum Grundstück, setzt aber, wie schon die
II. Zivilabteilung in der vorliegenden Streitsache festgestellt hat, dem
kantonalen Recht inbezug auf die Höhe der Pfandforderung oder den Rang des
Pfandrechts und auch sonst keine Schranken (BGE 84 II 100 Erw. 2). Der
kantonale Gesetzgeber kann daher für gewisse öffentlich-rechtliche
Forderungen ein gesetzliches Grundpfandrecht mit Vorrang vor allen
andern Pfandrechten einführen, ohne auf die in diesem Zeitpunkt bereits
bestehenden vertraglichen Pfandrechte Rücksicht zu nehmen. Es gehört
demnach zum Wesen der durch den Grundeigentümer gemäss ZGB begründeten
Grundpfandrechte, dass sie nicht einen absolut festen, beständigen und
unverrückbaren Rang einnehmen; ihr Rang steht vielmehr unter dem Vorbehalt
der gesetzlichen Pfandrechte insbesondere auch des kantonalen öffentlichen
Rechtes. Dass dies eine gewisse Rechtsunsicherheit zur Folge haben und den
Wert der vertraglichen Pfandrechte unter Umständen beeinträchtigen kann,
ist nicht zu verkennen und in der Rechtslehre nicht übersehen worden
(vgl. E. HUBER, Erläuterungen zum Vorentwurf 1900, 2. Aufl. S. 187/88;
ROSSEL et MENTHA, Manuel du droit civil suisse, 2e éd. III p. 168/69;
TUOR, Das schweiz ZGB § 102 III b). Dieser Mangel liegt jedoch in der
Rechtsnatur der vertraglichen Pfandrechte, wie sie das ZGB geschaffen
hat. Wenn daher der zürcherische Gesetzgeber in dem von Art. 836 ZGB
gezogenen Rahmen ein gesetzliches Pfandrecht für die Grundstückgewinnsteuer
der Gemeinden eingeführt hat, das den ersten Rang einnimmt und den die
Schuldbriefe der Beschwerdeführerinnen sichernden Pfandrechten vorgeht,
so können dadurch keine wohlerworbenen Rechte der Beschwerdeführerinnen
verletzt worden sein. Da ihre vertraglichen Pfandrechte nach Massgabe
des ZGB unter Vorbehalt solcher gesetzlicher Pfandrechte begründet
worden sind, können sie sich der Nachstellung ihrer Schuldbriefe hinter
diese Pfandrechte nicht widersetzen. Es standen ihnen inbezug auf
das Rangverhältnis ihrer Schuldbriefe zum gesetzlichen Pfandrecht nie
subjektive wohlerworbene Rechte zu, die durch den Erlass von § 1941it. e EG
(in der Fassung gemäss § 201 StG) hätten verletzt werden können, weshalb
ihre Berufung auf die Eigentumsgarantie unbegründet ist.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.